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Am königlichen Hof

Informationen

Literaturangabe:

Voltaire
Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Herrn de Voltaire, aufgezeichnet von ihm selbst. Deutsch von Hans Balzer, Berlin 1958

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Am königlichen Hof

Am königlichen Hof

Als ich in Berlin eintraf, gab mir der König Wohnung in seinem Schloß, wie er es bei meinen vorhergehenden Reisen getan hatte. Er führte in Potsdam das Leben, das er seit seiner Thronbesteigung stets geführt hat, und dieses Leben verdient, daß man auf seine Einzelheiten ein wenig näher eingeht.
Im Sommer pflegte er um fünf Uhr morgens aufzustehen und im Winter um sechs Uhr. Wenn man mich fragen sollte, wie sich die Zeremonien der Morgenaufwartung beim König vollzogen, wer dabei zugegen war und welche Verrichtungen bei diesem Anlaß seinem Großalmosenier, seinem Ersten Kammerherrn, seinem Ersten Kammerjunker und seinen Türhütern zufielen, so würde ich antworten: Es kam lediglich ein Lakai, um beim König Feuer anzumachen, ihn anzukleiden und zu rasieren; überdies kleidete er sich fast ganz allein an. Sein Zimmer war recht hübsch: ein kostbares Geländer aus silbernen, mit sehr gut geschnitzten kleinen Amoretten verzierten Säulen umgab eine Estrade, auf der ein Bett hinter den Vorhängen, die man da sah, zu stehen schien; aber hinter den Vorhängen stand statt eines Bettes, ein Bücherschrank, denn der König schlief auf einem hinter einem Wandschirm verborgenen Feldbett mit dünner Matratze. Marcus Aurelius und Julianus, seine beiden Apostel und die bedeutendsten Männer des Stoizismus, haben nachts nicht härter gelegen als er.
Wenn Seine Majestät angekleidet war und die Stiefel angezogen hatte, widmete der Stoiker einige Augenblicke den Anhängern Epikurs. Er ließ zwei oder drei Günstlinge kommen, Leutnants seines Regiments, Pagen, Heiducken oder junge Kadetten, und nahm mit ihnen den Kaffee. Derjenige, dem er ein Taschentuch zuwarf, blieb ein kleines Viertelstündchen mit ihm allein. In Anbetracht dessen, daß der Fürst zu Lebzeiten seines Vaters bei seinen flüchtigen Lebensabenteuern sehr schlecht gefahren war und nicht weniger schlecht geheilt wurde, kam es dabei nicht zum Alleräußersten. Er konnte nicht die erste Rolle spielen und mußte sich mit der zweiten begnügen.
Wenn diese Schuljungenvergnügen beendet, so kamen die Staatsgeschäfte an die Reihe. Sein Premierminister kam mit einem dicken Aktenbündel unter dem Arm über eine Geheimtreppe. Dieser Premierminister war ein Schreiber, der im zweiten Stockwerk von Fredersdorfs Haus wohnte, dem Haus jenes Soldaten, der Kammerdiener und Günstling geworden war und der einst den König als Gefangenen auf der Festung Küstrin bedient hatte. Die Staatssekretäre übersandten alle ihre Zuschriften dem Schreiben des Königs. Er brachte Auszüge davon mit, und der König ließ in zwei Worten am Rande vermerken, was zu antworten sei. Alle Angelegenheit den Königreichs ließen sich so in einer Stunde erledigen. Selten trugen ihm die Staatssekretäre oder die verantwortlichen Minister etwas vor. Ja es hat sogar welche unter ihnen gegeben, mit denen er nie gesprochen hat. Sein Vater, der König, hatte eine solche Ordnung im Finanzwesen geschaffen, alles wurde so militärisch ausgeführt, und es herrschte so blinder Gehorsam, daß vierhundert Meilen Land verwaltet wurden wie eine Abtei.
Gegen elf Uhr nahm der König in Stiefeln die Besichtigung seines Garderegiments in seinem Park vor, und zur gleichen Stunde taten alle Obersten in allen Provinzen das gleiche. Zwischen der Parade und der Hauptmahlzeit speisten seine Brüder, Prinzen, die Generäle und ein oder zwei Kammerherren an seiner Tafel; die war so gut bestellt, wie sie es in einer Gegend sein konnte, wo es weder Wildbret noch leidliches Schlachtvieh, noch Masthühner gab und wo man den Weißen aus Magdeburg beziehen mußte.
Nach der Mahlzeit zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück und verfaßte Verse bis fünf oder sechs Uhr. Dann kam ein junger Mann namens d?Arget, der Vorleser des Königs und vormals Sekretär bei Valori, dem französischen Gesandten. Um sieben Uhr begann ein kleines Konzert; der König spielte dabei die Flöte ebensogut wie der beste Künstler. Oft trugen die Musizierenden seine eigenen Kompositionen vor, denn es gab keine Kunst, die er nicht betrieb; und bei den Griechen hätte er nicht die Kränkung hinzunehmen brauchen, die Epaminodas einzustecken hatte, als er zugeben mußte, daß er nichts von Musik verstehe.
Das Souper wurde in einem kleinen Saal eingenommen, dessen sonderbarster Schmuck aus einem Bild bestand, zu dem er seinem Maler Pesne, einem unserer besten Koloristen, die Anregung gegeben hatte. Es war ein schönes priapeisches Gemälde. Man sah Frauen umarmende Männer, Nymphen unter Satyrn, Amoretten, die das Spiel des Eukolpios und des Giton spielten, etliche Leute, die beim Anblick dieser Kämpfe vor Wonne vergingen, schnäbelnde Turteltauben, Böcke, die Ziegen und Widder, die Mutterschafe besprangen.
Die Mahlzeiten waren oft nicht weniger philosophisch. Wenn jemand unvermutet dazugekommen wäre, unseren Gesprächen gelauscht und dabei dieses Gemälde gesehen hätte, so würde er geglaubt haben, die Sieben Weisen Griechenlands im Freudenhaus zu hören. An keinem Ort der Welt ist wohl je so frei über allen Aberglauben der Menschen gesprochen und dieser mit mehr Spott und Verachtung abgetan worden. Gott selbst wurde nicht angetastet, aber allen denjenigen, die in seinem Namen die Menschen betrogen hatten, ließ man keine Schonung widerfahren.
Weder Frauen noch Priester betraten jemals das Schloß. Mit einem Wort, Friedrich lebte ohne Hof, ohne Ministerrat und ohne Kult.

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