Leselampe

2017 | KW 43

© LCB

Buchempfehlung der Woche

von Ekkehard Maaß
Literaturübersetzer, Sänger. 1978 gründete er einen Literatursalon, der zu einem wichtigen Treffpunkt der Künstlerszene in Ost-Berlin wurde. Seit 1996 leitet er die von ihm gegründete Deutsch-Kaukasische Gesellschaft

Giwi Margwelaschwili
Die Medea von Kolchis in Kolchos
(Prosa), Verbrecher Verlag, Berlin 2016

Weil die zahlreichen Bände von Giwi Margwelaschwilis autobiografischem
Romanwerk „Kapitän Wakusch“ von niemandem gelesen werden, leiden die
Romanfiguren an der Leselebensschwindsucht. Sie sind davon abhängig, dass Leser
sie mit ihrer Fantasie beleben. Zu ihrer Rettung erfindet der Autor, dessen Romane
ohnehin in den Vorstellungswelten spielen, einen künstlichen Leser, der durch die
Bände des Romans geistert und die Buchpersonen ab und zu lesen soll, damit sie
nicht vollends verschmachten. Dieser künstliche Leser entdeckt, dass die Hauptfigur
Wakusch, alter ego des Autors, sich unthematisch verhält, d. h. etwas tut, was nicht
im Buch beschrieben ist. Er belebt die überlebensgroße Bronze-Skulptur der Medea,
die in Pitzunda am Ufer des Schwarzen Meeres steht und zwar mit Hilfe des Pilosos,
ebenfalls einer Erfindung des Autors, einer Art fliegendem Staubsauger, der in seinen
Romanen die Reste totalitärer Ideologien à la Hitler oder Stalin absaugt. Der Pilosos
macht der Medea klar, das sie gar nicht so grausam ist, wie die Griechen sie
beschreiben, und gibt ihr das Buch „Medea“ von Christa Wolf zu lesen. Das macht
sie froh, ihre Kinder springen ins Meer, sie tanzt eine „Lesginka“. Der künstliche
Leser möchte Wakusch zurechtweisen und von ihm verlangen, zu seinem Sujet
zurückzukehren und die Buchweltwirklichkeit wieder herzustellen, falls doch mal ein
Leser plötzlich die Nase zu ihnen hereinsteckt. Aber er ist verunsichert. Woher weiß
diese Buchperson soviel über ihr Leben im Buch und von der Realwelt, von Lenin
und Stalin und der Wahl Trumps? Steckt da vielleicht doch der listige Autor dahinter,
der sich das alles ausgedacht hat? Das Buch ist packend geschrieben und Lesern zu
empfehlen, die sich einem großen intellektuellen Vergnügen mit philosophischem
Hintergrund hingeben möchten.

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