Dieter Schlesak

Steckbrief

geboren am: 7.8.1934
geboren in: Schäßburg/Transsylvanien
lebt in: Stuttgart, Killesberg

Kontakt: Tizianweg 5, 70192 Stuttgart

Telefon: 0039-0584951214

Vita

Das wichtigste Buch von Dieter Schlesak ist: Capersius. Der Auschwitzapothekersuchen. Bitte unter schlesak.blogspot.com und http://www.dieterschlesak.de suchen
Dieter Schlesak, 1934 in Schäßburg (Siebenbürgen) Rumänien geboren, Lyriker, Romancier, Essayist, Übersetzer, Studium der Germanistik 1954-1959; dann Redakteur der „Neuen Literatur“ in Bukarest. Unter dem Druck von Securitate, Zensur und Lebenszustände, emigrierte er 1968 über Brüssel, Luxemburg, Paris in die Bundesrepublik. Lernte beim Fischerverlag in Frankfurt seine Frau, die Lektorin und Übersetzerin Linde Birk kennen; verkraftete aber den Kulturschock nicht, fuhr 1968 wieder zurück, und verlor so gleich zwei Länder, emigrierte endgültig 1969 nach Deutschland. Dann 1973 weiter nach Italien. Und lebt seit l973 in Stuttgart und in Camaiore/Lucca. „Was zusammenhängt mit einem existenziellen Grenzgänger, einem, der Reisen und Länderwechsel zur Lebensmetapher gemacht hat, mit allem Gewinn, mit aller Beschwernis. Ein verwurzelter Wurzelloser, der morgens beim Öffnen der Fenster seines alten italienischen Bauernhauses, in dem er mit Frau und Hund und Kater oben am Hang lebt, in der Ferne das Meer gleißen sieht und der gleichzeitig tief empfundene Heimatgefühle für Transsylvanien hegt. In seinem Weiler nahe dem norditalienischen Städtchen Camaiore ist er "Signore Dieter, il tedesco", unter Stuttgarter Schriftstellern der Rumänendeutsche. "Ich bin ein „Zwischenschaftler", sagt er, einer, der sich eingerichtet hat zwischen allen Stühlen, zwischen allen Grenzen? Da muss er wohnen, der rumänisch-deutsche, stuttgarterisch-toskanische Dichter Schlesak. Es folgen Reisen durch Europa und Amerika. "Fernweh über den Globus gezogen / die Riesenfrucht möchte ich essen", heißt es in einem Gedicht des Lyrikers, der bis heute dreißig Bücher veröffentlicht hat, darunter neun Lyrikbände und vier Romane. In dem Roman "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens" hat er in mitreißender assoziativer Prosa Biografisches verarbeitet, hat sich im 2002 erschienenen Roman "Der Verweser" mit einer alten Kriminalgeschichte aus dem nahen Lucca befasst, hat im Lyrikband "Tunneleffekt" sein Grundthema des Grenzgangs lyrisch variiert. Seine innere Emigration und Einsamkeit, diese Abweichung vom Normalen, begreift Schlesak für Schreiben und Leben mittlerweile als "ontologisch"." mit dem gleichgesinnten „Eremiten von Paris“, dem Landsmann aus Transsylvanien hat er Jahrzehntelang einen Briefwechsel geführt, der ihn geprägt hat. Ebenso schon in Rumänien die rumänische Kultur, die jüdische, in Bukarest war er befreundet mit Celans Freundeskreis um Sperber und Kittner, und ist davon ebenfalls geprägt. "Er leitet aus seiner Emigration und Isolation "eine Art literarisches Mönchtum" ab. Und hat doch, im Äußeren, so gar nichts Mönchisches an sich, wenn er redet. Während dann Kater Romeo herbeischleicht, auf den Tisch springt, aus der Nähe hören will, was der toskanische Dichter aus dem fernen Rumänien zu sagen hat. Zum Beispiel dies, dass man ihm jüngst sein altes Geburtshaus in Schässburg zurückgegeben habe, das er mit Hilfe einer Stiftung zu einem Literatur- und Kulturzentrum machen wolle. (Aus: Rainer Wochele, Literarischer Mönch, Stuttgarter Zeitung)
Inzwischen ist Schlesaks Erfolgsbuch "Capesius, der Auschwitzapotheker" erschienen (2006):" "Den Auschwitzapotheker Dr. Viktor Capesius, den Massenmörder, der sich bis zu seinem Tode für unschuldig hielt,  kannte ich seit meiner Kindheit, er  hat mir in seiner Apotheke „Zur Krone“ in meiner Heimatstadt Pfefferminzbonbons geschenkt, er war der Freund meiner Eltern und hätte mein Vater sein können. In Auschwitz hat er das Gas, das Zykon B verwahrt, und selbst viele Menschen   vergast. Nach Begegnungen mit ihm zitterten meine Hände und ich wusch sie mir. Aber ich kann meine Erinnerungen nicht mehr davon trennen; sie wurden beschädigt. Dreissig Jahre lang habe  ich  an diesem Buch geschrieben und  recherchiert: dafür Berge von Dokumenten, Briefen, Tonband- und Gesprächsprotokollen mit ihm und, mit vielen Augenzeugen durchforstet, um der  quälendsten Frage nachzugehen, Antworten sind nicht möglich; ich habe das Buch erst jetzt, nach dem Tode meiner Eltern zu veröffentlichen gewagt. Ich habe überlegt, schreiben darüber ist möglich nur über Augenzeugenberichte, mit den Stimmen aus jenem Inferno, jenem für uns unerreichbaren Jenseits. 
Anknüpfend an meinen Welterfolg mit meinem Roman "Capesius, der Auschwitzapotheker" (2006), der eben beim großen Verlag Farar Straus (New York) und in Barcelona, Prag, Amsterdam, Mailand (in 3 Auflagen) erschienen ist, möchte ich die Fortsetzung "Der Mann ohne Herkunft", der bisher nur italienisch bei Garzanti erschienen ist (2011), dann einen Gedichtband "All Tag. Erstaunte Augenblicke" und ein Reisebuch "Meine Toskana", ebenso Zwischen Himmel und Erde. Gibt es ein Leben nach dem Tod"  (2011)erwähnen."

 Mitglied des Deutschen P.E.N Zentrums, des P.E.N Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland (London), VS u.a. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zuletzt: Ehrengabe der Schillerstiftung 2001. Ehrendoktor der Universität Bukarest 2005, Lyrikpreis „Umberto Saba“, Triest, 2006; Preis der „Kunststiftung Baden-Württemberg“ Stuttgart 2007. Werke zuletzt erschienen: Lyrik: Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006; Sette volte sete. Grenzen Los. Oltre limite. italienisch-deutsch, Pisa 2006; Namen Los, Liebes-und Todesgedichte, Ludwigsburg 2007. Der Tod ist nicht bei Trost, Gedichte, Buch und medi, 2010, Transsylwahnien, Roman, italienisch L´Uomo senza radici, Garzanti 2011. Essays und Prosa: Eine Transsylvanische Reise, Köln 2004, Romans Netz, Roman, Köln 2004; Capesius, der Auschwitzapotheker, Bonn 2006 (auch rumänisch, ungarisch, polnisch, italienisch); Vlad. Die Draculakorrektur, Ludwigsburg 2007, 2. Auflage 2009. Zeuge an der Grenze unserer Vorstellung, Porträts, Studien und Essays, IKGS  Uni München 2005; Übersetzer- und Herausgebertätigkeit. Nichita Stanescu, Elf Elegien, Übersetzung und Nachwort: Metapoesie der roten Zeit, 2005. Sekundärliteratur und ein Verzeichnis des Gesamtwerkes, dessen Vorlass sich im Marbacher Deutschen Literaturarchiv befindet unter: www.dieterschlesak.de;  http://www.dieterschlesak.de/Bio-Biblio_bis_2006.pdf http://www.dieterschlesak.de/marbach_dieter_schlesak.pdf  und  meinen Blog http//www.schlesak.blogspot.com

Würdigung

Andreas-Grypius Förderpreeis,1980.
Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds (l982 und l987).
Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst von Baden-Württemberg l988.
Schubart-Literaturpreis l989, alle für "Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens, Roman und die Fortsetzung: Der Verweser.Roman.
Förderstipendium der Akademie Schloß Solitude Stuttgart,1990-1992.
Nikolaus-Lenau-Preis 1993 für seine Lyrik.
Für die Prosa den Hauptpreis des Ostdeutschen Kulturrates 1994.
"Tunneleffek", Gedichte. Buch des Monats, "Text und Kritik", 1998.
Ehrengabe der Schillerstiftung 2001.
Stipendium, Kulturamt der Stadt München, Villa Waldberta 2004.
Ehrendoktor der Universität Bukarst 2005.
Literaturkabinett "Dieter Schlesak" am "Colegiul National Mircea Eliade in Sighisoara Schässburg, Transsylvanien. 2005.
Lyrikpreis „Umberto Saba“, Triest, 2006.
Maria-Ensle-Preis der „Kunststiftung Baden-Württemberg“ Stuttgart, 2007.

STIMMEN DER KRITIK
Bücher über DS: Oliver Sill
Marian Victor Buciu

Die Ausführungen von Dieter Schlesak haben den Vorzug der Klarheit. Was bei Heiner Müller bisher dunkel "deutsches Verhängnis", "Kolonisation" oder "Über-fremdung, bei Volker Braun locker "das nicht Nennenswerte" hieß und von Christa Wolf als "dunkle wilde Jagd" bedichtet wird ... ist hier plötzlich deutlich." Iris Ra-disch, DIE ZEIT

Sein Ich ist sich des Zeitsprungs gewiß, sein Ich warnt den Leser vor allzu großen Erwartungen ... Die enge Verbindung von gegenwärtigem Geschehen, das das Be-wußtsein noch nicht aufnehmen kann, und einer eben abgelaufenen Vergangenheit, die als Traumsequenz in eine Zukunft reicht, in welcher alles erst entwickelt wird, was im Präsens zu schnell vorüberjagt - ist der Übergang, in dem das Schlesaksche Ich stehengeblieben ist, um in der Fülle des Augenblicks seine vielschichtigen Beo-bachtungen machen zu können. Es wählt den quälenden Weg der Offenlegung von Wunden im Zeitbewußtsein am Ende des 20. Jahrhunderts.
Wolfgang Schlott, Kommune 2
Haben wir 1989 den Beginn eines neuen Zeitalters erlebt? Einen Umbruch, we er nur mit der Reformation oder der Französischen Revolution vergleichbar ist? Werden Historiker bei der Periodsierung der Vergangenheit Jahrhunderte einteilen in ein gro-ßes Vorher und Nachher? Dieter Schlesaks Essay über den Umsturz in Rumänien deutet Ereignisse vom 21. und 22. Dezember 1989 in Bukarest als welthistorischen Einschnitt, nach dem nichts mehr so ist, wie es war.

Schlesak erzählt von der Melancholie , die sich einstellt, wenn das jahrelang Ersehn-te plötzlich Wirklichkeit wird und dann doch alles ganz anders ist, als man sich vor-gestellt hatte. "Der Zustand der Sehnsucht wird gelöscht"
Frankfurter Allgemeine Zeitung

In Ihrem Buch sind all die Erfahrungen versammelt, die über zwei Jahrhunderte hin-weg viele, viele Revolutionäre gemacht haben. Ich denke an die Reden von Robespi-erre und Danton... an Kropotkin und Bakunin, an einige arkane Passagen bei Marx, an die Enthusiasmen der irischen, der spanischen, der vietnamesischen, der südame-rikanischen Rebellen und Revolutionäre. Sie alle versuchen das zu sagen, was Sie in Ihrem Band auf das trefflichste und... auf das tiefsinnigste präzisiert haben, nämlich das enthusiastische Erlebnis, den Furor gleichsam aus der Zeit zu fallen, dieses of-fenkundig beglückende Geühl, an einem Schnittpunkt der Geschichte stehend die Geschichte selbst förmlich "abzuschneiden".
Michael Naumann, Ehemaliger Leiter des Rowohltverlages

Dieter Schlesak, vigoroso e sottile narratore... sembrava riconoscersi nell´ indicativo presente. La vita, come diceva Svevo, originale e lascia presto indietro il suo ritratto stesso da una penna (...) Nel suo intervento a Trieste, Schlesak (...)ha detto genial-mente che soltanto dopo Stalingrado é comniciata, per la sua gente, la possibilita di' una vera letteratura che nasce dalla consapevolezza e dall' esperienza della disfatta del perverso sogno di dominio. Ii romanzo ,Giorni della patria di Schlesak é un´espressione poetica di questo amore di patria puro e purificato e reca significati-vamente ii sottotitob L´arte di sparire.

Claudio Magris, Corriere della Sera (8 febbraio 87).

Fassungslosigkeit breitet sich aus nach dem Zusammenbruch der Weltbilder. Aber sie hat ihr Gutes. Die vorgefaßten Denkweisen haben immer Sehen verhindert und Leben geraubt. Der Fassungs-Lose versucht, „ohne Vorbehalt zu sehen, den Wahr-nehmungsprozeß als gelernten zu entlarven. Jungsen heißt (nach Nietzsche: noch Chaos ins ich haben. Freisein heißt: sich dem Augenblick hingeben können (…) Ver-trauen in die Kräfte, die uns tragen, Kräfte, die größer sind als wir“ – Vertrauen auf Jugend, Liebe, Leben. Schlesak wiederholt damit trotz aller hier nicht berücksichtig-ten Differenzierungen die Antwort, die die sogenannte Lebensphilosophie schon vor hundert Jahren auf das Industriezeitalter gab. Hermann Kurzke in der Frankfurter Allgemeine Zeitung
Sprachgewaltig bannt Dieter Schlesak die Verhältnisse …. in das Bild des achten Tages der Menschheitsgeschichte. Neue Zürcher Zeitung

Hier ist, um mit Musil zu reden, nicht nur eine neue Seele da, sondern auch der da-zugehoerige Stil. Das vitale Sprach- und Erfahrungsmaterial ist in großraeumige Rhythmen uebersetzt, die in der Ferne die Zentnerschwere einer lyrischen Traditi-on von Gryphius bis Guenter und Klopstock ahnen lassen, bei denen die Form gerade noch die alles sprengende Erfahrung fasst... Man moechte auf die formale und sprachliche Kunstleistung hinweisen, auf die Vielfalt der Themen - und koennte doch nur sagen: Ecce Poeta. Viele dieser Gedichte lassen den Leser nicht los, sie greifen seine Erfahrung, sein Bewußtsein an.
Walter Hinderer, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Er zeigt uns quer zu manch herrschender Meinung, daß im Mikrokosmos des leiden-den Ich die Veränderung der Welt radikal anders bewertet wird als im praktischen Optimismus des politischen Tagesgeschäfts. Hans-Jürgen Schmitt, Süddeutsche Zei-tung.
Sein Ich ist sich des Zeitsprungs gewiß, sein Ich warnt den Leser vor allzu großen Erwartungen ... Die enge Verbindung von gegenwärtigem Geschehen, das das Be-wußtsein noch nicht aufnehmen kann, und einer eben abgelaufenen Vergangenheit, die als Traumsequenz in eine Zukunft reicht, in welcher alles erst entwickelt wird, was im Präsens zu schnell vorüberjagt - ist der Übergang, in dem das Schlesaksche Ich stehengeblieben ist, um in der Fülle des Augenblicks seine vielschichtigen Beo-bachtungen machen zu können. Es wählt den quälenden Weg der Offenlegung von Wunden im Zeitbewußtsein am Ende des 20. Jahrhunderts.
Wolfgang Schlott, Kommune 2

Schlesak erzählt von der Melancholie , die sich einstellt, wenn das jahrelang Ersehn-te plötzlich Wirklichkeit wird und dann doch alles ganz anders ist, als man sich vor-gestellt hatte. "Der Zustand der Sehnsucht wird gelöscht"
Frankfurter Allgemeine Zeitung

FRANKFURTER ANTHOLOGIE
Bilder und Zeiten Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.2006, Nr. 293, S. Z4

Walter Hinck
Elegie des Abschieds

Dieter Schlesaks Dichtung ruht im Elegischen. Im Band "Herbst Zeit Lose. Liebesgedichte", in dem diese Verse stehen, mischt sich noch in den Taumel des Sinnlichen und den Jubel der Sprache ein Zug von Trauer; über alle Himmel Schlesaks zieht eine Wolke. Der 1934 im rumänischen Transsylvanien als Angehöriger der deutschen Minderheit geborene Lyriker, Romanautor und Essayist, nach seinem Studium in Bukarest Redakteur der Zeitschrift "Neue Literatur", kam 1969 in die Bundesrepublik und lebt seit 1973 in der Toskana und in Stuttgart. Seine bedeutendste Übersetzung rumänischer Dichtung ist sicherlich die Übertragung der "Elf Elegien" von Nichita Stanescu, dem Dichter der inneren Emigration zur Zeit der Diktatur Ceauçescus (Neudruck 2005). In der italienischen und rumänischen Literaturkritik gilt Schlesak als einer der wichtigen Vertreter moderner deutscher Lyrik; ein Band von siebzig Gedichten mit Übersetzungen ist kürzlich in Pisa erschienen. Jenseits der Alpen hat Schlesak ein Echo gefunden, das man ihm auch in Deutschland wünscht.
Mit seinem Band "Herbst Zeit Lose. Liebesgedichte" schließt sich Schlesak an die Tradition einer Liebeslyrik an, die man heute leicht in den Verdacht der prickelnden Oberflächlichkeit bringen kann, wenn man sie erotische Lyrik nennt - einer Lyrik, mit der wir Namen wie Catull und Horaz verbinden, die Liebesgenuß und -erfüllung preist. Sie begegnet uns auch in Goethes "Römischen Elegien", deren Titel in einer Handschrift noch "Erotica Romana" lautet. Zumal Schlesaks Gedichte im Abschnitt "Komm, schlaf jetzt mit mir" zieren sich nicht, beschreiben Liebe als "Vulkan" in "Flammen". Aber fast immer geht aus dem Aufruhr der Sinne das Besinnen hervor. Ein an barocke Vergänglichkeitsklagen erinnernder Ton ist Signal: das Begehren nach dem Augenblicksbegehren verstummt; wahre Liebe will Ewigkeit. "Doch die Liebe ist Leben für immer", heißt der Sammeltitel für eine der Gedichtreihen.
Im Gedicht "Meine Liebste laß uns gehen" ist nach der Zeit der wilden Vereinigungen nun die Zeit des Abschieds gekommen. Die über die Augen gelegten Hände deuten an, daß sich der Vorhang vor der Welt der sinnlichen Wahrnehmungen schließt. Aber noch einmal bringt sich Erotisches in Erinnerung, das weibliche Geschlecht, als poetisches Bild für Geburt und Zeugung. Was den Augen mangelt, kann das Herz bewahren - Herz verstanden als Inbegriff für jenes Unbeschreibbare, das mit der Seele, dem ebenfalls unbeschreibbaren Spirituellen, verschwistert ist. Unendliche Traurigkeit durchdringt die vierte Strophe. Trennung der Liebenden und Einsamkeit des einzelnen werden unwiderruflich, und nicht zufällig wählt Schlesak in der Zeile "doch gehen ja gehen" eine die Gemütssaite berührende Wiederholungsform des Volkslieds. Noch gewähren die Erde des Grabes und "die Seele im Flug" eine "Umarmung". Aber bleibt auch das poetische Bild des offenen Himmels in Kraft, so besiegelt doch der Schlußvers eine Endgültigkeit: "Denn alles fällt ab was wir waren."
Es gibt im Band auch Gedichte von geringerer Direktheit, Beispiele wie in der Strophe: "Denn was dann nicht mehr ist / und war / die Erde, jede Zelle / Atome dieser Hand die wir so warm berühren werden! / Du meine und ich deine Hand / Sind ihre Elemente. Sie drehn sich rasend schnell / wie Glücksgefühle / und duften weiter." Von "Verjüngung" wird gesprochen. Die Abschiedselegie "Meine Liebste laß uns gehen" ist von herber Trauer. Hingenommen wird das Bedingte unserer Existenz mit einer Kraft der melancholischen Gefaßtheit, zu der wohl nur eine Liebe verhelfen kann, die ihrer Unverlierbarkeit gewiß ist. Dieses Liebesgedicht schön zu nennen wäre zu wenig; es macht dem Gefälligen keine Zugeständnisse, ist aber nicht fatalistisch, es ist bewegend, doch nicht erweichend, die poetischen Bilder leiten uns unaufdringlich, aber unausweichlich zur Frage nach unserer Endlichkeit, kurz, dies ist ein großes Gedicht.
- Dieter Schlesak: "Herbst Zeit Lose". Liebesgedichte. Buch & Media GmbH /Lyrikedition 2000, München 2006. 172 S., br., 17,50 [Euro].
Redaktion Marcel Reich-Ranicki
Kastentext:
Dieter Schlesak
Meine Liebste lass uns gehen
sieh wir haben uns schon die Hände über die Augen gelegt.
War nicht dein Geschlecht schon wie immer der Aus- und der Eingang zur Welt?
Bleib mir im Herzen wenn wir vergehen.
Der Himmel ist uns hier offen doch gehen ja gehen muss jeder allein diesen Weg.
Die letzte Umarmung Liebste die letzte ist wenn wir uns nicht mehr sehn der Leib in der Erde die Seele im Flug
Denn alles fällt ab was wir waren.


Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Aktuelles

Bitte besuchen Sie meine Homepage: www.dieterschlesak.de

Vlad der Pfähler, Vorbild unzähliger Dracula-Filme, Vorbild auch für Bram Stokers „Dracu-la“-Roman, und Dr. Dieter Schlesak, der transsylvanische Lyriker, Wissenschaftsautor und Romancier, der seine neuesten Bücher dem berühmtesten Transylvanier und Landsmann wid-met, haben Schässburg, die uralte transsylvanische Stadt als Geburtsstadt gemeinsam. „Vlad, die Dracula-Korrektur“ und das noch druckfrische Materialienbuch zu Vlad Draculea „Tod und Teufel“ bringen viele neue Informationen und Korrekturen zum so oft verkitschten und verballhornten Vampir- und Todesthema. Dieter Schlesak zeigt, dass „Dracula“ eine Gesamtmetapher ist, Vampirismus für die dunkle, abseitige, versteckte Seite des mensch-lichen Charakters steht. Sie ist so komplex, weil sie ganz allgemein das ausdrückt, was wir uns alle nicht einzugestehen wagen, alle Heimlichkeiten und geheimen Wünsche von Todes-ängsten bis zu Erlösungshoffnungen oder auch zu Rachegedanken, dazu Sehnsucht nach un-gehemmtem Ausleben aller Begierden. Die Wochenzeitschrift DIE ZEIT sah Dracula als Pendant des Dr. Freud: als großen Entlarver des Trieblebens.
Der Roman und das Beibuch „Tod und Teufel“ korrigieren viele Verballhornungen und Fäl-schungen, stellen sie richtig, und analysieren sie äußerst kritisch, auch im Hinblick auf die neuere Literatur. Zusätzlich diskutiert das Beibuch auch die brisante Frage samt neuen For-schungsergebnissen, die Figur des mysteriösen „Untoten“ und ob es ein Überleben des To-des
geben kann!
Wer über „Dracula“, wer über seinen tieferen psychologischen, aber auch historischen Sinn Bescheid wissen möchte, liest diese beiden neuen Bücher; sie sind im Pop Verlag Ludwigs-burg erschienen. (pop-verlag@gmx.de. Tel. 07141-920317 Bestellbar auch in jeder Buch-handlung) Und bei www.amazon.de

PROJEKTE und Werkstatt:

Werkstatt Online (PDF)
Engelszungen – Roman, 1994-2006
Plädoyer für den Abschied – Liebesroman, 2002-2006
Tagebücher 1968-2006
Das Überlebenstagebuch eines Krebsschocks – 2000-2004
Der Tod ist nicht bei Trost – Gedichte
Terplan und die Kunst der Rückkehr – Roman
Zukunftsräume. Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Lauter Letzte Tage – Essays und Porträts

Online-Veröffentlichungen unter Dieter Schlesak Shaker media
Die Dracula-Korrektur (Inhaltsverz. + Teil 1, PDF) –
Materialien zur Dracula-Korrktur
Erscheinen auch als Buch bis Herbst 2008 im Pop Verlag, Ludwigsburg
Der Verweser – 2001, 2006
Neue vollständige Fassung bei Shaker Media:
Titel: Romans Geister.
Zwischen Himmel und Erde. Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Bibliographie und Archiv
(Agliano und Marbach)
Kindlers deutsches Literaturlexikon 1999
Schlesak, Dieter, wurde am 7. 8. 1934 in Schässburg/Sighisoara als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien geboren. Nach dem Abitur unterrichtete er zwei Jahre an der Volksschule in Denndorf, von 1954 bis 1959 studierte er Germanistik in Bukarest, wo er anschließend als Redakteur der Zeitschrift Neue Literatur, Autor, Übersetzer und Herausgeber tätig war. 1969 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland aus, ging 1973 ins selbst gewählte Exil nach Italien und lebt seither als freier Schriftsteller abwechselnd in Stuttgart und Camaiore.
1980 erhielt Schlesak den Andreas-Gryphius-Preis, 1982 und 1987 das Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds, 1989 den Schubart-Preis (für Vaterlandstage), 1993 den Nikolaus-Lenau-Preis, 1994 den Hauptpreis Prosa des Ostdeutschen Kulturrats und 2001 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung.

Im Brennpunkt von Schlesaks literarischem Schaffen steht von Anfang an das Phänomen Grenze, das ihn nicht allein in seiner politischen, sozialen und kulturellen Relevanz, sondern vor allem in seinen sprachlichen und metaphysischen Dimensionen beschäftigt. Der Debütband Grenzstreifen (1968) ist noch rumäniendeutschen Bedingtheiten verhaftet: Wie schon vor ihm Oskar Pastior verweigert auch Schlesak gereimte Partei- und Klassenkampfparolen und sucht sich mit dem Instrumentarium moderner Poesie „Die große Störung, Leben“ (ebd.) zu erschließen.
Der „Weltenwechsel“, den Schlesak als Schock erlebt, konfrontiert ihn mit neuen Grenzerfahrungen, die er in dem Prosaband Visa. Ost West Lektionen (1970) dokumentiert. Nun ist es nicht mehr der Denk-, sondern der Sinne- und Sinnverlust, der ihm als verdeckter Realitätsverlust zusetzt und ihn zum „Zwischenschaftler“ werden lässt, der sich schreibend im „Grenzraum der Erkenntnis“, „im Strom des Wechsel-Spiels oder des Wechsel-Ernstes zwischen beiden Teilen der entzweigeschnittenen Welt“ bewegt, um nicht an der „Melancholie wirklich erlebter Unwirklichkeit“ zu Grunde zu gehen (ebd.).
Lyrisch verdichten sich diese biografischen wie historischen Bruchlinien zu dem Band Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum (1981). Im „weglosen Gelände“, das die Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Europa zurückgelassen haben, ertastet sich jede Gedichtzeile ihre eigene Vorläufigkeit:
Wie aufgelöst in diesem weißen
Licht der Nacht mit ihrer Wange
Ist die verbrannte Erde
Der Vergangenheiten –
Was liegenblieb, nur mit Ideen
begangen
Und Haut an Haut
mit dem Versäumten
(„Achtuhrschmerzen“, ebd.).
Dass mit den falschen Gewissheiten auch die Sprache gesplittert ist, materialisiert sich in Schlesaks „Hirnsyntax“, die zu seinem poetischen Markenzeichen wird: Der Vers zerfällt, syntaktische und semantische Strukturen fransen aus, wuchern ad hoc oder führen sich ad absurdum, die Funktion der Differenzierung verlagert sich vom Wort in die „Wortzwischenräume“, da es einzig in diesem Spannungsfeld noch möglich ist, Sinn zu generieren – wenn auch bloß als „Zwischensinn“ („Schreiben als posthumes Leben“ in So nah, so fremd, 1995).
An „Sinn- und Sprachrändern“ bewegt sich auch Schlesaks dritter Gedichtband Aufbäumen (1990), der statt der Schöpfung die „Erschöpfung der Welt“ thematisiert und als Strukturmodell den kabbalistischen Sprachbaum heranzieht, der mit seinen zehn Ästen auf den Kopf gestellt wird: Die Kapitel sind rückläufig angeordnet, das letzte ist das erste, „das Eine als treibende Absenz“, das jedoch auch alle anderen „als Hohlform unverzichtbarer Hoffnung“ (ebd.) mit einschließen:
Hölderlins
Bordeaux? Und Patmos, die Insel?
Und dann Johannes 15?
Wer doch verkommen wie er,
in der Sprachzeit langsam nach Haus
kommen könnte. Zu Fuß
nur mit einem Zeitwort auf
staubiger Landstraße. Wir aber
tragen den Augenblick im Autofenster
und die Sekunde rollt an den Reifen.
Kein
Land, Nie, Land,
dieses Anderswo
(„Chronokratie“, ebd.).
Die Facetten von Absenz und Angst im ortlosen virtuellen Zeitalter fächert Schlesak im Gedichtband Landsehn (1997) auf und schreibt sie in Tunneleffekt (2000) fort, wo sie, flankiert von zeitlosen Traumerinnerungen und Todeserfahrungen, zu Bausteinen einer „posthumen Poetik“ (ebd.) werden. – Nach dem „Poesia Erotica“-Intermezzo von Lippe Lust (2000) wendet sich Schlesak in Los (2002) erneut den zu inneren Ereignissen gewordenen Landschaften seines Exil zu, um in älteren und neueren Reisegedichten den „unbekannten Ort möglicher Erfahrung“ (ebd.) einzukreisen.
Neben den Lyrikbänden Weiße Gegend und Aufbäumen zählt auch der dazwischen verfasste Roman Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens (1986) zu Schlesaks bedeutenden literarischen Würfen. Mit gattungstypologischen Rastern nicht zu erfassen und am ehesten als Gedankenroman zu bezeichnen, rückt hier ein halbes Jahrhundert Lebens- und Zeitgeschichte mit den Hypostasen ihres Scheiterns seit den 30er Jahren ins Bewusstsein. Anstoß zum Nach-Denken ist für den Ich-Erzähler die Suche nach einer möglichen Heimkehr ins Land seiner Herkunft, aus dem er, von zwei Diktaturen beschädigt, emigriert ist. Also erfindet er ein Alter Ego, den Schriftsteller Michael T., und schickt ihn statt seiner nach Osten. Was jedoch wie eine tatsächlich stattgefundene Reise anmutet, ist eine sprachlich vollzogene Revision eines geschichtlich wie gesellschaftlich verbogenen Ichs mit all seinen Brüchen und Widersprüchen, die bei dem von zwei Erzählinstanzen vorgenommenen unausgesetzten Verhör und Selbstverhör zu Tage treten. Das Erlebte und Erinnerte zersplittert in unzählige Partikel, die sich weder chronologisch noch kausallogisch zusammenfügen: „Die Sprache ist blockiert und zerstückelt und vom Alptraum verwandelt bis hin zum sprachunfähigen Stottern, in dem sich sprachlos die Realität in Fratzen auflöst, in Kopfsummen des Wahnsinns" („Analyse meiner Selbstbiografie“ in Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur, 1990).
Historisch schließt an Vaterlandstage der Essayband Wenn die Dinge aus dem Namen fallen (1991) an, der die „enteignete“ Revolution von 1989 untersucht, gefolgt von dem synoptischen Journal Stehendes Ich in laufender Zeit (1994), das den europäischen Nach-Wende-Geist bis 1993 kritisch ausleuchtet.
Schlesaks zweiter Roman Der Verweser (2002) ist ebenfalls als Fiktion in der Fiktion angelegt, doch ist hier nur die Rahmenhandlung autobiografisch geprägt und aus der Ich-Perspektive eines in der Toskana lebenden Autors erzählt. Als auktorial gestaltete Binnenhandlung wird eine Luccheser Liebes- und Mordgeschichte des 16. Jahrhunderts herangezogen, deren Hauptfigur, der Arzt und Schriftsteller Nicolao Granucci, dem Ich-Erzähler so zusetzt, dass dieser meint, Granucci gewesen/geworden zu sein. Als metapsychischer Schaltkreis fungiert u. a. der Schreibprozess, dessen Magie wie Missbrauch Schlesak nachgeht.
(Text: Edith Konradt)

Werke:
Francisc Munteanu: Der Himmel beginnt beim dritten Stockwerk, En., Übs., Bukarest 1965; Michael Albert: Ausgewählte Schriften, Hg., Vorw., Bukarest 1966; Schiller: Gedichte, Hg., Vorw., Bukarest 1967; Imperiul demonilor. Proza austriaca moderna, Anth., Hg., Vorw., Bukarest 1968; Nichita Stanescu: 11 Elegien, G., Übs., Bukarest 1968; Grenzstreifen, G., Bukarest 1968; Rainer Maria Rilke: Gedichte, Hg., Vorw., Bukarest 1969; Grenzgänge. Deutsche Dichtung aus Rumänien, Anth., Hg. zus. m. Wolf Peter Schnetz, Regensburg 1969; Fische und Vögel. Junge rumänische Lyrik, Anth., Hg. zus. m. Wolf Peter Schnetz, Regensburg 1969; Visa. Ost West Lektionen, Pr., Ffm 1970; Luchterhands Loseblatt Lyrik: Deutsche Gedichte aus Rumänien, Hg., Neuwied 1970; Geschäfte mit Odysseus, Pr., Bern 1972; Briefe über die Grenze, G., zus. m. Magdalena Constantinescu, Göttingen 1978; Weiße Gegend – Fühlt die Gewalt in diesem Traum, G., Reinbek 1981; Königin, die Welt ist narr, Hsp. 1981; Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens, R., Zür. 1986; Der neue Michelangelo, 4 Bde., Bildmeditationen, zus. m. Fabrizio Mancinelli et al., Luzern 1989-1995; Aufbäumen, G., Reinbek 1990; Wenn die Dinge aus dem Namen fallen, Ess., Reinbek 1991; Stehendes Ich in laufender Zeit, Tageb., Leipzig 1994; So nah, so fremd. Heimatlegenden, Tageb. und Aufs., Dinklage 1995; Landsehn, G., Berlin 1997; Gefährliche Serpentinen. Rumänische Lyrik der Gegenwart, Anth., Hg., Nachw., Berlin 1998; Tunneleffekt, G., Ess., Berlin 2000; Lippe Lust, G., München 2000; Weiße Gegend, G., Neuaufl., München 2000; Der Verweser, R., München 2002; Los. Reisegedichte, München 2002. Romans Netz, Liebesroman, Köln 2004; Eine TRanssylvanische Reise, Köln 2004; Zeugen an der Grenze unserer Vorstellung, Essays, Studien, Porträts, München 2005; Sette Volte sete, Grenzen Los, Poesie, Gedichte, Pisa 2006; Herbst Zeit Lose, Liebesgedichte, München 2006.

Archive (Agliano und Marbach)
Bio/Bibliographie bis Ende 2006 (PDF-Datei)
Marbacher Bestände (PDF-Datei)

Literaturport ID: 871