Leselampe

2017 | KW 45

Buchempfehlung der Woche

von Martin Jankowski
Schriftsteller und Herausgeber sowie Vorsitzender der Berliner Literarischen Aktion mit dem multilingualen Magazin stadtsprachen.de.

Isabel Fargo Cole
Die grüne Grenze
(Roman), Edition Nautilus, Hamburg 2017

Der junge Schriftsteller Thomas zieht sich mit seiner schwangeren Frau Editha, einer Bildhauerin, in ein kleines Dorf im Harz zurück und beginnt an einem Roman zu arbeiten. Doch die undurchdringliche Landschaft vor ihrem renovierungsbedürftigen Haus und ihre künstlerische Arbeit ziehen sie ebenso rasch in unerwartete Geschehnisse und Entwicklungen hinein, wie das Kind, das hier geboren wird.

Isabel Fargo Cole lebt seit 1995 als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Berlin. Bekannt wurde sie als Übersetzerin anspruchsvoller ostdeutscher Literatur (u.a. Franz Fühmann und Wolfgang Hilbig ins Englische), zudem begründete sie das Deutsch-Englische Independent-Magazin no man’s land, das neueste deutsche Literatur ins Englische überträgt. 2013 erschien als ihr literarisches Gesellenstück, die Novelle „Ungesichertes Gelände“ im Berliner mikrotext Verlag. Nun hat sie mit ihrem deutschsprachigen Debütroman „Die grüne Grenze“ (Edition Nautilus, 2017) ihr literarisches Meisterstück vorgelegt. Darin widmet sich die 1973 in Illinois/USA geborene Autorin der vielschichtigen Wirklichkeit einer kleinen Künstlerfamilie, die zwischen 1973 und 1987 auf der ostdeutschen Seite an der innerdeutschen Grenze im immergrünen Wald des Harzes lebt. Seite für Seite werden hinter dem mühsamen Alltag auf der dunklen Seite des Eisernen Vorhangs die großen Handlungslinien sichtbar: Mit Episoden und Rückblenden bis zurück ins Jahr 1950 erkennen wir die tragischen Verquickungen von politischem Weltgeschehen und persönlichem Schicksal, mit Ausflügen zu den Texten von Cäsar und Tacitus übers Mittelalter bis in die Gegenwart erschließt sich die Landschaft des Harzes und ihre jahrhundertealten Geheimnisse.

In ruhiger und präziser Sprache entwickelt Cole mit zeitgeschichtlicher und psychologischer Tiefenschärfe die komplexe Realität einer DDR-Familie in den Zwängen und Wirren des Kalten Krieges, und dies anschaulich und kenntnisreich: Ihre Figuren wirken authentisch, ihre Sätze sind von höchster literarischer Qualität. Wie ein Wimmelbild sich aus hunderten kleiner Details und Situationen zusammensetzt, um schließlich ein beeindruckendes Panorama zu bilden, lässt Cole Szene für Szene, Gedanke für Gedanke eine Welt entstehen, die im Laufe der Lektüre ihre Kraft entfaltet, um am Ende in ein erstaunliches Gesamtbild des östlichen Europas zwischen Zweitem Weltkrieg und Mauerfall zu münden. »Nachricht von sehr lebendigen Menschen der verschollenen DDR an ihrer äußersten Grenze, am Fuße des Brocken … Eine unbekannte Welt, unter der Lava des üblichen Geredes, die Cole Schicht für Schicht freilegt wie eine Archäologin in Pompeji«, schreibt der literarische Gewährsmann Alexander Kluge über Isabel Fargo Coles anspruchsvollen Roman. Dem ist nichts hinzuzufügen. Wer gute deutsche Literatur von heute schätzt, sollte Coles Roman lesen.

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