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Die Katte-Tragödie

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Literaturangabe:

Fontane, Theodor
Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Das Oderland, Berlin 1863

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Die Katte-Tragödie

Die Katte-Tragödie

Stadt und Festung Küstrin haben eine fünfhundertjährige Geschichte, die zu skizzieren ich in vorstehendem bemüht gewesen bin. Nur über einen Tag innerhalb dieses langen Zeitabschnitts: über den 6. November 1730, an dem das Haupt Kattes auf Bastion Brandenburg fiel, bin ich hinweggegangen. Und doch wiegt dieser Tag schwerer als die Gesamtsumme dessen, was vorher und nachher an dieser Stelle geschah, und mag als das Gegenstück zu dem 18. Juni 1675 gelten, zu dem "Tage von Fehrbellin". Mit diesen beiden Tagen, dem heiteren 18. Juni und dem finsteren 6. November, beginnt unsere Großgeschichte. Aber der 6. November ist der größere Tag, denn er veranschaulicht in erschütternder Weise jene moralische Kraft, aus der dieses Land, dieses gleich sehr zu hassende und zu liebende Preußen, erwuchs.

Es gibt kaum einen Abschnitt in unserer Historie, der öfter behandelt worden wäre als die Katte-Tragödie. Aber so viele Schilderungen mir vorschweben, das Ereignis selbst ist bisher immer nur auf den Kronprinzen Friedrich hin angesehen worden. Oder wenigstens vorzugsweise. Und doch ist der eigentliche Mittelpunkt dieser Tragödie nicht Friedrich, sondern Katte. Er ist der Held, und er bezahlt die Schuld.

Es ist meine Absicht, in nachstehendem dem die Ehre zu geben, dem sie gebührt.

Und hierin wird sich meine Darstellung von der anderer nicht unwesentlich unterscheiden, indem sie sich eigens vorsetzt, von allem, was auf den Kronprinzen Fritz Bezug nimmt, nur das Unerläßliche zu geben, nur soviel, wie zum Verständnis des Ganzen überhaupt erforderlich ist. Das ist zunächst, als Grundlage der ganzen Tragödie:


Der Fluchtversuch des Kronprinzen

Schon im November 1729 hatte der Kronprinz vorgehabt, "weil Dero Herr Vater immer ungnädiger auf ihn geworden", außer Landes zu gehen, und seitens des ins Vertrauen gezogenen Lieutenants von Keith, der damals Pagendienste beim Könige tat, waren einleitende Schritte geschehen, um die Flucht ins Werk zu setzen. Aber man stand schließlich von der Ausführung ab und nahm den Plan erst, nachdem auch ein Entweichen aus dem sächsischen Lager bei Mühlberg im Mai 1730 gescheitert war, im Juli letztgenannten Jahres wieder auf.

Um diese Zeit hatte der König eine Reise nach dem Ansbachschen hin angetreten, die bis an den Ober- und Unterrhein ausgedehnt werden sollte. In seiner Begleitung befand sich wie gewöhnlich der Kronprinz, dem noch im Momente der Abreise, seitens des inzwischen als Günstling an die Stelle des von Keith getretenen Lieutenants von Katte, aufs dringendste angeraten worden war: seine Flucht nicht von Süddeutschland, sondern lieber erst von Wesel aus zu bewerkstelligen, von welcher Grenzfestung aus er am leichtesten und schnellsten über Holland nach England gelangen könne. Diese Mahnung wurde später schriftlich wiederholt, und zwar in einem Briefe, den der in Berlin zurückgebliebene von Katte nach Ansbach hin richtete. Aber dem Kronprinzen brannte bereits der Boden unter den Füßen, und er antwortete: "daß er so lange nicht zu warten, vielmehr von Sinsheim aus (bei Mannheim) fortzugehen gedenke. Katte solle nachkommen und ihn, den Kronprinzen, im Haag unter dem Namen Comte d´Alberville erfragen. Mißlänge die Flucht, so wolle er in einem Kloster Zuflucht suchen, wo man unter Skapulier und Kutte den argen Ketzer nicht entdecken werde." Dieser der Post anvertraute Brief wurde verhängnisvoll. Auf seiner Adresse, die "An den Lieutenant von Katte, über Erlangen, Berlin" hätte lauten sollen, vergaß der in begreiflicher Hast und Erregung schreibende Kronprinz die Hinzufügung des Wortes "Berlin", und so gelangte das Schreiben nur bis Erlangen, wo der Postmeister in Verlegenheit geriet, was damit anzufangen sei. Da sich zufällig ein Rittmeister von Katte, ein Vetter des Lieutenants, als Werbeoffizier am Orte befand, so hielt er es für das Geratenste, diesem den Brief einzuhändigen. Der Rittmeister von Katte aber, als er von dem Inhalte Kenntnis genommen, konnte sich seinerseits nicht der Pflicht entziehen, den Brief durch einen Courier an den König zu schicken.

Dieser war mittlerweile (am 31.) von Ansbach aufgebrochen und ging über Öttingen, Ludwigsburg und Heilbronn auf Sinsheim zu. Da letzterer Ort, sehr gegen den Wunsch und Willen des Königs, am 4. August nicht mehr erreicht werden konnte, so bequemte man sich, in dem zwei Stunden vorher gelegenen Dorfe Steinsfurth die Nacht in einer Scheune zuzubringen. Für die Pläne des Kronprinzen indes machte Steinsfurth oder Sinsheim keinen Unterschied, und so beschloß er, in selbiger Nacht noch seine Flucht von diesem Dorf aus ins Werk zu setzen. Um zwei Uhr erhob er sich, kleidete sich in einen roten Roquelaure, der zu diesem Behuf eigens angefertigt war, und ging auf die Dorfstraße hinaus, wohin er den Pagen Keith (einen jüngeren Bruder des früher genannten) mit Pferden bestellt hatte.

Alles dieses war aber von dem Kammerdiener Gummersbach bemerkt worden, der nicht säumte, den mit der Beobachtung des Kronprinzen speziell betrauten Oberstlieutenant von Rochow zu wecken. Dieser sowie Generalmajor von Buddenbrock und die Obersten von Waldow und von Derschau folgten dem Kronprinzen auf die Dorfgasse und fanden ihn hier an eine Wagendeichsel gelehnt, immer noch auf Keith und die Pferde wartend. Die Obersten, über seine Kleidung erstaunt, baten ihn, die Uniform wieder anzulegen, ehe ihn der König in diesem Aufzuge sähe. Aber eben jetzt brachte Keith die Pferde, und Friedrich schickte sich ohne weiteres an, sich in den Sattel zu werfen und davonzureiten. Nur mit Mühe gelang es den Obersten, ihn in die Scheune zurückzunötigen.

Derschau hinterbrachte das Vorgefallene dem Könige, der sich zunächst ? weil es noch an eigentlichen Schuldbeweisen fehlte ? gegen den Kronprinzen wie gewöhnlich zeigte. Auch in den folgenden Tagen noch, während welcher die Reise sich über Mannheim und Darmstadt fortsetzte. Nur in Darmstadt, am 6. August, konnte der König mit einer spöttischen Bemerkung gegen den Prinzen nicht zurückhalten. "Er wundre sich, ihn noch hier zu sehen; er habe ihn bereits in Paris vermutet."

Und so blieb es bis zum 8. früh.

Am Abend vorher hatte man Frankfurt am Main erreicht, allwo der vom Rittmeister von Katte nachgesandte Courier dem Könige den vorerwähnten kompromittierenden Brief einhändigte. Durch diesen Brief war der Schuldbeweis gegeben, und der lange zurückgehaltene Zorn brach jetzt hervor. Das erste Zusammentreffen zwischen Vater und Sohn fand am Morgen des 8. auf einem Rheinboot statt, das für die Stromfahrt nach Wesel bestimmt war. Als der Kronprinz das Schiff betrat, stürzte sich der König auf ihn und schlug ihn, bis ihn der Oberst von Waldow durch sein Zwischentreten befreite und auf ein anderes bereitliegendes Schiff brachte.

Die Reise ging nun rheinabwärts. Am 10. war man in Bonn, am 11. in Wesel. Der "Arrestant" ward am Ufer von dem Oberstlieutenant von Borcke mit einem starken Kommando in Empfang genommen und in die Festung gebracht. Am anderen Morgen, den 12., erfolgte seine Vorführung vor den König.

"Warum habt Ihr entweichen wollen?"

"Weil Sie mich nicht wie Ihren Sohn, sondern wie einen gemeinen Sklaven behandelt haben."

"Ihr seid nichts als ein feiger Deserteur, der keine Ehre hat."

"Ich habe soviel Ehre wie Sie, und ich habe nichts getan, was Sie an meiner Stelle nicht auch getan hätten."

Bei diesen Worten zog der König den Degen und wollte den Prinzen erstechen. Aber der tapfere Kommandant, Generalmajor von der Mosel, warf sich dazwischen und sagte: "Sire, durchbohren Sie mich, aber schonen Sie Ihres Sohnes."

Einige Tage nachher empfingen die mehrgenannten Obersten den Befehl, den Kronprinzen unter sicherer Bedeckung von Wesel nach Treuenbrietzen zu schaffen. Schon vorher (ebenfalls am 12.) hatte der König folgende Zeilen an die Oberhofmeisterin der Königin gerichtet: "Meine liebe Frau von Kameke. Fritz hat desertieren wollen. Ich habe mich genötigt gesehen, ihn arretieren zu lassen; ich bitte Sie, auf eine gute Art meine Frau davon zu unterrichten, damit solche Neuigkeit dieselbe nicht erschrecke. Übrigens beklagen Sie einen unglücklichen Vater. F. W."

Die Überführung des Kronprinzen erfolgte der Ordre des Königs gemäß. Wann er in Treuenbrietzen eintraf, ist nicht genau ersichtlich. Am 29. August wurde Generalmajor von Buddenbrock angewiesen, ihn von Treuenbrietzen nach Mittenwalde zu schaffen.

Aber auch Mittenwalde war nur Etappe, von der aus sein Weitertransport nach Küstrin am 4. September erfolgte. Tags darauf (am 5.) bezog er ein Arrestzimmer im zweiten Stocke des alten Küstriner Schlosses.


Von Katte vor dem König

Am 15. August wußte der in Berlin zurückgebliebene Grumbkow von dem Fluchtversuche des Kronprinzen, und am folgenden Tage war es in der Stadt herum. Gleichzeitig mit der Nachricht an Grumbkow war auch bei dem Feldmarschall von Natzmer der Befehl eingetroffen: "den Lieutenant von Katte vom Regiment Gensdarmes verhaften und auf die Wache seines Regiments abführen zu lassen".

Kein Zweifel, daß Katte, wenn er nur für seine Person besorgt gewesen wäre, vollauf Zeit gehabt hätte, sich zu retten; das ergibt sich aus den verschiedensten Angaben. Alles befleißigte sich, ihn zu warnen, und ein von Asseburg, der ihm begegnete, rief ihm zu: "Was, Katte, Sie noch hier!" Ja, man ging weiter und schob seine Verhaftung um mehrere Stunden hinaus. So wenigstens stellt es die Prinzessin Wilhelmine, die spätere Markgräfin von Bayreuth, in ihren Memoiren dar. "Der uns zugetane dänische Gesandte von Löwenör", so schreibt sie, "hatte gehört, was sich gegen Katte vorbereitete. Sofort schrieb er an ihn und riet ihm, aufs schnellste abzureisen, weil er unstreitig arretiert werden würde. Katte bat sich infolge dieser Benachrichtigung einen ?kurzen Urlaub? aus, der ihm ? da sein Regimentskommandeur, Oberst von Pannewitz, von den umlaufenden Gerüchten zu jener Stunde noch nichts gehört haben mochte ? auch ohne weiteres bewilligt wurde. Und so war denn eine vorzügliche Gelegenheit zur Flucht gegeben. Aber Katte sah sich verhindert, unmittelbaren Gebrauch davon zu machen, weil ein Sattel, in dem er Geld und Wertsachen zu verbergen vorhatte, leider noch nicht fertig war. So verging Zeit. Diese wandte er an, um alle Papiere zu verbrennen. Das war gut. Und nun endlich kam das Pferd, der Sattel war da, und er wollt es eben besteigen, als der Feldmarschall von Natzmer (in Wahrheit war es der vorgenannte Oberst von Pannewitz) erschien, um ihn im Namen des Königs zu verhaften. Katte übergab ihm, ohne die Farbe zu wechseln, den Degen und wurde sogleich auf die Wache des Regiments abgeführt. Man legte all seine Sachen in Gegenwart des Feldmarschalls ? der betretener als sein Gefangener schien ? unter Siegel. Der alte Herr hatte länger als drei Stunden mit Ausführung des königlichen Befehls gezögert und war sehr böse, Katten noch vorzufinden."

So die Markgräfin in einer durch die ganzen Memoiren sich hinziehenden Mischung von Falschem und Richtigem. Übrigens wird, von Namensverwechselungen und ähnlichen kleinen Irrtümern ganz abgesehen, auch das, was Katte den rechten Augenblick zur Flucht versäumen ließ, von verschiedenen Personen sehr verschieden angegeben. Friedrich II. selbst soll später zu dem englischen Gesandten Sir Andrew Mitchell von einem "Liebesverhältnis" gesprochen und dieses als Grund der Versäumnis bezeichnet haben. Mir, offen gestanden, noch unwahrscheinlicher als der "verspätete Sattel". Nach dem Bilde, das ich aus der Lektüre der zeitgenössischen Aufzeichnungen gewonnen habe, liegen die Dinge viel natürlicher und namentlich viel ehrenvoller für Katte. Er war einfach mit Aufträgen und Verpflichtungen überbürdet, indem er, wie schon angedeutet, nicht bloß an sich, sondern vor allem auch an den Kronprinzen, an die Königin und die Prinzessin Wilhelmine zu denken hatte. Und so glaube ich ihm nur gerecht zu werden, wenn ich ihn als ein Opfer seiner ritterlichen Gesinnung hinstelle, der er denn auch ? was im übrigen immer seine Fehler gewesen sein mögen ? bis zum letzten Atemzuge treu geblieben ist.

Aber kehren wir zu den Ereignissen selbst zurück.

Am 27. war der König von Wesel her in Berlin eingetroffen und hatte schon zwei Stunden später den Arrestanten von Katte vorfordern lassen. Es war ein schwerer Gang. Die Prinzessin Wilhelmine stand an einem der hohen Fenster und sah den Unglücklichen über den Schloßplatz führen. "Er war bleich und entstellt", so schreibt sie, "nahm aber doch den Hut ab, um mich zu grüßen. Hinter ihm trug man die Koffer meines Bruders und die seinen, welche man weggenommen und versiegelt hatte. Gleich darauf erfuhr der König, dessen Empörung bis dahin sich gegen uns gerichtet hatte, daß Katte da sei. Und er verließ uns nun, um den Ausbrüchen seines Zorns ein neues Ziel zu geben."

Als Katte den Gefürchteten eintreten sah, warf er sich vor ihm nieder. Der König aber riß ihm das Johanniterkreuz vom Halse, mißhandelte ihn mit dem Stock und trat ihn mit Füßen. Alsdann befahl er dem schon vorher herbeigerufenen Generalauditeur Mylius, unverzüglich mit dem Verhör zu beginnen. Katte bewies eine Standhaftigkeit, die den König in Verwunderung setzte, und gestand nur ein, von der Flucht des Kronprinzen gewußt und die Absicht, ihm zu folgen, gehabt zu haben. Auf die Frage jedoch, "an welchen Hof der Prinz sich habe begeben wollen", antwortete er, "das wisse er nicht". Und danach wurde er in die Gensdarmenwache zurückgebracht.

Während der Septemberwochen ? auch noch bis in den Oktober hinein ? folgte nunmehr Verhör auf Verhör, und als endlich mit Hülfe derselben ein ausgiebiges Material zur Anstrengung eines prozessualischen Verfahrens gesammelt war, wurde die Voruntersuchung geschlossen und ein Kriegsgericht, das über fünf Angeklagte, in erster Reihe aber über den Kronprinzen Fritz und den Lieutenant von Katte, zu befinden hatte, zusammenberufen.

Das Kriegsgericht zu Köpenick

Über dies Kriegsgericht und das durch dasselbe gefällte Urteil finden sich infolge regelmäßiger und oft ausschließlicher Benutzung der als Quelle dienenden Memoiren des Freiherrn von Pöllnitz und der Markgräfin von Bayreuth immer noch Irrtümer verbreitet, die den Ergebnissen einer strengeren historischen Forschung bis diesen Tag getrotzt haben. Es wird nötig sein, die betreffenden irrtümlichen Stellen aus den Memoiren der beiden Vorgenannten zunächst zu zitieren. So schreibt die Markgräfin: "Dönhoff und Linger stimmten für Pardon, aber die anderen, um dem Könige zu Willen zu sein, verurteilten den Kronprinzen und Katte zur Enthauptung." Und in Übereinstimmung damit heißt es bei Pöllnitz: "Weder der Kronprinz noch Katte waren persönlich zugegen. Nichtsdestoweniger wurden sie von dem Kriegsgerichte gerichtet und verurteilt, den Kopf zu verlieren." Diese beiden Stellen sind in unzählige volkstümliche Geschichts- und Nachschlagebücher übergegangen, während umgekehrt das Wort "Tod" von seiten des Kriegsgerichts nicht gesprochen worden ist. Die dasselbe bildenden oder, richtiger, die innerhalb desselben den Ausschlag gebenden Männer fällten vielmehr über den Kronprinzen, "weil er jenseits ihrer Kompetenz läge", gar kein Urteil und verurteilten Katte zu lebenslänglicher Festungsstrafe. Dies ist kurz das Tatsächliche.

Foerster und Preuß, unter Benutzung reicher und zuverlässigerer Quellen, haben in ihren epochemachenden Werken die Dinge so gegeben, wie sie realiter liegen; aber auch ihnen scheint ein voller Einblick in die Details des Verfahrens gefehlt zu haben, und erst eine verhältnismäßig sehr neue Veröffentlichung (1861) ermöglicht einen solchen Einblick. Diese Veröffentlichung führt den Titel: "Vollständige Protokolle des Köpenicker Kriegsgerichts" und wurde durch Professor Danneil, den Vorstand des in der Propstei zu Salzwedel befindlichen Schulenburgschen Familienarchivs, veranstaltet. In einem kurzen Vorworte gibt der Herausgeber (Danneil) zunächst Auskunft darüber, wie dieser Protokollenschatz in das ihm unterstellte Familienarchiv gelangte. Einfach dadurch, daß ein Schulenburg, und zwar der Generallieutenant Achaz von der Schulenburg, der Vorsitzende des Köpenicker Kriegsgerichts war. "Alle diese Protokolle", heißt es dann weiter, "finden sich in Abschrift vor. Die Originale wurden dem König überreicht. Sämtliche Abschriften sind sehr sorgfältig und sicherlich auf Veranlassung des Generallieutenants von der Schulenburg selbst angefertigt worden. Ihre Orthographie, weil man sich an die Originale hielt, weicht hier und dort untereinander ab. Die von diesen Verhandlungen bisher allein bekannt gewordene Cabinetsordre vom 1. November 1730 (in der der König das nicht auf Tod lautende Urteil des Kriegsgerichts umstößt, um es seinerseits zu verschärfen) stimmt mit dem Abdruck derselben bei Preuß bis auf wenige unwesentliche Punkte überein."

Soweit Professor Danneil. Seiner wichtigen Veröffentlichung entnehme ich nunmehr das unmittelbar Folgende. Zunächst einige Daten, die, namentlich auch, was die abweichenden Zahlenangaben betrifft, auf Zuverlässigkeit Anspruch haben.

Unterm 22. Oktober wurde das Kriegsgericht von seiten des Königs ernannt. Es bestand aus fünfzehn Offizieren, die sich in fünf Ranggruppen sonderten.

Und zwar:

Generalmajor von Schwerin
Generalmajor von Dönhoff
Generalmajor von Linger

Oberst von Derschau
Oberst von Stedingk
Oberst von Wacholtz

Oberstlieutenant von Weyher
Oberstlieutenant von Schenck
Oberstlieutenant von Milagsheim

Major von Einsiedel
Major von Lestwitz
Major von Lüderitz

Capitain von Itzenplitz
Capitain von Pudewels
Capitain von Jeetze.

Am 27. Oktober traten diese fünfzehn Offiziere, aber zunächst noch in Gruppen gesondert, zu einer Vorberatung zusammen, um fünf schriftliche Separatvota abzugeben. Daran schloß sich als sechstes Separatvotum das des Vorsitzenden Achaz von der Schulenburg.

Der 28. war der Tag des eigentlichen Kriegsgerichts, an dem das Endurteil gefällt werden sollte und auch wirklich gefällt wurde. Dies Urteil in seiner ganzen weitgedehnten Motivierung hier zu bringen, verbietet der Raum, weshalb ich mich auf Wiedergabe des vorerwähnten Achaz von der Schulenburgschen Separatvotums beschränke. Dieses Separatvotum deckt sich inhaltlich mit dem kriegsgerichtlichen Spruch und mag deshalb in Vertretung desselben hier seine Stelle finden. Es lautete:

"Nach fleißiger und genauer Erwägung sämmtlicher dem General-Kriegs-Gericht vorgelegenen Akten finde ich, Praeses dieses Gerichtes, nach meinem Gewissen und abgestatteten Eyde mich verbunden

1. Was den Cron-Printzen betrifft, denen sämmtlichen dahin gehenden Votis beyzufallen, daß deßelben jetzige Sache nach ihren Umständen von einem Krieges-Recht nicht gesprochen werden könne, sondern Sr. K. M. zu überlassen sey, welchergestalt Sie deßen wiederholte wehmüthige Reu-Bezeugung, submission und Bitte als König und Vater in Gnaden anzusehen geruhen mögten.

2. So viel den Hans Hermann Katten anlanget, muß ich denjenigen Votis beistimmen, welche ewigen Vestungs-Arrest erkannt haben, Allermaaßen desselben sonst böser Raht und Anschläge, auch seine dem Cron-Printzen zur Flucht so offt versprochene und abgeredete Hülffe dennoch zu keinem Effect und Würcklichkeit gelanget. Aus meiner gesunden Vernunfft aber und vor mich ich nicht anders begreifen kann, als daß auch in denen größten Verbrechen ein sonderbahrer Unterschied zwischen wirklicher Vollziehung der vorgenommenen bösen That und zwischen denen dazu allererst genommenen Mesures seyn müsse, und eine Lebens Straffe zwar bey jener, nicht aber bey diesen stattfinden könne. Und da es in diesem Falle noch zu keiner wirklichen Desertion gekommen, so kann ich nach meinem besten Wißen und Gewißen, auch dem theuer geleisteten Richter-Eyde gemäß, den Katten mit keiner Lebens-Straffe, sondern mit ewigem Gefängniß zu belegen mich entschließen."

Am selbigen, spätestens an dem darauffolgenden Tage wurde das Urteil ? wahrscheinlich unter Beischluß der Separatvota ? dem zu Schloß Wusterhausen in finsterer Ungeduld wartenden König eingehändigt. Er war nicht befriedigt und sandte folgende Bemerkung zurück: "Sie sollen Recht sprechen und nit mit dem Flederwisch darübergehen. Das Kriegsgericht soll wieder zusammenkommen und anders sprechen."

Auf der Rückseite des Blattes stand von der Hand des Königs: "5. Buch Mose, Kap. 17, Vers 8 bis 12. Zweites Buch Samuelis, Kap. 18, Vers 10 bis 12. Zweites Buch Chronika, Kap. 19, Vers 5 bis 7." Im 5. Buch Moses heißt es an der Hauptstelle: "Und du sollst dich halten nach dem Gesetz, das sie dich lehren, und nach dem Recht, das sie dir sagen, daß du von demselben nicht abweichest, weder zur Rechten noch zur Linken."

Aber alle diese Mahnungen zu größerer Strenge waren vergeblich. Das Kriegsgericht blieb bei seinem Spruch, und Achaz von der Schulenburg, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender, antwortete unterm 31. Oktober: "Nachdem er nochmals reiflich erwogen und wohl überleget, finde er sich in seinem Gewissen überzeuget, daß es dabei bleiben müsse und solches zu ändern ohne Verletzung seines Gewissens nicht geschehen könne noch in seinem Vermögen stehe."

Worauf nun, de dato Wusterhausen am 1. November 1730, jener königliche Machtspruch erfolgte, der den durch Kriegsgericht lediglich zu lebenslänglicher Festungshaft verurteilten Katte mit dem Tode bestrafte. Unter Fortlassung einiger weniger, die drei mitangeklagten Lieutenants von Keith, von Spaën und von Ingersleben betreffenden Sätze, lautete diese berühmt gewordene "Cabinetsordre" wie folgt:

"Se. Königliche Majestät in Preußen, Unser allergnädigster König und Herr, haben das Denenselben eingesandte Kriegesrecht durchlesen, und sind mit demselben in allen Stücken sehr wohl zufrieden." (Folgt die Zustimmung zu dem über die Lieutenants von Keith, von Spaën und von Ingersleben gefällten Urteile.)

"Was aber den Lieutenant v. Katt und dessen Verbrechen, auch die vom Kriegsrecht deshalb gefällte Sentenz anlanget, so sind S. K. M. zwar nicht gewohnt, die Kriegsrechte zu schärfen, sondern vielmehr, wo es möglich, zu mindern, dieser Katt aber ist nicht nur in meinen Diensten Offizier bey der Armee, sondern auch bey der Garde Gens D´Armes, und da bey der ganzen Armee meine Offiziers mir getreu und hold sein müssen, so muß solches um so mehr geschehen von den Offiziers von solchen Regimentern, indem bey solchen ein großer Unterschied ist, denn Sie immediatement Sr. Königl. Majestät und Dero Königlichem Hause attachirt seyn, um Schaden und Nachtheil zu verhüten, vermöge eines Eides.

Da aber dieser Katt mit der künftigen Sonne tramiret, zur Desertion mit fremden Ministern und Gesandten allemal durch einander gestecket, und er nicht davor gesetzet worden, mit dem Kronprinzen zu complottiren, au contraire es Sr. Königlichen Majestät und dem Herrn General-Feldmarschall v. Natzmer hätte angeben sollen, so wüßten S. K. M. nicht, was vor kahle Raisons das Kriegsrecht genommen, und ihm das Leben nicht abgesprochen hätten. S. K. M. werden auf die Art sich auf keinen Offizier noch Diener, die in Eid und Pflicht stehen, verlassen können. Denn solche Sachen, die einmal in der Welt geschehen, können öfters geschehen. Es würden aber dann alle Thäter den Prätext nehmen, wie es Katten wäre ergangen, und weil der so leicht und gut durchgekommen wäre, ihnen desgleichen geschehen müßte. S. K. M. seynd in Dero Jugend auch durch die Schule geloffen, und haben das lateinische Sprüchwort gelernet: Fiat Justitia et pereat mundus! Also wollen Sie hiermit, und zwar von Rechtswegen, daß der Katte, ob er schon nach denen Rechten verdient gehabt, wegen des begangenen Crimen Laesae Majestatis mit glühenden Zangen gerissen und aufgehenket zu werden, Er dennoch nur, in Consideration seiner Familie, mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht werden solle. Wenn das Kriegsrecht dem Katten die Sentence publicirt, soll ihm gesagt werden, daß es Sr. K. M. leid thäte, es wäre aber besser, daß er stürbe, als daß die Justiz aus der Welt käme.

F. Wilhelm."

Von Kattes letzter Tag in Berlin

Katte war all die Zeit über in seinem Arrestlokal auf der Wache des Regiments Gensdarmes verblieben. Endlich, am 2. November, ward er nach dem "Neuen Markt" auf die daselbst befindliche Auditoriatsstube gebracht, wo jene fünfzehn Offiziere, die das Kriegsgericht gebildet hatten, bereits versammelt waren, um ihm durch den Vorsitzenden, Achaz von der Schulenburg, erst das ihrerseits gefällte Urteil, danach aber die verschärfte, auf Tod lautende Sentenz des Königs mitzuteilen. Katte bewahrte gute Haltung. "Ich bin", sagte er, "völlig in die Fügungen der Vorsehung und den Willen des Königs ergeben. Ich habe keine schlechte Handlung verübt, und wenn ich sterbe, so ist es um einer guten Sache willen."

Gleich darnach ward er vom Neuen Markt aus in sein Arrestzimmer zurückgeführt, das noch durch viele Jahre hin, bis zu seinem Abbruch, in einer seiner Fensterscheiben eine Reminiszenz an diesen seinen so berühmt gewordenen Gefangenen aufbewahrte. Es war dies ein Vers, den er während der langen Untersuchungshaft mit dem Stein seines Ringes ins Glas gekritzelt hatte. Der Vers lautete:

Mit der Zeit (geduldbeflissen)
Wird uns auch ein gut Gewissen.
Wenn du fragst wer dies geschrieben hier,
Wird der Name Katt es sagen dir.
Hoffnung läßt Zufriedenheit nicht missen.

Darunter standen die Worte: "Derjenige, den die Neugier treiben wird, diese Schrift zu lesen, wird erfahren, daß der Schreiber auf Befehl Seiner Majestät den 16. August des Jahres 1730 in Arrest gekommen ist nicht ohne Hoffnung, die Freiheit wiederzuerhalten, obgleich die Art, wie er bewacht wird, ihn etwas Unglückseliges ahnen läßt."

Bald nach seiner Rückkehr bat er um Tinte und Feder. Als ihm beides gebracht war, schrieb er an den König: ein Bekenntnis seiner Schuld und zugleich ein Gnadengesuch. Der Brief lautete:

"Nicht mich zu rechtfertigen, nicht meine bisherige Aufführung zu entschuldigen noch durch viele Rechtsgründe meine Unschuld zu bezeugen, nein, sondern die wahre Reue und Leid, Ew. Königliche Majestät beleidigt zu haben, verpflichten mich in aller Untertänigkeit, mich Denenselben zu Füßen zu legen. Meiner Jugend Irrtum, Schwachheit, Unbedachtsamkeit, mein nichts Böses meinender Sinn, mein durch Liebe und Mitleid eingenommenes Herz, ein eitler Wahn der Jugend, der keine verborgene Tücke im Schilde geführt, sind es, mein König!, die demütigst um Gnade, Erbarmen, Mitleiden, Barmherzigkeit und Erhörung bitten und flehen! Gott, als der König und Herr aller Herren, läßt Gnade vor Recht ergehen und bringet durch Erbarmen und Gnade den auf irrigem Wege gehenden Sünder und Missetäter wiederum zu seiner Pflicht: Also, mein König! Sie, als ein Gott auf Erden, lassen mir doch dieselbe Gnade, als einem gegen Ew. Königliche Majestät mißhandelnden Sünder und Missetäter, zufließen. Die Hoffnung der Wiedererholung schonet noch des verdorreten Baums und erhält ihn vor der Glut des Feuers. Warum soll denn mein Baum, der schon wiederum neue Sprossen neuer Treue und Untertänigkeit zeiget, nicht Gnade vor Ew. Königlichen Majestät finden? Warum soll er sich schon in seiner Blüte neigen und nicht noch vorher Ew. Königlichen Majestät Gnade und Barmherzigkeit für unverfälschte Treue und Gehorsam erwirken? Ich habe gefehlet, mein König! ich erkenne es mit treuem Herzen, also verzeihen Sie es dem redlichen Gesteher und gewähren mir, was auch Gott dem größten Sünder nicht versaget. Manasse vermehrte ja, so gottlos er war, die Zahl seiner Fürsten; Saul konnte nicht so sehr in Ungehorsam verfallen und David nach Unrecht dürsten, als aufrichtig hernach ihre Bekehrung war. So viele Tropfen Blut in meinen Adern fließen, so viele sollen es Zeugen sein der neuen Treue und Gehorsams, die Dero Gnade und Huld würket; Gottes Gnade und Liebe lässet mich auch seiner Gnade hoffen; so verzweifle denn auch nicht, der darum flehet und bittet, als Ew. Majestät ungehorsam gewesener, nunmehr aber durch Reu und Leid zu seiner Pflicht getriebener Vasall und Untertan

Katt."


So der Brief an den König.

Gleichzeitig schrieb er an seinen Großvater mütterlicherseits, den Generalfeldmarschall von Wartensleben. In diesem Briefe bezieht er sich auf sein eben an den König gerichtetes Gnadengesuch und schreibt wörtlich: "Ihm (Gott) ist nichts unmöglich, es sind ihm noch Mittel genug bekannt, um zu helfen; denn er kann das Herz des Königs noch regieren und lenken, daß er sich so zur Gnade wiederum kehrt, als er sich zur Schärfe bezeiget. Ist es sein Wille nicht, so sei er auch dafür gelobet; denn er kann es nicht anders als gut mit uns meinen; darum gebe mich in Geduld und erwarte, was Dero und andrer Vorsprache bei Ihro Majestät für Würkung tun werden."

Aber alle "Vorsprache" war umsonst das Gnadengesuch selbst blieb unbeantwortet, und am 3. November früh erschien Major von Schack von den Gensdarmes mit einem starken Kommando selbigen Regiments vor dem Wachtlokal, um den Delinquenten nach Küstrin zu schaffen, wo derselbe "vor den Augen des Kronprinzen" enthauptet werden sollte.

Von Schack war tief erschüttert. "Ich habe Befehl von Seiner Majestät", so wandte er sich an Katte, "bei Ihrer Hinrichtung zugegen zu sein. Zweimal habe ich mich geweigert, aber ich habe zu gehorchen; Gott weiß es, was es mich kostet. Gebe der Himmel, daß das Herz des Königs sich noch wenden und ich in letzter Stunde noch die Freude haben möchte, Ihnen Ihre Begnadigung anzukündigen."

"Sie sind zu gütig", antwortete Katte, "aber ich bin mit meinem Schicksal zufrieden. Ich sterbe für einen Herrn, den ich liebe, und habe den Trost, ihm durch meinen Tod den stärksten Beweis der Anhänglichkeit zu geben."

Und danach bestieg er den Wagen, der vor dem Wachtlokale hielt, und der Zug setzte sich, durch das Landsberger Tor hin, auf Küstrin zu in Bewegung.


Von Kattes Überführung nach Küstrin

Das Kommando unter Major von Schack bestand aus dreißig Pferden, einem Rittmeister, einem Lieutenant und zwei Unteroffizieren, die den Wagen in ihre Mitte nahmen. In diesem selbst saßen außer Katte der Major von Schack, der Feldprediger Müller vom Regiment Gensdarmes und ein Unteroffizier. Als sie bis an den Wasserlauf der "Landwehr" gekommen, begann der Feldprediger ein Singen und Beten, und besonders war es das Lied: "Weg, mein Herz, mit den Gedanken", was eines Eindrucks auf Katte nicht verfehlte. Zu guter Stunde kamen sie ins Quartier (nur Dörfer wurden gewählt), und hier sprach Katte den Wunsch aus, einen Abschiedsbrief an seinen "Herrn Vater schreiben zu dürfen, den er so sehr betrübet habe". Dies wurde ihm bewilligt, und man ließ ihn allein, um sich zu sammeln. Aber es wollte ihm nicht gelingen, und als Major von Schack nach einiger Zeit wieder bei ihm eintrat, fand er ihn noch auf und ab gehend. Und dabei klagte er, "daß es so diffizil wäre und daß er vor Betrübnis keinen Anfang finden könne". Von Schack sprach ihm zu, und er setzte sich nun hin und schrieb. Dieser Brief aber war folgenden Inhalts:

"In Tränen, mein Vater, möcht ich zerrinnen, wenn ich daran gedenke, daß dieses Blatt Ihnen die größte Betrübnis, so ein treues Vaterherze empfinden kann, verursachen soll; daß die gehabte Hoffnung meiner zeitlichen Wohlfahrt und Ihres Trostes im Alter mit einmal verschwinden muß, daß Ihre angewendete Mühe und Fleiß in meiner Erziehung zu der Reife des gewünschten Glücks sogar umsonst gewesen, ja daß ich schon in der Blüte meiner Jahre mich neigen muß, ohne vorher Ihnen in der Welt die Früchte Ihrer Bemühungen und meiner erlangten Wissenschaften zeigen zu können. Wie dachte ich nicht, mich in der Welt emporzuschwingen und Ihrer gefaßten Hoffnung ein Genüge zu leisten; wie glaubte ich nicht, daß es mir an meinem zeitlichen Glück und Wohlfahrt nicht fehlen könnte; wie war ich nicht eingenommen von der Gewißheit meines großen Ansehens! Aber alles umsonst! Wie nichtig sind nicht der Menschen Gedanken: mit einmal fällt alles über einen Haufen, und wie traurig endiget sich nicht die Szene meines Lebens, und wie gar unterschieden ist mein jetziger Stand von dem, womit meine Gedanken schwanger gegangen; ich muß, anstatt den Weg zu Ehren und Ansehen, den Weg der Schmach und eines schändlichen Todes wandeln. Aber wie unbegreiflich, o Herr, sind deine Wege und unerforschlich deine Gerichte. Wohl recht heißet es: ?Gottes Wege sind nicht der Menschen Wege, und der Menschen Wege sind nicht Gottes Wege.? Würd ich nicht etwan in der Sicherheit fortgegangen, bei allem Glück und Wohlleben Gott vergessen und ihn hintenangesetzt haben? Würd ich nicht bei den guten Tagen den Weg des Fleisches, der Sünden und der Wollust dem Wege zu Gott vorgezogen haben? Ja gewiß hätte mich solches viel mehr von Gott ab- als zu ihm geführt.

Die verdammte Ambition, die einem von der Kindheit auf, ohne den rechten Begriff davon zu geben, eingeflößet wird, würde immer weitergegangen sein und zuletzt dem eitlen Verstande zugeschrieben haben, was doch einzig und allein von Gott kommt. Solchem hat der gütige und gerechte Gott wollen zuvorkommen und ? da ich seiner öftern und vielfältigen Regung nicht Gehör gegeben ? auf solche Art mich fassen müssen, daß ich mich nicht weiter ins Verderben stürzte und gar die ewige Verdammnis mir zuzöge. Darum sei er auch dafür gelobet! Fassen Sie sich demnach, mein Vater, und glauben Sie sicherlich, daß Gott mit mir im Spiel, ohne dessen Willen nichts geschehen, auch nicht einmal ein Sperling auf die Erde fallen kann! Er ist es ja, der alles regieret und leitet durch sein heiliges Wort; darum kommt auch dieses mein Verhältnis von ihm her. Ist gleich die Art des Todes bitter und herbe, so ist die Hoffnung und die Gewißheit der künftigen Seligkeit desto süßer und angenehmer! Ist es gleich mit Schimpf und Schmach verknüpfet, so ist es doch nicht im Vergleich der künftigen Herrlichkeit! Trösten Sie sich, mein Vater! Hat Ihnen doch Gott mehr Söhne gegeben, denen er vielleicht mehr Glück in dieser Welt geben wird, und Ihnen, mein Vater, die Freude in denenselben erleben lassen, die Sie vergebens an mir gehoffet. Welches ich Ihnen von Grund meiner Seele wünsche. Unterdessen danke mit kindlichem Respekt für alle mir erwiesene Vatertreue, von meiner Kindheit an bis zur jetzigen Stunde. Gott der Allerhöchste vergelte Ihnen tausendfach die mir erzeigte Liebe und ersetze Ihnen durch meine Brüder, was bei mir rückständig geblieben. Er erhalte und bewahre Sie bis in Ihr hohes und graues Alter und speise Sie mit Wohlergehen und tränke Sie mit der Gnade seines Geistes.

Ihr bis in den Tod getreuer Sohn Hans Hermann von Katt.

Nachschrift. Was soll ich aber ihnen, liebwerteste Mama, die ich so sehr, als hätte uns das Band der Natur verbunden" (sie war seine Stiefmutter), "geliebet, und Euch, liebwerteste Geschwister, wie soll ich mein Andenken bei Euch stiften? Mein Zustand läßt nicht zu, alles, was ich auf dem Herzen habe, Euch vorzustellen; ich stehe vor der Pforte des Todes, muß also bedacht sein, mit einer gereinigten und geheiligten Seele einzugehen, kann also keine Zeit versäumen.

H. H. v. K."


Als Katte mit diesem flüchtig und auf bloße Zettel niedergeschriebenen Briefe geendigt hatte, wollte er an eine Abschrift desselben gehen, aber der Prediger riet ihm ab: "seine Zeit wäre zu edel, und er möcht es nur lassen; sein Herr Vater sähe ja doch seine Meinung". So begab er sich und bat den von Schack, den Brief späterhin rein abschreiben zu lassen. Danach aß er ein weniges, trank ein Glas korsikanischen Wein und nahm die geistlichen Unterredungen wieder auf, bei welcher Gelegenheit er ebenso große Fassung und Ergebung wie Kenntnis und Geistesschärfe zeigte. "Er gehe mit Freuden in den Tod", so sagte er, "und wenn er die Wahl zu leben oder sterben hätte, so woll er das letztere wählen, denn es möchte ihm nicht immer die Zeit werden, sich so gut vorzubereiten wie jetzt." Unter solchen Gesprächen verging der Abend. Gegen zehn Uhr bat ihn von Schack, sich niederzulegen, was er anfänglich nicht mochte. Zuletzt aber tat er es und genoß eines festen Schlafes.

Am anderen Morgen ging es weiter. Er war mitteilsam wie den Tag zuvor und sprach viel darüber, daß man ihn für einen Atheisten gehalten. Das sei er nie gewesen, ja er dürfe vielmehr versichern, daß er vor atheistischen Büchern allezeit einen wahren Abscheu gehabt habe. Andererseits könne er nicht leugnen, daß er öfters "eine Thesin maintenieret", aber bloß, um seinen Verstand sehen zu lassen. Denn er habe gefunden, daß solches in belebten Gesellschaften "vor sehr artig passieret wäre". Und so hätte er es mitgemacht.

Auch an diesem Tage ? die jedesmalige Tagesfahrt war nur vier Meilen ? kamen sie früh ins Quartier, und er erquickte sich an Kaffee, "der überhaupt sein bestes Labsal war". Sowohl abends wie morgens.

Der dritte Tag war ein Regentag. Als er gegen Mittag Küstrin erkannte, das er immer nur bei Gelegenheit des in Sonnenburg (eine Meile östlich von Küstrin) stattfindenden Johanniter-Ritterschlages gesehen haben mochte, erinnerte er sich des Markgrafen Albrecht, damaligen Herrenmeisters, und hat von Schack, dem Markgrafen seinen untertänigsten Respekt vermelden, demselben auch danken zu wollen, daß er ihn in den Johanniterorden aufgenommen habe. Dieses sei die höchste Ehre gewesen, die ihm diese Welt erwiesen, und er wolle in schuldiger Dankbarkeit dafür bei Gott bitten, den hohen Herrn in seinen himmlischen Orden aufzunehmen.

Während dieses Gespräches waren sie bis an die große Oderbrücke gekommen; der Regen ließ nach, und die Sonne trat hervor. "Das ist mir ein gutes Zeichen", sagte er, "hier wird meine Gnadensonne anfangen zu scheinen."

Gleich danach hielten sie vor dem Tor und wurden von dem Platzkommandanten von Reichmann empfangen, der den Delinquenten in eine dicht über dem Tor gelegene Stube führte.

Von hier aus trat er den anderen Morgen seinen letzten Gang an.

Der 6. November 1730

Der nächste Morgen war für die Hinrichtung bestimmt. Eine Relation des Majors von Schack, die derselbe dienstlich an den Feldmarschall von Natzmer richtete, enthält eine genaue Schilderung aller Vorgänge von dem Augenblick an, wo Katte am 5. nachmittags am Küstriner Tore eintraf. Es ist aus dieser Relation, daß ich nachstehendes entnehme.

"... Als wir um zwei Uhr", so schreibt von Schack, "an das Tor kamen, fanden wir daselbst den Kommandanten. Er hielt uns an und ließ uns aussteigen. Danach nahm er den seligen Herrn von Katt bei der Hand und führte ihn die Treppe zum Wall hinauf, allwo über dem Tor" (es ist das Tor zwischen Bastion König und Bastion Königin; vergleiche die Festungsskizze) "eine Stube mit zwei Betten, eines für Katt und das andere für den Feldprediger, präparieret war. Der Kommandant sagte mir danach, daß wir den Herrn von Katt auch an dieser Stelle noch in Verwahrung zu halten hätten, und zeigte mir die Punkte, wo unsre Posten am besten auszusetzen wären. Gleicherzeit wies er mir die königliche Ordre, aus der ich ersah, daß die Hinrichtung am andern Morgen um sieben Uhr stattfinden und mein ganzes Kommando (aber zu Fuß) den Herrn von Katt in einen durch 150 Mann von der Küstriner Garnison zu bildenden Kreis hineinführen solle.

Als ich alles dieses erfahren, ging ich zu dem seligen Herrn von Katt, nicht ohne Wehmut und Betrübnis des Herzens, und sagte ihm, ?daß sein Ende näher sei, als er vielleicht vermute?. Er fragte auch unerschrocken, ?wann und um welche Zeit?? Da ich ihm solches hinterbracht, antwortete er mir: ?Es ist mir lieb; je eher, je lieber.?

Darauf hat ihm der Gouverneur von Lepel Essen, Wein und Bier geschickt, wovon er auch gegessen und getrunken.

Etwas später schickte der Herr Präsident von Münchow auch Essen und ungarischen Wein, wovon er auch genossen. Dann aber nahm unser Feldprediger Müller den dasigen Garnisonprediger Besser mit zur Hülfe und blieb in beständiger Arbeit mit ihm. Von acht bis neun Uhr war ich mit den anderen Offiziers bei ihm, und wir sangen und beteten mit. Weil aber die Prediger gern mit ihm allein sein wollten, gingen wir weg. Um zehn Uhr ließ man ihm Kaffee machen, davon er nachgehende drei Tassen getrunken; meinen Kerl (Burschen) ließ ich die ganze Nacht bei ihm, ihm an die Hand zu gehen.

Um elf Uhr ging ich wieder zu ihm; ich konnte nicht schlafen; aber wenn ich noch so bekümmert und beängstet war und sah ihn nur, so richtete und munterte seine Standhaftigkeit mich wieder auf. Und ich betete und sang mit bis um ein Uhr morgens. Von zwei bis drei Uhr sah man an der Couleur des Gesichts wohl einen harten Kampf des Fleisches und Blutes. Um diese Zeit hat der Prediger ihn gebeten, sich ein wenig aufs Bette zu legen, um für sein Gemüt neue Kräfte zu erlangen, welches er auch getan und von drei bis fünf Uhr geschlafen, wo ihn das Ablösen des Postens aufgewecket. Darauf er kommunizieret. Wie das vorbei, ging ich wieder zu ihm. Da sagte er mir, sein Zeug, so er bei sich hätte, sollte mein Kerl haben, seine Bibel schenkte er dem Korporal, welcher sehr fleißig mit ihm gesungen und gebetet, insonderheit das oben benannte Lied, sooft er ohne den Prediger allein gewesen.

Wie kurz vor sieben das Kommando der Gensdarmes da war, fragte er mich: ?ob es Zeit wäre?. Wie ich solches mit Ja beantwortet, nahm er Abschied von mir, ging hinaus, und das Kommando nahm ihn in die Mitte; der eine Prediger ging zur Rechten, der andre zur Linken und beteten und sprachen ihm immer vor. Er ging ganz frei und munter, den Hut unter dem Arm, nicht gezwungen noch affektiert, sondern ganz naturell weg.

Er war ein paar hundert Schritte längs dem Wall geführet und waren die Zugänge des Walles militärisch besetzt, so daß wenig Menschen oben waren. Im Kreise ward ihm nochmals die Sentenz vorgelesen, ich kann aber hoch versichern, daß ich vor Betrübnis nichts gehöret habe, und wußt auch nicht drei Worte zusammenzubringen. Bei Vorlesung der Sentenz stund er ganz frei; wie solches vorbei, fragte er nach den Offiziers von den Gensdarmes, ging ihnen entgegen und nahm Abschied. Hernach ward er eingesegnet. Darauf gab er die Perruque an meinen Kerl, der ihm eine Mütze darreichte, ließ sich den Rock ausziehen und die Halsbinde aufmachen, riß sich selbst das Hemd herunter, ganz frei und munter, als wenn er sich sonsten zu einer sérieusen Affaire präparieren sollen, ging hin, kniete auf den Sand nieder, rückte sich die Mütze in die Augen und fing laut selbst an zu beten: ?Herr Jesu! dir leb ich? etc. Weil er aber meinem Kerl gesagt, er sollt ihm die Augen verbinden, sich aber hernach resolvieret, die Mütze in die Augen zu ziehen, so wollte der Kerl, der schrecklich konsternieret, ihm immer noch die Augen verbinden, bis von Katt ihm mit der Hand winkte und den Kopf schüttelte.

Darauf fing er nochmalen an zu beten: ?Herr Jesu!?, welches noch nicht aus war, so flog der Kopf weg, welchen mein Kerl aufnahm und wieder an seinen Ort setzte.

Seine présence d´esprit bis auf die letzte Minute kann nicht genug admirieren. Seine Standhaftigkeit und Unerschrockenheit werde mein Tage nicht vergessen, und durch seine Zubereitung zum Tode habe vieles gelernet, so noch weniger zu vergessen wünsche."

Außer dieser Relation des Majors von Schack liegt auch ein Bericht des Garnisonpredigers Besser vor, der, wie vorerwähnt, in Assistenz des Feldpredigers Müller, den von Katt auf seinem letzten Gange begleitete. Auf die Angaben dieser beiden "Augenzeugen" (von Schack und Besser) werden wir auch in der Folge bei Lösung schwebender Fragen in allen Hauptpunkten angewiesen sein. Alles andere steht erst in zweiter Reihe. Hier zunächst der Schluß des Besserschen Berichts im Wortlaut.

"... So trat er seinen letzten Gang zum Vater an mit solcher freimütigen Herzhaftigkeit, die jeder bewundern mußte. Seine Augen waren meistens zu Gott gerichtet und wir erhielten sein Herz unterwegens immer himmelwärts durch Vorhaltung der Exempel solcher, die im Herrn verschieden, als des Sohnes Gottes selbst und des Sankt Stephanus wie auch des Schächers am Kreuz, bis wir uns unter solchen Reden dem hiesigen Schlosse näherten. An andern, die solchen Gang gehen, habe ich sonst wohl Alteration und Betrübnis ihrer Sinne gemerket, wenn sie dem entsetzlichen Gerichtsplatz nahe kamen, daß ihnen auch öfters der freudige Mut entfallen ist. Ich hatte daher auch meine Obacht, ob der Wohlselige auch etwa eine verborgene Hoffnung in seinem Herzen hege wegen Linderung seines auszustehenden Urteils, wenn solche aber fehlschlagen möchte, daß ja nicht Kleinmütigkeit und schüchterne Blödigkeit entständen. Allein Gott sei gedanket, der ihn mit seinem Freudengeist in seiner letzten Stunde stärkte und unsträflich behielt. Er erblickte endlich, nach langem sehnlichen Umhersehen, seinen geliebtesten Jonathan, Ihro Königliche Hoheit den Kronprinzen, am Fenster des Schlosses, von selbigem er mit höflichen und verbindlichen Worten in französischer Sprache Abschied nahm, mit nicht geringer Wehmut.1) Er hörte ferner seine abgefaßte Todessentenz durch den Herrn Geheimrat Gerbett unerschrocken vorlesen. Da solche geendiget, nahm er vollends Abschied von denen Herren Offiziers, besonders von dem von Asseburg, von Holzendorf, und dem ganzen Kreise, empfing die letzte Absolution und die priesterliche Einsegnung mit großer Devotion, entkleidete sich selber bis aufs Hemd, entblößte sich den Hals, nahm seine Haartour vom Haupte, bedeckte sich mit einer weißen Mütze, welche er zuvor zu dem Ende bei sich gesteckt hatte, kniete nieder auf den Sandhaufen und rief: ?Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!? Und als er solchergestalt seine Seele in die Hände seines Vaters befohlen, ward das erlösete Haupt mit einem glücklich geratenen Streich durch die Hand und Schwert des Scharfrichters Coblentz vom Leibe abgesondert; ein Viertel auf acht Uhr, den 6. November 1730. Dabei mir einfiel, was stehet 2. Makkabäer 7, Vers 40: ?Also ist dieser fein dahingestorben und hat seinen Trost allein auf Gott gestellt.? Ich nahm ferner nichts mehr wahr als einige Zuckungen des Körpers, so vom frischen Geblüt und Leben herrührten. Wenig zusammengelaufene Leute sah man außer dem Kreise, auf dem Walle und in denen Fenstern, und noch weniger von Extraktion waren zugegen, weil viele teils solches nicht geglaubet, teils nicht gewußt, teils es anzusehen Bedenken getragen.

Der Körper und Haupt ward mit einem schwarzen Tuch bedecket, bis er von denen besten und vornehmsten Bürgern dieser Stadt aufgehoben, in einen beschlagenen Sarg geleget und auf hiesigem Gottesacker in der sogenannten ?Kurzen Vorstadt? neben einen andern Offizier von hiesiger Garnison, so nicht lange vorher beerdigt ward, eingesenket wurde. Nachmittags um zwei Uhr."

Dieser Gottesacker, vom "Hohen Kavalier" aus sichtbar, liegt in erheblicher Entfernung von der Stadt, jenseits der Warthe. Hier ruhte der Tote, bis der Familie zugestanden war, ihn wieder ausgraben und auf dem Rittergute Wust, in der Nähe von Jerichow, bestatten zu lassen. Wann dies geschah, ist nicht bestimmt ersichtlich. Der Sarg aber wurde nach dem genannten Gute (Wust) hinübergeführt und steht daselbst bis diesen Tag in der Familiengruft der Kattes.

Über diese Gruft selbst habe ich an anderer Stelle berichtet.


Wo stand Kronprinz Friedrich?

Wo fiel Kattes Haupt?

Diese Fragen, hundertfältig erhoben, sind bis in die neueste Zeit hinein keineswegs auch nur mit annähernder Sicherheit beantwortet worden. Erst Divisionsprediger Hoffbauer zu Küstrin ist in einer 1867 erschienenen Publikation diesen zwei Fragen gründlich nähergetreten, gründlicher als irgendwer vor ihm, und glaubt, auf die Frage 1: "Wo stand der Kronprinz?", eine fast absolut richtige, auf die Frage 2 aber: "Wo fiel Kattes Haupt?", eine wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit richtige Antwort gefunden zu haben.


Wo stand der Kronprinz? An dem letzten Hochparterrefenster der Schloßfront, wenn man von Bastion König auf Bastion Brandenburg zuschreitet. Diese große "Front des Schlosses", immer am Wasser hin, ist aber ein ziemlich kompliziertes Ding und besteht aus einer eigentlichen und uneigentlichen Front. Die eigentliche Front gehört dem corps de logis an. Und in dieser eigentlichen Front oder dem corps de logis befindet sich das historische Fenster nicht.

An das corps de logis lehnt sich indessen rechtwinkelig noch ein architektonisch unvermittelter Seitenflügel, dessen Giebel nunmehr den Eindruck macht, als gehöre er mit in die große Wall- und Wasserfront des Schlosses hinein. Dieser Eindruck würde noch entschiedener sein, wenn erwähnter Seitenflügelgiebel nicht um ein paar Schritte zurückträte, so daß wir, in ein paar Linien ausgedrückt, nebenstehendes Bild gewinnen.

An der offengelassenen und mit einem F. (Fenster) bezeichneten Stelle dieses Seitenflügelgiebels oder, was dasselbe sagen will, dieses uneigentlichen Teiles der gesamten Schloßfront stand der Kronprinz.

Dafür, daß es gerade dieses Zimmer und kein anderes war, sprechen ? neben der in Küstrin lebendig gebliebenen Tradition ? einerseits die Angaben des Generals von Münchow (Sohnes des vorgenannten Kammerpräsidenten), der als etwa siebenjähriger Knabe jene Schreckenstage miterlebte, andererseits, wenn auch nur mittelbar, die Worte des Prediger Besserschen Berichtes: "Er erblickte endlich, nach langem sehnlichen Umhersehen, seinen geliebtesten Jonathan am Fenster des Schlosses." Hieraus ergibt sich mit einiger Gewißheit daß er an einem der letzten Fenster gestanden haben muß. Es war aber das allerletzte.

Das Zimmer selbst wurde später in eine Kasernenstube, noch später, unter Hinzulegung eines Nachbarraumes, in den Offizierspeisesaal der Küstriner Garnison verwandelt.

Jetzt ist es Casinosaal. Eine Inschrift fehlt ihm noch. Dafür aber ist als historisches Erinnerungsstück ein aus der Neudammschen Mühle stammender Lehnstuhl aufgestellt worden, derselbe, auf dem König Friedrich, achtundzwanzig Jahre später, die Nacht vor der Schlacht bei Zorndorf zubrachte.


Wo fiel Kattes Haupt?

Diese Frage bietet viel größere Schwierigkeiten, denn es streiten sich sieben Plätze darum. Ich schicke auch hier ein Bild der Lokalität voraus. Es ist dasselbe wie das schon vorstehend gegebene, nur erweitert.

Weißkopf: Etwas über mannshoher Unterbau eines ehemaligen Rundturmes. Auf demselben jetzt ein Pavillon. ? Steinwürfel: Nicht mehr vorhanden. Befand sich unmittelbar rechts neben einer von der Stadt beziehungsweise von der "Mühlenpforte" her auf den Wall hinaufführenden Treppe. ? Mühlenpforte: Läuft noch jetzt unter dem Wallgang hin und von der Stadt auf den Fluß zu. Ein gewölbtes Tor. Ein Tunnel. Hat Bedeutung für die Ortsbestimmung. ? Kanzlei: Hart am Wall gelegenes Haus, aber noch innerhalb der Stadt. Seine oberen Stockwerke ermöglichten "von denen Fenstern" aus, von denen der Bessersche Bericht spricht, einen bequemen Blick auf den Wall. Jetzt stehen da, wo 1730 die "Kanzlei" stand, das "Blockhaus" (Gefängnis) und das Salzmagazin. ? F.: Fenster, wo der Kronprinz stand. ? ? v. K.: Stelle, wo (nach Hoffbauer) Kattes Haupt fiel.


Nach dieser Lokalbeschreibung lasse ich nunmehr die sieben rivalisierenden Plätze beziehungsweise Hypothesen folgen:

1. Die Hinrichtung fand statt an der Stelle, wo jetzt der "Weißkopf" steht.

2. Die Hinrichtung fand auf dem "Weißkopf" statt, und zwar auf dem zum Schafott hergerichteten Turmunterbau, der damals (1730) noch keinen Pavillon trug.

3. Die Hinrichtung fand statt auf dem schmalen Raume, der zwischen dem "Weißkopf" und dem "historischen Fenster" liegt.

4. Die Hinrichtung fand statt auf einem "innerhalb des Festungs- oder Schloßhofes errichteten schwarzen Schafott". So schreiben Pöllnitz und die Markgräfin.

5. Die Hinrichtung fand statt auf dem Hof von Bastion Brandenburg.

6. Die Hinrichtung fand statt (von der Stadt aus gerechnet) rechts neben der Treppe, die von der Mühlenpforte aus auf den Wallgang hinaufführt. Also da, wo früher der Steinwürfel stand.

7. Die Hinrichtung fand statt links neben der ebengenannten Treppe, unmittelbar ? wieder von der Stadt aus gerechnet ? hinter der "Kanzlei", an der mit ? v. K. bezeichneten Stelle.

Die vier ersten Ansprüche sind leicht zu beseitigen.

Ad 1. Von einer bloßen Weißkopf-Stelle zu sprechen ist untunlich. Der Weißkopf stand dort schon 150 Jahre, als die Hinrichtung stattfand.

Ad 2. Von einem Schafott auf dem Weißkopf kann ebensowenig die Rede sein, denn von Schack erzählt: "Er kniete auf einen Sandhaufen nieder." Also nichts von Schafott.

Ad 3. Der Raum zwischen "Weißkopf" und "historischem Fenster" hat nur ungefähr sechs Schritt im Durchmesser und bot keinen Raum zur Aufstellung von 200 Menschen. Auch hätte der Prinz den Hergang nicht vor dem Auge gehabt, sondern auf diesen Hergang von oben her hinuntersehen müssen, wie in einen Topf hinein.

Ad 4. "Schloßhof" und "mit schwarzem Tuch ausgeschlagenes Schafott" ist ganz unstichhaltig und konnte nur von Personen aufgestellt werden, die, wie Pöllnitz und die Markgräfin, die Lokalität nie gesehen hatten.

Ad 5. und 6. räumt Prediger Hoffbauer ein, daß beide Hypothesen etwas für sich haben, ist aber nichtsdestoweniger der Ansicht, daß nur seiner

Ad 7. angegebenen Stelle (? v. K.) alle gleichzeitigen Angaben, will sagen die Angaben Major von Schacks, Prediger Bessers, General von Münchows und Konrektor Georg Thiemes, unterstützend zur Seite stehen. Und zwar ist diese unter 7. näher bezeichnete Stelle:

erstens von dem "historischen Fenster" aus sichtbar; bietet

zweitens Raum genug zur Kreisaufstellung von 200 Mann; liegt

drittens ungefähr dreißig bis fünfzig Schritt, wie von Münchow schreibt, hinter dem "historischen Fenster"; und liegt

viertens, wie die handschriftlichen Aufsätze Georg Thiemes angeben, unmittelbar "hinter der Kanzlei".

Niemand, der sich mit dieser Frage längere Zeit beschäftigt und gleichzeitig, was ganz unerläßlich, in Küstrin selbst Kenntnis von der Lokalität genommen hat, wird der Hoffbauerschen Beweisführung Gründlichkeit und Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Punkte absprechen können. Dennoch bin ich persönlich geneigt, mich mehr für Annahme 5, will sagen für "Bastion Brandenburg", zu erklären. Allerdings beträgt die Entfernung bis dahin nicht dreißig oder fünfzig, sondern achtzig Schritt, aber auch "Bastion Brandenburg" liegt noch "hinter der Kanzlei", und jedenfalls war nur hier Raum und Gelegenheit zu bequemer Aufstellung von 200 Mann gegeben. Dies ist nicht unwichtig, denn der von Hoffbauer bevorzugte Platz 7 ist noch immer sehr eng und zu solcher Aufstellung nur gerade notdürftig ausreichend.

Unter allen Umständen bleibt die Wahl nur zwischen 5, 6 und 7 oder irgendeinem anderen zwischen dem Kreuz (? v. K.) und "Bastion Brandenburg" gelegenen Punkt.

Und so darf man denn, wie eingangs bemerkt, auch diese Frage als wenigstens annähernd entschieden ansehen. Absolute Sicherheit wird freilich auch dann nicht gewonnen werden, wenn das Staatsarchiv die den Katte-Prozeß behandelnden Aktenstücke jemals zu freier und ganzer Verfügung stellen sollte. Denn Lokalfragen pflegen in amtlichen Verhandlungen, wenn nicht die Lokalität selbst den Gegenstand des Prozesses bildet, immer als etwas Nebensächliches angesehen zu werden.

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