Michael Roes

Dreharbeiten zu "Elevation", Budapest 2006
© Michael Roes

Steckbrief

geboren am: 7.8.1960
geboren in: Rhede, Kreis Borken, Deutschland
lebt in: Berlin, Charlottenburg

Vita





Michael Roes wurde 1960 in Rhede, Westfalen, geboren. Im Anschluß an das Studium der Psychologie, Philosophie und Germanistik arbeitete er als Regie- und Dramaturgieassistent an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin. Mehrere Reisen führten ihn nach Israel / Palästina. 1991 promovierte er mit einer Studie zum Sohneopfer (Jizchak). 1993 wurde Michael Roes Fellow am Budapester Institute for Advanced Studies. Im Rahmen eines ethnologischen Forschungsprojektes verbrachte er 1994 /1995 ein Jahr im Jemen. Weitere Forschungsreisen in den Nahen Osten und nach Amerika führten zu viel beachteten Werken wie dem ethnopoetischen Roman Rub’al- Khali. Leeres Viertel, für den er den Bremer Literaturpreis erhielt, dem Roman Der Coup der Berdache und dem literarischen Reise-Essay Haut des Südens (2000).


Im Jahr 2000 drehte Roes in New York und im Jemen seinen ersten Spielfilm Someone is Sleeping in my Pain, einen arabischen Macbeth. Dann folgten mehrere lange Algerien-Aufenthalte, in denen der Roman Weg nach Timimoun, das Radio-Feature und der Film Stadt des Glücks, eine Dokumentation des Alltags algerischer Jugendlicher, und Roes’ zweiter Spielfilm Timimoun, eine algerische Orestie, entstanden.


2004 und 2006 hatte Roes eine Gastprofessur an der Central European University in Budapest inne. Dort erarbeitete er mit Studenten unter anderem seinen Filmessay Phädra Remade und seinem Spielfilm Elevation. 2007 war er für drei Monate in China, um für sein Romanprojekt Die fünf Farben Schwarz und dem Dokumentarfilm Breakdance in China zu recherchieren. 2010 erschien sein Algerien- Roman Geschichte der Freundschaft, 2012 sein Jemen-Roman Die Laute.


2006 erhielt Michael Roes für sein Gesamtwerk den Alice-Salomon-Poetik-Preis.


Von 2012 bis 2013 war Michael Roes Research Fellow am Internationalen Forschungskolleg Verflechtungen von Theaterkulturen der Freien Universität Berlin und Gastprofessor des DAAD an der Universität Kabul, Afghanistan. In Tanger, Marokko, organisiert und leitet er das Theaterprojekt Spring Awakening mit Studenten der Theaterwissenschaft an der Universität in Tanger/Tetouan.










2018 wurde Roes zu einer Gastprofessor an die Universität Bern eingeladen, 2019 hatte er die Poetikdozentur an der Universität Paderborn inne.


Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.





Würdigung



1991, 2007/2008 Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds


1993 Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis (Stückepreis)


1994–1995 Fellowship am Wissenschaftskolleg zu Budapest


1995, 2000, 2005 Stipendien der Stiftung Preußische Seehandlung


1997 Literaturpreis der Stadt Bremen


1998 Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland


2004 Stipendium der Niederländisch-Deutschen Kulturstiftung


2006 Alice Salomon Poetik Preis der Alice Salomon Hochschule Berlin Berlin


2007 China-Stipendium des Auswärtigen Amtes[21]


2011 Stipendium der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit (Villa Decius, Krakau)


2012 Poet in Residence des DAAD in Kabul, Afghanistan


2012 / 2013 Research Fellow am Internationalen Forschungskolleg Verflechtungen von Theaterkulturen der Freien Universität Berlin


2012 Nominierung des Romans Die Laute für den Deutschen Buchpreis


2013 Spycher: Literaturpreis Leuk mit Mircea Cărtărescu


2018 / 2019 37. Poetikdozentur der Universität Paderborn


2020 Margarete-Schrader-Preis für Literatur


2020 Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis


 


 

Aktuelles


Michael Roes


DAS RINGEN UM ANERKENNUNG


 


1


Jeder, der an den Rändern zu leben gezwungen ist, hat seine eigene Verletzungsbiographie. Von den Rändern aus sieht man mehr, das ist wahr, aber es ändert nichts daran, daß ihm zeitlebens die Mitte verwehrt wird. Er steht am Rande nicht aus freier Wahl.


Wie oft fühlt er sich versucht aufzugeben, dazugehören zu wollen, fügt er sich der tagtäglichen, zum Teil beabsichtigten, zum Teil gedankenlosen Verächtlichmachung doch nur noch seine Selbstdemütigung hinzu. Es gibt nichts, das diejenigen, die ihn ausgelöscht oder zumindest unsichtbar wünschen, ihm gewähren könnten. Selbst seine Größe, zu der er sich aus Verzweiflung und verletztem Stolz gelegentlich aufschwingt, vereinnahmen sie noch als ihren Triumph, indem sie ihr tieferes Versagen umfassender Anerkennung aus den Heldengeschichten eliminieren. Sie wollen nicht mit dem, was ihnen fremd, ihm aber eine stete Wunde ist, belästigt werden. Bei aller Duldung bleibt ihnen das Ressentiment ins Gesicht geschrieben. Ja, hört er sie sagen, natürlich seid ihr keine schlechteren Menschen, aber normal seid ihr eben auch nicht.


Seine Nähe ist für sie eine Zumutung. Sie wollen ihn nicht sehen, ihm nicht begegnen, es ekelt ihnen vor ihm. Eine Zumutung, mit der er hingegen aufwachsen muß und die ihn ein Leben lang begleitet, in jedem Film, den er sieht, auf den Parkbänken und Liegewiesen, in den Clubs und Bars, die Selbstverständlichkeit ihrer Nähe, die er ohne Verachtung und Gewalt hinnimmt, während man ihn dafür zusammenschlagen würde, wenn nicht schlimmeres.


Natürlich zeigt sich die Verachtung und Gewalt an aufgeklärten Orten subtiler. Dazu braucht es für den aufmerksamen Beobachter nicht viel mehr als ein winziges Senken der Mundwinkel oder eine geringe Veränderung der Satzmelodie. Er macht sich nichts vor, für die Mehrheit bleibt er, wenn überhaupt, ein marginales Problem. Was wollt ihr denn noch, stöhnen sie, hier könnt ihr doch tun und lassen, was ihr wollt. Wenn man euch in anderen Ländern auspeitscht, steinigt oder köpft, was können wir dafür?


 


2


Für Suprematisten, denkt er, ist die Aufklärung nicht gescheitert, sie ist ihr essentieller Feind. Nicht, daß er, der von ihnen Herabgewürdigte, ihrem schieren Dasein als weiße, heterosexuelle und angeblich christliche Männer und Frauen je die Anerkennung verweigert hätte. Warum fühlen sie sich dennoch bedroht von ihm, warum trotzdem dieser blinde, mörderische Haß? Er, der Verfechter der Aufklärung, hat als einzige Legitimation nur die Vernunft auf seiner Seite und den zugegebenermaßen recht egoistischen Wunsch, an Leib und Seele unversehrt oder wenigstens am Leben zu bleiben.


Kann man als Schwuler, als Frau, als Jude, Ausländer, Fremder konservativ, nationalistisch oder gar völkisch sein? Nein, das kann man nicht, ohne die ihnen zugewiesene Inferiorität zu akzeptieren und sich mit der ständigen Abwertung und Marginalisierung abzufinden, denkt er. Mag man auch sonst alle Werte mit Konservativen teilen, man wird unter ihnen nur geduldet sein. Der Konservatismus lebt von ebendieser Abwertung und Verächtlichmachung des Anderen. Daraus bezieht er seine eigene Aufwertung und seine Privilegien.


Er weiß das alles, trotzdem ist er es müde, es immer und immer wieder zu sagen: Jene sehen in diesen Privilegien offenbar ihr Geburtsrecht. Die Achtung vor der Diversität war ihnen nie ein Anliegen. – Wie schnell und widerspruchslos scheinbare Errungenschaften der Akzeptanz und Gleichheit suspendiert und zurückgenommen werden können! Es wäre leichtfertig zu glauben, diese mühsam erstrittenen Rechte hätten langfristig Bestand. Sie müssen von jeder Generation neu erkämpft werden. Und in der Regel sind es immer nur die marginalisierten Gruppen selbst, die sich emanzipieren und höchst selten die Suprematisten, deren Wut sich mit jedem Emanzipationsschritt ja nur noch steigert. Wehe, wenn sie ihren rechten Führer finden!


Am Anfang sind wir alle Fremde, denkt er, am Anfang gibt es noch keinen Unterschied der Geschlechter, der Hautfarben, der Religionen oder Sexualitäten. Die Unterscheidungen und die damit verbundenen Wertungen werden uns anerzogen, uns eingebleut. Der Körper kennt die Hierarchien eher als der Verstand. Wenn der Verstand endlich begreift, ist es fast schon zu spät zum Widerstand. Der Körper hat sein eigenes Gedächtnis.


 


3


Anerkennung, es scheint als wolle er etwas Unsittliches, Obszönes. Vielleicht haben sie mit ihrer Empörung ja Recht. Die Wurzel, der Stamm lautet kennen, und bedeutet eigentlich wissen lassen, verstehen machen, also eine aktive Geste auf den Anderen zu, ein Prozeß, der nur unter Einschluß des Anderen möglich ist. Einander verständlich zu machen ist die Grundvoraussetzung für die gegenseitige Anerkennung. Und dieses Kennenlernen ist nur dialogisch möglich.


Das einander Erkennen geht tiefer. Erkenntnis ist ein Innewerden und bewußtes Verarbeiten dessen, was mir begegnet. Im übertragenen (wie auch im biblischen) Sinne bedeutet erkennen aber auch die direkte körperliche Erfahrung des Anderen, ja das tiefe einander Durchdringen. Aus diesem Kennen und Begreifen unserer gemeinsamen Menschlichkeit, glaubt er, erwächst die Anerkennung des Anderen als mir im tiefsten Wesen Ähnlichen. Ohne Anerkennung gibt es das Du, den Anderen ebenso wenig wie das Da- und das So-Sein, das wir Ich oder Identität nennen.


Erkennen, sich im Anderen wiedererkennen, um das gegenseitige Begehren wissen und sich darin lebendig und aufgehoben fühlen. Er hat darüber nachgedacht, drei Formen der Anerkennung unterscheidet er schließlich: Liebe, Recht und Wertschätzung. Gerade darin, worin der Andere sich von ihm unterscheide, werde er für ihn begehrenswert, und er für ihn. Und genau in diesem gegenseitigen Begehren erführen sie ihre Gleichheit. Denn wie der Andere sich in ihm aufgehoben wisse, sei er es in ihm.


Bedeutet das im Umkehrschluß nicht auch, daß ein Mensch, der einen anderen Menschen in seiner Verschiedenheit nicht anerkenne, auch sich selbst nicht in all seiner Differenziertheit vollständig erfahren und anerkennen könne?


Anerkennung ist für jeden Menschen die notwendige Voraussetzung, sich als Teil einer Gemeinschaft zu erleben, konstatiert er bitter. Nur die Erfahrung, in seiner Besonderheit bejaht zu sein, gibt dem Menschen die Kraft und das Selbstvertrauen, gleichberechtigt am Gemeinschaftsleben teilzuhaben. Ohne ausreichende Anerkennung verkümmern, verhungern wir.


 


4


Er wird beleidigt, beschimpft, und er ist machtlos. Eine Hierarchie wird errichtet, eine Differenz zwischen dem Normalen, Akzeptierten, und dem Anormalen, Minderwertigen, ja, ein Urteil wird gesprochen, das zugleich die Strafe, nämlich die tiefe Verletzung mitenthält.


Er kann nicht mit gleicher Münze antworten, denn der Angreifer weiß die Mehrheit, das Recht, das „gesunde“ Volksempfinden hinter sich. Schlimmer noch, etwas bleibt hängen, kleben, eitert, näßt, vernarbt nicht. Nach dem Angriff ist er nicht mehr derselbe, sieht er sich, auch wenn er sich dagegen wehrt, durch die Brille des Beleidigers, erkennt die eigene Verworfenheit und schämt sich ihrer, wider besseres Wissen. Aber er ist nun einmal Teil dieser Kultur, dieser Gemeinschaft, die ihn derart verachtet und verurteilt. Die Beleidigung sagt ihm nicht, wer er ist, sie macht ihn erst zu dem, wie die Verachtenden ihn sehen.


Der Blick, den sie auf ihn, den Anderen, richten, verletzt ihn. Sie sehen nicht ihn, sie sehen, was sie sehen wollen, Tücke, Krankheit, Unberechenbarkeit, Verrat, Verbrechen. Gerade ihre partielle Blindheit läßt ihnen den Raum, ihm all jene Dinge zuzuschreiben, die sie ihm zu eigen unterstellen. Ihr Blick weist ihm einen Platz zu, den er nicht selbst gewählt hat, einen marginalen, bestenfalls geduldeten Platz am Rande, wo man noch weniger von ihm sieht.


Solange die Mehrheitsgesellschaft sich vor allem durch das definiert, was sie abwertet, ausschließt, verwirft, wird sie niemals autonom, sondern immer nur konformistisch sein. Mit dem Anderen verbannt sie die Möglichkeit zur Selbstreflexion.


 


5


Der verzweifelte Wunsch zu verschwinden oder wenigstens übersehen zu werden, stammt er wirklich aus ihm selbst? Seit wann quält ihn dieses Gefühl, hier im Eigenen wie in einem Exil zu leben?


Als Kind kannte er seine Besonderheit, sein Stigma noch nicht. Oder doch? Schon vor jeder Beleidigung erregt und ängstigt ihn die Ahnung seines Andersseins. So pendelt er brutal zwischen den Tagträumen, einst ein Genie, ein Revolutionär, ein Heiliger zu sein, und der Absicht, sich bei dem ersten Verdacht, den sein Anderssein erregt, das Leben zu nehmen.


Als Kind fühlte er sich noch wie die anderen Kinder, manchmal voller Freude, manchmal traurig in seiner Kinderwelt. Sie spielten miteinander, die anderen und er, bis zum ersten Mal das Wort fiel, das alles verändern sollte. Zunächst verstand er es noch nicht, aber er wußte sofort, daß er gemeint sei, und daß es ihn verletzen, abwerten, ausschließen sollte, also daß es ein böses Wort sei, daß sich unauslöschlich in ihn einbrennen sollte, was es dann auch tat.


Die Welten trennten sich, das heißt, die Welt trennte sich von ihm, ohne daß sie ihm noch eine eigene ließ, glaubte er doch, er sei der einzige, den man brandmarkte, ein Monster, ein Freak. Selbst sein Körper trennte sich von ihm, wurde zu etwas Fremdem, dessen er sich schämte und den er zu verbergen suchte. Er durfte und konnte für sich nicht mehr selbstverständlich sein, wie doch alle anderen es waren oder vorgaben, es zu sein. Und niemand konnte ihm einen Grund dafür nennen, warum er diese Stigmatisierung verdient habe, als handle es sich um ein Naturgesetz oder einen göttlichen Fluch.


Aus dem, was er an sich selbst immer mochte oder dessen er sich zumindest niemals schämte, wurde etwas Häßliches. Die Scham und das verzerrrte Selbstbild verdammt ihn zu noch größerer Einsamkeit und verhindert die Solidarität mit den anderen, die man wie ihn herabwürdigt, beleidigt, verletzt und denen man die Anerkennung verweigert.


Zur Scham gesellt sich die Angst.


 


6


Es braucht eine Weile, bis er begreift, daß es außer Resignation und Verzweiflung noch eine andere Möglichkeit gibt, auf die Ausgrenzung zu reagieren: Die Revolte.


Er hört immer nur die Mehrheit sprechen, oder besser: krakeelen, diejenigen, denen es in und mit ihrer Macht, andere zum Schweigen zu bringen, gut geht, weil die Anderen nicht sprechen können oder dürfen.


Er muß seine Sprache zurückgewinnen, und wenn sie sich nicht zurückgewinnen läßt, muß er sie sich neu erfinden. Wie kann er gehört werden, wenn er schweigt? Im Sprechen manifestiert sich bereits ein erster Akt der Selbst-Annahme. Denn jedes Sprechen des Zum- Schweigen-Gebrachten oder -Verdammten ist bereits ein Widerspruch. Ein Widerspruch, der die Macht, den Mehrheitsdiskurs auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Legitimation hin befragt und in Frage stellt. Es ist ein Einspruch, der die ständige Wiederholung der Unwahrheiten und Beleidigungen unterbricht.


 


7


Wer ist denn überhaupt dieser Andere? hört er sie fragen. Es ist immer der Nächste, würde er ihnen antworten, wenn sie ihm denn zuhörten, das radfahrende Mädchen in Afghanistan, das sich an den Händen haltende Männerpaar in Polen oder Rußland, die betende Nonne in Tibet, der kippatragende Jude in Halle oder der Black-Lives-Matter-Demonstrant auf den Straßen Portlands.


Die Wut der Ausgeschlossenen richtet sich nicht so sehr auf einen Umsturz, sondern vor allem auf die (Zurück-)Gewinnung der Aufmerksamkeit. Wir wollen unser Ausgeschlossensein gewußt wissen, flüstert er, noch kaum hörbar. Denn die verletzendste Form des Nichtanerkennens ist die Ignoranz, ist, den Anderen und seine Verletztheit zu übersehen, ja, sie nicht einmal sehen zu wollen.


Die Verweigerung von Anerkennung kann verschiedene Tiefen der Verletzung enthalten, von der Mißachtung und Beleidigung bis zur Vorenthaltung von Grundrechten, von subtiler Abwertung und Demütigung bis zu roher Gewalt und Aussonderung.


Immer geht mit der Ablehnung die Erfahrung der Schutzlosigkeit und des Ausgeliefertseins einher, mit dem körperlichen Schmerz ein seelischer. Von Anfang an wird das Vertrauen in das eigene Selbst und den Selbstwert angegriffen und zerstört. Das ist es, was ein Vergewaltiger dem Vergewaltigten über die körperliche Verletzung hinaus antut, erkennt er. Jedes Anerkennungsverhältnis muß auch ein Schutzverhältnis sein. Anerkennung ist erst gewährt, wenn sie über eine individuelle Beziehung oder eine mehrheitliche Tolerierung hinausgeht und es keiner Selbstermächtigung mehr bedarf. Dazu muß die Anerkennung durch die Gleichheit im und vor dem Gesetz verankert und einklagbar sein.


Tragisch und bitter wird die Verweigerung von Anerkennung, wenn der Andere sich mit der Abwertung abfindet oder gar identifiziert. Die Beispiele sind endlos, weiß er, in denen die Gedemütigten die Akte der Demütigung für im Wesentlichen gerechtfertigt halten und sich aus Scham über die eigene Inferiorität erst gar nicht gegen die andauernde Mißachtung aufzulehnen wagen. Ein Mensch ist nur soweit zur vollständigen Annahme seiner selbst fähig, wie er in seinen Eigenarten und Besonderheiten Zuspruch und Unterstützung findet. Er muß sich als anerkennungswürdig erfahren.


Demokratisch legitimierte Prozesse allein sind noch kein Garant für die Anerkennung unserer Verschiedenheiten. Oft ist es schlicht eine privilegierte Mehrheit, die einer marginalisierten Minderheit die Anerkennung verweigert. Nicht nur Einzelne, auch Mehrheiten sind ja durchaus auf ihren eigenen Vorteil und Nutzen bedacht. Alle streben zwar nach gegenseitiger Anerkennung, stehen zugleich aber in permanenter Konkurrenz zueinander. Eigentlich sollte Politik diesen Konflikt schlichten, aber nicht selten macht sie sich die Spannungen für den eigenen Machterhalt zunutze. Fängt denn mit jeder Generation dieser Kampf wieder von vorne an?


 


8


Für die gegenseitige Anerkennung braucht es eine Kultur der Empathie. Empathie heißt für ihn, den anderen als ihm ähnlich, als wesensgleich, als gleichermaßen menschlich und achtenswert wahrzunehmen und sich selbst im Anderen wiederzuerkennen. Verbunden seien sie durch ein gemeinsames, höheres Bewußtsein, einen gemeinsamen Geist, der sie erst zum gemeinsamen Gespräch befähige.


Seinen Begriff der Empathie hat er Hegels Definition des Geistes entlehnt, der Geist als Fähigkeit zur Selbstdifferenzierung in dem Sinne versteht, daß der Mensch sich zu einem anderen seiner selbst machen und von dort aus zu sich selbst zurückkehren könne. Geist müsse man sich also als eine gemeinschaftliche, kommunikative Bewegung, einen dialogischen Prozess vorstellen. Ohne den Anderen gäbe es mithin keinen Geist, kein Denken, kein Selbst.


Das Andere, in dem wir uns entäußern und von dem aus wir in uns selbst zurückkehren (müssen), ist nicht nur unser Nächster, unser Gegenüber, denkt er, sondern kann auch die Kunst, die Religion oder die Wissenschaft sein. Aus diesem Gespräch mit dem Anderen bilden wir unser Welt- und Selbstverständnis. Dieses Gespräch ist es, würde er gerne laut herausschreien, daß erst so etwas wie Geist und übrigens auch Moral und Menschlichkeit hervorbringt.


 



 

Werk

Eigenständige Veröffentlichungen

Veröffentlichungen in Anthologien

Vers Schmuggel

2003

Déserts

1998

Einträge im Register der Literaturzeitschriften

Über Werk / Autor

Berlin- ein Ort zum Schreiben, 1996

P.E.N. Autorenlexikon 2003/2004

sonstige Werke

FEATURE:

EIN KURZER SOMMER IN TICHY. TAGEBUCH EINER REISE IN DIE REBELLISCHE KABYLEI (Radiofeature) 2003, Buch und Regie; produziert für den SWR und WDR

DER INTERNET-HAREM (Radiofeature) 2005, Buch und Produktion für den WDR Köln

FILM:

ABDALLAH UND ADRIAN (Dokumentarfilm), Jemen 1995

SOMEONE IS SLEEPING IN MY PAIN (Doku-Spielfilm), New York, Jemen 2001; auf dem New York International Independant Film Festival 2002 uraufgeführt, Einladung zu Film-Festivals in Deutschland, Polen und Italien

STADT DES GLÜCKS (Dokumentarfilm), Algerien 2003 / 2004; Einladung zu Film-Festivals in Deutschland, Polen und Portugal

PHAEDRA REMADE (Essay on Film), Ungarn 2004, Uraufführung an der Central European University (CEU), Budapest 2004

TIMIMOUN (Spielfilm), Algerien 2004 / 2005 (im Oktober 2005 in der Akademie der Künste zu Berlin uraufgeführt)

ELEVATION (Spielfilm) Budapest 2005 / 2006 (im November 2006 im Rahmen der Alice-Salomon-Poetikvorlesungen im Kino Arsenal Berlin uraufgeführt)

BREAKDANCE IN CHINA (Dokumentarfilm), China 2007 / 2012 (im April 2012 im Internationalen Theaterinstitut (iti) Berlin uraufgeführt)

Multimedia

Zuletzt durch Michael Roes aktualisiert: 05.10.2023

Literaturport ID: 535