Die Brandenburger Literatouren sind mit freundlicher
Unterstützung der Landeshauptstadt Potsdam und des
Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur
des Landes Brandenburg in den Jahren 2008 und 2009 entstanden.

Gabriele Radecke

»Heimisch werde ich mich hier niemals fühlen« Theodor Storm in Potsdam

Peter Walther (außer hist. Aufnahmen)
ca. 1,5 Std. 3,9 km Historischer Rundgang

Der Rundgang auf den Spuren Theodor Storms in Potsdam führt vom Luisenplatz über das Holländische Viertel und die Alexandrowka hin zum Schloss Sanssouci.

Gabriele Radecke

»»Heimisch werde ich mich hier niemals fühlen« Theodor Storm in Potsdam«

Fotos: Peter Walther (außer hist. Aufnahmen)

Während Storms dreiwöchigem Aufenthalt in Berlin im September 1853, wo er zu Gast im Hause des Kunsthistorikers Franz Kugler in der Friedrichsstraße war, kam man auf Potsdam zu sprechen. Es war der Kammergerichtsrat Wilhelm von Merckel, der Storm anbot, sich bei seinem Verwandten, dem Direktor des Potsdamer Kreisgerichts Karl Gustav von Goßler (1810–1885), für eine juristische Anstellung Storms einzusetzen. Am 20. September fuhr Storm mit einem Empfehlungsbrief in der Tasche nach Potsdam, wo nach einem „vortrefflichen“ Gespräch mit Goßler „in seinem Garten“ und einem Spaziergang „zwischen den Alléeen, Statuen und Fontainen des Parks von Sansouci“ ein Volontariat am Kreisgericht Potsdam verabredet wurde. Noch unter dem Eindruck von Potsdams landschaftlicher und städtebaulicher Schönheit teilte Storm seiner Frau am 21. September mit, ab dem Spätherbst „in Potsdamm [...] vorläufig zu wohnen“. Obwohl schon drei Tage später die Königliche Order erging, daß Storm „demnächst im Preußischen Justizdienste [...] definitiv angestellt werde“ (Mückenberger), verzögerte sich der Umzug um ein paar Wochen, denn erst am 14. Oktober erreichte Storm die Ernennung zum preußischen Gerichtsassessor. Am 23. November 1853 wurde Storm vor dem Kammergericht in Berlin vereidigt und am 10. Dezember in einer Plenarsitzung vor seinen Kollegen in Potsdam förmlich eingeführt.

Mit Hilfe von Sophie von Goßler (1816–1877) hatte Storm eine Wohnung in der Brandenburger Straße 70 gefunden. Sie lag nur wenige Gehminuten entfernt vom Königlichen Kreisgericht in der Lindenstraße 54. Sichtlich erleichtert schrieb Storm noch am 25. November seiner Frau: „Ueber die Potsdamer Wohnung wirst Du Dich freuen; ich habe sie heute gleich auf 4 fernere Monate, also ihn Ganzen auf 7 M. im Ganzen gemiethet. Wir wohnen mit unsern Wirthen allein in dem Hause, die recht brave Leute sein sollen. Der Mann ist übrigens ein Krämer. Außerdem liegt die Wohnung dicht am Brandenburger Thor, wo es nach Sanssouci hinausgeht.“ Eine Grundrißskizze der Wohnung schickte Storm seinen Schwiegereltern nach Segeberg. Wenige Tage nach Storms Ankunft trafen Constanze Storm und die drei Söhne Hans, Ernst und Karl Anfang Dezember 1853 in Potsdam ein.

Wohnung in der Waisenstraße 68, heute Dortustraße 68
Storms zweite Wohnung in Potsdam
vom 1. Juli 1854 bis zum 1. April 1856,
Außenansicht; 1989 abgerissen

„Zum ersten Juli steht uns ein Umzug
nach der Waisenstraße bevor, wo wir eine Wohnung
nach 130 Talern jährlich (die jetzige ist zu 180 Taler)
gemietet haben. Sie ist in einer ruhigeren Straße,
auch dicht beim Gerichtslokal und auch im übrigen leidlich;
nur ist die Kinderstube etwas kleiner und nach dem Hofe zu,
und Constanze und ich müssen in einer dunklen Stube schlafen.“
(Storm an seine Eltern, 7.–9.5.1854)













Kreuzstraße 15, heute Benkertstraße 15
Storms dritte Wohnung in Potsdam (Wohnung im ersten Stock),
vom 2. April 1856 bis zum 30. Juni 1856, Außenansicht

„Dies Quartier ist sehr angenehm, alle Piecen wohlgetrennt,
eine große Kinderstube und für mich eine eigene Stube
neben dem Wohnzimmer; überdieß noch etwas wohlfeiler,
als das frühere; ich habe es auf ½ Jahr für 60 Taler gemietet.
Es liegt nur 3 Häuser von dem großen ungepflasterten Bassinplatz [...], der ein herrlicher Tummelplatz
für die Kinder ist. [...] Eine Annehmlichkeit ist auch,
daß wir das ganze Haus allein bewohnen,
da unser Wirt, ein alter braver Tischlermeister,
in einem zweiten Hause nebenan wohnt. Aus meinem Fenster
habe ich den Ausblick auf einen kleinen Weingarten.“
(Storm an seine Eltern, 7.4.1856)

II.

Storms Übersiedelung nach Potsdam geschah nicht freiwillig, sondern zwangsläufig in Folge der politischen Situation in seiner Heimat. Wie schwer Storm der Abschied von Husum gefallen war, ist durch einen Brief an Constanze Storm belegt, worin er seinen trüben Gedanken kurz vor der Vereidigung in Berlin freien Lauf läßt. Der Weg zum Gericht kam ihm vor wie ein „recht sauerer Gang“, für den er sich nur aus familiärer Verantwortung entschieden hatte. Einsamkeit und „das drückende Gefühl, in einem fremden Lande“ zu sein, wo einem „der Boden unter den Füßen fehlt“, belasteten Storm dabei ebenso wie das ihm nun bevorstehende „Verhältniß der Unterordnung“, das er als selbständiger Anwalt bisher nicht kannte. Hinzu kamen die Befürchtungen, den anstehenden beruflichen Belastungen körperlich nicht gewachsen zu sein (an Constanze Storm, 24.11.1853). Storm hatte offenbar zunächst an eine Probezeit von höchstens „10 Monaten“ gedacht, der eine baldige bezahlte Anstellung folgen sollte (Storm an Constanze Storm, 21.9.1853). Das erklärt vielleicht, warum sich Storm auf die schlechten Konditionen, als Gerichtsassessor ohne Stimmrecht und Gehalt arbeiten zu müssen, eingelassen hat. Die Wohnung wurde zunächst bis Ende Juni 1854 gemietet und der Transport des notwendigsten Mobiliars ohne Storms Klavier und mit nur wenigen persönlichen Büchern organisiert. 

Theodor und Constanze Storms Briefe an die Eltern Storm und Esmarch belegen, daß Storms anfängliche Existenzängste durchaus berechtigt waren. Die Briefe in die Heimat sind von einer durchgehenden „Heimwehverstimmung“ gezeichnet und zeigen, wie sehr der Alltag von gesundheitlichen, beruflichen und finanziellen Sorgen dominiert wurde. Bereits wenige Wochen nach Dienstantritt hatte Storm wegen heftiger Magenkrämpfe „Urlaub vom Director“ beantragt (Constanze Storm an Elsabe Esmarch, 26.1.1854). Als alle schulmedizinischen Versuche gescheitert waren, unterzog er sich einer sechswöchigen Therapie des „in Potsdam und Berlin hochberühmten Magenkonzessionierten“ Emil Voigt, die es ihm erst erlaubte, am 15. März wieder mit der Arbeit fortzufahren (Storm an Johann Kasimir Storm, 24.2.1854).

Die Umstellung vom Prozeßrecht seiner Heimat auf die „moderne, komplex strukturierte und insgesamt erheblich differenziertere preußische Gerichtsordnung“ ist Storm sehr schwergefallen. Wenn ihm als Gerichtsassessor auch die dritte juristische Staatsexamensprüfung erspart geblieben war, in das anspruchsvolle Preußische Landrecht mußte er sich trotzdem einarbeiten. Hinzu kam, daß Storm als Assessor ohne Votum nicht als Volljurist zu allen Ämtern befähigt, sondern nur einem Referendar gleichgestellt war, der nach „Anweisung und unter der Verantwortung des Ausbilders“ arbeitete und stets der Gegenzeichnung des vorgesetzten Richters bedurfte (Mückenberger). Gegenüber den Eltern und Theodor Fontane klagte Storm immer wieder über eine permanente Überforderung, die durch die zahlreichen öffentlichen Bagatellprozesse, das nicht zu bewältigende Aktenstudium und das enorme Arbeitstempo verursacht wurde. Allmählich übertrug man Storm weitere eigenverantwortliche Aufgabenbereiche, die ihm einerseits Einblicke in die vielfältigen Abteilungen der Streitigen und Freiwilligen Gerichtsbarkeit gewährten, die ihn andererseits aber auch an seine körperlichen und seelischen Grenzen führten. 1854 wurde er als stimmberechtigter beisitzender Richter in die Schwurgerichtsverfahren aufgenommen, die sich mit Diebstahl, Unterschlagung, Meineid und Totschlag befaßten; später folgten Vertretungen als Polizei- und Untersuchungsrichter in Kriminalsachen. Obgleich sich Storm nicht zuletzt durch die Fürsprache seines Vorgesetzen von Goßler beruflich weiterqualifizierte und nach einem Jahr ohne Diäten eine vorübergehende Grundsicherung erhalten sollte, war er immer noch auf die finanziellen Zuwendungen und Lebensmittelsendungen der Eltern und Schwiegereltern angewiesen. Daran änderte sich auch nichts, als die Familie im Juli 1854 eine preiswertere Wohnung in der Waisenstraße 68 mietete und im April 1856 ihre letzte Unterkunft in der Kreuzstraße 15 bezog.

 

Kolonie Alexandrowka Nr. 11
hier wohnte im Juli und August 1854 der Übersetzer August Viedert,
der Werke von Gogol und Turgenjew ins Deutsche übersetzte.
Storm hatte Viedert über die Berliner Freunde kennengelernt
und sich mehrfach mit Viedert in Potsdam getroffen.







Zeichnung des Kleistgrabs
Hermann Schnee: „Heinrich von Kleist’s Grab
u. Todesstätte unweit Potsdam“.
Zeichnung für das „Album für Constanze“







Am Deich
Frühe Fassung des Gedichts „Meeresstrand“, das Storm unter
anderem in seinem Brief an den Vater am 9.6.1854 entworfen hatte.
(Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel)

Für meine Söhne
Frühe Fassung des Gedichts, das Storm in Abschriften
in seinen Briefen an Duncker (12.9.1854),
Heyse (Oktober 1854), Mörike (Oktober/November 1854)
und an Hartmuth Brinkmann (18.12.1854) geschickt hatte.
(Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel)







Bildergalerie in Sanssouci







Theodor Storm: Immensee.
Mit Illustrationen von Ludwig Pietsch. Fünfte Auflage Berlin 1857.







Schneewittchen und die sieben Zwerge
Theaterzettel der Aufführung vom 15. April 1855
(Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel)







 

III.

Trotz aller beruflicher Inanspruchnahme und alltäglicher Belastungen bemühte sich Storm um die Pflege literarischer Beziehungen. Während seines ersten kurzen Berlin-Besuchs Ende 1852/Anfang 1853 waren schon Kontakte zu Schriftstellern geknüpft worden. Vermutlich hat die Nähe zu Berlin Storms Entscheidung für Potsdam maßgeblich beeinflußt, das durch die Berlin-Potsdamer-Magdeburger Eisenbahn gut an die preußische Metropole angeschlossen war. Durch Alexander Duncker (1813–1897), in dessen Verlag „Immensee“ 1851 erstmals erschienen war, hatte Storm den Kunsthistoriker Friedrich Eggers (1819–1872) kennengelernt, der ihn mit Kugler, Fontane und Merckel sowie mit Adolph Menzel (1815–1905), Paul Heyse, Karl Bormann, Otto Roquette und Bernhard von Lepel bekannt machte und am 2. Januar 1853 in den literarischen Sonntagsverein „Tunnel über der Spree“ einführte. Nachdem Storms Gedicht „Geschwisterblut“ in Abwesenheit Storms im Februar 1853 vorgelesen worden war und nicht den erhofften Beifall gefunden hatte, wurde er kein Mitglied und besuchte den „Tunnel“ offenbar nur noch wenige Male. Im „Rütli“ hingegen, wo man sich Samstags zu literarischen Lesungen, Diskussionen, Kaffee und Gebäck traf, wurde Storm, der inzwischen schon „als eine Art Gattungsbegriff“ bekannt geworden war (Fontane an Storm, 8.3.1853), herzlich aufgenommen. Das zeigt nicht zuletzt das Geburtstagsfest, das man zu Ehren Storms am 14. September 1853 ausrichtete (Storm an Constanze, 17.9.1853). In Anspielung auf Storms Liebeslyrik und wegen seiner großen Wagner-Verehrung wurde ihm der „Rütli“-Name „Tannhäuser“ gegeben. Wenngleich Storms Besuche im „Rütli“ im Laufe der Zeit weniger wurden und auch die Freunde nur noch selten zu einem literarischen Treffen nach Potsdam kamen, so hatte Storm im „Rütli“ zumindest anfangs ein kritisches Gesprächsforum für seine Dichtungen gefunden. 

Nicht nur in Berlin, sondern auch in Potsdam, wo mehrere Kunstvereine und bürgerliche Gesellschaften ansässig waren, baute sich Storm literarische und gesellschaftliche Beziehungen auf. Zu den juristischen Kollegen, die seine Dichtungen schätzten, stand er in einem guten Verhältnis. Von den Familien des Kreisgerichtsdirektors Goßler und des Kreisrichters Knauff wurde Storm zu Lesungen eingeladen. Im April 1854 lernte er August Viedert (1825–1888) kennen, der im „Tunnel“ seine deutsche Übersetzung von Gogols „Revisor“ vorgetragen hatte. Im Juli und August 1854 wohnte Viedert in der russischen Kolonie Alexandrowka (Haus Nr. 11) und traf sich gelegentlich mit Storm, der sich bei seinem Berliner Verleger Heinrich Schindler für die Veröffentlichung von Viederts Übersetzung von Turgenjews „Aus dem Tagebuche eines Jägers“ eingesetzt hat. Zu den wichtigsten Menschen für Storm zählte aber der Kreisgerichtsrat Rudolf Hermann Schnee (1805–1864), mit dem ihm seit 1855 eine tiefe Freundschaft verband. Von dessen Sohn Hermann (1840–1926), der ein außergewöhnliches Zeichentalent besaß, erhielt Storm eine Zeichnung des Kleistgrabs am Kleinen Wannsee zum Geschenk.

Im März 1854 etwa erreichte Storm eine Anfrage des Hofpredigers C. Grisson, vor der „Litterarischen Gesellschaft Potsdam“ („Litteraria“) aus seinem poetischen Werk vorzulesen (vgl. Grisson an Storm, 14.3.1854). Grisson gehörte dem Vorstand an und war nicht nur als Geistlicher, sondern auch wegen seiner populärwissenschaftlichen Vorträge über Potsdam hinaus bekannt. Vermutlich hatten die Kollegen vom Kreisgericht, die zum Teil auch Mitglieder der „Litteraria“ waren, von Storms poetischen Werken erzählt. Aus dem Jahresbericht für 1854, der in der „Vossischen Zeitung“ am 28. Februar 1855 veröffentlicht wurde, geht hervor, daß im Frühjahr 1854 der Herr „Kreisgerichts-Assessor Storm [...] Proben seiner eigenen Dichtungen“ vorgelesen hat. Eine zweite Lesung ist Ende Oktober 1854 belegt, als Storm nach einer kurzen Einführung in das Leben und Werk des von ihm so geschätzten und verehrten Eduard Mörike (1804–1875) dessen Gedicht „Der alte Turmhahn“ vortrug (vgl. Storm an Mörike, 14.11.1854). Storm wurde vermutlich noch 1854 in die 120 Mitglieder umfassende „Litteraria“ aufgenommen, die sich einmal im Monat im Palais Barberini oder in den Räumen der Loge „Teutonia zur Weisheit“ in der Priesterstraße zu einem gemeinsamen Abendessen mit Vorträgen und Lesungen versammelte.

Zu den Höhepunkten der literarischen Begegnungen gehörten zweifelsohne Storms Zusammentreffen mit Joseph von Eichendorff am 16. Februar 1854 bei Kugler in Berlin sowie Storms Reise zu Mörike nach Stuttgart, die er gemeinsam mit seinen Eltern nach der Geburt der Tochter Lisbeth im August 1855 unternahm. Noch auf der Rückfahrt im Zug skizzierte Storm den Aufsatz „Meine Erinnerungen an Eduard Mörike“, der erst nach Mörikes Tod veröffentlicht werden sollte.

Obwohl Storm befürchtet hatte, im politischen Ausland keine poetischen Werke schreiben zu können, entstanden zumindest einige wenige Gedichte, Rezensionen und kleinere Novellen. Bevor Storm nach Potsdam kam, war er bereits von Theodor Fontane als Mitarbeiter für das belletristische Jahrbuch „Argo“ gewonnen worden, das Fontane zusammen mit Franz Kugler herausgab und das den „Rütli“-Mitgliedern, aber auch auswärtigen Schriftstellen einen Raum für Publikationen bot. Im ersten Band, der Ende 1853 ausgeliefert wurde, erschienen Storms Erzählung „Ein grünes Blatt“ und die Gedichte „Im Herbste 1850“, „Abschied“, „Trost“, „Mai“, „Nachts“, „Aus der Marsch“ und „Gode Nacht“. Auch für das von Friedrich Eggers verantwortete „Literatur-Blatt des Deutschen Kunstblattes“ waren Storms Beiträge willkommen. Zwischen 1854 und 1855 entstanden fünf Rezensionen über die Neuerscheinungen von Martin Anton Niendorf, Karl Heinrich Preller, Julius Rodenberg, Klaus Groth und Hermann von Kette sowie eine Besprechung der von Achim von Arnim und Clemens Brentano besorgten Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Hinzu kam die Veröffentlichung des Aufsatzes „Theodor Fontane“, für den Fontane die notwendigen biographischen Informationen beigesteuert hat. Storm hob darin Fontanes Gedichte, die altenglischen Balladenübertragungen, die ersten Novellen und schließlich das reiseliterarische Werk „Ein Sommer in London“ hervor, wobei er allerdings abschließend treffend feststellte, daß Fontanes „beste Leistungen“ wohl noch „in der Zukunft liegen“.

In Storms Gedichten, die in den Exiljahren in Potsdam entstanden sind und in die zweite, vermehrte Auflage der „Gedichte“ aufgenommen wurden (Berlin: Schindler 1856), findet man zahlreiche autobiographische Spuren. Die Texte lassen sich einerseits als Ausdruck der Sehnsucht nach seiner Heimat Husum lesen (z.B. das Gedicht „Am Deich“/„Am Strande“, das später unter dem Titel „Meeresstrand“ bekannt wurde), andererseits zeigen sie Storms kritische Auseinandersetzung mit Preußen und dessen alltägliche Erscheinungen, etwa die Bedeutung von Rängen und Titeln, über die er sich auch im Briefwechsel mit Fontane wiederholt geäußert hat (z.B. „Für meine Söhne“). Seine Potsdamer Novellen bereitete Storm ebenfalls für die Buchveröffentlichungen vor. „Im Sonnenschein“ (Berlin: Duncker 1854) verdeutlicht einmal mehr Storms Wunsch, mit den „Gedanken aus dieser peinlichen Wirklichkeit zu flüchten“. Storm entwarf die Erzählung während eines Mittagsspaziergangs durch den Park von Sanssouci, „wo vor der Gemäldegallerie noch die alten Buxbaumschnörkel der Roccocozeit schimmern und duften“ (Storm an seine Eltern, 17.12.1854). Die psychologische Studie „Angelica“ entstand vor dem Hintergrund der militärischen Auseinandersetzungen um Schleswig-Holstein und wurde zusammen mit der „Argo“-Novelle „Ein grünes Blatt“ 1855 bei Schindler verlegt. „Wenn die Äpfel reif sind“, die Storm der „Argo“ für 1857 zur Verfügung stellte, gilt als Storms erster Versuch einer humoristischen erzählerischen Darstellung. Außerdem betreute Storm die Neuausgabe der „Gedichte“ und kümmerte sich um die 5. Auflage seiner erfolgreichen Erzählung „Immensee“, die mit Illustrationen von Ludwig Pietsch 1857 veröffentlicht und von Friedrich Eggers im „Deutschen Kunstblatt“ besprochen wurde. Hinzu kam die Vorbereitung der ersten Buchausgabe seines „Hinzelmeier“ (Berlin: Duncker 1857).

Ein anderer kleiner Erfolg wurde Storm durch die Aufführung seiner Bearbeitung des Märchens „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ beschieden, das am 15. April 1855 im Kinder-Theater im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Anwesenheit Storms und seiner beiden ältesten Söhne zum ersten Male gegeben wurde.

IV.

Nachdem sich alle Hoffnungen auf eine bezahlte Stelle am Kreisgericht Potsdam zerschlagen hatten und Storms Bewerbungen um ein Kreisrichteramt in Prenzlau und Perleberg gescheitert waren, wurde er schließlich nach mehreren Gesuchen zum 1. September 1856 als Kreisrichter in Heiligenstadt angestellt. Wenngleich Storm noch einige Male nach Berlin reiste, so etwa 1884, wo ihm zu Ehren ein festliches Abendessen ausgerichtet wurde, kehrte er nicht mehr in das „Militär-Casino“ Potsdam zurück. Die Beziehungen zu den Berliner Freunden, z.B. zu Theodor Fontane und Friedrich Eggers, hatten sich bereits während der Potsdamer Jahre abgekühlt. Nach Storms Umzug nach Heiligenstadt gab es nur noch wenige Anlässe zur Korrespondenz, etwa wegen der Veröffentlichung der Novelle „Auf dem Staatshof“ in der „Argo“ (1859) oder weil Storm Fontane als Rezensenten für seine erste Gesamtausgabe gewinnen wollte. Mit Paul Heyse und Ludwig Pietsch hingegen führte er einen umfangreichen Briefwechsel. Die Bedeutung Potsdams für die Entwicklung Storms und seines poetischen Werks wird von der Literaturwissenschaft, die jahrzehntelang durch Fontanes Storm-Kapitel in „Von Zwanzig bis Dreißig“ beeinflußt wurde, unterschiedlich beurteilt. Die Überlegungen, ob sich Storms Erfahrungen auf seine poetische Entwicklung als realistischer Erzähler entscheidend ausgewirkt haben und inwieweit er von den Einflüssen der Berliner Freunde gar profitiert hat, bedürfen noch gründlicher Untersuchungen. Auch bleibt noch offen, welchen Anteil das alltägliche Leben mit all seinen Entbehrungen an den Ausprägungen von Storms Demokratieverständnis und sozialem Handeln hat. Storms Preußenhaß hingegen, der auch in seinem späteren erzählerischen Werk durch die Kritik am preußischen Obrigkeitsstaat und am Adel sichtbar wird, dürfte sich mit dem Aufenthalt in Potsdam gefestigt haben.

Literaturhinweise:

Für die Abbildungserlaubnis und die Zitiergenehmigung aus den unveröffentlichten Briefen danken wir der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel und dem Theodor-Storm-Archiv Potsdam.

Constanze Storm an Elsabe Esmarch, 26.1.1854 und C. Grisson an Storm, 13.3.1854 (Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel).

Theodor Storm: Briefe. Band I. Hrsg. von Peter Goldammer. 2. Aufl. Berlin 1984.

Theodor Storm: Briefe in die Heimat aus den Jahren 1853–1864. Hrsg. von Gertrud Storm. Berlin 1914.

Theodor Storm – Constanze Storm. Briefwechsel. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Regina Fasold. Berlin 2009.

Roland Berbig: Ausland, Exil oder Weltgewinn? Theodor Storms Wechsel nach Preußen 1852/1853. In: Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft 42 (1993), S. 42ff.

Eduard Bertz: Theodor Storm in Potsdam. Aus den Verbannungsjahren eines schleswig-holsteinischen Dichters. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams Neue Folge 5 (1910), Heft 3, S. 3ff.

Gerd Eversberg: Die Bedeutung Theodor Fontanes und seines Kreises für die Entwicklung der Stormschen Erzählkunst. In: Fontane Blätter 54 (1992), S. 62ff.

Peter Goldammer: Theodor Storm in Potsdam 1853–1856. Frankfurt/Oder 1996.

David A. Jackson: Theodor Storm. Dichter und demokratischer Humanist. Berlin 2001.

Karl Ernst Laage: Der Turgenjew-Übersetzer August von Viedert und Theodor Storm. In: K.E.L.: Theodor Storm. Studien zu seinem Leben und Werk. 2. Aufl. Berlin 1988, S. 97ff.

Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung. Baden-Baden 2001.

Christa Schultze: Stormstätten in Potsdam. In: Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft 36 (1986), S. 83ff.

 

I.

<lpp 1976>Theodor Storms</lpp> Jahre in <lpo 3841>Potsdam</lpo> zählen zu den schwierigsten seines Lebens. Von Ende November 1853 bis Anfang Juni 1856 lebte er in der preußischen Garnisonstadt, in der er sich stets als Fremder gefühlt hat. Als Storm am 26. November 1853 in Potsdam eintraf, lagen etwa 17 Monate einer ungewissen Zeit des Wartens hinter ihm. Nachdem er seine Advokatenbestallung im Zuge der schleswig-holsteinischen Erhebung gegen Dänemark am 12. Juni 1853 verloren hatte, mußte er sich um eine neue berufliche Existenz außerhalb der Herzogtümer Schleswig und Holstein kümmern. An eine juristische Tätigkeit in Potsdam war dabei zunächst nicht gedacht. Erst als Storms Bewerbungen um eine Stelle im Justizfach in Sachsen, Gotha und Coburg und um einen Bürgermeisterposten im Königreich Hannover abgelehnt worden waren (Storm an Ernst Esmarch, 4.12.1852) und sich die Aussichten auf ein schlecht bezahltes Richteramt in Berlin zerschlagen hatten, nahm der Plan Gestalt an, in Potsdam eine neue Bleibe zu finden.