Leselampe

2024 | KW 16

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Buchempfehlung der Woche

von Norbert Wollschläger

Norbert Wollschläger war viele Jahre in der wissenschaftlichen Politikberatung im In- und Ausland tätig, von 1995 bis 2005 in Thessaloniki, Griechenland. Wieder zurück in Berlin gründete er eine Agentur für Kulturvermittlung und einen privaten literarischen Salon. Seit 2016 eigenes literarisches Arbeiten. 2017 erschien sein Roman In der Hitze des kalten Krieges (KLAK Verlag) und gerade ist sein zeithistorischer Roman WETTERLEUCHTEN - Das Jahrzehnt der verspielten Freiheit über Erich Kästner, Kurt Tucholsky und Erich Maria Remarque im SALON Literatur Verlag erschienen.

Remo Hug (Hrsg.)
ERICH KÄSTNER. Lieschen Neumann will Karriere machen: Die UHU-Gedichte
Atrium Verlag, Hamburg 2024.

Erich Kästner in die Karten geschaut oder als die Bilder reimen lernten

In diesen Wochen feiert die literarische Öffentlichkeit das Doppeljubiläum eines der Deutschen liebsten Schriftstellers: Erich Kästner. Er wäre am 23. Februar 125 Jahre alt geworden; sein Todestag jährt sich am 29. Juli zum 50. Mal. Kästner war einer der vielseitigsten deutschsprachigen Autoren: Schriftsteller, Lyriker, Satiriker, Publizist, Kinderbuchautor, Drehbuchschreiber, Kabarettdichter und Moralist. Ein Multitalent. Vieles aus seiner Feder – meist handschriftlich und mit dem Bleistift geschrieben  –  wurde in mehr als 80 Sprachen übersetzt. Bei so viel Anlass zum Gedenken an den berühmten Mitbürger darf auch Vater Staat nicht zurückstehen. Zur Freude von Sammlern wird die Bundesregierung eine 20‑Euro‑Sammlermünze prägen lassen, mit in den Rand gestanzter Inschrift ES GIBT NICHTS GUTES / AUSSER MAN TUT ES. Nun ja. Man muss es mögen. Sehr geglückt hingegen die Ausgabe einer Erich-Kästner-Briefmarke zu 0,85 €, gleich mit zwei Porträts von ihm auf einer Marke. Ein hübscher Einfall, den “gekränkten Idylliker“, als den Kästner sich selbst bezeichnete, doppelgesichtig darzustellen, mal schmunzelnd, mal besorgt. Dem Gefeierten hätte es gewiss gefallen.

Schriftsteller-Jubiläen gehen meist Neuerscheinungen einher. Wenn nicht von, so doch über die gefeierten Autoren. In unserem Fall ist es ist vor allem die erweiterte Neuausgabe der maßgeblichen Kästner-Biografie Keiner blickt dir hinter das Gesicht, auf den neuesten Stand gebracht von Sven Hanuschek. Ferner das elfte Jahrbuch der Erich Kästner Gesellschaft, diesmal mit so viel Lesestoff wie nie zuvor. Darunter zwei Kästner-Gedichte, die erstmals in Buchform erscheinen.

Mein Blick fällt aber auf ein schmales, elegantes Bändchen in mattem Kieselblau, dessen Titelbild einem Lifestyle-Journal der goldenen Zwanziger entnommen ist: ERICH KÄSTNER. Lieschen Neumann will Karriere machen: DIE UHU-GEDICHTE. Eine Neuerscheinung aus dem Atrium Verlag, dem ‘Lordsiegelbewahrer‘ des Kästner’schen Werkes, bei dem bis heute die Weltrechte an sämtlichen Büchern Erich Kästners liegen. Um es vorweg zu nehmen, die kleine Publikation ist eine wahre Trouvaille. Bereits im Buchtitel blitzt des Autors bekannter Witz und Ironie hervor. Zu verdanken ist der glückliche Fund Remo Hug, dem Herausgeber des Büchleins, freiberuflicher Lektor und Kästner-Kenner, der sich wie kaum ein anderer mit dem lyrischen Werk des 125jährigen Jubilars auskennt. Hug beschert uns aus dem Kosmos der mindestens 700 von Kästner geschriebenen Gedichte exakt zwölf, die zum ersten Mal zusammen veröffentlicht werden. Ein kleine, doch feine Auswahl aus Kästners Verskunst, zwischen September 1929 und April 1933 entstanden und im Magazin UHU erschienen. Der UHU war eine wegweisende Monatszeitschrift im Berliner Ullstein Verlag, die durch Esprit, drucktechnische Innovationen und Originalität bestach. Seine Artikel wurden mit hohem Aufwand illustriert und durch Arbeiten bekannter Fotografen bebildert. Im UHU veröffentlicht zu werden, neben Autoren wie Brecht, Hesse und Walter Benjamin, selbst Albert Einstein, bedeutet schon etwas. Wie Remo Hug nachweist, muss Erich Kästners Mutter Ida ihren Jungchen ziemlich gedrängt haben,  seine Gedichte endlich im UHU unterzubringen. Immerhin veröffentlichte auch das Vorbild Tucholsky dort seit langem schon Gedichte.

Schließlich druckt das Magazin im Septemberheft 1929 zum ersten Mal eines von Kästners Gedichten. Die Auftragsarbeit bestand darin, der ganzseitigen Zeichnung In der Seitenstraße des Pressezeichners Willibald Kran ein Gedicht zu unterlegen und das nächtliche Geschehen eines verliebten Paares zwischen Abschied und Heimweg in Verse zu kleiden.
“Es sieht fast aus, als wollten wir wen meucheln.
Dabei ist unsere Absicht gar nicht bös.
Ein bißchen küssen… Und bißchen streicheln.
Ach wer sich liebt, den Macht Berlin nervös.“

Eine Aufgabe, die Kästner leicht von der Hand geht. Besitzt er neben seinem hohen sprachlichen Talent selber genügend reflektierte Vorerfahrung für die Situation des Pärchens. Gerade hat er seine erste eigene Wohnung bezogen und bis dahin als Untermieter jahrelang unter dem Verbot von Damenbesuchen nach 22 Uhr gelitten.

Einige Monate später besteht Kästners Aufgabe darin, eine Serie von zwölf Porträt- und Modeaufnahmen der Berliner Fotokünstlerin Yva mit Versen zu untertiteln. Statt dem Glamour der Aufnahmen zu huldigen, entscheidet er sich, das Scheindasein junger Damen vor der Kamera zu decouvrieren. Frauen, die aus jedem Magazin gut getroffen lächeln,  bei der Maniküre, beim Einkauf und beim Golf, neben Pferden, in  der kleinsten Flugmaschine, am Volant und Steuer.
“In Wirklichkeit fährt sie bloß Straßenbahn.
Und oft ist ihr auch diese noch zu teuer.“
Recht unschmeichelhafte Zeilen über Frauen, die unserem Jubilar Anfang der dreißiger Jahre entschlüpft sind.

Politisch durchaus mutig zeigt sich Erich Kästner beim Reichstags-Rommé. Jeder sein eigener Diktator. Einem lustigen Kartenspiel für ernste Zeiten, das am 3. Dezember 1930 im UHU erscheint. Es besteht aus 33 von dem Karikaturisten Martin Koser gezeichneten und von Erich Kästner mit Versen bestückten Spielkarten, die Politiker der Reichstagswahlen vom 14. September 1930 darstellen. Die Karten sind so gedruckt, dass sie ausgeschnitten und benutzt werden können.

Der NSDAP gelingt bei den Wahlen mit 6,4 Millionen Stimmen der Durchbruch. Sie wird zweitstärkste Fraktion und zieht in den Reichstag mit 107  (vorher 12) Abgeordneten ein, die bei der Eröffnung des neuen Reichstages  in brauner Parteiuniform erscheinen. Für Erich  Kästner ein sicheres Zeichen, dass die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten sein wird.  Sein letzter Beitrag für den UHU 1933 erscheint am 7. April 1933. Fünf Wochen später, am 10. Mai 1933, werden Erich Kästners Bücher und die vieler anderer politisch unliebsamer Schriftsteller in Deutschland öffentlich verbrannt.

Die von Remo Hug herausgegebenen UHU-Gedichte von Erich Kästner zeigen einmal mehr die Vielseitigkeit des Autors, seinen Witz, Lakonie und Satire, sowie Ironie und wie brüchig das Jahrzehnt der ersten deutschen Demokratie war. Ein Bändchen, dessen Kauf unbedingt zu empfehlen ist. Zum Lesen und Verschenken.

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