Das Münsterland-Touren wurden durch die Kunststiftung NRW, die LWL-Kulturstiftung und die Kulturstiftung der Westfälischen Provinzial Versicherung ermöglicht.

Elisabeth Zöller

Ein Spaziergang auf den Spuren der Annette von Droste-Hülshoff

Sarah Koska
~1 Std. ~5 km Museumstour: die zwei Lebens- und Arbeitsstätten der Droste

Ein Besuch des Rüschhauses vor den Toren Münsters sowie der davon nicht weit entfernten Burg Hülshoff, die man teilweise durch die Augen der Droste als Kind sehen kann.

Als Hör-Tour

Gelesen von Nina West
Laufzeit: 21:06

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Elisabeth Zöller

»Ein Spaziergang auf den Spuren der Annette von Droste-Hülshoff«

Fotos: Sarah Koska



In Gievenbeck und hinter Roxel, Richtung Havixbeck, liegen zwei wunderbare Häuser, in denen die münstersche Dichterin Annette von Droste-Hülshoff ihre Kindheit und den Großteil ihres Lebens als Schriftstellerin verbrachte: Burg Hülshoff und das Rüschhaus. Und genau zwischen den beiden Häusern lebe ich, blicke auf Felder, Obstbäume und Wallhecken. Hier schreibe ich meine Bücher, ähnlich wie Annette vor 200 Jahren. Das hat mich angeregt, diesen Spaziergang „mit Annette“ zu machen durch die Landschaft und in die Häuser hinein, in denen sie wohnte.

Annette von Droste-Hülshoff lebte lange im Rüschhaus. Aufgewachsen war sie auf Burg Hülshoff. Da das Rüschhaus mir mehr von der Persönlichkeit der Annette zu vermitteln vermag, und da sie selbst gerne im Rüschhaus war, lege ich meinen Schwerpunkt darauf und beginne auch dort mit meinem Spaziergang.

 

Haus Rüschhaus

Am Rüschhaus 81
48161 Nienberge

Tel. 02533/1317

Führungen vom 01. Mai bis 31. Oktober 2014:
Dienstag bis Sonntag um: 10:00, 11:00, 12:00,
14:00, 15:00, und 16:00 Uhr (stündlich)

Winterpause 1. November - 01. April 2015
Gruppenführungen außerhalb der Öffnungszeiten
jederzeit auf Anfrage möglich

Webseite

Haus Rüschhaus

 

Wie ihrer Dichtung zu entnehmen ist, liebte Annette von Droste-Hülshoff kleine Dinge: Details, Blumen am Wegesrand, Vögel, Steine … Das zeigen ihre Gedichte, das zeigen ihre Briefe. Lag es an ihrer starken Kurzsichtigkeit, die sie alles nur bei nahem Herangehen erkennen ließ? Lag es an ihrer Liebe zu kleinen, zierlichen Dingen? Wir wissen es nicht. 
Sie selber war eine zarte Frau, von frühster Kindheit an von labiler Gesundheit.
Es bereitet mir große Freude, mit ihr – auch mit Blick auf eben diese Details – durch das heutige Rüschhaus und zurück zu Ihrem Elternhaus zu wandern, in ihren Fußstapfen zu gehen.
Über eine Allee nähere ich mich langsam dem Haus Rüschhaus. Allmählich öffnet sich der Blick: Dreiflügelig steht das Gebäude da, in der Mitte die vom Scheunentor geprägte Front des Haupthauses. Ein Niedersachsenhaus in barockem Stil: Kunstvolle Mauerungen in rotem Backstein, die das Haus zu etwas ganz Besonderem machen, es leicht und beschwingt wirken lassen mit den Sandsteinreliefs und den weißen Fenstern und Türen. Diesen Dreiklang der Materialien und Farben nennt man „westfälische Symphonie“. Typisch für den Architekten Conrad Schlaun die parallele Anordnung, ausgerichtet an der Hauptachse: in der Mitte das Haupthaus, rechts und links Remise und Stall. 
Ich trete ein durch das weit geöffnete Dielentor. Links von mir die Futtertröge der Pferde. Ich gehe weiter über den mosaikartig mit feinem Blaubasalt ausgelegten Dielenboden und stehe neben der Kutsche der Droste zu Hülshoffs. Annette machte meist ihre Wege zu Fuß. Sie liebte ausgedehnte Spaziergänge. Nur manchmal liehen sich Annette, ihre Mutter und ihre Schwester die Kutsche mit dem Wappen der Drostes. Es ist eine sogenannte Berliner Kutsche, innen wunderbar mit blauem Samt ausgeschlagen.  Ein offener Heuboden auf der einen Seite, die Knechtkammer auf der anderen, das alles ist die typische Tenne. Hermann hieß der Knecht. Und ich stehe im landwirtschaftlichen Bereich des Hauses. Der bekannte Barock-Architekt Johann Conrad Schlaun baute es für sich als Sommerhaus und gleichzeitig als landwirtschaftlichen Betrieb aus. Auch die drei Drostefrauen – Mutter, Annette, Jenny – ernährten sich von eigenen landwirtschaftlichen Produkten. Zum Rüschhaus gehörten allerdings noch etliche Kötterhöfe. Und Annette empfing, vor allem, wenn ihre Mutter mal wieder auf Reisen war, die Kötterfamilien in der Küche, in die ich jetzt von der Diele aus eintrete. 

 

Am langen Tisch rechts stehen zehn Stühle. Dahinter eine schmale Wasserpumpe mit eisernem Schwengel. Eine Wasserpumpe im Haus galt damals als sehr fortschrittlich. Vor mir ist der Kamin mit offener Feuerstelle, blau-weißen Kacheln und darüber der „westfälische Himmel“, wo Schinken und Würste geräuchert wurden. Zum Kamin gehören natürlich auch der Gluttopf, das Waffeleisen, der Püster. Links hinterm Kamin steht eine Bank, auf der Annette gerne gesessen hat. Suchte sie die Nähe zu Marie, Lisbeth und Trudchen, den drei Mägden? Oder kroch sie an kalten Wintertagen näher an das Feuer heran, um sich nach langen anstrengenden Spaziergängen durch die umgebende Moor- und Heidelandschaft hier wieder aufzuwärmen? 
Neben dem Kamin eine geöffnete Tür. Es ist die Tür zur Dienstbotentreppe, die hinauf ins Esszimmer führt. Die Herrschaften aßen oben im feinen Esszimmer, die Speisen wurden ihnen über die schmale Treppe hinaufgetragen. Während sie selbst über Schreitstufen im angrenzenden Flur zu ihrer Mahlzeit hinaufstolzierten. Wenngleich Annette sehr bescheiden gewesen sein muss, werden es auch die Drostefrauen standesgemäß gehalten haben. 
Ich öffne neugierig eine zweite Tür direkt daneben. Hier geht es hinab in den kühlen, dunklen Keller. Spinnweben und abblätternder Putz um ein winziges Fenster herum. Ob Annette, die das Schaurige liebte, hier bei herumspringenden Mäusen und dunklen Spinnweben auch der Schauer traf? 
Als ich wieder hochstapfe in die Küche, hält mich ein kleines Detail gefangen: Ein dunkler Falter hockt im Fensterkreuz. Ich weiß, Annette hätte aus diesem Stillleben einen Vers gemacht … 
Draußen, direkt gegenüber der Außentür, ein kleines Häuschen, das Klo. Ein Plumpsklo. Wie ich erfahre, war es sehr modern angelegt, denn durch ein Dreikammersystem wurde das Abwasser gereinigt und floss dann in die Gräfte. 

 

Über die bequeme Treppe schreite ich nach oben zu Annettes „Schneckenhäuschen“, in ihr Arbeitszimmer. Eine fein gemusterte, von grünen Streifen geprägte Tapete mit zarten Blumenmustern verleiht dem Raum schon beim Eintreten eine gewisse Leichtigkeit und eine fast lächelnde Ruhe. Vor einem geschwungenen Biedermeiersofa steht ein rechteckiger Tisch. Hier und an dem verzierten Biedermeiersekretär hat die Dichterin geschrieben. Der Tisch war der Ort der Erstschrift; der Sekretär war der Ort der Reinschrift. Das Hammerklavier war der Ort der Komposition. Das kleine Klavier der Dichterin: Es ist heute stummer Zeuge der außergewöhnlichen Musikalität Annettes. Hier komponierte sie viele Lieder und immerhin auch vier Opern, die aber Fragmente blieben. In dem etwas düster wirkenden Raum – die Fenster sind klein – hat Annette also ihre Gedichte, Briefe und Geschichten in ihrer winzigen Schrift zu Papier gebracht. Der Federkiel liegt auf der Schreibplatte des Sekretärs bereit. So als träte Annette bald ein. 
Doch hatte sie immer die nötige Ruhe? Schließlich wohnten in diesem und den zwei angrenzenden Räumen auch die Mutter und Jenny, ihre Schwester. So wird erzählt. Annette sprach nämlich in ihren Briefen von ständigen Unterbrechungen ihrer Arbeit. 
In diesem Raum empfing Annette auch ihre Besucher. Ihre Freunde Christoph Schlüter und Levin Schücking, ihre Freundin Elise Rüdiger, zu Klönstunden und literarischen Gesprächen. Das waren immer besondere Festtage, wenn sie Besuch bekam, Stunden, auf die sie sich freute, die aber auch willkommene Unterbrechung des manchmal allzu ruhigen Alltags im Rüschhaus waren. Gemeinsam wurde dann geplaudert, vorgelesen, gefachsimpelt, wurden Pläne geschmiedet – und wahrscheinlich wurde auch manchmal einfach die Stille genossen und eingesogen, die für Annettes Verse so notwendig war. 

 

Im Sommer setzte sich Annette, wenn sie Besuch erwartete, oft auf eine Bank an der Längsseite des Hauses. Von da aus konnte sie die Allee überblicken. Sie schaute durch ein Fernglas und freute sich, wenn sich in der Ferne langsam ein Punkt, dann ein Mensch, schließlich ein Freund oder eine Freundin näherte.  
Später wohnte auch ihre Amme Maria Katharina Plettendorf mit im Schneckenhäuschen und den beiden angrenzenden Zimmern, nachdem es im Plettendorf’schen Haus in Altenberge wegen der vielen Kinder des Sohns zu eng geworden war. Annette pflegte ihre frühere Amme hier bis zu ihrem Tod, fühlte zu ihr eine tiefe Verbundenheit. Hatte doch Maria Plettendorf die kleine, zu früh geborene Annette als Baby genährt und sie in ihren Armen aufwachsen und lebensfähig werden lassen. 
Die Bilder all dieser für Annette so wichtigen und sie prägenden Personen und auch die ihrer Familie hängen hier im Schneckenhäuschen. Da sind Jenny und ihr späterer Mann, Annettes Lieblingsbruder Ferdinand, der früh starb, der zweite Bruder, Werner, der auf der Burg Hülshoff seine eigene Familie gegründet hatte. 
Interessant finde ich noch ein Detail: ein kleines Fenster, das den Blick in das Innere der Küche freigibt. „Das Auge des Herrn“ wird es mit einem Augenzwinkern genannt. Von hier aus ließ sich die Arbeit der Dienerschaft überwachen. Annette mag es in einsamen Stunden das Gefühl vermittelt haben, nicht allein zu sein. 

 

Ich möchte einen Moment innehalten, daran denken, dass das dichterische Schreiben der Droste nicht immer selbstverständlich für sie war. Einerseits gehörte es wohl von klein auf zu ihr. Doch es gab immer wieder Krisen, lange Pausen, in denen Annette sich gedrückt und niedergeschlagen fühlte und nicht schreiben konnte. Sibylle Mertens, eine Freundin, spricht in Briefen von Mutlosigkeit, von Leiden. Lag es daran, dass das Leben im Rüschhaus vor allem in den Wintermonaten von Eintönigkeit, Dunkel und grauem Einerlei geprägt war? Lag es daran, dass die Droste es vielleicht nötig gehabt hätte, mal in die Stadt Münster, mal zu einer Freundin oder später öfter zu ihrer Schwester zu reisen? Lag es auch daran, dass das alles im Winter und auch im trüben Herbst und Frühjahr oft nicht möglich war? Dass sie sich in solchen Zeiten hier im Rüschhaus eingeschlossen fühlte? Sogar der Gang zur Burg Hülshoff war bei schlechtem Wetter wegen Überschwemmungen und auch sonst unpassierbaren Wegen nicht möglich. Außerdem plagten sie im Winter oft Erkältungen, Husten, zugeschwollene Ohren. Gegebenheiten, die das Leben nicht offen und heiter erscheinen lassen. Von all dem finden wir Spuren in ihrer Dichtung, vor allem aber in ihren Briefen.  

 

Mein Gang durch das Haus führt mich in Annettes Schlaf- und Ankleidezimmer. Es soll ursprünglich mit roten Kommoden ausgestattet gewesen sein. Heute stehen dort ein Biedermeierbett und ein halbhoher Schrank. Ich betrete einen weiteren Raum und staune: ein eigenes Zimmer für Sammlungen. Die Droste-Hülshoffs waren eine Sammlerfamilie. Der Tisch in der Mitte eine Sammlung verschiedener Holzarten, vom Vater zusammengestellt. Im Schrank eine Fossiliensammlung, „Reste eines alten Kalkmeers“, wie man damals sagte. Dabei auch ein „vorweltlicher Nashornzahn“, über den Hermann Landois, der Gründer des münsterschen Zoologischen Gartens, eine naturwissenschaftliche Abhandlung schrieb. 
Annette streifte mit ihren Besuchern immer wieder durch die Landschaft der Umgebung, und zurück kamen sie dann mit Taschen voller Steine. Etliche ihrer Freunde berichten davon. Zu Hause wurden die Steine begutachtet und sortiert. Die meisten wurden aussortiert, doch hin und wieder fand sich durchaus eine Rarität. Der Fund wurde dann der Steinsammlung eingegliedert, hier oben in den kleinen Räumen, die Annette bewohnte. 

 

Ganz anders wirken die Prunkräume des Hauses: das große und das kleine Gesellschaftszimmer, die für die Familie der „Gartensaal“ und das „italienische Zimmer“ waren. Schon beim Eintreten empfängt einen die Weite des Raumes und der Blick wandert bei geöffneter Gartentür sogleich in den Garten.   
Annettes Blick wird im Sommer auf bunte Blumenbeete gefallen sein, auf Kieswege und die auch damals schon hohen Bäume im Hintergrund. Die Putten, die die vier Elemente darstellen, mit Schilf oder Ähren im Haar, verbreiten eine gewisse Heiterkeit. Die auf Anregung von Jenny gebaute Orangerie macht neugierig. Was mag sich dort verstecken? Welche exotischen Pflanzenwunder wurden hier in der Wärme des kleinen Häuschens, das mit einem Ofen beheizt wurde, beherbergt und herangezogen?  
Entlang streift der Blick am Kalifornischen Gewürzstrauch, den Annette von ihrem Freund und Mentor Schlüter geschenkt bekam, und ruht auf zierlichen Buchsbaumumrandungen und kugelig geschnittenen Eiben- und Taxusbüschen, die in ihrer geschwungenen Linienführung die Ornamente im Stein des Giebels fortsetzen.   

 

Ich wende mich wieder dem Raum zu: Eine glänzende Biedermeier-Essgruppe in der Mitte, darüber ein Kronleuchter mit schimmerndem Kristallglas. An der rechten und linken Wand ein Bücherschrank und parallel dazu auf der anderen Seite des Raums ein Klappaltar. Er wurde an Sonntagen, wenn der Kaplan von der Burg herüberkam, ausgeklappt. So konnte man hier die Sonntagsmesse feiern, auf heiligem Stein, umgeben von Friedenssymbolen unter barocken Vanitas-Motiven und dem Zeichen der Dreifaltigkeit. Der Blick wandert schon weiter zu einer Vitrine, in der Porzellanfiguren galante Spiele miteinander treiben, Figuren in Pastelltönen bemalt. Ein Sandsteinkamin wärmte den Raum und eine Biedermeiertapete unterstreicht die Atmosphäre von Leichtigkeit verbunden mit einer gewissen Feierlichkeit. 

 

Der angrenzende Raum, nicht ganz so groß, wurde das „italienische“ Zimmer genannt. Den Grund für diese Bezeichnung versteht man sofort: Die kunstvolle Tapete, das Motiv in verschiedenen Farbschichten aufgetragen, stellt den Golf von Neapel dar. Conrad Schlaun hatte sie ausgewählt als dekoratives Element für sein Schlafzimmer, wie es der damaligen Mode entsprach. Für Annette und ihre Familie war dieses Zimmer mit angrenzendem Badezimmer wohl ein zweiter kleinerer Gesellschaftsraum. 

 

Eine schlichte Außentreppe führt vom größeren Raum hinunter in den Garten. Oben in die Treppe eingebaut sind zwei halbrunde Bänke, die „Harfen“, die Annette sehr geliebt hat. Ob sie hier gesessen hat, sogar mit Stift und Papier in der Hand? Oder hat sie hier nur geschaut und geträumt, um später oben im Schneckenhäuschen ihre Gedanken und Ideen zu Papier zu bringen? 
Ein paar Schritte in den Garten geben den Blick frei auf die rückseitige Giebelfront des Hauses, auch hier perfekte Symmetrie im Dreiklang der Materialien: Ziegelstein, Sandstein, weiße Fenster. Wunderbar ausgewogene Proportionen. Horizontale Fensterachsen, Tafelfelder, über der Tür das Schlaun-Rehrmann’sche Wappen in Sandstein, das seinen Schwung nach oben bis zum Rundbogenfenster weiterführt. 
Der Himmel wölbt sich blau. Ein paar Schäfchenwolken ziehen entlang. Von Ferne sind Glocken zu hören. Der feine Kies knirscht unter meinen Füßen. Ich gehe um das Haus herum zur Vorderseite, schlendere zurück die Allee hinunter. 
>Noch einmal der Blick auf das Anwesen: Das Ganze wirkt prächtig und harmonisch, schlicht und zugleich elegant, wirkt wie ein kleines Schloss. Und doch war es nur ein Witwensitz, ein Rückzugsort, der noch lange in der Erinnerung weiterleben wird, weil hier die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff ihr unvergessliches Werk schuf. 

 

Burg Hülshoff

Schonebeck 6
48329 Havixbeck

Tel.: 02534/1052

Hauptsaison
01. April bis 31. Oktober
11:00 bis 18:30 Uhr

Nachsaison
01. November bis 30. November 2014
Mittwoch bis Sonntag 11: 00 bis 17: 00 Uhr, und auf Anfrage

Montag, Dienstag geschlossen / Ruhetage

Winterpause 2014/2015
ab 1. Dezember bis 14. März 2015 Winterpause,
Gruppenführungen, Feierlichkeiten außerhalb der Öffnungszeiten
jederzeit auf Anfrage möglich.

Webseite

Burg Hülshoff

 

Die fünf bis sechs Kilometer zur Burg Hülshoff lege ich mit dem Fahrrad zurück. Ich radele vorbei an sattgrünen Feldern, an Wallhecken, die die Landschaft durchziehen, bleibe stehen unter einer großen Eiche. Etliche der Bauernhöfe, an denen ich entlangfahre, waren früher Kötterhäuser und gehörten zum Rüschhaus, dann zum Hülshoff’schen Besitz. 

 

Zwischen blühenden Hortensien auf weiten Rasenflächen um die Gräfte herum, wandere ich durch eine Lindenallee zur Burg. Über Holzbalken gehe ich in den gepflasterten Wirtschaftshof der Burg mit den schweren landwirtschaftlichen Gebäuden zur Linken. Über eine Brücke, früher eine Zugbrücke, nähere ich mich der Burg, dem repräsentativen Wohnhaus der Droste zu Hülshoffs. Ich steige die steinerne Treppe hinauf zu den Räumen der Familie. 

 

Hier ist Annette herangewachsen, hat die ersten kleinen Verse verfasst. Hier hatte sie Unterricht, hier tobte sie mit ihren Geschwistern herum, soweit das die Erwachsenen erlaubten. Hier war Annette Kind. Und ich möchte mit ihren Augen sehend durch die Burg streifen. Ich stelle mir vor: Hier sprang sie morgens aus dem Bett … 
Sie spielt mit einem Bommel aus kunstvoll geknoteten Wollfäden, der an dem Schlüssel am Schrank hängt, und schielt zum Kindermädchen. Sie geht schon vor in den Flur, da scheint gerade die Sonne hell durch die Glasfüllung ihrer Lieblingstür. Auf das Glas ist ein Lorbeerzweig gemalt. Ein Vogel versucht, sich eine der roten Beeren zu stibitzen. Wie gerne würde sie mit dem Finger daran entlangstreifen! Aber sie ist zu klein. Auch der Schrank mit der Glasfüllung gefällt ihr so gut und die vielen Bilder an der Wand. Sie lugt durch das Geländer und sieht die große Truhe dort stehen. Die ist voller Geheimnisse! Da darf sie nämlich noch nicht einmal hineinlugen …
„Annette, Annette“, ruft da Ferdinand, ihr Lieblingsbruder, genannt Fente. „Wo bist du?“ – „Hier, Fente!“, und schon springt sie ihm entgegen. „Sollen wir Verstecken spielen?“
Im Eingang bleibt sie stehen, weil Ferdinand da auf sie wartet. Er steht unter den Jagdtrophäen des Vaters, die dort zur Begrüßung hängen. „Ob Papa die alle geschossen hat?“ Sie steht dort, den Finger im Mund. Ihr Blick wandert ins kleine Empfangszimmer gleich neben dem Eingang. Dort empfangen die Eltern ihre Gäste, auch die Kötterfamilien. Da dürfen sie nicht hineinstürmen, wenn die Tür geschlossen ist. Jetzt sind keine Gäste da, die Tür steht offen. Annette und Ferdinand schauen zu, wie die Magd das Silber putzt. 
„Komm“, flüstert Ferdinand. Sie schleichen durch den Flur zurück in die Bibliothek. Da stehen in hohen Glasschränken, die bis zur Decke reichen, ledergebundene Bücher: kleine und große, braune und golden beschriftete. Manche mit großen Bildern. Der Vater hat sie Annette gezeigt, als er am Schreibtisch saß, hat sie auf den Schoß genommen und ihr alles erklärt. Besonders mag Annette die Ritterrüstung, die zwischen den Schränken steht. Darin hat ein Ritter echt gekämpft. Die Ritter saßen in den schweren Rüstungen zu Pferde und kämpften mit Lanze und Schwert. Das hat Papa auch erzählt. Und die Kämpfe fanden manchmal auch im Hof der Burg statt. 
Die beiden schleichen ins Esszimmer. Da frühstücken sie meistens. Hier kann Annette sich gar nicht sattsehen an der glänzenden Teekanne auf dem Kannenstock. Unter den großen dunklen Bildern all ihrer Ahnen – die Amme hat gesagt, das wären all ihre Großmütter und Großväter und Onkel und Tanten – duckt sie sich immer ein wenig. Sie sehen so dunkel aus und streng, steif und schwarz. Die reich verzierten Hauben der Frauen gefallen ihr. Doch sie löst lieber ihr Haar, lässt es im Wind flattern. Sie streicht über die glänzende Oberfläche des Sekretärs. Da hat sie schon mal gesessen und für den kleinen Fente ihr erstes Gedicht geschrieben. Vor den beiden Männern auf den Bildern rechts und links des Sekretärs hat sie allerdings Angst, seit der Kaplan ihr ihre Geschichte, die von den Wiedertäufern, erzählt hat. 

 

Ich gehe zurück, durchstreife noch einmal die Wohnräume der von Hülshoffs: kleines Empfangszimmer, Essraum, kleiner Essraum – heute das Trauzimmer – und die Bibliothek. Sie machen einen hellen, freundlichen Eindruck mit ihren luftigen Biedermeiermöbeln. Besonders berührt mich das Jugendbett der Annette in einem kleinen Zwischenraum. Sie muss zierlich gewesen sein. 
Licht fällt durch hohe, klare Fenster. Tritt man an das Fenster heran, schaut man auf die Gräfte und im Hintergrund auf hohe Bäume hinter weiten Rasenflächen. Auf dem Tisch stehen wunderschöne Blumenarrangements. Polierte Schränke geben dem Ganzen einen würdigen Rahmen, und dicke Teppiche auf Eichenparkett dämpfen die Schritte. 

 

Ich steige die Treppe hinab und gehe durch die hintere Tür in Richtung Park, überquere die Gräfte und spaziere weiter eine Allee hinunter zum Teehaus. Hier ist für mich heute ein Afternoon Tea bereitet. Ich weiß, dass Annette sich gern an diesen Platz der Ruhe zurückzog, um Ideen zu sammeln, damals, als sie begann zu schreiben. Natürlich hatte Annette dabei nicht immer englische Teekuchen, Scones und kunstvolle Sandwiches. Aber die Ruhe strömte ein und der Zauber des Parks. Ich kann verstehen, dass Annette viele ihrer frühen Verse hier in der Stille entstehen ließ. 

 

Ich verlasse wieder Park und Burg. Annettes Stimme klingt noch nach, vielleicht bis in meine Texte …