Der alte Schloßhauptmann in Wiesenburg
Der alte Schloßhauptmann in Wiesenburg
Graf Benno Friedrich Brand zu Lindau auf Wiesenburg hatte um 1600 den berühmten niederländischen Bildhauer Alexander Colins nach Wiesenburg kommen lassen, der ihm sein Schloß umbauen sollte. Der alte Schloßhauptmann Mende haßte alles Neue. Seine alte Feste war ihm in 74 Jahren treuen Diensten so an das Herz gewachsen, daß er jede neumodische Veränderung aus tiefster Seele verachtete. Als nun sein Herr den fremden Bildhauer, der noch dazu so einen scheußlichen niederdeutschen Dialekt sprach, von einer Reise nach Süddeutschland mit heimbrachte und sich dieser daranmachte, die alten ehrwürdigen Fassaden der Burg mit albernem Zierwerk zu versehen, erfaßte ihn eine tiefe Abneigung gegen Colins.
Es war in einer regnerischen Nacht gewesen, als Colins von einer Wanderung aus Wittenberg heimkehrte und Einlaß in die Burg verlangte. Da der gehässige Mende die Zugbrücke aber nicht herunterließ, war der Bildhauer gezwungen, im Schatten der alten Häuser, die das äußere Tor begrenzten, den Morgen zu erwarten. Weil er den Grund seines Ausschlusses kannte, beschloß er, sich auf lustige Weise an dem alten Bärbeißer zu rächen. Bei dem langen Warten vor der Burg fiel es ihm auf, daß eine hübsche Verzierung auf der Spitze des Tores sich recht gut ausnehmen würde. Und so modellierte er denn am anderen Tag die Figur, die noch heute auf dem Torbogen steht, der deshalb im Volksmunde das "Männeken-Tor" genannt wird. Es wird weiter erzählt, daß der alte Hauptmann vor Wut über seine Karikatur einen Schlaganfall bekommen, der ihm bald ein Ende bereitet habe.