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Der Kaiser. Eine Betrachtung

Informationen

Literaturangabe:

Rathenau, Walther
Gesammelte Schriften, Band 6: Schriften aus Kriegs- und Nachkriegszeit, Berlin 1929

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Der Kaiser. Eine Betrachtung

Der Kaiser. Eine Betrachtung (1919)

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Wer waren die Leute, die sich um jeden königlichen Aufzug drängten und Vivat schrien? Es mögen manche dabei gewesen sein, die sich heute mit roten Bändern schmücken.
Wer waren die, die am 1. August 1914 jubelten? Es waren so gut wie alle.
Wer waren die, die zweimal wöchentlich flaggten, auf den Untergang der Lusitania tranken, dem Unterseekrieg zustimmten, über jede Kriegserklärung scherzten? Es waren manche gute Sozialisten darunter.
Das sind keine Vorwürfe, sondern Erinnerungen. Erinnerungen daran, wie tief das monarchisch-militärische Bewußtsein in den Massen saß. Es sitzt heute noch darin, nur trägt es andere Namen und Formen. Denn das Gefühl ererbter Autoritätsgläubigkeit und Abhängigkeit verliert sich nicht vom Sonnabend auf den Sonntag.
Bismarck glaubte nicht an das Nationalgefühl der Deutschen, und es waren in unseren dunklen Zeiten Augenblicke, die ihm recht gaben. Er glaubte jedoch an das dynastische Gefühl.
Was ist das?
Nimmt man es von seiner besten Seite - ein starkes Zugeständnis -, so ist es die Anhänglichkeit an den angestammten Herrn, in dem man den Ausbund des nationalen Wesens, den Ausdruck des nationalen Charakters sieht.
Der deutsche Dynast ist der deutscheste Mann, in dessen Zügen jeder sein eigenes Bild gesteigert wiederfindet, die Landesmutter ist die verklärte Frau.
Es ist nicht der römische, der englische Gedanke: Diesen Mann haben wir aus freiem Willen, aus nationaler Stärke so hoch gestellt, daß wir in ihm den Ausdruck unseres majestätischen Willens verehren. Es ist das kindlich vertrauliche Gefühl: Hier ist uns vom himmlischen ein irdischer Vater gegeben, der uns ein Vorbild ist und dem wir gehorchen. Er wird dermaleinst auch im Jenseits, in allerhöchster Seligkeit unser Herr sein.
Dem Germanentum war diese Weichheit fremd; sie hatten Herzöge und selbstgewählte Könige.

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Dennoch hatte diese Gefühlsordnung vor Zeiten ihren Wahrheitswert: von den Fürsten der Reformation bis zu den Fürsten der Aufklärung.
Ein spärliches Stadtvolk, ein bildungsloses, gutartiges Landvolk wurde nach Art eines Gutsbezirks väterlich verwaltet. Die Interessen des Besitzers - so muß man ihn nennen - und seines anvertrauten Gesindes waren schlechterdings gleichgerichtet; mit bekannten Ausnahmen, wo der Herr nach Versailles schielte, Schlösser baute, Schulden machte und einen Teil seines lebenden Inventars verkaufen mußte.
Sinnlos wurde der Gedanke mit dem Aufkommen der Verwaltungsstaaten und der Millionenreiche. Wie sollte hausväterlicher Wille durch die tausendfache Übertragung des Verwaltungsapparates auf den Untertan wirken? Wie sollte das Landeskind hinter dem Beamtenmechanismus in Meilenferne den allbewegenden Vater erkennen?
Hier trennten sich die Wege. Politisch entwickelte Nationen schritten entschlossen zur Republik und repräsentativen Monarchie, die mittleren und östlichen Staaten begnügten sich mit den äußeren Formen der Konstitution als Verkleidung militaristisch-feudaler Dynastie. Im offensichtlichen Interessengegensatz und Kampf zwischen Volk und Herrscherhaus wurde die patriarchalische Obmacht und ihr frommer Gefühlsausdruck gewaltsam erhalten.
Für die herrschende Schicht, die ihren Bestand der Monarchie verdankte, die daher in der Person des Monarchen, im engsten Sinne und leider mit Recht, einen der ihren sah, für diese Schicht behielt das dynastische Gefühl seinen Wahrheitswert, durchsetzt freilich mit Interessen. Für die beherrschte Schicht wurde dies Gefühl, aufgedrungen und eingetrichtert durch Schule, Kirche und Instruktionsstunde, zur ungeprüften Konvention und tiefen inneren Unwahrheit.
Doch reichte es aus, einmal den Monarchen selbst, sofern er nicht von großer Freiheit der Auffassung war, vollkommen zu umnebeln; sodann den ganzen Tatbestand des Dynastentums unter dem Schutze der Sitte und Gesetzgebung undurchdringlich zu verdunkeln.
Schmachvoll war hier wie überall die Haltung des Großbürgertums, das, durch Beziehungen und Vergünstigungen preiswert bestochen, seinen Vorteil im Ankriechen an die herrschende Schicht und in der Lobpreisung des Bestehenden suchte. Die geistige Verräterei des Großbürgertums, das seine Abkunft und Verantwortung verleugnete, das um den Preis des Reserveleutnants, des Korpsstudenten, des Regierungsassessors, des Adelsprädikats, des Herrenhaussitzes und des Kommerzienrats die Quellen der Demokratie nicht nur verstopfte, sondern vergiftete, das feil, feig und feist durch sein Werkzeug, die nationalliberale Partei, das Schicksal
Deutschlands zugunsten der Reaktion entscheiden ließ : diese Verräterei hat Deutschland zerstört, hat die Monarchie zerstört und uns vor allen Völkern verächtlich gemacht. Einer der tragischen Züge des Kaisers war, daß er dieses Großbürgertum lieben mußte, so wie er alles lieben mußte, was ihm tödlich war, und alles verfolgen, was ihn hätte retten können.

[Walther Rathenau (1867-1922) war als deutscher Außenminister im April 1922 maßgeblich am Zustandekommen des Rapallo-Vertrags beteiligt, der nach dem Ersten Weltkrieg einen Ausgleich mit Rußland ermöglichte. Noch im gleichen Jahr wurde er von Rechtsextremisten ermordet. Rathenau nutzte das Schloß im heutigen Bad Freienwalde nach 1909 als Sommersitz.]

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