Hier finden Sie alles rund
um die Literatur Berlins
und Brandenburgs:
Institutionen, Archive,
Bibliotheken, Gedenkstätten,
aber auch heimische Sagen,
Eindrücke klassischer Autoren,
und einen kleinen literatur-
geschichtlichen Überblick.

Der «Tote Mann»

Informationen

Literaturangabe:

Schmidt, Rudolf
Märkisches Sagenbuch, Charlottenburg 1909

zurück

Der «Tote Mann»

Der "Tote Mann"

Vor mehr als hundert Jahren kam ein jüdischer Handelsmann mit einem "Buttchen" auf dem Rücken von Parlow her die Straße entlang, die jetzt am Schützenhaus vorüber nach Joachimsthal führt. Bunte Seidentücher, welche die Mädchen gern tragen, und andere schöne Sachen, die er in der Stadt und in Grimnitz verkaufen wollte, trug er bei sich. Im dichten Wald, etwa eine Viertelstunde vom Schützenhaus, begegneten ihm zwei junge Burschen von der Plantage; sie schlugen ihn nieder und durchwühlten seine Taschen und Kästen nach Geld; doch nur drei Pfennige fielen ihnen zur Beute. Daher raubten sie sein Warenpäckchen aus und nahmen vor allem die schönen bunten Seidentücher an sich, welche sie ihren Bräuten schenkten, die in Grimnitz dienten. Die putzten sich damit und stolzierten die Straße auf und ab. Dadurch kam aber die Sache heraus; die Burschen wurden zum Tod verurteilt und auf dem Galgenberg hinter dem Schützenhause gehängt. Doch an der Stelle, wo der arme " Buttchenträger" erschlagen worden war, häuften Vorübergehende, um die Stelle zu bezeichnen, Reisigzweige, besonders vom Wacholder, der dort wächst, und tief in die Rinde einer danebenstehenden hohen Kiefer schnitt man ein Kreuz. Jedermann kannte nun die Stelle, die man den Totschlag oder den "Toten Mann" nannte, und warf, wenn er des Weges kam, sein Zweiglein auf den Haufen. Bald war der Hügel groß, bald war er klein, und zuweilen zündete man ihn wohl an und ließ ihn niederbrennen. Bei solcher Gelegenheit kam auch die Kiefer mit dem Kreuz zu Schaden, und darum steht sie heute nicht mehr da. Im Lauf der Jahre hat mancher die alte Geschichte und den Brauch vergessen, und da auch die Zahl der Juden m Joachimsthal, wie es heißt, abgenommen hat, ist der Reisighaufen niedriger geworden. Zuweilen war er schon ganz fort, doch er entsteht immer wieder und ist bald klein, bald groß. Andere erzählen, es handele sich um Schwedenkreuze, die einst an derselben Stelle standen. Dort erschlug, wie es heißt, im Dreißigjährigen Krieg ein schwedischer Offizier einen Magister aus Joachimsthal, den die schöne Tochter des Heidereuters gegen ihren Willen ehelichen sollte. Das Mädchen aber zog mit dem Offizier fort. Als aber nach Jahren an demselben Ort ein Treffen zwischen Kaiserlichen und Schweden stattfand, sah man nach dem Kampf am Waldesrand ein junges bleiches Weib sitzen; das hielt das blutüberströmte Haupt eines schwedischen Obristen im Schoß. Es war des Heidereuters Tochter, und neben dem Magister fand der Schwede sein Grab. Als aber die Holzkreuze, die man auf die beiden Gräber gesetzt hatte, zerfielen, häufte man Reisigzweige darüber.

1

Schriftsteller mit Bezug zum Text

2

Orte mit Bezug zum Text