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Ein fideler Abend

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Ein fideler Abend

Ein fideler Abend
oder Grün-Berlin in der Verschwendung.

Ein Kapriccio aus der Wirklichkeit, mit dichterischer Freiheit ausgestattet.

Heute war mal wieder das dauernde Versatzstück, die goldene Uhr, die in der Regel vierzig Mark trug, in ihres Eigentümers Händen. So gab er sie mir, da ich solche Gänge aus alter Gewohnheit am wenigsten scheute, sie zu verpfänden. "Vierzig Mark hat´s das vorige Mal gegeben. Kannst sie aber auch für dreißig lassen!"

Glücklicherweise gab´s vierzig.

So zogen wir denn, Stacho-Stanislaus Prczybiczewski, den man meist als den deutschpolnischen Sataniker auffaßt, seine norwegische Gemahlin Dagno, meist nach Stachos Kosewort von uns allen "Ducha" ? Seele ? genannt, Richard Dehmel, der Kunstschriftsteller Willy Pastor und Paul Scheerbart, den wir erst eben zum geölten König von Polen gewählt hatten, von Stachos Bude, wo wir durch einige Dutzend Flaschen Bier und Aufschnitt seine Monatsrechnung vermehrt und den Zigarettenvorrat entsprechend vermindert hatten, die paar Schritte vom Zirkus-Renz-Platz bis zum neuen Theater-Restaurant.

Hier entschieden wir uns nach eingehender Beratung für eine Platte Roastbeef und Burgunder. Das Übrigbleibende stand ad libitum: nur ward Vorsicht empfohlen, es seien nur einige Mark. Da zog denn der eine auf des Burgunders schwere Glut ein Löwenbräu vor, ein zweiter wählte Zigaretten, der dritte Aquavit. Später mußte man bei jedem einzelnen Wunsche fragen. Zögernd ward die letzte Einwilligung gegeben. Dann wurden die, welche noch etwas hatten, ersucht, ihre Reste den privilegierten Alkoholisten, in diesem Falle Scheerbart und Stacho, abzutreten. Denn wir "Ekotralapse", wie der phantastische Wortfinder Scheerbart unsere freie alkoholische Vereinigung getauft hatte, ehrten jede Eigenart und sahen im Delirium tremens etwas Heiliges.

Übrigens berauschten wir uns mehr an den Worten als in Getränken.

Und also geschah es.

Ja, die vierzig Mark waren menschlicher Berechnung nach dem Ende nahe. Und um zu dieser traurigen Gewißheit zu gelangen, sollte ich, als der Unscheinbarste der ganzen Gesellschaft, des größeren Effekts wegen, den Ober rufen und die in meinem Besitz gelassenen beiden Goldstücke entrichten.

Aber erst mußte Chopin nochmal Stacho spielen. Das heißt: die Noten von Chopin gaben Stacho nur die Unterlage zur Äußerung seiner besonderen Gemütsverfassung ab. Den Stramin, die Stickerei besorgte er selbst.

Dann tanzten Ducha und Dehmel, Ducha und Pastor, während Stacho spielte.

Nun setzte sich Pastor, fing die Meistersingerouvertüre an und ging dann in einen Cancan über. Stacho, der seiner Ducha, auf dem Bauche liegend, gerade die Füße geküßt hatte, erhob sich, verbeugte sich, und sie legte sich in seine Arme. Und wie sie ihn tanzten, diesen spöttischen Champagner der Ausgelassenheit, diesen ironischen, zynischen, boshaft vergötternden, entartet anmutigen Tanz.

Wie ein Gigerlfaun duckte er sich und griff nach der entziehenden Nymphe und hüpfte so, die eigene Bewegung verhöhnend, auf seinen weltmännisch behenden, gleichsam meckernden Beinen.

Das war der ganze Stacho, seine ekstatische, polnische Hingebung, das heisere Krächzen seines französischen Witzes, er war eine Salome dekadenten Geistes, seine eigene Verkörperung.

Man setzte sich wieder.

Eigentlich war man noch zu frisch.

Aber pumpen?

Freilich, wenn man gezahlt hat, bekommt man frischen Kredit. Doch man war zum erstenmal hier.

Stacho ward fromm: "Der katholische Glaube gewährt der Seele so eine Beruhigung. Ich möchte so gerne beichten.

Aber die Priester sind so dumm!

Wenn man einen träfe, der uns verstände.",

Dann lehnte er sein Haupt sanft an Duchas Busen und sang leise: "Moja Duchana!"

Diese brachte ihn auf den Gedanken: "Deutsche Sprack, sehr häßliche Sprack!"

"Warum schreibst du denn nicht polnisch?"

"Weil der Pole zu ungebildet ist: er liest nicht. Er ist wie ein Tier, ein gefährliches Tier, in der Hand seiner Priester."

"Ja, die deutschen Bücher gehen doch auch nicht so besonders."

"Deutsche Bücher? Gibt´s denn das? Kennst du ein deutsches Buch? Es gibt nur norwegische und polnische Bücher. Ich kenne nur ein deutsches Buch, und das ist die Geschichte der deutschen Mystik von Josef von Görres."

"Aber Goethe?"

"Goethe?" Stacho kicherte. "Euer Goethe, Euer Kanzleirat. Wo ist denn da das Differenzierte?"

Ja, das fand ich für den Augenblick auch nicht, wohl aber, daß ich schon wieder Appetit bekam.

Eine schreckliche Entdeckung ? vierzig Mark und noch nicht einmal satt.

Und Scheerbart schrie und wimmerte wie ein kleines Kind: "Ich will Alkohol haben!"

"Aber Scheerbart, so sei doch vernünftig; es ist doch kein Geld mehr da!"

"Ich will aber Alkohol haben!"

Es ist schon halb vier ? der Wirt will zumachen. "Und was wird der Bär sagen, wenn du wieder nicht nach Hause kommst?"

"Der Bär? Was geht mich der Bär an? Ich schreibe ihm einen Zettel, daß ich ihn bezahlen werde, sowie ich Geld habe, daß ich ihm mein Paradies der Zukunft verpfände und mein Ehrenwort, Mann ? mein Ehrenwort ? und ziehe aus."

"Nun, da dürfte er wohl nicht viel darauf geben!"

"Mein Ehrenwort wagt er anzutasten, der Mensch", und wütend drang er auf Pastor ein.

Dabei war ihm ein Blatt Papier aus der Tasche gefallen. Pastor hob´s auf, drängte Scheerbart ruhig mit der Hand zurück und las.

Dann gab er´s Dehmel: "Lies vor!"

Wir hörten Dehmel am liebsten vorlesen: Dramen, Novellen, eigene Gedichte, Balladen und Sonette von Strachwitz ? es war so eine dämmerschlummernde deutsche Innigkeit in seiner Stimme.

Von Dehmel vorgelesen zu werden, war unser höchster Ehrgeiz.

Dehmel las.

Als er geschlossen:

"Mit Menschen zu trinken ist der reine Kohl,
Nur das Kamel versteht den Alkohol",

fiel Stacho Scheerbart, der sich taumelnd, mit geschlossenen Augen, erschöpft vom Ausbruch seiner Heftigkeit am Tische hielt, um den Hals und klopfte ihm leise oben auf den Rücken:

"Idiotisch, Bruder, idiotisch!"

Differenziert war Prädikat gut, idiotisch aber Ia.

Ein solches Lob brachte einen warmen, freundlichen Funken in Scheerbarts entseelte Augen. So begeistert wollte man noch nicht auseinandergehen. Dehmel in Mantel und Pelzmütze der Stattlichste, sollte es versuchen. Aber da im Nebenzimmer schon die Tische mit den Stühlen bestellt wurden, ward man wieder abgeschreckt. Und nun konnte ich den Ober rufen.

"Kellner, zahlen! Wir hatten?..."

"Gut, die drei Mark sind für Sie!"

"Bedanke mich verbindlichst! Guten Abend, die Herren!"

"Mensch, du hast dich selbst übertroffen. Haltung, Ton, unnachahmlich. Ein Fürst kann´s nicht besser tun."

Und wir gingen.

Draußen war´s schon grau.

Ich nach dem Tiergarten, um dort noch einen Gang zu machen. Morgen wollte ich nach Tegel zu Bierbaum und ihm meine Beiträge für den "Pan" bringen.

Ich hatte eigentlich jemanden um eine Mark anpumpen wollen. Nun aber hatten wir alles vertrunken.

Aber gut gespeist, gut getrunken.

Das hält vor.

Und hell wird es auch schon.

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