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Die Literatur der Sorben in der Niederlausitz

Informationen

Literaturangabe:

Walther, Peter
Märkische Dichterlandschaft. Ein historischer Literaturführer durch die Mark Brandenburg, Stuttgart 1998

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Die Literatur der Sorben in der Niederlausitz

Die Literatur der Sorben in der Niederlausitz

Die Verschriftlichung der sorbischen Literatur fällt in die Zeit der Reformation. Jener Teil des sorbischen Siedlungs- und Sprachgebiets, auf den sich unsere kurze Betrachtung konzentrieren soll, die Niederlausitz, gehörte zum großen Teil bereits seit Mitte des 15. Jahrhunderts zur Mark Brandenburg, während die Oberlausitz kursächsisches Gebiet war und auch heute wieder zum Land Sachsen zählt. Die Entwicklung der sorbischen Literatur ist von mehreren Besonderheiten geprägt: Das Sorbische bildet eine Sprachinsel, die in sich noch einmal sprachlich (Nieder- und Obersorbisch), administrativ (Preußen und Sachsen) und seit der Reformation auch konfessionell zersplittert war. Hier lebten vor allem Angehörige der unteren Schichten, deren einziger Zugang zu höherer Bildung das Studium der Theologie darstellte. In der mündlich überlieferten älteren Volksdichtung der Sorben finden sich alle üblichen Genres wie Sage und Märchen, Zauberspruch, Rätsel und Sprichwort, die großen Formen der Dichtung fehlen jedoch aufgrund der erwähnten historischen und soziologischen Eigenarten. Die ältesten überlieferten Zeugnisse sorbischer Literatur bestehen – abgesehen von der mündlichen Überlieferung – in Übersetzungen theologischer Texte.

Der Pfarrer Andreas Tharaeus (Handros Tara, um 1570 - um 1638) gab 1610 eine Übersetzung von Luthers Katechismus, Gebeten und Psalmen in sorbischer Sprache heraus („Enchiridion Vandalicum. Sorbisches Handbuch“). Tharaeus hatte seit 1588 an der Viadrina in Frankfurt studiert und war 1595 als Verfasser eines Gutachtens über sorbische Dialekte in Erscheinung getreten, das der brandenburgische Kurfürst in Auftrag gegeben hatte. Schon 1574 gab Albin Moller (1541-1618), Pfarrer in Straupitz, ein Gesangbuch mit kleinem lutherischen Katechismus heraus – dies war das erste in sorbischer Sprache gedruckte Buch überhaupt. Eine erste Grammatik des Sorbischen wurde 1650 von Jan Choijnan (1600-1666) verfaßt, der Prediger an der Nikolaikirche in Lübbenau war. Einer seiner Nachfolger im Amt, der Prediger Johann Gottlieb Hauptmann (1712-1782), schrieb eine niedersorbische Grammatik und publizierte ein sorbisches Gesangbuch. Erste Proben sorbischer Dichtung, die über die Übersetzung theologischer Texte als Medium literarischer Gestaltung hinausgingen, entstammen dem Kreis um den Pfarrer Michal Frencel, wobei es sich - im Stil der Zeit - um Gelegenheitsdichtung handelt.

Das Zentrum der sorbischen Kulturbewegung lag von je her im obersorbischen Raum. In Leipzig als dem Hauptstudienort der Obersorben wurde 1716 ein „Wendisches Priestercollegium“ eingerichtet, 1767 erschien Christian Knauthes Kirchengeschichte der Obersorben. Student in Leipzig war Jurij Mjen, der Teile von Klopstocks „Messias“ ins Sorbische übertrug und dabei ein eigenes Gedicht hinzufügten, das den Beginn der eigenständigen (ober-) sorbischen Literatur markiert. Von seinem Sohn, Rudolf Mjen, sind drei längere Gedichte überliefert, die an der Lyrik der deutschen Frühromantik geschult sind. Gleichfalls in Leipzig studierte der Dichter und Philologe Handrij Zejler, der gemeinsam mit seinem Freund Hendrich Krygar eine erste, noch handschriftliche sorbische Zeitung herausgab. Es folgte ab 1842 ein obersorbisches Wochenblatt und 1848 die niedersorbische Wochenzeitung „Bramborski Casnik“ („Brandenburger Zeitung“).

Im preußischen Teil des sorbischen Sprachgebiets wirkte sich die Germanisierungspolitik hemmend auf die Entwicklung der Literatur aus. Den eigentlichen Beginn der niedersorbischen Literatur markiert das Epos „Die drei tüchtigen Posaunen“ (1859/63) des Pfarrers und Altphilologen Kito Fryco Stempel (1787-1867). Erst 1880 wurde die niedersorbische Abteilung des Bildungsvereins „Masica Serbska“ ins Leben gerufen. Begründet wurde sie von Mato Kosyk (1853-1940), dem Verfasser der über tausend Hexameter umfassenden Verserzählung „Die sorbische Hochzeit im Spreewald“ (1880). Kosyk emigrierte 1883 in die USA, wo er nach einem gescheitertem Rückkehrversuch 1887 bis zu seinem Tod als Pfarrer und Farmer lebte. Mina Witkojc (1893-1975) ist während ihrer Tätigkeit bei der „Serski Casnik“, der Nachfolgerin der „Brandenburger Zeitung“, in den Jahren 1923-1933 mit zeitkritischen Artikeln bekannt geworden. Nach dem Machtantritt der Nazis (1937 wurden alle sorbischen Kultureinrichtungen verboten) erhielt Mina Witkojc Berufsverbot und seit 1941 Aufenthaltsverbot in ihrer Heimat. Ihre Kriegserlebnisse fließen in das lyrische Tagebuch „Erfurtske spomnjesa“ („Erfurter Erinnerungen“, 1945) ein. Die Nachkriegsentwicklung in der Literatur ist mit der Hinwendung der Autoren zur Zweisprachigkeit verbunden. Heute gehen die Impulse für die sorbische Gegenwartsliteratur vor allem von Autoren aus, die im obersorbischen Sprachraum verwurzelt sind.

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