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Die erste Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam

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Die erste Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam

Die erste Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam

Mit Frau und Sohn stand Bauer Marten
zwei Stunden schon in seinem Garten:
der erste Zug der neuen Bahn
Berlin nach Potsdam mußte nahn.
In seinem Sinn denkt Bauer Marten:
hier kann ich tagelang noch warten.
Von selber sollen Wagen laufen?
Ich laß´ mich nicht für dumm verkaufen,
Doch Fritz, sein siebenjähr´ger Sprosse,
meint doch: es geht auch ohne Rosse.
Als Junge glaubt er noch an Wunder,
an Zaubrer, Riesen, sonstigen Plunder.
Das Warten nur will nicht behagen,
und unaufhörlich geht sein Fragen:
?Du, Vater, will er noch nicht kommen,
hat ihn auch keiner fortgenommen?
Wer sitzt denn drauf; wird er geschoben,
wird er getragen, wird gehoben?
Du, Vater, kann ich auch mitfahren,-
kann man von ihm noch nichts gewahren??

Da endlich sehn sie in der Ferne
so groß etwa wie Kirschenkerne,
ein Etwas aus der Erde tauchen
und wie ein Schornstein mächtig rauchen.
Das wächst und wächst, wird immer größer,
kommt nah und näher, wie ein Stößer.
Jetzt hörn sie´s rumpeln, rasseln, rattern
und zischen, prusten, heftig knattern.
Dem Bauern sträuben sich die Haare:
?Kiek, Mutter, kiek! Uns Gott bewahre!
Das ist ja wohl ein Ungeheuer.
Kiek nur, jetzt speit es Rauch und Feuer.?
Und Mutter klammert sich an Marten:
"Man schnell, man schnell, raus aus dem Garten!
Das Ding wird uns lebendig fressen,
und mir verbrennt mein ganzes Essen.?

Da ist das Unding schon vor ihnen;
Fritz denkt nur noch: es frißt die Schienen.
Jetzt pfeift es schrill, fängt an zu zischen,
mit Rauch sich weiße Wolken mischen.
Dem Bauern zittern alle Glieder;
vor Schreck reißt seine Frau ihn nieder.
Indessen die Eltern am Boden liegen,
quietscht Fritze hell auf vor Vergnügen.

Und Marten, als der Zug verschwunden,
hat seine Angst auch überwunden.
Doch wie er wagt den Kopf zu heben,
umfaßt ihn seine Frau mit Beben:
?Ach, Mann, mir ist es gar kein Zweifel,
das Untier war bestimmt der Teufel.
Bist du noch heil? Mir sind gebrochen
von Kopf bis Füßen alle Knochen.?
?I, Mutter, nee! Laß doch mal sehen,
ich glaube wohl, ich kann noch stehen.?
Er stellt sich langsam auf die Beine
und hebt mit Mühe erst das eine
nach vorn, das andere nach hinten,
kann aber keinen Beinbruch finden.
Da kriecht auch Mutter in die Höhe,
- sie tut es zwar mit Ach und Wehe
doch merkt sie bald: es geht schon wieder,
und reckt mit Vorsicht alle Glieder.
Sie denkt wohl immer noch an sterben,
dann plötzlich auch an ihren Erben.
?Ach Vater, wo ist denn der Junge??
- Der Schreck lähmt ihr beinah die Zunge -
?Na, Mutter, kiek! Da steht der Fritze
und schwenkt wie´n Wilder seine Mütze.
Der Bengel ist ja rein besessen
und hat uns ganz und gar vergessen.
Den soll doch gleich der Deubel holen!?
?Pst, Vater, fluch? nicht - Gott befohlen!?

[Die erste Teilstrecke der "Berlin-Potsdamer Eisenbahn" zwischen Zehlendorf und Potsdam wurde am 21. 9. 1838 eröffnet. In der Ankündigung diese Ereignisses wurde "zur Erhaltung der Ordnung [...] ein geehrtes Publikum dringend ersucht, den Gesellschafts-Beamten in der Ausübung ihres Dienstes durch williges Gehörgeben behülflich zu werden". Als Fahrtzeiten sind "einstweilen bis auf weiteres die Abgangszeit von Potsdam täglich Vormittags 8 und Nachmittags 2 Uhr, von Zehlendorff Vormittags 10 und Nachmittags 4 Uhr" festgesetzt worden. Der Schriftsteller Ludwig Rellstab schrieb in der "Vossischen Zeitung" vom 21. 9. 1838 über die Eröffnung am gleichen Tag: "Ein schneidendes Pfeifen gab das Signal zur Abfahrt. Sie begann in langsamem Tempo, wuchs aber mit jeder Sekunde, bis sie jene rapide Schnelligkeit erreicht hatte, wodurch die Eisenbahnen ihren so glänzenden Sieg über alle sonstigen Mittel des Fortkommens erfechten. Einige Reiter versuchten eine Zeit lang den Wagenzug zu begleiten, doch schon nach wenigen Minuten konnten die erschöpften Pferde nicht mehr in gleicher Schnelligkeit folgen". Die Gesamtstrecke wurde am 30. 10. 1939 eröffnet.]

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