Die Brandenburger Literatouren sind mit freundlicher
Unterstützung der Landeshauptstadt Potsdam und des
Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur
des Landes Brandenburg in den Jahren 2008 und 2009 entstanden.

Klaus-Peter Möller

Havelschwäne

Peter Walther
Potsdam literarisch

Er kommt, wie immer, mit dem Zug, geht über die lange Brücke, dem träg im Morgenlicht gähnenden Fluß einen Gruß zuflüsternd, den Havel-Schwänen ein paar Brot-Krumen opfernd, die hier noch immer in der Alten Fahrt hinter der Freundschaftsinsel auf dem Wasser still dahingleiten, stolz und schön, unbekümmert um das Gelärm der Zeiten. Die Tage, in denen er öfter herüberkam, liegen lange zurück. Freunde wohnten hier, Reisegefährten, Förderer, Gönner.

Klaus-Peter Möller

»Havelschwäne«

Fotos: Peter Walther

 

Verkehr – ein Schwanengesang

 

Er kommt, wie immer, mit dem Zug, geht über die Lange Brücke, dem träg im Morgenlicht gähnenden Fluß einen Gruß zuflüsternd, den Havel-Schwänen ein paar Brot-Krumen opfernd, die hier noch immer in der Alten Fahrt hinter der Freundschaftsinsel auf dem Wasser still dahingleiten, stolz und schön, unbekümmert um das Gelärm der Zeiten. Die Tage, in denen er öfter herüberkam, liegen lange zurück. Freunde wohnten hier, Reisegefährten, Förderer. Potsdam war aber auch Ausgangspunkt zu Exkursionen ins Havelland, die zu Wanderungs-Kapiteln wurden: Werder, Caputh, Glindow, Baumgartenbrück. Nur ein Kapitel über Potsdam fehlt in diesem Baedeker Brandenburgs. Es wurde nicht geschrieben. Die wenigen Ausnahmen, die kleinen Abschnitte über die Havelschwäne und über die heimlich Enthaupteten, machen das Defizit erst recht fühlbar. Auch wenn man Fragmente, Entwürfe, Briefzitate hinzunimmt, die Reflexe in den erzählerischen Werken der späten Jahre, ergibt das kein Wanderungskapitel Potsdam. Lag es an einem gewissen Mißbehagen Fontanes gegen Schranzentum und Borussismus, die hier zu Hause waren, gegen aristokratischen Dünkel und militaristisches Gehabe, gegen die, wie er fand, für Potsdam charakteristische "unheilvolle Verquickung" von "Absolutismus, Militarismus und Spießbürgertum"? Dabei hat ihn das Historische, das diesen Ort prägte, lebhaft interessiert, besonders die sich daran anknüpfenden Anekdoten.

Gleich hinter der Brücke bleibt Fontane verblüfft stehen. Das Herz der Stadt – eine Baugrube, durchfurcht von den Spuren der Bagger und Raupen, durchwühlt von Archäologen, die von kleinen Funden berichten, durchnäßt von Regenschauern. Hier stand einmal das Stadtschloß, der Boden ist aufgerissen, man blickt auf ärmlich wirkende Fundamente, Mauerstümpfe, ein kleines gefliestes Boden-Stück. Wie unter zahlreichen Folien, die übereinandergelegt wurden, wird dieser Ort sichtbar in seinen Überlagerungen, Überblendungen, Überschneidungen. Historische Bilddokumente vermitteln einen Eindruck davon, wie es hier einmal ausgesehen hat, alte Karten die Koordinaten. In der Richtung liegt Sanssouci, das Sommerschlößchen Friedrichs II. , des berühmtesten Königs aus der Dynastie der Hohenzollern. In der Richtung liegt Babelsberg , das Schloß, in dem Wilhelm I. gelebt hat, der Kaiser der Reichseinigung von 1871, im Park die legendäre Bismarckbrücke. In der Richtung liegt das Neue Palais, in dem Friedrich III. mit seiner Familie wohnte, während seiner kurzen Regentschaft erhielt es den Namen Friedrichskron, später war es die bevorzugte Residenz des letzten Kaisers Wilhelm II. In der Richtung liegt das Marmorpalais, das Friedrich Wilhelm II. errichten ließ, in direkter Sichtbeziehung dazu, außerhalb des Parks, das Palais Lichtenau. Wenige Schritte entfernt davon Cecilienhof, in dem 1945 das Potsdamer Abkommen unterzeichnet wurde. Weiteres ließe sich aufzählen. Das Jagdschloß Stern, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., Glienicke, Alexandrowka. Alles nur einen kurzen Ritt weit entfernt. Jedes Schloß eine Versuchung, jeder Name eine Herausforderung.

Wir aber wollen heute auf Schusters Rappen zunächst einmal nur durch die City traben, Fontane auf einem Gang durch die Potsdamer Innenstadt begleiten, die wichtigsten Stätten aufsuchen, die sich mit den Erinnerungen an den bekanntesten Schriftsteller des Landes Brandenburg verbinden. Equipagen rollen die Breite Straße entlang, Militär paradiert. Von der Garnisonkirche klingt, eine Marotte von Königin Luise, das berühmten Mozart-Liedchen herüber: "Ein Mädchen oder Weibchen", dem aber der Text "Üb immer Treu und Redlichkeit" untergeschoben wurde. Kein Mensch denkt hier bei der Melodie mehr an Papageno, den lustigen Vogel, man hört nur noch den Rat des alten braven Landmanns an seinen Sohn, wie Hölty ihn aufgeschrieben hat. Treu und Redlichkeit. Bis an das kühle Grab. Ein preußischer Traum. Ein preußisches Trauma. Preußen.

 

Wenn man die Augen schließt, hört man das Rauschen der Geschichte an diesem Ort als verwobene vielstimmige Beschwörung. Wir stehen an einem der neuralgischen Punkt deutscher und europäischer Geschichte. Kommandos klingen schneidend durch die Luft. Die Langen Kerls exerzieren. Marschmusik erklingt. Jubelrufe hallen. Glockengeläut dröhnt herüber. Fürst Eulenburg ruft den Ersten Weltkrieg aus. Der neue Reichskanzler Adolf Hitler begibt sich nach dem Gottesdienst von der Nikolai- in die Garnisonkirche. Sozialistische Kundgebungen paradieren an der Ehrentribüne vorbei. Fanfarenklänge. Hochrufe auf Partei und Regierung. Hört man das alles wirklich? Bilde ich mir das nur ein? Oder hat Michael Schenk eine seiner Klang-Wanderungen mit historischen Tondokumenten, die sonst im Hörforum unterm Atlas ganz oben in der Kuppel des Alten Rathauses zu hören waren, irgendwo hier unten als Klanginstallation versteckt, in den Fundamenten des alten Stadtschlosses, auf dem das neue Schloß bald wachsen soll, das das alte sein soll, aber doch auch ein neues?

"Potsdam, mehr als irgendein andrer Punkt, ist die Geburtsstätte des preußischen Staats und unterscheidet sich schon dadurch erheblich von Berlin. Berlin ist eine große Stadt, auch voll eigentümlicher Züge, der preußische Geist ist darin zu Haus, aber nicht die preußischen Institutionen, die erst jenen preußischen Geist (der anfangs etwas bloß Persönliches war) erzeugten." So hätte Fontane sein Wanderungskapitel über die heimliche Hauptstadt Preußens vielleicht eingeleitet. Und er hätte sich zweifellos kritisch geäußert über den "Geist von Potsdam", diese Verklärungsformel, dies magische Verdikt, nicht unterzukriegen, verbissen, exakt bis zur Grausamkeit, verhaßt, aber auch bewundert. Das Wanderungs-Kapitel über Potsdam blieb ungeschrieben, obwohl das Interesse groß war. Die rechte Zeit dazu war versäumt. Am 14. August 1889 schrieb Fontane in einem Brief an Guido Weiß: "alles, was die Hohenzollern geschaffen und mit ihrem Tun und ihrem Geiste durchdrungen haben, ist hoch interessant: das Berliner Schloß, alt und neu, das Potsdamer Sanssouci, das Marmorpalais, das Neue Palais, das Charlottenburger Schloß – welche Welt! welche Gestalten, welche Erinnerungen. Es hat nur alles noch nicht seinen Geschichtsschreiber gefunden. Ich könnte es, aber ich werde 70, und nun ist Spiel und Tanz vorbei."

Während wir den historischen Klängen und Ereignissen nachsinnen, wälzt sich unentwegt eine dröhnende Verkehrslawine an uns vorbei in die Breite Straße hinein. Die Gegenwart auf dem Wege wer weiß wohin? Auch wir folgen dem Hauptverkehrsstrom und biegen in die Breite Straße ein. Wie hat sich der Charakter dieser Straße verändert! Noch zu Fontanes Zeiten war sie eine barocke Prachtstraße, eine breite Allee, geschmückt mit geputzten Häusern, Bäumen, ein Ort für Paraden, Aufmärsche, Triumphzüge. Heute empfängt sie Besucher resigniert-nüchtern, eine Schneise, geopfert den Zwängen des Verkehrs, der uns als Spaziergänger an die Wand drückt. Nichts erinnert an den Glanz vergangener Tage als eine verloren im ehemaligen Lustgarten stehende Kolonnade. Als einziges Gebäude des zentralen Bau-Ensembles der Stadt ist der Pferdestall erhalten, leicht am Skulpturenschmuck seiner Außenmauern zu erkennen. Heute befindet sich in diesem Gebäude das Filmmuseum mit interessanten Ausstellungen und einem anspruchsvollen Programmkino. Mit etwas Glück könnte Fontane eine Eintrittskarte zur neuesten Verfilmung seines Romans "Effi Briest" erstehen und einem Gespräch mit der Regisseurin lauschen, an dem er sicher seinen diebischen Spaß hätte. "Herr Fontane, wie gefällt ihnen Julia Jentsch in der Rolle von Effi?" Ein Mikrofon des RBB vor der Nase, hätte der Dichter wohl das Stottern bekommen, zumal ihm die Vertrautheit mangelt mit den Direktheiten des modernen Mediums. Nicht einmal mit Worten hätte er sich getraut, einen schönen Frauenkörper zu beschreiben. "Und was sagen Sie zu dieser Schlußversion?"

 

Hotel Zum Einsiedler
Hist. Aufnahme (um 1920)

Diogenes und Alexander – Hotel zum Einsiedler

 

Diesseits des Marstalls zwängt sich unerbittlich die Blechkarawane in die Breite Straße. Auf der anderen Seite wird das Gebäude von der stilleren Schloßstraße umarmt. An der dem Stadtschloß zugewandten Mündung dieser Straße begegnen wir einem Plattenbau (heute Schloßstraße 1), der sich deutlich von den anderen Häusern in der Nachbarschaft unterscheidet. An dieser Stelle, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schloß, aus der Straßenflucht keck hervorlugend, stand das Hotel "Zum Einsiedler". Seine Adresse Schloßstraße 8 hatte in der vornehmen Welt einen guten Klang. Es war ein Spuk-Haus, so etwas empfiehlt bekanntlich, wie im Roman "Effi Briest" zu lesen ist. An einer schrägen Eckfront wurde das Haus durch ein charakteristisches Holzschild geschmückt, auf dem Diogenes in seinem Faß dargestellt ist, der sich vom Glanz Alexanders nicht mehr beeindrucken läßt, sondern nur noch den Schatten moniert, den dieser wirft. Im 19. Jahrhundert verschwand dieses Schild, später wurde es unter altem Gerümpel wiederentdeckt, restauriert und an seinem alten Platz befestigt. Wer genauer hinschaute, dem entging auch nicht das Allianz-Wappenschild über der Tür, das daran erinnerte, daß dieses Gebäude von Gottfried Emanuel von Einsiedel (1690-1754) errichtet wurde, der mit Margarete von Rochow aus dem Hause Reckahn verheiratet war. 1690 war Einsiedel in Sachsen-Weißenfels geboren, 1707 in preußischen Dienst getreten und hatte hier sein Glück gemacht, das ihm aber nicht bis zum Schluß treu blieb. Unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. war der stattliche Offizier rasch befördert worden, ja er wurde einer der besonderen Lieblinge des Königs. Nach einem Streit im Tabakskollegium soll er sogar einmal stellvertretend für den König ein Duell ausgefochten haben. 1726 schenkte ihm Friedrich Wilhelm I. das exponierte Grundstück sowie alle zur Errichtung eines Hauses nötigen Baumaterialien und stattete die "Einsiedelei" großzügig mit dem Brau-, Schank- und Beherbergungs-Privileg aus.

Unter Friedrich II. Friedrich II. wurde Einsiedel zum Generalmajor befördert und zum Kommandeur des neu formierten Grenadier-Garde-Bataillons ernannt, hatte aber das Pech, im Zweiten Schlesischen Krieg mit einem Himmelfahrts-Kommando betraut zu werden. Nach der Einnahme von Prag mit einer unzureichenden Besatzung in der Stadt zurückgelassen, erhielt im November 1744 den Befehl, die Befestigungsanlagen Vyšehrad und Lorenzberg zu zerstören, die Stadt zu verlassen, um die preußischen Streitkräfte in Schlesien zu verstärken. Der Abzug aus Prag und der Marsch durch das von feindlichen Truppen besetzte Böhmen im Winter 1744 wurden zu einem Fiasko. Einsiedel bereitete einen geordneten Rückzug vor und wollte die Stadt Prag an die Bürgerwehr übergeben, sein für den 26. November geplanter Abzug wurde jedoch verraten, die Preußen wurden angriffen und in Scharmützel verwickelt. Auch auf dem Marsch durch Böhmen im Winter 1744 verlor Einsiedel Truppen und Material. Zahlreiche Soldaten desertierten. Als der General mit den Resten seines Corps in Schlesien eintraf und dem König Bericht erstattete, wurde er inhaftiert und in Potsdam vor ein Kriegsgericht gestellt, das ihn zwar am 10. Februar 1745 von allen Vorwürfen freisprach, die Gnade des Königs aber war verscherzt. Einsiedel wurde beurlaubt, blieb in Potsdam, wo er am 14. Oktober 1745 starb. Beigesetzt wurde er bereits zwei Tage später in einem Erbbegräbnis in Wiepersdorf im Ländchen Bärwalde. Nicht einmal ein Sterbeeintrag im Kirchenbuch der Garnisonkirche war zu finden!

 

Das Unheimliche, Unklare an diesem plötzlichen Tod, für den niemand eine Ursache kannte, gab Anlaß zu Gerüchten, die sich nicht beruhigen wollten. Es hieß, "der General v. Einsiedel sei auf Befehl des Königs in seinem eigenen Hause in aller Stille enthauptet und im Souterrain desselben begraben worden. Ja es gab Leute, die sogar wissen wollten, daß die Hinrichtung durch den Scharfrichter von Berlin vollzogen worden, der – wie man das wohl in schauerlichen Romanen ausführlich beschrieben findet – mit verbundenen Augen und auf weiten Umwegen dazu herangeholt und nach vollbrachter Blutarbeit auf eben solche Weise wieder abgeführt worden sei." (Schelowsky) Während einer Exkursion der Berliner Künstler nach Potsdam logierte Johann Gottfried Schadow 1825 im "Einsiedler" und erwähnte in seinem Bericht auch den Hotel-Spuk. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts bewegte diese Geschichte die Gemüter. Schließlich wurde der tote General, der 1745 plötzlich ohne erkennbare Ursache im besten Alter gestorben war, 1857 exhumiert. Die dabei angestellte Untersuchung ergab, "daß der Körper des Generals v. Einsiedel, obwohl bereits 112 Jahre seit seiner Beisetzung verflossen, noch ziemlich wohl erhalten und völlig unversehrt gefunden worden, so daß der ganze Körper sich am Kopf in die Höhe heben ließ." (Schelowsky) Heimlich enthauptet worden ist er also nicht. Auch im Souterrain des Potsdamer Hauses wurde bei Ausschachtungen für einen neuen Keller nicht die geringste Spur einer heimlichen Bestattung gefunden. Aber wie es mit Gespenstern so ist, wohnen sie erst einmal in einem Haus, sind sie nur schwer wieder daraus zu vertreiben. Am 30. Januar 1867 stellte der ehemalige Direktor der Potsdamer Strafanstalt Major Schelowsky die Zusammenhänge in einem Vortrag vor der 53. Versammlung des Vereins für die Geschichte Potsdams dar. Sein Bericht, der in den Mitteilungen des Vereins abgedruckt wurde, hat Fontane so beeindruckt, daß er die Eckpunkte in seinem Wanderungskapitel "Zwei `heimlich Enthauptete´" nacherzählte.

Der "Einsiedler" blieb Fontane als ein vornehmes Haus mit einer unheimlichen Geschichte in Erinnerung. Und gerade in diesem Hotel ließ er Josephine von Carayon, eine der Hauptfiguren seines Romans "Schach von Wuthenow", absteigen, als sie mit der Absicht nach Potsdam reiste, den König durch einen Fußfall zu bitten, sich für ihre Tochter Victoire zu verwenden, die durch Schach von Wuthenow, Rittmeister im Elite-Regiment Gensdarmes, in eine peinliche Lage gebracht worden war, aus der nur sofortige Eheschließung sie retten konnte. Schach aber zögerte, weil er den Spott seiner Kameraden über sein Verhältnis mit der zwar liebenswürdigen und geistreichen, aber unansehnlichen Victoire nicht ertragen konnte. Wählte Fontane dies Hotel nur deshalb, weil es ein vornehmes Haus in Schloßnähe war? Kaum, solche Anspielungen sind vielmehr stets als wichtige Hinweise für die Interpretation zu lesen. Frau von Carayon hatte Pech, Friedrich Wilhelm III. war zu einem mehrtägigen Aufenthalt nach Paretz abgereist, wo er die Königin erwartete, die von der Kur in Bad Pyrmont zurückkehrte. Um den Nachmittag zu überbrücken, ließ sich Josephine in den Neuen Garten fahren, wo ihr auf Schritt und Tritt das Schreckgespenst des Mätressenwesens Friedrich Wilhelms II. begegnete. Erst am Abend kehrte sie beim Glockenschlag der Garnisonkirche in das Hotel zurück, wo sie zur Ruhe fand und helle und lichte Träume hatte. Am nächsten Tag reiste sie nach Paretz, erhielt wirklich Audienz, und der König sagte ihr seine Unterstützung zu. Er verpflichtete den jungen Garde-Offizier, das von ihm geschwängerte Mädchen sofort zu heiraten. Auch die Königin redete ihm ins Gewissen. Und Schach wußte, was er seinem König schuldig war: Gehorsam. Er heiratete, nahm sich aber unmittelbar nach der Hochzeit das Leben. Durch diesen Tod aus gekränkter Eitelkeit, die das Leben einem leeren Ehrenkult opfert, gelingt Fontane ein eindrucksvolles Bild der Gesellschaftslandschaft Preußens vor der Katastrophe von 1806, in der es keine größere Furcht gab als die vor der Lächerlichkeit. Preußen hatte den Grund der Niederlage nirgendwo anders als in sich selbst zu suchen.

Hat dies Fazit auch mit der beunruhigenden Frage zu tun, welchen Anteil der General von Einsiedel an dem militärischen Mißerfolg seines Kommandos trug, welchen sein oberster Befehlshaber, König Friedrich II.? Der Fall erinnert an die Geschichte des Majors von der Marwitz, auf dessen Grabstein in Friedersdorf der trotzige Spruch prangt: "Wählte Ungnade wo Gehorsam nicht Ehre brachte". Nur daß der General Einsiedel einfach so sang- und klanglos verschwunden ist. Nicht einmal das Diogenes-Emblem an seinem Haus, das immerhin ein Fünkchen Opposition enthält, hat er selbst angebracht, es entstammt einer späteren Zeit, die sich der Privilegien erinnerte, mit denen dieses Haus durch den Soldatenkönig ausgestattete worden war, und ein Hotel darin einrichtete. Der Bildhauer Johann Peter Benckert erwarb das Haus, von ihm stammt auch die Holztafel. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg in der Nacht vom 14.-15. April 1945 zerstört und 1948 abgetragen. Von dem Gespenst, das einst darin wohnte, ist seither nicht mehr die Rede gewesen. Aber das Einsiedler-Epitaph wird noch im Potsdam-Museum aufbewahrt. Es könnte nach einer Rekonstruktion des Baudenkmals wieder an der Fassade angebracht werden.

 

Kutschstall

Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte GmbH

Schloßstr. 12
14467 Potsdam

Telefon: (0331) 620 85-50

Di.-Fr. 10-17 Uhr, Sa./So. 10-18 Uhr.

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Lachsalven am Neuen Markt

 

Dem Verlauf der Schloßstraße folgend, kehren wir mit Fontane zur Breiten Straße zurück, allerdings nicht ohne zuvor wenigstens einen Abstecher zum Neuen Markt zu machen. Im ehemaligen Kutschenstall ist das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte untergebracht, wo stets interessante Ausstellungen zu sehen sind. Das würde sich der Wanderer durch die Mark sicher genau ansehen. Auch die wissenschaftlichen Institute hätten ihn sicher interessiert, die Leibniz-Edition der Akademie der Wissenschaften, das Moses-Mendelssohn-Zentrum mit seinen Bücherschätzen, das Einstein-Forum, das Deutsche Kulturforum östliches Europa. Schließlich müssen wir rasch noch bei Karl Zöllner und dessen Frau Emilie vorbeischauen, die 1861 bis 1863 am Neuen Markt 11 wohnten. Zöllner (1821-1897) war nicht nur Mitverschworener Fontanes im literarisch-künstlerischen Zirkel "Rütli" , den Friedrich Eggers 1852 ins Leben gerufen hatte, um Mitstreiter für das Literaturblatt zum Deutschen Kunstblatt um sich zu scharen, er war auch sein Nachfolger als Sekretär der Akademie der Künste. Mitte Januar 1876 fragte Zöllner Fontane, ob er "wohl geneigt sein würde [...] die Stelle eines 1. Sekretärs der Akademie der Künste anzunehmen". Fontane nahm diesen Versorgungsposten, den seine Freunde ihm verschafft hatten, dankbar an, warf aber schon nach kurzer Zeit wieder das Handtuch, von panischer Angst ergriffen, daß seine dienstlichen Verpflichtungen ihm keine Kraft und Zeit mehr lassen würden für seine eigentliche Arbeit, die Schriftstellerei. In ausführlichen Briefen rechtfertigte er seiner vertrauten Freundin Mathilde von Rohr gegenüber diesen Entschluß. "Mir ist die Freiheit Nachtigall, den andern Leuten das Gehalt", schrieb er ihr am 17. Juni 1876. Am 31. Oktober erhielt Fontane die Demission, am 1. November wurde Karl Zöllner in das Amt eingeführt. Fontane klagte darüber, wie man ihn behandelt hatte. Er war empört, seine Frau war wütend. Die Lebensgrundlage dieses Schriftstellertums, das bis dahin außer großen Ambitionen nicht viel eingetragen hatte, stand auf wackligen Füßen. Die Beziehung zwischen Zöllner und Fontane wurde durch diesen Ärger nicht getrübt. Von der lebenslangen Freundschaft der beiden Familien zeugt ein lebhafter Briefwechsel. Zöllner verwaltete das Amt, das Fontane so rasch wieder niedergelegt hatte, bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden im Jahr 1891. Fontane schrieb seinen ersten Roman "Vor dem Sturm", an dem er fast zwanzig Jahre gearbeitet hatte, zu Ende und blieb freier Schriftsteller, bis ihm der Tod die Feder aus der Hand nahm. Ein Lachen schallt aus dem Haus Neuer Markt 11. Zöllner ist "ein Bursche von unendlichem Humor" gewesen, "von ebenso reicher musikalischer wie literarischer Bildung; von schlanker hoher Gestalt mit, bis auf ein blondes Schnurrbärtchen glattrasiertem, blauäugigem, von feiner mutwilliger Heiterkeit leuchtendem Gesicht" erinnert sich Ludwig Pietsch in seiner Autobiographie. "Durch seine glänzende Laune, die besonders überraschend und wirksam auch in bewundernswerten, parodistisch-musikalischen, speziell gesanglichen Leistungen ausstrahlte, wurde jedes Zusammensein mit ihm zu einem wahren Fest, dessen Lust auch heute noch immer in mir nachklingt, sowie ich jener Zeiten gedenke oder ihm persönlich begegne und sein, im Grunde wenig verändertes, liebes Antlitz wiedersehe."

 

Garnisionkirche
Hist. Aufnahme (um 1939)





Inneres der Garnisionkirche
Hist. Aufnahme (um 1939)




















Glockenspiel aus Iserlohn

Preußischer Reliquienschrein – Glockenklänge

 

Durch die Schloßstraße gelangen wir zurück in die Breite Straße, auf der wir nach wenigen Schritten auf einen freistehenden Gewölbebogen stoßen, rot mitten auf das Trottoir hingeziegelt, deplaziert wirkend neben dem Plattenneubau, der hier das Straßenbild dominiert, als wäre es nie anders gewesen. An diesem Platz stand einmal die Potsdamer Garnisonkirche, die größte Attraktion Potsdams nach dem berühmten Weinbergschlößchen "Sanssouci", die heiligste Ikone des preußischen Staates. Besucher aus aller Welt kamen hierher, die berühmtesten Namen werden immer wieder aufgezählt. Bilder, Gemälde, Fotos haben sich dem historischen Gedächtnis eingebrannt. Fontane hätte gewiß ein spannendes Wanderungskapitel über die Garnison-Kirche geschrieben. Die Aufzeichnungen, die er in seinem Notizbuch während eines Vortrags von Louis Schneider festgehalten hat, deuten dies wenigstens an. Die Baugeschichte, den unglücklichen Vorgängerbau, das Glockenspiel, die Ausschmückung des Innenraums mit Fahnen, Standarten und Trophäen – das alles hätte Fontane erwähnt, um sich dann der Haupt-Sehenswürdigkeit zuzuwenden, dem eigentümlichen Konstrukt von Grab, Kanzel, Altar und Auge Gottes, überhöht von der Wagner-Orgel mit ihren beiden Adlern, die zur Musik mit den Flügeln klapperten. In der Gruft wurden 1740 Friedrich Wilhelm I. und 1786 Friedrich II. beigesetzt, trotz seiner mehrfach wiederholten Willenserklärung, er wolle "en philosophe" auf der Terrasse von Sanssouci ruhen. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. setzte sich über das Testament Friedrichs des Großen hinweg und traf die Festlegung, den verstorbenen König in der Garnisonkirche aufzubahren, neben seinem verhaßten Vater; – "glücklicherweise" bemerkt Fontane, denn dadurch wurde diese Kirche das wichtigste "Symbol des Jüngstgeborenen im alten Europa, des Militärstaats Preußen."

Über dem Sarg seines berühmten Vorgängers schloß Friedrich Wilhelm III. 1805 im Beisein von Königin Luise einen Bund mit dem russischen Zaren Alexander I. gegen Napoleon. "Es scheint aber, daß man nicht hinging, um derlei in Szene zu setzen, sondern daß es sich ungesucht machte. Es ist russische Sitte, daß man (oder vielleicht nur der Kaiser) unmittelbar vor der Abreise von einem Ort die Kirche besucht. Alexander reiste ab (vielleicht aufs Schlachtfeld v. Austerlitz??) und proponierte einen Kirchenbesuch; F. W. III. u. Luise schlossen sich an. Einmal in der Kirche, und zwar spätabends, machte sich der Besuch der Gruft und das ,Treue-Geloben’ überm Sarg Friedrichs II. wie von selbst." Bekanntlich half das Gelöbnis nicht gegen die Truppen des Eroberers. Am 24. Oktober 1806 stand der Empereur selbst am Grab Friedrichs II., den er als einen der größten Feldherrn der Geschichte verehrte. "Die Worte ,lebte der noch, so wären wir nicht hier’, soll er angesichts des Degens Friedrichs II., ich glaube, damals auf Sanssouci, gesprochen haben. Hier in der Gruft sagte er nur: ,Sic transit gloria mundi.’" Aus der Gruft zurückkehrend, soll Napoleon den Küster nach den beiden den Altar flankierenden Figuren gefragt haben. "Gey sprach etwas von heidnischen Gottheiten, allegorischen Figuren, Symbolen der Kriegskunst etc., als ob Napoleon nie von Mars u. Minerva gehört hätte, worauf der Kaiser ihn anstarrte und dann mit einem lauten, langgezogenen ,Bah’ antwortete." Mars und Bellona – eigentümliche Götzen in einer christlichen Kirche.

Nach den Befreiungskriegen wurde die Garnisonkirche als Ruhmeshalle für die preußische Armee eingerichtet. Die in den Kriegen des 19. Jahrhunderts eroberten Trophäen wurden an den Pfeilern angebracht, insgesamt 183 Fahnen und Standarten, dänische, österreichische, französische. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden stattdessen die Feldzeichen der aufgelösten Regimenter des alten Heeres an den Pfeilern aufgehängt. Zu den Schätzen der Kirche gehörten auch die Uniformen von Alexander I. von Rußland, Franz II. von Österreich und Friedrich Wilhelm III., die in drei Schaukästen hinter der Orgel ausgestellt waren, was Fontane despektierlich als "Grab der Heiligen Allianz" bezeichnete. Noch in seinem letzten Roman "Der Stechlin" kam Fontane auf diese Merkwürdigkeiten zurück, indem er seine Lieblingsfigur Dubslav räsonieren ließ: "Wenn ich da so an unsern Kaiser Nikolaus zurückdenke und an die Zeit, wo seine Uniform als Geschenk bei uns eintraf und dann als Kirchenstück in die Garnisonkirche kam. Natürlich in Potsdam. Wir haben zwar die Reliquien abgeschafft, aber wir haben sie doch auf unsre Art, und ganz ohne so was geht es nu mal nicht. Mit dem Alten Fritzen fing es natürlich an. Wir haben seinen Krückstock und den Dreimaster und das Taschentuch (na, das hätten sie vielleicht weglassen können), und zu den drei Stücken haben wir nu jetzt auch noch die Nikolaus-Uniform."

 

Auf den Stufen dieser Kirche zelebrierte Friedrich II. sein Blutopfer. Hier fanden militärische Feierlichkeiten jeder Art statt. Anläßlich einer Vereidigung sprach Wilhelm II. am 12. November 1905 zu den Rekruten: "Ihr seht hier den Altar und auf demselben das Kreuz, das Symbol aller Christen. Als solche schwuret ihr heute den Fahneneid, und Ich wünsche und hoffe, daß ihr dieses Schwures stets eingedenk bleibet. In diesem Augenblicke steht eine denkwürdige Episode vor meinem Auge. Als Kaiser Leopold von Österreich dem berühmten Prinzen Eugen den Oberbefehl über die Armee übertrug und ihm den Marschallstab überreichte, ergriff Prinz Eugen ein Kruzifix und hielt es mit den Worten in die Höhe: 'Dies soll unser Generalissimus sein.' Solche Gesinnung erwarte Ich von euch. Ich will stramme und tapfere Soldaten in Meiner Armee haben, keine Spötter! Euch wird der Vorzug zuteil, in den Reihen der Garde in Potsdam zu dienen, wo euch auf Schritt und Tritt Andenken an den großen Soldatenkönig, der nicht weit von hier seine letzte Ruhestätte hat, und an die ruhmreiche Geschichte Preußens gemahnen. Zeigt euch dieser Auszeichnung durch besondere Übung der soldatischen Tugenden würdig und geht den andern voran in Gottesfurcht, Treue und Gehorsam!"

Vom Altar der Garnisonkirche aus wurden die Soldaten gesegnet, bevor sie in den Krieg zogen. Am 5. August 1914 fand hier der Abschiedsgottesdienst für die Potsdamer Garde-Regimenter statt. Walter Richter-Reichhelm, Prediger an der Hof- und Garnisonkirche, hielt das Hochgefühl dieser Zeit in seinen Erinnerungen fest: "Am 5. August – das ist in keinem Wort übertrieben – war tatsächlich – eine halbe Stunde Mittagspause abgerechnet – den ganzen Tag Kirche. Zuerst der gewaltige Bußgottesdienst, und dann stand die Kirche offen, so daß buchstäblich die Menschen am Eingang D hineinströmten und beim Eingang B wieder hinausgingen – nur am Altar niederkniend, um das heilige Mahl zu empfangen oder ihre Ehe einsegnen zu lassen oder ihr Kind zur Taufe zu tragen. Herberge zur ewigen Heimat, Ruheort für ein im Strom des Geistes, der Kraft, der Zucht, des Opferwillens getragenes Volk, – das war die geliebte Garnisonkirche an diesem Tage – die Namen derer, die ihre Hände gefaltet und knieend den Segen empfangen haben und dann, noch ehe der August zu Ende war, vor Gottes Thron standen, sind im Buche des Lebens."

Mit dem Sturz der Hohenzollern-Dynastie durch die Novemberrevolution verlor die Garnisonkirche ihren Charakter als Hofkirche. Anläßlich der 2. Centenarfeier schickte Wilhelm II. im Juli 1932 folgendes Telegramm aus Doorn: "Zu Gottesfurcht, zu Treu’ und Redlichkeit mahnt halbstündlich durch den ehernen Mund ihres Glockenspiels die von König Friedrich Wilhelm I. erbaute Potsdamer Garnisonkirche. Zwei Jahrhunderte hindurch ist sie so Sinnbild und Wahrzeichen des Preußengeistes gewesen. Möchte der von ihr ausgehende Gottessegen zur Wiedererrichtung eines reinen und freien Preussen beitragen. ,Und wenn die Welt voll Teufel wär!’"

 

Der Turm der Garnisonkirche, von 1732 bis 1735 erbaut, galt bis zu seiner endgültigen Zerstörung 1968 als eines der wichtigsten Wahrzeichen der Stadt. Als Schmuckelemente waren an seinem Äußeren Trophäengruppen aus getriebenem Kupfer angebracht, was eher an ein Zeug- als ein Gotteshaus erinnerte. Auf dem Waagebalken der Wetterfahne war, als Gegengewicht zu dem zur Sonne aufblickenden Adler, hinter dem Monogramm des Soldatenkönigs FWR eine alte Kanonenkugel befestigt. Über das historische Glockenspiel auf dem Turm der Garnisonkirche, das 1722 von dem Amsterdamer Glockengießer Jan Albert de Grave geschaffen worden war, schrieb Friedrich Nicolai in seinem 1786 erschienenen Buch über die königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam: "Das Glockenspiel ist eines der schönsten in Europa und hat weit größere und stärkere Glocken als das auf der Parochialkirche in Berlin. Es spielt alle halbe und Viertelstunden. Bey feyerlichen Gelegenheiten läßt sich der Glockenist auch darauf hören". Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Weisen dem Verlauf des Kirchenjahres entsprechend gewechselt. Seit 1797 erklang auf Befehl Friedrich Wilhelms II. zur vollen Stunde Lobe den Herrn und zur halben Stunde die Arie des Papageno aus Mozarts "Zauberflöte" (1791), die Lieblingsmelodie seiner Schwiegertochter, der späteren Königin Luise, der jedoch als Text die ersten Zeilen von Höltys Gedicht "Der Alte Landmann an seinen Sohn" (1776) untergeschoben wurden.

 

Am 21. März 1933 fand in der Potsdamer Garnisonkirche die Eröffnung des am 5. März gewählten Reichstages statt. Dieses Ereignis wurde von Joseph Goebbels als große Propaganda-Veranstaltung des Nationalsozialismus inszeniert. Das Geschehen wurde im ganzen Land in voller Länge über den Rundfunk übertragen. Nach dem Gottesdienst in der Nikolaikirche begaben sich die Abgeordneten in die Garnisonkirche. Der Händedruck zwischen dem Reichskanzler Adolf Hitler und dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg galt als symbolischer Höhepunkt der Zeremonie, die als "Tag von Potsdam" in die Geschichte eingehen sollte. Nach dem "Tag von Potsdam" wurde das Mozart-Motiv zum Pausenzeichen des Deutschlandsenders. In der Nacht vom 14. zum 15. April 1945 versank das Glockenspiel im Feuersturm, der durch die Stadt fegte. Die Kirche wurde zerstört. Das war die "Nacht von Potsdam". Der Turm stand aber noch, wenn auch beschädigt. In seinem Sockel wurde die Kapelle der Heilig-Kreuz-Gemeinde eingerichtet. 1967 ordnete Walter Ulbricht die vollständige Beseitigung der Kriegsruinen in Potsdam an. Daraufhin wurde am 15. und 23. Juni 1968 der in seiner Massivität noch als Ruine beeindruckende Turm mit mehreren Sprengungen zerstört.

Der preußische "Choral" "Üb immer Treu und Redlichkeit" sollte aber nicht zur Ruhe kommen. Im Fallschirmjägerbataillon 271 in Iserlohn wurde 1984 die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel gegründet, die sich zum Ziel setzte, das historische Carillon neu zu schaffen und die Wiedererrichtung der Potsdamer Garnisonkirche geistig und finanziell zu unterstützen. Bereits 1987 konnte das Glockenspiel in der Winkelmann-Kaserne in Iserlohn in Betrieb genommen werden. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde es nach Potsdam gebracht und am 14. April 1991 in der Plantage in unmittelbarer Nähe des früheren Standortes auf einem provisorischen Glockenturm installiert. Die Stadtverordneten beschlossen, die Garnisonkirche wiederzuerrichten. Die Theologen erarbeiteten ein Nutzungskonzept. Die Garnisonkirche soll nunmehr der Versöhnung dienen. Ein kleiner Gedenkraum im Gebäude des Rechenzentrums erinnert an die Geschichte der Kirche und lädt Interessenten ein, sich am Wiederaufbau zu beteiligen. Die Pläne, den Turm der Garnisonkirche wiederzuerrichten, sind in Potsdam umstritten. Denn es geht nicht nur um eine städtebauliche Dominante, sondern auch um die historische Symbolkraft dieses Gebäudes. Trotzdem legte Bischof Wolfgang Huber am 14. April 2005 den symbolischen Grundstein für den Kirchturm. Aus dem Torbogen könnte einmal das ganze Gebäude wieder emporwachsen. Nach jüngsten Meldungen soll der Bau im Jahr 2011 begonnen werde.

 

Plantage mit Glockenspiel














Fontane-Denkmal von Peter Fritzsche
1985-1998 stand die Plastik an der Yorckstraße, seitdem steht sie auf dem Bassinplatz nahe der Gutenbergstraße

Unter der Platane

 

Die kleine Ausstellung über die Bemühungen, den stadtbildprägenden Turm der Potsdamer Garnisonkirche wiederzuerrichten, befindet sich im Gebäudekomplex des Rechenzentrums, das 1969 bis 1971 vom Architektenkollektiv Sepp Weber an der Breiten Straße / Ecke Dortustraße erbaut wurde. An seinen Außenwänden kann man eine Bilderfolge zum Thema "Die Arbeiterklasse meistert die wissenschaftlich-technische Revolution" lesen, ausgeführt als Mosaik von Fritz Eisel. Sie beginnt mit einem Zitat von Karl Marx und setzt sich auf der Westseite des Gebäudes fort. Gegenüber, auf der anderen Seite der Dortustraße, zieht ein eindrucksvoller Baukomplex die Blicke auf sich, das ehemalige Große Militär-Waisenhaus, in dem heute das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg untergebracht ist, ein Umstand, der Fontane gewiß erheitert hätte. Die Kultur als Waisenkind, von diesem Lied könnte er auch ein paar Strophen pfeifen.

Wir biegen in die Dortustraße ein, passieren den provisorischen Glockenturm aus Iserlohn, der nicht ohne Miß- und Zwischentöne hier installiert wurde, durchschreiten die Reste der Plantage, die sich früher zwischen der Garnisonkirche und der Straße am Kanal dehnte, und stoßen nach wenigen Schritten auf die Yorck-Straße, die von rechts her in die Dortustraße mündet. An der Ecke, die von diesen beiden Straßen gebildet wird, bleiben wir stehen, um uns umzuschauen.

Zu Fontanes Zeit hieß die Straße schlicht Am Kanal. Der Stadtkanal, der viele Jahre verschüttet war, wird gerade wieder ausgegraben und rekonstruiert, und denkt man sich die jungen Bäume etwas größer, wird die Stadt hier vielleicht auch wieder ihre schönen alten Postkarten-Ansichten gewinnen, obwohl die Wege am Kanal in der jetzigen Form nicht zum Flanieren einladen. Auch hier wurde dem Verkehr viel zu viel Stadtraum geopfert. Der Name des in Potsdam geborenen preußischen Generals Yorck wäre für Fontane sicher Anstoß für eine seiner klugen Bemerkungen gewesen, sein ganzer Roman "Vor dem Sturm" ist ja eine einzige große Frage nach der rechten Treue. Gestaunt hätte er zweifellos darüber, Max Dortu als Namensgeber für die ehemalige Waisenstraße zu begegnen, die 1948, anläßlich des 100. Jubiläums, nach dem bekannten Märtyrer der Märzrevolution benannt worden ist. Johann Ludwig Maximilian Dortu entstammte wie Fontane einer Hugenottenfamilie. Er wurde 1826 in dem Haus Waisenstraße 28-29 (schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite, Dortu- / Ecke Beckerstraße) geboren, absolvierte sein Abitur an der Großen Stadtschule, wo wenige Jahre zuvor Kleist gelernt hatte, wurde, wie sein Vater, der Rechtsanwalt Ludwig Wilhelm Dortu, Jurist und arbeitete kurzzeitig als Referendar am Potsdamer Kreisgericht. Im März 1848 wurde er einer der Wortführer der Revolution. Weil er den Prinzen von Preußen, den späteren Kaiser Wilhelm, als "Kartätschenprinz" bezeichnet hatte, wurde er in einem Prozeß wegen Majestätsbeleidigung zu 15 Monaten Festungshaft verurteilt, sein Vater erreichte jedoch in einem Berufungsverfahren die Aussetzung des Urteils und die Haftentlassung. Im November 1848 organisierte Dortu die Zerstörung der Bahngleise zwischen Potsdam und Nowawes, um die Militärtransporte nach Berlin zu behindern. Einer Verhaftung entzog er sich durch die Flucht. In Baden schloß er sich der Volkswehr an und kämpfte als Major und Bataillonschef gegen die preußischen Truppen. Im Juli wurde er in Freiburg verhaftet, durch ein Kriegsgericht als Deserteur und Verräter zum Tode verurteilt und am 31. Juli 1849 an der Friedhofsmauer in Wiehre bei Freiburg erschossen. "Ich sterbe für die Freiheit. Zielt gut, Brüder!" soll er dem Kommando zugerufen haben. Heute befindet sich in seinem Geburtshaus eine Grundschule, eine Tafel erinnert an den Namensgeber der Schule und der Straße.

Fontane wäre wahrscheinlich sogar erschrocken gewesen, auf diese Weise bei seinem Spaziergang durch das heutige Potsdam an seine eigene stürmische Zeit erinnert zu werden. Seine Autobiographie, aus dem zeitlichen Abstand von 50 Jahren niedergeschrieben, verweigert die genaue Auskunft über seine Beteiligung an den Kämpfen von 1848, aber man spürt sein Unbehagen darüber, daß er in seinen jungen Jahren "unausgesetzt Revolutionären und ähnlichen Leuten" in die Arme gelaufen war, Robert Blum, Hermann Jellinek, Max Dortu und anderen, die mit ihrer Freiheit oder sogar mit dem Leben dafür bezahlt haben, wofür er selbst 1848 mit einem Gewehr auf die Barrikaden gegangen war. Über Dortu, den er persönlich kannte, sie waren 1844 während ihres Einjährigfreiwilligendienstes Regimentskameraden gewesen, notierte Fontane: "Der Prinzregent – unser späterer Kaiser Wilhelm –, als er das Urteil unterzeichnen sollte, war voll rührender Teilnahme, trotzdem er wußte oder vielleicht auch weil er wußte, daß der junge Dortu das Wort ,Kartätschenprinz’ aufgebracht und ihn, den Prinzen, in Volksreden mannigfach so genannt hatte." Aber so weit ging die Teilnahme des Regenten nicht, den jungen Mann, der gerade erst 23 Jahre alt war, zu begnadigen. Auch das Gesuch der Eltern, in Potsdam die Erinnerung an den jungen Revolutionär durch die Einrichtung einer mildtätigen Stiftung wachzuhalten, lehnte der Prinz von Preußen ab.

 

Am Rand der Plantage, wenige Schritte von unserem Standort entfernt, unter der jungen Platane, stand von 1985 bis 1998 eine Fontane-Büste, den Blick zur Seite gewendet, vage auf das Gebäude des Landesrechnungshofes hin gerichtet, in dem von 1956 bis 1997 das Theodor-Fontane-Archiv untergebracht war, im ersten Obergeschoß, in einer kleinen Zimmerflucht im links etwas vorspringenden Gebäudeflügel. Klein und beengt war es dort, eine schwere Blechtür mit Klingelschild schottete den Raum ab gegen die Zeit. Hier wurde Fontanes Nachlaß bewahrt, leider stark dezimiert in den Wirren der Zeit, hier wurde unermüdlich gesammelt, geforscht, diskutiert. Hier traf sich die Redaktion der halbjährlich erscheinenden Fontane Blätter. Forscher aus aller Welt kamen nach Potsdam, um die Handschriften des Dichters einzusehen und sich mit Fachkollegen auszutauschen. Der abgeschlossene Raum war zugleich eine Enklave, die sich dem grenzüberschreitenden Diskurs öffnete. Eine Insel des Konservatismus im besten Sinne. Ein Ort für Träume und Visionen. Eine davon widerfuhr dem bekannten Fontane-Forscher und Herausgeber Helmuth Nürnberger am 18. Dezember 1995, als der Dichter selbst vor ihm aus dem Denkmal trat, mit Wanderstab und wollenem Shawl, begleitet von dem Neufundländer Rollo. In einem langen Gedicht berichtete der Wissenschaftler über diese Begegnung mit seinem Idol, natürlich inspiriert durch Fontane, der eine ähnliche Vision fast auf den Tag genau 110 Jahre zuvor in einem Geburtstagstext für Adolph Menzel gestaltet hatte.

Das Fontane-Denkmal, das unter der Platane an der Yorkstraße seinen Platz bekommen hatte, stammt von dem Bildhauer Peter Fritzsche aus Freital. Er sah sich 1976 in den Räumen des Potsdamer Archivs die überlieferten Porträts Fontanes an, um sich ein Bild von dem Dichter zu machen. Sein Entwurf wurde auf der 6. Kunstausstellung in Frankfurt (Oder) gezeigt und gefiel. Der erste Abguß in Bronze wurde in Bad Freienwalde aufgestellt. Für das Theodor-Fontane-Archiv wurde 1980 ein zweiter Abguß bestellt, der zunächst im Archiv verschwand und erst am 18. Oktober 1985, im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50jährigen Bestehen des Theodor-Fontane-Archivs, an diesem Ort festlich enthüllt wurde.

Dem Dichter selbst hätte dieser Standort für sein Denkmal zweifellos gefallen. Die Blickrichtung auf das Gebäude des Landesrechnungshofes hätte ihn daran erinnert, daß zu seiner Zeit in der Waisenstraße 31-33 die Garnisonschule stand, wo am 30. September 1862 der Verein für die Geschichte Potsdams gegründet wurde, der sich regelmäßig zu Vortragsveranstaltungen und Wanderfahrten traf, an denen sich gelegentlich auch ein gewisser Tourist Fontane aus Berlin beteiligte. Einen großen Teil des Wanderungsbandes Havelland verdankt Fontane der Tätigkeit dieses Vereins und seiner Mitglieder. Das Kapitel über die Havelschwäne hat er sogar beinahe wörtlich aus einem Vortrag von Louis Schneider abgeschrieben. Ähnlich verhält es sich mit dem Abschnitt über den General Einsiedel, der nichts anderes ist als ein Exzerpt des Vortrags von Major Schelowsky. Fontane lesen heißt, die Forscher wissen es schon lange, immer auch die Frage nach den Quellen zu stellen. Ad fontes gehen.

 

Die Initiative zur Gründung des Vereins für die Geschichte Potsdams ging von Louis Schneider aus. Der ehemalige Hofschauspieler, der seit 1849 in Potsdam wohnte, galt aber nicht nur als Gründungsvater, über viele Jahre war er auch die inspirierende Kraft und einer der produktivsten Referenten dieses Vereins. Natürlich war Schneider auch Redakteur und Herausgeber der "Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams". Auch im "Tunnel über der Spree" spielte Schneider, wie wir aus Fontanes Erinnerungen wissen, in den Jahren vor 1848 eine ähnliche Rolle: "Schneider ist der Tunnel, und der Tunnel ist Schneider". Später half er, den Berliner Geschichtsverein aus der Taufe zu heben. Schneider war, wie Fontane schrieb, "ein ungeheurer Faiseur", ein "Mengler", der sich in alles einmengen mußte, "immer mußte was ,gemacht’, versammelt, zusammengetrommelt werden."

Louis Schneider wurde am 29. April 1805 in Berlin geboren, in dem Haus, das zehn Jahre später E. T. A. Hoffmann bezog und in seiner Erzählung "Des Vetters Eckfenster" verewigte. Einer Musikerfamilie entstammend, machte der vielseitige, ungeheuer kreative und überaus fleißige Schneider Karriere als Schauspieler, Bühnendichter, Publizist, Herausgeber und Übersetzer, wobei ihm besonders seine vorzüglichen Kenntnisse der russischen Sprache, die er als Kind in Reval gelernt hatte, zustatten kamen. Schneider war ein Mann der Sprachen, berühmt für seine Kunst der Deklamation, er war aber auch ein beliebter Schauspieler, der besonders in komischen Rollen reüssierte. Er hatte Talent für die Musik, spielte verschiedene Instrumente, interessierte sich aber auch für Historisches. Durch sein schlagfertiges und unerschrockenes Konversationstalent, sein Faible für Militärisches und seine unerschütterliche royalistische Gesinnung wurde er zum Liebling mehrerer Monarchen: Friedrich Wilhelm III., Friedrich Wilhelm IV. , Wilhelm I., aber auch der Zaren Nikolaus und Alexander II. Schließlich war er ein unentwegter Sammler. Seine Theatersammlung ist legendär. Aber er sammelte auch andere Dinge, Bücher, Orden und Gedenk-Medaillen, französische Karikaturen und Plakate aus der Kriegszeit von 1870/71, Autographen, Bildnisse von Schriftstellern, ja er initiierte eine Sammlung von Denksteinen von den Schlachtfeldern der preußischen Truppen, kurz er sammelte alles, was ihn interessierte. Und was interessierte ihn nicht?

Kaum zu überschauen ist das vielseitige Werk Louis Schneiders als Schriftsteller, Redakteur und Herausgeber. Auch auf diesem Gebiet erwies er sich als Verehrer der Kriegsgöttin. 1838 publizierte er eine Novellensammlung mit dem Titel "Bellona". Seinen vielleicht größten Erfolg hatte er mit dem 1834 von ihm gegründeten Soldaten-Freund, einer "Zeitschrift für die faßliche Belehrung und Unterhaltung des Preußischen Soldaten". Den jungen Dichter Theodor Fontane, den er im Berliner Sonntagsverein Tunnel über der Spree kennengelernt hatte, förderte Louis Schneider, indem er seine Preußenlieder im Soldaten-Freund abdruckte. Später erschienen sie gesammelt unter dem Titel Männer und Helden im Verlag von August Wilhelm Hayn – Fontanes erste eigenständige Publikation. "Freund Hayn", seinen ersten Verleger, der Geschäftsteile in Berlin und Potsdam hatte und seit 1850 das Potsdamer Intelligenz-Blatt herausgab, titulierte Fontane später wenig schmeichelhaft als "Weißbierphilister mit einer Pontacnase", bei dem man "Intelligenz und Intelligenzblatt" unterscheiden müsse.

Nach der Märzrevolution mußte Louis Schneider seinen Abschied von der Bühne nehmen, da er sich durch sein offenes Eintreten für die Monarchie beim Berliner Publikum verhaßt gemacht hatte. Er übersiedelte nach Potsdam, wurde mit dem Titel Hofrat belohnt und fungierte fortan als Vorleser des Königs, ja er stellte als Plauderer und Unterhalter sogar Konversationspartner wie Alexander von Humboldt und Ludwig Tieck in den Schatten. Einen solchen Fürsprecher hatte Fontane in Potsdam! Und es ist bekannt, daß Schneider zu den Vortragsabenden auch Gedichte aus dem damals noch recht schmalen Œuvre von Fontane mitnahm.

 

Was Schneider und Fontane zusammenführte, war unter anderem ihr gemeinsames Interesse für die Landesgeschichte. Sie "kultivierten", wie Fontane schrieb, "dasselbe Feld, Mark Brandenburg". Ab 1849 wohnte Schneider in Potsdam, zunächst in der Waisenstraße 46, dem Eckhaus mit Front zum Kanal, das wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehen. Weit hatte er es nicht, wenn er zu den Sitzungen des Geschichtsvereins in die Garnisonschule wollte. Er mußte nur die Waisenstraße überqueren. Wenn er nach Potsdam kam, stattete Fontane auch Schneider seinen Besuch ab. "In der Zeit, wo ich meine Wanderungen durch die Mark Brandenburg zu schreiben anfing, sah ich ihn oft, um Ratschläge von ihm entgegenzunehmen. Namentlich bei dem Bande, der das Havelland behandelt, ist er mir sehr von Nutzen gewesen. Er wohnte damals, wenn mir recht ist, am ,Kanal’, in einem echten alten Potsdamer Hause, das noch ganz den Stempel Friedrich Wilhelms I. trug. Er hatte sich alles sehr wohnlich zurechtgemacht, und sein Arbeitszimmer, das bei großer Tiefe nach hintenzu jede Lichtabstufung zeigte, konnte als ein Ideal in seiner Art gelten. In allem etwas prinzipienreitrig, war er denn auch unentwegt der Mann des Stehpults geblieben, also einer Stellage von gut berechneter Höhe, darauf er alles zur Hand hatte, was er brauchte, besonders auch ein Glas mit kaltem russischem Tee. So fand ich ihn regelmäßig vor, in Nähe des Pults ein langer Tisch, darauf zahllose Zeitungen teils aufgetürmt, teils ausgebreitet lagen. Er empfing mich immer gleich liebenswürdig, spielte nie den Gestörten oder wohl gar den ,in seinen Gedanken Unterbrochenen’ und gab mir Aufschluß über das Mannigfaltigste, besonders über Reiserouten, wobei er’s nur in dem einem versah, daß er mich immer dahin dirigieren wollte, wo vorher noch niemand gewesen war. Dies Auf-Entdeckungen-Ausziehn hätte ja nun sehr gut und für mich sehr verführerisch sein können; aber er hatte dabei nur den Sinn für eine herzustellende möglichste Vollständigkeit des Materials – wie das Material schließlich ausfiel, war ihm gleichgültig, mir aber keineswegs. Er ging durchaus nicht dem Interessanten oder Poetischen nach, und deshalb konnte ich von seinen Direktiven nur sehr selten Gebrauch machen. Er war noch aus jener merkwürdigen märkisch-historischen Schule, der die Feststellung einer ,Kietzer Fischereigerechtigkeit’ die Hauptsache bleibt." Friedrich Holtze, der als Kind von seinem Vater zu Besuchen bei Schneider mitgenommen wurde, erinnerte sich an einen blühenden Garten mit Kakteen, einen sprechenden Papagei, an den Taubenschlag und den für Schneiders Haushalt unverzichtbaren Samowar.

Louis Schneider war ein Plauderer, der auch im Potsdamer Kasino das große Wort führte, ein großer Anekdotenerzähler, ein Förderer und Freund, eine vielseitige, imponierende Künstlerpersönlichkeit mit einem großen schriftstellerischen Werk. Er starb am 16. Dezember 1878 in Potsdam und wurde auf dem Neuen Friedhof beigesetzt. Seine Grabstätte ist heute noch erhalten, sonst erinnert nichts in Potsdam an seine Person. Und so erfolgreich er zu seiner Zeit war, kaum jemand würde heute noch seinen Namen nennen, wenn nicht Fontane in seinen Erinnerungen "Von Zwanzig bis Dreißig" ein so hinreißend schönes Kapitel über Louis Schneider geschrieben hätte. "Schneider glich einem Abreißkalender, auf dem von Tag zu Tag immer was Gutes steht, was Gutes, das dann den Nagel auf den Kopf trifft." Und auch ein Bonmot stammt von Schneider, das für Fontane zu einem wichtigen Trostwort wurde. Mit unbesiegbarem Optimismus hatte der Schauspieler auch schwere Stunden auf der Bühne überstanden, sich und andere ermunternd: "Um Neun ist alles aus."

 

 

Und noch ein Bekannter wohnte ganz in der Nähe, an dem wir nicht vorübergehen dürfen, Heinrich Wagener , Lehrer an der Garnisonschule, einer der anregendsten Gesprächspartner und Reisegefährten Fontanes auf seinen Exkursionen ins Umland. Wagener war regionalhistorisch interessiert und bewandert, begabt durch ein lebhaftes Naturell und ein lebendiges Darstellungstalent. Er gehörte zu den Mitbegründern des "Vereins für die Geschichte Potsdams" und hat dieses Forum durch zahlreiche Vorträge bereichert. Großen Anklang fanden die von ihm organisierten Wanderfahrten. Später wurde er ebenfalls aktives Mitglied im Berliner Geschichtsverein. Er publizierte in der populärhistorischen Berliner Zeitschrift Der Bär und im Soldaten-Freund, für den er nach dem Tod von Louis Schneider für einige Jahre auch die Verantwortung als Herausgeber übernahm. An der Entstehung des Wanderungsbandes Havelland hatte Wagener so großen Anteil, daß Fontane ihm im Schlußwort des 4. Bandes dieser Reihe, mit dem er Abschied nahm von seinem Projekt und seinen Lesern, ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat: "Unter seinem im Anfange sowohl ihm wie mir unbewußt bleibenden Einflusse war es, daß ich mich aus der historischen Vortragsweise [...] in die genrehafte zurückfand und den ursprünglichen Plauderton in sein ihm zuständiges Recht wieder einsetzte. Die ganze Gruppe der Kapitel aus der Umgegend von Potsdam , also Bornstedt , Sakrow , Fahrland , Falkenrehde , Marquardt , Ütz und Paretz am Nordufer der Havel und ebenso Werder , Glindow , Petzow , Kaputh usw. am Südrande hin, entstanden unter seiner Führung, und was von ernsten und heitren Geschichten unter all diesen Kapitelüberschriften enthalten ist, entnahm ich zu sehr wesentlichem Teile seinem immer frischen und anschaulichen, weil überall aus der Erlebnisfülle schöpfenden Unterwegsgespräche." Aber auch die in den "Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams" abgedruckten Vorträge Wageners hat Fontane benutzt.

Heinrich Theodor Wagener wurde als Sohn des Schneidermeisters Gottfried Wagener am 21. Dezember 1832 in Potsdam geboren. Getauft und konfirmiert wurde er in der Königlichen Hof- und Garnisonkirche, seine Ausbildung absolvierte er 1850 bis 1852 am Königlichen Schullehrerseminar in Potsdam und Köpenick. Im April 1852 wurde Wagener Lehrer an der Garnisonschule Potsdam, in der die Kinder der Militärangehörigen, des Hof- und Dienstpersonals und der Arbeiter an der Gewehrfabrik, die sich in unmittelbarer Nähe in der Waisenstraße befand, unterrichtet wurden. Die Garnisonschule befand sich in der Waisenstraße 31-33, Wagener bezog eine Dienstwohnung im Gebäudekomplex der Schule (Waisenstraße 31). Sein Weg zur Gründungsversammlung des Vereins für die Geschichte Potsdams und zu den Vortragsabenden, sofern sie nicht an anderen Orten gehalten wurden, war noch kürzer als der von Louis Schneider. Er brauchte nicht einmal die Straße zu überqueren. Nach der Schließung der Garnisonschule im Jahr 1876 wurde Wagener Lehrer an der Städtischen Charlottenschule und zog in die Hoditzstraße 8, (heute Wilhelm Staab Straße) um, wo er bis zu seinem Tod am 23. Mai 1894 wohnte. Die Grabstätte auf dem Alten Friedhof ist nicht erhalten, aber der Stein steht noch, verwittert und beschädigt, im Schatten der Friedhofsmauer.

 

Breite Straße














ehemaliges Pumpenhaus Breite Str. / Ecke Zeppelinstr.














Fontane-Denkmal vor Dietrich Rohde, heute am Schwielosee
Foto: Klaus-Peter Möller

Unsichtbar auf dem Blumen-Hügel

 

Fontane möchte seinen Weg zum Ziel jeder Reise nach Potsdam fortsetzen durch die Innenstadt, am Casino vorbei, wo Louis Schneider das große Wort führte, das Gebäude steht auch nicht mehr, wir aber bitten ihn, uns zurück auf die Breite Straße zu folgen. Wir nehmen den Weg durch die Spornstraße, umrunden das Carré des Großen Militärwaisenhauses und gelangen durch die stille Lindenstraße wieder in die Breite Straße. "Wie sieht es denn hier aus?" Mit einem Ausruf des Befremdens registriert Fontane die moderene Architektur, und wir bemühen uns, ihm zu erklären, daß die Wilhelm Külz-Straße, so hieß diese große Stadt-Achse in der DDR-Zeit, in den Jahren 1975 bis 1980 als sozialistische Magistrale der Bezirksstadt Potsdam ausgebaut wurde. Arbeiterklasse – Freizeit – Erholung – das waren die Grundsätze der Gestaltungssatzung für dieses Renommierprojekt. Das Areal wurde eingeteilt in Teilkomplexe, großzügig mit moderner Architektur bebaut und mit zeitgenössischen Kunstwerken ausgestattet, Bronze- und Sandstein-Plastiken, Mosaiken. "So so. Sozialistischer Realismus." Sie sind den aufmerksamen Augen unseres Begleiters nicht entgangen. Das Mosaik am Rechenzentrum gehört dazu.

 

Beim Überqueren der Schopenhauerstraße erinnert sich Fontane an den Berliner Freundeskreis im Hause der Wangenheims, der sich mit diesem Philosophen und seinen Ideen beschäftigte. Hier hatte er auch den damals noch in der Charité arbeitenden Pfarrer Windel kennengelernt, der später so furios Karriere machte, Hofprediger wurde an der Friedenskirche in Potsdam, mit Beziehungen zu den höchsten Kreisen. Die Schopenhauerstraße, früher Neustädter Communication, später Hohenzollernstraße genannt, lag unmittelbar am malerischen Neustädter Tor, das die Breite Straße nach Westen abschloß. Der Platz vor dem Neustädter Tor ist für den Besucher aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr wiederzuerkennen. Die nördliche Spitze der Havelbucht wurde 1969 zugeschüttet, um die Breite Straße bis hin zur Zeppelinstraße zu verlängern, die damals den Namen Leninallee trug. Trümmer hatte man ja genug nach der Sprengung von Stadtschloß und Garnisonkirche. Das Neustädter Tor selbst mußte weichen. Nur einer der beiden Obelisken, die einst wie überdimensionierte Wächter das Tor flankierten, seht heute noch etwas verloren am Rande der Breiten Straße, der Adler ist freilich davongeflogen und wird wohl auch nicht wiederkehren. Es war ohnehin eine wacklige Sache mit den beiden Pfeilern.

Ein kleiner Parkplatz, eingeklemmt zwischen Schopenhauerstraße und Markthalle, ist von dem pittoresken Ort geblieben. Und hier, schräg gegenüber von dem als Moschee verkleideten Pumpenhaus, in dem man noch die historische Dampfmaschine besichtigen kann, mit der die Fontäne von Sanssouci betrieben wurde, sollte als ein weiteres Glanzstück der Wilhelm-Külz-Straße das Fontane-Denkmal aufgestellt werden, das der Bildhauer Dietrich Rohde (1933-1999), ein Schüler von Fritz Cremer, im Auftrag der Stadt Potsdam 1978-1979 schuf. Es kam aber nicht dazu. Fontane war zu groß. Er maß vom Sockel bis zum Scheitel 5,60 m und war damit größer als die von Theo Balden geschaffene Plastik "Herz und Flamme der Revolution", die das andere Ende der Magistrale betonen und einleiten sollte. Und Fontane war doch immerhin ein bürgerlicher Schriftsteller, der den Adel verherrlichte, wenn er auch als Romancier sogar Pflichtlektüre wurde in der Erweiterten Oberschule und als Wanderungsschreiber für den Bezirk Potsdam eine Art Aushängeschild war. Dietrich Rohde ließ nicht mit sich verhandeln, er konnte den Sockel nicht kleiner machen. Wo hätte er dann die beiden Relieftafeln unterbringen sollen, die Fontane als Wanderer durch die Mark und als Schriftsteller am Schreibtisch zeigen, dem seine Frau Emilie skeptisch über die Schulter schaut? Schließlich hat jedes Kunstwerk seine eigene Ästhetik. Man kann es nicht beliebig verändern.

Am Bestimmungsort wurde das Fontane-Denkmal nicht aufgestellt. Auch keiner der vom Stadtarchitekten Berg vorgeschlagenen alternativen Standorte fand Zustimmung beim Rat der Stadt. In Betracht gezogen wurde u. a. die Plantage an der Yorckstraße, wo von 1985 bis 1998 die Büste von Peter Fritzsche stand und wo wir gerade eben noch unter der jungen Platane gestanden haben. Nach langem Hin und Her wurde die von Dietrich Rohde geschaffene Plastik im Schirrhof von Sanssouci deponiert, wo sie unter Gerümpel und Relikten längst vergangener Zeiten dahindämmerte, die deklamierend vorgestreckte Hand leise klagend zum Himmel erhoben. Ein Leserbrief an die Brandenburgischen Neuesten Nachrichten erinnerte 1985 an das unsichtbare Denkmal. Kulturstadtrat, Bezirksleitung, Oberbürgermeister bemühten sich, einen geeigneten Platz zu finden. Schließlich sprach sich der Leiter des Theodor-Fontane-Archivs Otfried Keiler im Dezember 1986 dagegen aus, in Potsdam ein zweites Denkmal des Schriftsteller aufzustellen, mit der kleineren Plastik von Fritzsche sei der Dichter, der ohnehin mit Potsdam seine Probleme gehabt habe, ausreichend präsent. Er schlug vor, das von Rohde geschaffene Denkmal gar nicht in der Bezirksstadt aufzustellen, sondern außerhalb, an einem der kleinen Orte, die Fontane in seinen Werken verewigt hat, am Stechlinsee etwa oder am Jugendtouristenhotel Petzow.

Dieser Vorschlag brachte endlich Bewegung in die festgefahrene Sache. Das Jugendtouristenhotel, über dem Schwielowsee gelegen wie die Brühlsche Terrasse über der Elbe, freilich mit dieser hinsichtlich der Urbanität nicht vergleichbar, schon gar nicht hinsichtlich der architektonischen Konzeption, war seit 1976 in Betrieb, diente vor allem der Unterbringung ausländischer Reisegruppen und sollte 1987 ohnehin mit der Verleihung des Namens Theodor Fontane geehrt werden. Und zum Ehrennamen bekam der Plattenbau das Denkmal gleich noch dazu. Es wurde am 14. Mai 1987 im Rahmen eines festlichen Meetings enthüllt. Fanfarenklänge, Deklamationen. Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Das Fontane-Archiv präsentierte eine kleine Ausstellung. Lauter Beifall. Erleichterung.

 

Freilich wirkte das Denkmal an diesem Ort, der doch eigentlich ein guter Ort ist, um an den Verfasser der Wanderungen zu erinnern, merkwürdig deplaziert. Einer Kaserne ähnelte der Gebäudekomplex mehr als einem Hotel, der Platz im Innenhof sah aus wie ein Appellplatz. Immerhin hatte der Künstler erreicht, daß sein Standbild nach seinen Vorstellungen realisiert wurde, mit Sockel und Reliefplatten. In Petzow stand das Denkmal wie ein schwarzes Komma in der Landschaft, das vor der Fassade der Plattenbauten finster auf die vorbeifahrenden Boote herabdrohte, an sowjetische Monumentalplastik erinnernd, sogar mit Lenin verwechselt wurde.

Nach der Wende von 1989 gab es verschiedene Versuche, dem ungemütlichen Gästehaus neues Leben einzuhauchen, die aber mißglückten, die mißglücken mußten. Im Jahr 2001 wurde das Areal an einen Investor verkauft, der auf dem Grundstück, das wie eine Öse an der Perle der Havellandschaft, dem Schwielowsee, liegt, ein Ferien-Domizil errichten wollte. Das Fontane-Denkmal wurde vor Beginn der Abriß- und Bau-Arbeiten umgesetzt. Es steht jetzt direkt am Ufer des Sees, dessen Zauber Fontane in mehreren Wanderungskapiteln beschrieben hat. Zu seinen Füßen wurde am 21. September 2001 symbolisch der Grundstein für die neue Anlage gelegt, die inzwischen längst in Betrieb genommen ist und Urlauber aus aller Welt ins Havelland lockt. Fontane als Götze des Industriezweigs Tourismus?

Auch der neue Standort ist nicht glücklich gewählt. Die Bewegung der Plastik wird nicht recht aufgefangen, die Umgebung paßt nicht, und, besonders fatal, das Denkmal wurde, damit es hier eingeordnet werden konnte, auf einen niedrigeren Sockel gestellt. Die Relieftafeln sind seitwärts in den Boden eingelassen. Diese Erniedrigung mußte der Bildhauer Dietrich Rohde nicht mehr erleben. Er verstarb 1999 in Blankenfelde. Uns aber obliegt es, daran zu erinnern, daß sein Werk ernst genommen wird, daß es endlich aufgestellt wird an einem Standort, an dem es seine Wirkung voll entfalten kann, auch wenn es ästhetisch einer vergangenen Zeit angehört. Ich denke es mir manchmal auf den kleinen Hügel neben der Markthalle, ein paar Schritte weiter in der Breiten Straße in Potsdam, den fleißige Hände von Gärtnern und Gärtnerinnen Jahr für Jahr in ein Blütenmeer verzaubern. Hier, am Rande einer großen Magistrale, zwischen himmelhohen Platten-Bauten, umtost vom lärmenden Leben der Großstadt, das wäre vielleicht ein guter Ort. Fontane schüttelt den Kopf. Was ein Schriftsteller am allerwenigsten braucht, sind solche Denkmäler. Ein Blütenmeer ist viel besser. Wer weiß, denken wir im Weitergehen, vielleicht kommt die Bronze ja doch noch einmal hierher. Oder an einen anderen Platz in der Landeshauptstadt. Der letzte Wille des Alten Fritzen ist ja auch noch in Erfüllung gegangen, wenn es auch etwas gedauert hat.

 

An der Mündung der Breiten Straße biegen wir nach rechts in die Zeppelin-Straße ein und erreichen nach wenigen Schritten den Luisenplatz. Auf diesem Platz vor dem Brandenburger Tor, das Friedrich II. 1770 nach dem Siebenjährigen Krieg als Triumphbogen errichtet hatte, bereiteten der Kronprinz Friedrich Wilhelm III. und sein Bruder, der Prinz Louis, ihren verlobten Bräuten, den Prinzessinnen Luise und Friederike, am 21. Dezember 1793 einen großartigen Empfang. Zur Erinnerung an dieses Ereignis wurde die Straße, welche die beiden Prinzessinnen von Baumgartenbrück heranführte, Luisenstraße benannt, und der Platz erhielt den Namen Luisenplatz.

Erst im 19. Jahrhundert wurde der Luisenplatz als urbaner Raum außerhalb der Stadtmauern gestaltet. Peter Joseph Lenné bepflanzte das Karree mit Bäumen, ein Springbrunnen plätscherte, der sein Wasser wie die große Fontäne im Portal vor Sanssouci vom Pumpenhaus in der Moschee erhielt. 1903 wurde an Stelle des Brunnens auf dem Luisenplatz ein Denkmal von Kaiser Friedrich III. errichtet, das aber im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen wurde. Auch hier, wo einst diese Bronze stand und heute wieder ein Brunnen plätschert, könnte man sich die Plastik von Dietrich Rohde vorstellen.

 

Am Grünen Gitter mit Friedenskirche












Treppe von Schloß Sanssouci

















Wohnhaus von Storm in der Brandenburger Str. 70

Kastanien, Rhododendron, Rosen

 

Wir biegen in die Allee nach Sanssouci ein, die linker Hand vom Luisenplatz abzweigt. Das Grüne Gitter mahnt alle Besucher: Wanderer, der Du hier eintrittst, lasse die Sorgen hinter Dir. Aber – kann man das? Der König, der seinem kleinen Sommerschlößchen diesen Namen gab, wird es kaum vermocht haben. Und Fontane? Auch er suchte Ruhe und Frieden hier in Sanssouci, und auch er fand anderes als er gesucht hatte.

Gleich hinter dem Grünen Gitter liegt das Pfarrhaus der Friedenskirche, die Kirche selbst, das Mausoleum mit Kaiser Friedrich, der nicht einmal 100 Tage im Amt war. Wie viele Erinnerungen knüpfen sich an diesen Ort! Im Pfarrhaus an der Friedenskirche hat Fontane selbst für einige Tage gewohnt. In seiner angestrengten Tätigkeit als Kritiker, Feuilletonist und Familienvater suchte er schon lange einen Erholungspunkt, der nicht weiter entfernt sein dürfte als Potsdam. "Ein liebenswürdiges Pfarrhaus, wo ich, wenn ich einträfe, eine freundliche Giebelstube fände und nach einer halbstündigen Begrüßung gleich an die Arbeit gehen könnte, das wäre mein Ideal; aber wo dergleichen finden?" So beschrieb er das Idyll, das er sich erträumte, am 5. Januar 1872 in einem Brief an Mathilde von Rohr. Welcher Schriftsteller wünscht sich so etwas nicht, wenn er in seiner häuslichen Umgebung genervt und gestreßt am Schreibtisch brütet und die Termine drängen, während es auf dem Papier, statt erfrischend zu sprudeln, nur leise tröpfelt.

Tatsächlich bot sich für Fontane in Potsdam ein solches Refugium, nur daß hier Ruhe zum Arbeiten und Ausspannen zu finden war, erwies sich als Illusion. Im Frühjahr 1881 wohnte er für einige Tage als Gast des Hofpredigers in dem malerischen Häuserkomplex unmittelbar am Grünen Gitter, was er seinem Freund Bernhard von Lepel am 20. April 1881 mitteilte: "Ich hause nämlich seit Montag bei Pastor Windel auf Besuch. Die Unruhe des Lebens hier – Unruhe in dem sonst so stillen Potsdam und noch dazu in der Friedenskirche – läßt mich nicht zum Schreiben kommen, am wenigsten heut, wo Wangenheims, meine Frau und Tochter und noch verschiedne andre Personen zu Tisch erwartet werden. Und vorher muß ich noch 3 Besuche machen, einer davon bei Ludoviken!" Den Briefen und Tagebüchern, die Fontane in dieser Zeit schrieb, kann man entnehmen, wie es ihm während seines Aufenthaltes in Potsdam erging. Die Pflichten verfolgten den Flüchtling bis nach Sanssouci, die Familie kam angereist, unaufschiebbare Rücksichten geboten die Teilnahme an Gesellschaftsabenden und Empfängen, und auch der Gastgeber war ein viel zu aufmerksamer Freund und anregender Plauderer, als daß er seinem Gast viel Zeit gelassen hätte, in Ruhe am vierten Band seiner Wanderungen zu schreiben, der zu Weihnachten erscheinen sollte. Dennoch genoß Fontane den Aufenthalt. Am 23. April 1881 teilte er Philipp zu Eulenburg mit: "Seit acht Tagen bin ich hier im Pfarrhaus der Friedenskirche und verlebe glückliche Tage."

Kennengelernt hatte Fontane seinen Gastgeber, den Theologen Karl Adam Friedrich Windel (1840-1890), bereits, als dieser noch als Hilfsprediger in der Berliner Charité angestellt war. Auch das gemeinsame Interesse für die Landesgeschichte führte sie immer wieder zusammen. Sie trafen sich auf Vortragsabenden und unternahmen gemeinsam Exkursionen in die Umgebung von Potsdam, noch als Windel bereits Hofprediger in Potsdam war, eine Position, die er seiner Beredsamkeit, seinem schriftstellerischen Talent und seiner Einfühlungsvermögen verdankte.

Einen ausführlicheren Bericht über seinen Aufenthalt in Potsdam schickte Fontane am 6. Juni 1881 an Mathilde von Rohr: "Gleich nach Ostern war ich in Potsdam bei Dr. Windel und wollte natürlich auch Frau v. Ciesielski besuchen, aber ich bin überhaupt zu keinem Besuch gekommen, selbst bei Hesekiels, bei denen ich nothwendig vorsprechen mußte, erschien ich erst 2 Stunden vor meiner Wiederabreise. Der ganze Potsdamer Aufenthalt war kürzer und namentlich unruhiger als gewünscht. Ich traf Oster-Montag am Abend ein und reiste Sonnabend Nachmittag wieder ab. Ergiebt nur 4 Tage. Und wie vergingen die? Gleich am Dinstag-Nachmittag mußt’ ich nach Berlin ins Theater und da das neue Stück sehr lange spielte, war ich erst um Mitternacht wieder in der Friedenskirche. Am Mittwoch hatte ich dann die Kritik zu schreiben, was bis 6 dauerte, um welche Zeit Friedel schon im Nebenzimmer wartete und nun holter die polter aufbrach, um die Kritik noch rechtzeitig auf die Vossische Zeitung zu schaffen. Am Freitag kamen Wangenheims, meine Frau und Martha (die gerade in Berlin war) auf Besuch und nahmen wieder einen Tag fort, so daß ich, außer den sehr gemüthlichen Abendspatziergängen in Marly-Garten und Sanssouci, nur den Donnerstag zur Verfügung gehabt habe. An einem Abend, ich weiß nicht mehr an welchem, waren wir bei Graf Egloffsteins, wo furchtbar viel Gräflichkeit und Christlichkeit versammelt war. Es ging noch ganz leidlich ab, und eine alte Gräfin Dohna, ferner eine Frau v. Burgsdorff gefielen mir ganz gut, trotzalledem mache ich dergleichen höchst ungern mit. Es ist reine Zeitvergeudung. Wie’s in solchem Zirkel überhaupt aussieht, das weiß ich, und im Besonderen lernt man herzlich wenig dazu. Führen mich bestimmte literarische Zwecke in solche Häuser, so nehm ich das Unbequeme nicht blos geduldig mit in den Kauf, so fühl’ ich es auch gar nicht; die stündliche Wahrnehmung, daß ich das erreiche, was ich erreichen will, erhält mich bei guter Laune. Ich kriege, wie die Berliner sagen ›meinen Preis heraus‹. Fehlen diese Zwecke aber, so krieg ich ihn nicht heraus und aergre mich meine Zeit so nutzlos veranlagt zu haben. Dazu kommt noch ein kleiner Neben-Aerger, der, je älter ich werde, immer stärker wird. In der Regel verlaufen die Dinge so, daß man zwar mit exquisiter Artigkeit behandelt, dem Ganzen aber doch ein Ton und Wesen gegeben wird, aus dem man die einem zu Theil werdende bedeutende gesellschaftliche Auszeichnung erkennen soll. Dies ist mir nun im höchsten Maaße langweilig und ridikül; ich empfinde nichts von einer Auszeichnung, bin vielmehr so kolossal arrogant mir umgekehrt einzubilden, die Leute müßten froh sein mich kennen gelernt zu haben. Denn erstlich hab ich doch auch so was wie einen Namen oder Nämchen, was aber viel wichtiger ist, ich habe viel erlebt und gesehen und kann darüber, wenn mir nur einer zuhören will, was aber freilich selten der Fall ist, in eingehender, bilderreicher und espritvoller Weise sprechen. Es ist nichts Auswendiggelerntes, nichts Schablonenhaftes in mir, ich bin ganz selbständig im Leben, Anschauung und Darstellungsart, und halte mich deshalb für interessant und apart. Aber die Menschen wollen im Ganzen genommen wenig davon wissen. Es geht mir mit meinem Wesen, Charakter und gesellschaftlichen Auftreten wie mit meinen Büchern, einige sind sehr davon eingenommen, aber die große, große Mehrheit läßt mich im Stich."

 

Man kann nicht in Potsdam gewesen sein, ohne nur einmal das Spalier von zurechtgestutzten Kastanien, die wie die Langen Kerls des Soldatenkönigs den Weg säumen, entlangzuwandern bis zu jenem berühmten Knick, an dem sich der Blick plötzlich öffnet auf die berühmteste Sehenswürdigkeit dieses Ortes. "Es gibt für jeden vernünftigen Menschen kaum etwas Entzückenderes als Sanssouci", hielt Fontane in seiner Autobiographie Von Zwanzig bis Dreißig fest. Seine Spaziergänge mit Windel führten ihn natürlich auch hierher. Auch er hörte die Nachtigallen schlagen, von seinem Gäste-Zimmer aus sogar, die Storm wenige Jahre zuvor zu einem seiner schönsten Gedichte angeregt hatten.

 

Das macht, es hat die Nachtigall

Die ganze Nacht gesungen;

Da sind von ihrem süßen Schall,

Da sind in Hall und Widerhall

Die Rosen aufgesprungen.

 

Aber vielleicht hat sich Fontane, vertieft in anregendes Geplauder mit dem Hofprediger Windel oder in seine mitgebrachte Arbeit, dem süßen Schall nicht hingeben können. Und womöglich hat er auch die blühenden Rhododendronbüsche nicht gesehen. Dennoch hat sich ihm der Anblick dieses Ortes unvergeßlich eingeprägt. Um Adolph Menzel zu seinem 70. Geburtstag zu ehren, erdichtet er eine fiktive Begegnung mit dem Geist von Sanssouci auf der berühmten Weinberg-Treppe:

 

Auf der Treppe von Sanssouci

7./8. Dezember 1885

(Zu Menzels 70. Geburtstag)

 

Von Marly kommend und der Friedenskirche,

Hin am Bassin (es plätscherte kein Springstahl)

Stieg ich treppan; die Sterne blinkten, blitzten,

Und auf den Stufen-Aufbau der Terrasse

Warf Baum und Strauchwerk seine dünnen Schatten.

Durchsichtige, wie Schatten nur von Schatten.

Rings tiefe Stille, selbst der Wache Schritt

Blieb lautlos auf dem überreiften Boden,

Und nur von rechts her, von der Stadt herüber

Erscholl das Glockenspiel.

Nun schwieg auch das ...

Und als mein Auge, das auf kurze Weile

Dem Ohr gefolgt war, wieder vorwärts blickte,

Trat aus dem Buschwerk, und ich schrak zusammen,

Er selbst, im Frackrock, hinter ihm das Windspiel

(Biche, wenn nicht alles täuschte), dazu Krückstock

Und Hut und Stern. Bei Gott, es war der König.

 

Und Friedrich der Große wendet sich ihm, Fontane, zu, quittiert verächtlich seine Auskunft, von Beruf deutscher Schriftsteller zu sein, um ihn dann über Adolph Menzel zu examinieren. Schließlich beauftragt er ihn, dem Maler auszurichten, daß er, der König, ihn einlüde, wenn es an der Zeit sei, an der himmlischen Tafelrunde Platz zu nehmen, die er um sich versammelt habe im Elysium, dem wahrhaften Sanssouci, auf dem Platz, der seit Voltaires Abgang Anno 70 vakant sei.

Drei Wochen hat Fontane an dem Gedicht gebosselt. Am 8. Dezember 1885 konnten es die Abonnenten der Vossischen Zeitung in der Morgenausgabe lesen. Verdrossen konstatierte der Verfasser, daß man seinen Versen zwar einen Achtungserfolg zollte, der Kronprinz und spätere Kaiser Wilhelm II. soll sie seiner Frau beim Frühstück vorgelesen haben, die Zeitungsredaktion jedoch seinen Wurf, den er für "apart gelungen" hielt, nicht wenigstens mit einem Champagnerkorb würdigte, ja Menzel selbst erst 10 oder 11 Tage später kam, um sich zu bedanken, weil ihm irgendein Wort "nicht zugesagt oder ihn geradezu verdrossen" habe und die kleine Exzellenz den zeitlichen Abstand benötigte, sich wieder zu sammeln (an Georg Friedlaender, 6. Januar 1886). Und hatte Menzel nicht recht? Er durfte einen Platz an der Tafel der erlauchten Geister beanspruchen aus eigener Leistung, nicht aus Gnade, und geradezu deklassierend mußte er die Zumutung empfinden, als Lückenbüßer einzuspringen, auch wenn dies für Fontane die höchste Auszeichnung bedeutete, die er, der Dichter Preußens, sich vorstellen konnte.

Die Freundschaft zwischen Fontane und Menzel war viel zu tief begründet, um durch eine solche Bagatelle ernsthaft getrübt zu werden. Als Fontane 1890 mit einem Eintrag ins Gästebuch von Bad Kissingen geehrt wurde, schrieb er seinem Sohn Friedrich: "In das hiesige `Berühmtheitenbuch´ habe ich mich vor ein paar Tagen einschreiben müssen, erst Menzel mit einem Bild, dann ich mit einem Vers auf Kissingen. Das Menzelbild taxiere ich auf wenigstens 500 Mk., meinen Vers auf 50 Pf.; das kennzeichnet die Stellung der Künste untereinander; die Reimerei, auch die gute, ist immer Aschenbrödel."

 

Jeder Weg nach einem solchen Besuch ist ein Rückweg. Und auch für uns wird es Zeit, den Rückweg anzutreten. Kehren wir durch die Straße am Grünen Gitter zurück. Wir passieren das Brandenburger Tor, studieren die Inschrift und die stadtseitig angebrachten Reliefs, die an König Friedrichs glorreiche Zeit erinnern, hören den berühmten Philosophen Moses Mendelssohn , der, einer Einladung des Philosophen von Sanssouci folgend, von Berlin nach Potsdam hinausgekommen war, für die Torwächter mauschelnd eine kleine Showeinlage geben, die ihn umstanden wie Riesen und nicht verstehen konnten, was der König von diesem kleinen Mann wollte. Als ob es auf die Größe ankäme. Chodowiecki hat die Episode mit dem Zeichenstift festgehalten. Sie fand eigentlich am Berliner Tor statt, das aber nicht mehr steht.

Gleich nach dem Brandenburger Tor links im Eckhaus Brandenburger Straße 70 fand Theodor Storm , der im Dezember 1853 in Potsdam Assessor wurde, seine erste Wohnung, die er aber nur ein halbes Jahr bewohnte. Er genoß die Nähe zum Park, schwärmt in seinen Briefen an die Eltern vom Schlagen der Nachtigallen, vom Maiengrün und vom Geläut der Garnisonkirche. Ich bin vor einigen Jahren begeistert in das Café gestürmt, das im Parterre dieses Hauses heute geöffnet hat, mit der Illusion, es müßte doch noch etwas da sein, das an den berühmten Dichter aus Husum erinnerte. "Hier hat doch Storm mal gewohnt." Eine Serviererin gab mir freundlich Auskunft: "Der wohnt nicht mehr hier." "Ja", gab ich zu. "Sicher." Die Wohnung war zu teuer, bereits am 1. Juli 1854 zog der unbesoldete Assessor um in die Waisenstraße 68. Wir kreuzen die Linden-Straße, in der Nr. 54/55 befand sich früher das Königliche Kreisgericht, wo Max Dortu tätig war und wenige Jahre nach ihm Theodor Storm, passieren noch einmal die Dortu-, früher Waisenstraße, wo Storm von 1. Juli 1854 bis 1856 wohnte, das Haus wurde leider 1989 abgerissen, die ganze zweite barocke Stadterweiterung stand damals in Gefahr, überqueren die Jägerstraße, schließlich die Friedrich-Ebert-Straße, die zu Fontanes Zeiten noch Nauener Straße hieß. Linker Hand auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt das Gebäude der Großen Stadtschule (Nr. 17), wo sich Kleist nach seinem Abschied vom Militärdienst auf das Studium an der Viadrina vorbereitete. Nach wenigen Schritten erreichen wir unmittelbar vor der katholischen Kirche St. Peter & Paul das Ende der Brandenburger Straße. Linker Hand sieht man bereits das Holländische Viertel, der Straßenzug, der den Bassinplatz nach Westen hin abschließt, ist mit seinen Ziergiebeln angelehnt an die rotziegligen Holländerhäuschen. Im Haus Am Bassin 4 residierte das Theodor-Fontane-Archiv im Dezennium 1997 bis 2007.

 

Villa Quandt, seit 2007 Sitz des Fontane-Archivs und des Brandenburgischen Literaturbüros

Fontane-Archiv

Große Weinmeisterstr. 46/47
14469 Potsdam

Mo. - Do. 9 - 16 Uhr, Fr. 9 - 15 Uhr
Voranmeldungen und Terminabsprachen
unter Tel.: 0331/20139-6, Fax: 0331/20139-70
oder per E-Mail: fontanearchiv@uni-potsdam.de

Im Maiengrün am Lindenhain

 

Der Bassinplatz diente zu Zeiten des Soldatenkönigs als Exerzierplatz. Heute wird er als Wochenmarkt genutzt. Noch im 19. Jahrhundert hat es hier wirklich ein großes Bassin gegeben, und in der Mitte des Bassins stand die 1739 von Boumann errichtete Gloriette, ein kleiner barocker Pavillon, in dem das Tabaks-Collegium Friedrich Wilhelms I. getagt hat. Die Gloriette lag in der Achse der Brandenburger Straße, jetzt von dem eindrucksvollen Bau der Katholischen Kirche dominiert, die aber erst in den Jahren 1867 bis 1870 errichtet wurde. Auch das Bassin wurde im Zuge der Umgestaltung des Platzes im späten 19. Jahrhundert zugeschüttet. Dort, wo einst die Gloriette stand, erinnert heute ein Sowjetischer Ehrenfriedhof an die Opfer des Zweiten Weltkrieges.

 

Nördlich davon, am Rande eines Hains von jungen Linden, steht das Fontane-Denkmal, die von Peter Fritzsche geschaffene Büste, die nach dem Umzug des Theodor-Fontane-Archivs hierher versetzt wurde. Der Standort am Rande der Gutenbergstraße, gegenüber der Mündung der Benkertstraße ist gar nicht so schlecht. In der Benkertstraße 15 (früher Kreuzstraße) fand Storm 1856 seine dritte Potsdamer Wohnung, "nur drei Häuser von dem großen ungepflasterten Bassinplatz (wo das Tabackscollegiumhäuschen steht), der ein herrlicher Tummelplatz für die Kinder ist", wie es im Brief an die Eltern vom 7. April 1856 heißt. Zum Entzücken der Kinder war gerade damals eine große Menagerie auf dem Platz aufgebaut, und die Köpfe der Giraffen schauten oben heraus. Ganz wohl gefühlt hat sich Storm aber in dem "großen Militärkasino" Potsdam nie, er träumte von einem Leben in der Natur, empfand in den geschniegelten Parks ein Verlangen "nach dem Anblick eines ,ehrlichen Kartoffelfeldes´, das mit Menschenleben und -geschick in unmittelbarem Zusammenhange steht’." Was Fontane amüsierte: "Denn wenn es überhaupt eine Sehnsucht gibt, die hierlandes leicht befriedigt werden kann, so ist es die Sehnsucht nach einem ehrlichen Kartoffelfelde." Ende des Jahres 1856 siedelte Storm mit seiner Familie nach Heiligenstadt über. Sein stetiges Genörgel über das "inferiore preußische Wesen" empfand Fontane, bei aller Zustimmung in einzelnen Punkten, als anmaßende "Provinzialsimpelei", der er stolz die Taten der preußischen Nation entgegenhielt: "was ist dann, um nur ein halbes Jahrhundert als Beispiel herauszugreifen, die ganze schleswig-holsteinische Geschichte neben der Geschichte des Alten Fritzen!"

Auch an ihrem neuen Standort wurde die Plastik von Peter Fritzsche so aufgestellt, daß sich durch die auffällige Wendung des Kopfes eine Sichtbeziehung zum Archiv ergab, obwohl dies eigentlich den unsensiblen Umgang mit dem Kunstwerk fortsetzt, dem Konzept des Künstlers sogar widerspricht, dem es nicht darum ging, ein wehmütiges Schauen des Dichters darzustellen. Das Faszinierende an dieser Büste ist gerade, daß sie dem Blick des Betrachters auszuweichen scheint, sich ihm entzieht. Ein richtiger Versteckspieler, der keinem geradewegs in die Augen schaut, dem nicht so einfach beizukommen ist. Er wollte den Suchenden betonen, erklärte der Bildhauer aus Freital während der Denkmalseinweihung 1985, die bedrohte Güte in den Kämpfen der Zeit. So habe sich ihm Fontane nach der Lektüre des Stechlin mitgeteilt. Die Kämpfe der Zeit, das war damals so ein beliebter Ausdruck. Aber die Bedrohung ist geblieben. Und das Suchen, das uns sicher noch weiter begleiten wird. Suchen wir also. Suchen wir im Sinne Fontanes, der in seinem letzten Roman – als Résumé seines reichen Lebens – gesagt hat: "Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht. Und wenn es welche gibt, sind sie langweilig."

1997 zog das Theodor-Fontane-Archiv aus dem Gebäude des Landesrechnungshofes in der Dortustraße in das Haus am Bassin 4. Die Büste folgte ein Jahr später. Am 12. Mai 1998 wurde die Plastik am neuen Standort feierlich eingeweiht. Es war eine der zahllosen Veranstaltungen im Fontanejahr anläßlich des 100. Todestages des Dichters. Zehn Jahre später, im Jahr 2007, wurde das Archiv in die Villa Quandt verlegt, die bis 1945 von einem der Söhne des letzten Kaisers bewohnt war. Das hätte Fontane sicher amüsiert. Besucher aus aller Welt kommen hierher, um dieses Haus zu sehen und sich über seine Geschichte zu informieren. Das Fatum wollte es, daß auch das neue Domizil des Archivs ein Johanniter-Haus ist, wie das Haus in der Potsdamer Str. 134c, wo Fontane so lange gewohnt hat. Ob die Büste dem Archiv auch an den neuen Standort folgen wird? Wo sie jetzt steht, markiert sie den literarischen Mittelpunkt des Landes Brandenburg. Von hier aus könnten wir aufbrechen zu verschiedenen Spaziergängen, Wanderungen und Fahrten in die Stadt und die nähere und weitere Umgebung. Einige Tips finden sich im Anhang zu diesem Text. Wer den Band Havelland aufschlägt, weiß eh, wohin der Hase läuft.

Fontane selbst begibt sich auf dem kürzesten Wege zurück zum Bahnhof. Er muß noch ins Theater, eine Kritik schreiben, ein Gedicht, einer gesellschaftlichen Verpflichtung nachkommen, etwas korrigieren und korrespondieren. Er winkt uns einen Abschiedsgruß zu und eilt davon.

 

Zurück zum Bahnhof

 

Am Mozarthaus (Am Bassin 10) vorbei, beim Überqueren der Charlottenstraße wird östlich die Französisch-Reformierte Kirche sichtbar, führt der Weg über den Wilhelmsplatz, der seit 1946 den Namen Platz der Einheit trägt, unbeirrt auch in allen Jahren der deutschen Teilung, auf die Nikolaikirche zu, deren grüne Kuppel den Flachbau der Stadt- und Landesbibliothek überragt. Ein erstes Stück Schloß steht sogar schon wieder, das Fortunaportal, ein Glückstor. Man könnte es durchschreiten. Aber es führt zu nichts. Mit geschlossenen Augen heftet Fontane in Gedanken einen Zettel an die Bittschriftenlinde. Was darauf wohl stehen mag? Beim Weg zum Bahnhof wirft er die letzten Brotkrümel in den Fluß – für die Havelschwäne. Der Geist von Potsdam wurde einst von dieser Brücke in Form eines mit Steinen beschwerten Sarges in den Fluß geworfen. Er wollte aber nicht untergehen, sondern schwamm wie zum Spott die Alte Fahrt entlang. Ein Spaziergang mit Fontane durch Potsdam muß auch dazu führen, über den Geist dieses Ortes nachzudenken. Vielleicht ist Louis Schneider der Geist von Potsdam? Als der Zar Nikolaus 1849 nach Berlin kam, soll er diesem gesagt haben: "Sehn Sie, Schneider, richtige Preußen gibt es überhaupt nur noch zwei: ich und Sie." Oder Hofprediger Windel? Ich denke mir, der Geist von Potsdam wird Garnisonschullehrer Wagener sein, über den Fontane im Schlußwort zu seinen Wanderungen schrieb: "Mit einer wahren Herzensfreude denk’ ich an jene Sommernachmittage zurück, wo wir von den Dörfern und Ziegelöfen am Schwielowsee heimkehrend, auf einer vor ein paar ausgebauten Häusern von Alt-Geltow liegenden Graswalze zu rasten und unser sehr verspätetes Vesperbrot aus freier Hand einzunehmen pflegten, ohne daß der Redestrom auch nur einen Augenblick gestockt hätte. Da vergaßen wir denn der Flüchtigkeit der Stunde, bis die Mondsichel über den kleinen Giebelhäusern stand und uns erinnerte, daß es höchste Zeit sei, wenn wir, oder doch wenigstens ich, den Zug noch erpassen wollten. Und immer rascher und geängstigter ging es vorwärts, jetzt über die Gewehrfabrik und jetzt über den öden und sommerstaubigen Exerzierplatz hin, und nun hörten wir das erste Läuten. O wie das ins Ohr gellte, denn die vollgestopfte Brücke lag noch zwischen uns und unsrem Ziel. Also Trab, Trab! Und ein ewiges und verzweifeltes ,Pardon’ auf der Lippe, das uns freilich vor dem üblen Nachruf aller Karambolierten nicht schützen konnte, ging es endlich zwischen den pickenden Sperlingen hin, entlang den Droschkenstand, entlang den Perron und nun hinauf die Treppe, bis ich keuchend und atemlos und mit eingebüßtem Taschentuch in das nächstoffenstehende Kupee hineinstürzte. ,Gute Nacht’. Und fort rasselte der Zug.

Noch in der Bahn hält Fontane in seinem Notizbuch die Eindrücke des Tages fest: "Von Potsdam aus wurde Preußen aufgebaut, von Sanssouci aus durchleuchtet. Die Havel darf sich einreihen in die Zahl deutscher Kulturströme. Aber nicht von ihren Großtaten gedenke ich heute zu erzählen, nur von einer ihrer Zierden, von den Schwänen."

 

Für alle, die noch bleiben können:

 

Spaziergänge

Norden und Osten: Russische Kolonie, Fontane-Archiv, Neuer Garten, Cecilienhof, Marmorpalais, Palais Lichtenau, Französische Kirche

Westen: Bornstedter Friedhof

Süden und Südosten: Park Babelsberg, das Film-Gelände, die Villen und ihre berühmten Bewohner

 

Ausflüge in die Umgebung:

 

Radtouren (jeweils Ganztagsprogramm)

Runde um den Schwielowsee: Caputh, Baumgartenbrück, Alt Geltow, Glindow, Ferch, Petzow, Werder

 

Großer und Kleiner Wannsee: Glienicker Brücke, Schloß Glienicke, Nikolskoe, Pfaueninsel, Liebermann-Haus, Haus der Wannsee-Konferenz, Kleist-Grab, Dreilinden, Prinz Friedrich Karl, Benschs Grab (Himbeerheckenduft), Stolpe, Jagdschloß Stern

Ausflüge ins Havelland mit dem Schiff u.a. nach Scrow-Park, -Schloß und Heilandskirche (Hafen: beim Mercure-Hotel, Nähe Hauptbahnhof)

 

Literatur

 

Für freundlich erteilte Auskünfte danke ich Dr. Lothar Weigert, dem Potsdam-Museum, Peter Schaefer vom Theodor-Fontane-Archiv und Dr. Manfred Horlitz.

 

Klaus Arlt: Die Straßennamen der Stadt Potsdam. Geschichte und Bedeutung. Mitteilungen der Studiengemeinschaft Sanssouci e.V. - Verein für Kultur und Geschichte Potsdams – , 4. Jg. 1999, H. 4, bearb. Fassung

 

Wolfgang Feyerabend: Spaziergänge durch das literarische Potsdam. Zürich, Hamburg: Arche Literatur Verlag AG 2005

 

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow. Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes. Bearb. von Katrin Seebacher. Berlin: Aufbau-Verlag 1997 (Große Brandenburger Ausgabe)

 

Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Hrsg. von Gotthard Erler. Bd. 1-8, 2. Aufl., Berlin: Aufbau-Verlag 1994 ff. (Große Brandenburger Ausgabe)

 

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. In: Autobiographische Schriften. Hrsg. von Gotthard Erler, Peter Goldammer und Joachim Krueger, Bd. 2, Berlin: Aufbau-Verlag 1962

 

Theodor Fontane: Gedichte. Hrsg. von Joachim Krueger und Anita Golz. Bd. 1-3. 2. durchges. u. erw. Aufl. Berlin: Aufbau-Verlag 1995 (Große Brandenburger Ausgabe)

 

Theodor Fontane: Briefe. Hrsg. von Walter Keitel und Helmuth Nürnberger. In: Werke, Schriften und Briefe, Abt. IV, München: Hanser 1976

 

Fontane und Potsdam. Hrsg. von der Theodor Fontane Gesellschaft, dem Berliner Bibliophilen Abend und dem Theodor-Fontane-Archiv Potsdam. Konzeption und Gestaltung: Werner Schuder. Begleitende Texte Gisela Heller. Potsdam 1993

 

Theodor-Fontane-Archiv Potsdam 1935-1995. Berichte, Dokumente, Erinnerungen. Hrsg. von Manfred Horlitz. Berlin: Berliner Bibliophilen Abend 1995

 

Karl Gass: "Zielt gut, Brüder! Das kurze Leben des Maximilian Dortu". Wilhelmshorst: MärkischerVerlag 2000

 

Erhart Hohenstein: "Der Einsiedler" soll zurückkehren. In: Potsdamer Neueste Nachrichten 1.12.2009, S. 10

 

Friedrich Holtze: Erinnerungen an Louis Schneider. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins. 45. Jg., 1928, Heft 3, S. 105-123 und Heft 4, S. 141-159

 

Manfred Horlitz: Fontanes Quellen-Nutzung für seine Wanderungen-Texte. In: Geschichte und Geschichten aus Mark Brandenburg. Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg im Kontext europäischer Reiseliteratur. Würzburg: Königshausen und Neumann 2003, S. 273-302

 

Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams, Bd. 1 ff., Potsdam, 1862 ff.

Balthasar D. Otto: Fontanes Irrungen am See. Zur Geschichte eines Standbildes / Gestern wurde der Dichter umgesetzt. In: Märkische Allgemeine Zeitung Potsdam, 15./16. September 2001

 

Ludwig Pietsch: Wie ich Schriftsteller geworden bin. Der wunderliche Roman meines Lebens. Hrsg. von Peter Goldammer. Berlin: Aufbau Verlag 2000, S. 111.

 

Schelowsky: Ist der General-Lieutenant v. Einsiedel in seinem Hause (jetzt Hôtel Einsiedler) enthauptet worden? In: Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Postdams, hrsg. von L. Schneider, Bd. 3, Potsdam 1867, S. 341-351.

 

Wippermann: Louis Schneider. In: Allgemeine Deutsche Biographie

 

Louis Schneider: Die Schwanenfütterung bei Potsdam. 18. Sitzung am 26. Januar 1864. In: Mittheilungen des Vereins für die Geschichte Potsdams, Bd. III, Potsdam 1864, S. 1-4.

 

Bruno Strauß: Moses Mendelssohn in Potsdam am 30. September 1771. Mit einem Essay von Eva J. Engel. Berlin: Hentrich 1994

 

Lothar Weigert: Garnisonschullehrer Heinrich Wagener – Fontanes Begleiter bei seinen Reisen im Havelland. In: Fontane Blätter 83, 2007, S. 135-150

 

Wolfgang Tripmaker: Potsdamer Verlagsgeschichte(n). Drei Jahrhunderte Buchherstellung in der Residenz-, Bezirks- und Landeshauptstadt. Wilhelmshorst: Märkischer Verlag 2008

 


Havelschwäne.

Ein Spaziergang durch Potsdam mit Theodor Fontane