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Erinnerungen an die Kindheit in der Neumark - in Spiegelberg

Informationen

Literaturangabe:

Zobeltitz, Hanns von
Im Knödelländchen und anderswo, Bielefeld und Leipzig 1916

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Erinnerungen an die Kindheit in der Neumark - in Spiegelberg

Erinnerungen an die Kindheit in der Neumark - in Spiegelberg bei Sternberg

Man mag sich heute schwer einen rechten Begriff von der Einfachheit der Lebensführung machen können, die damals auf solch einem kleinen Rittergut herrschte. Und doch erfuhren wir, daß es ?in den guten alten Zeiten?, von denen oft die Rede war, noch viel einfacher zugegangen wäre. Dicht neben dem schlichten, aber geräumigen Herrenhaus - die Bauern nannten es Schloß - stand das Leutehaus. Das hatten die Großeltern, ehe Großvater das ?Schloß?, etwa 1830, baute, bewohnt; mein Vater und seine Geschwister waren darin geboren. Nun, dies strohgedeckte Häuschen hatte in seinen vier niedrigen Stuben nicht einmal einen bretternen Fußboden, vielmehr eine Lehmtenne!
Unsere Lebensführung war aber nicht nur deshalb so einfach, weil die Mittel knapp waren; manchmal kam ja auch ein Geldschiff vom Vater aus Berlin, das eine etwas größere Üppigkeit gestattet hätte. Auch nicht, daß Mutter bei aller Sparsamkeit ängstlich genau gewesen wäre. Nein - der Zuschnitt in unserem Hause entsprach, mit wenigen Ausnahmen, von denen ich noch erzählen werde, ganz dem auf allen Nachbargütern. Es war überall Grundsatz, daß, abgesehen von den unentbehrlichen Kolonialwaren, eigentlich nur das verzehrt werden durfte, was auf dem Gute ?zuwuchs?. Und mit den Kolonialwaren geizte man; die Zuckerstückchen waren unheimlich klein; starker Kaffee galt als höchst ungesund; Tee kannte man kaum, außer medizinischen, in dem Großmutter groß war. Großvater trank wohl am Abend sein Fläschchen Bier; wir bekamen nur ausnahmsweise ein Glas einer seltsamen Sorte Braunbier, das in der Nachbarschaft gebraut und beim Abziehen noch stark mit Wasser verdünnt wurde. Wein erschien bei Tische nur, wenn Gäste im Hause waren. Champagner ist - ich erinnere mich dessen genau, weil er mir einen überwältigenden Eindruck machte - in meiner Kindheit nur zweimal getrunken worden: bei der Taufe meiner Schwester und der goldenen Hochzeit der Großeltern. Freilich gab es ja damals nur echten Sekt, französischen. Der deutsche Schaumwein trat erst später in die Erscheinung, für uns zuerst in Gestalt der Grünberger ?Landkarte?. Und dann hatte es mit dem Champagner auch noch einen besonderen Haken: Eiskeller gab es nicht. So wenig wie eine Badeeinrichtung. Im Sommer plätscherten wir im kleinen Pleiskefluß hinter dem Garten; im Winter wurden wir, wenn es dringend notwendig schien, unten im Keller in einem großen Waschfaß abgeseift.
Man denke nun aber nicht etwa, daß es uns an Delikatessen gebrach. Der Begriff ist ja so relativ. Uns erschien es schon als eine Delikatesse, wenn die Semmelmuhme wöchentlich zweimal frische Semmeln aus Lagow brachte und Omama aus dem unerschöpflichen Tragkorb der Alten ein Stückchen Kuchen herausfischte. Dann spielten Kartoffelpuffer, zumal in der Verbindung mit Leinöl, eine große Rolle; Sauermilch mit ?Torf?, d. h. geriebenem Schwarzbrot und Zucker darüber, stand in hoher Achtung, und Obst gab?s, viel Obst - und nicht nur Knödeln. Den Magen durften wir uns nicht verderben. Aber gedoktert wurde bei uns bedenklich viel. Großmutter war nicht wohl, wenn sie nicht eins ihrer unzähligen Hausmittel in Wirksamkeit setzen konnte. Sie selber hielt für sich daran fest, den Anschauungen ihrer Jugend entsprechend, daß man jährlich mindestens zweimal zur Ader lassen oder Blutegel ansetzen müsse. Damit durfte sie freilich unserer Mutter nicht kommen, obwohl mir deutlich in Erinnerung ist, daß Omama jedesmal nach der Prozedur wie verjüngt erschien. Aber unsren Löffel Rizinusöl erhielten wir in regelmäßigen Zwischenzeiten, ob?s not tat oder nicht und so sehr wir uns sträubten. Dazu stand auf einem Sims meist ein ausgehöhlter, mit Zucker gefüllter Meerrettich in einem Glase, und die allmählich durchtropfende Tunke wurde uns teelöffelweise eingegeben. Bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten gab´s Kamillentee, Flieder-, Baldrian- oder Lindenblütentee; Akonit war sehr beliebt, und alle naselang wurde die Ziehfrau aus dem Dorf ins Schloß zitiert. Die legte uns auf den Fußboden, streckte, rieb und dehnte die Glieder: eine Art einfacher Massage, die gar nicht so uneben war. Der Onkel Doktor aus Sternberg wurden selten geholt: das kostete Geld. Wenn er aber kam, verschrieb er nach Art der Zeit unzählige, endlos lange Rezepte, und das Komische an der Sache war, daß Omama jeden Rest in einer Medizinflasche gewissenhaft selber leerte. Die Tränklein müssen sehr unschuldiger Art gewesen sein, denn es hat ihr nie geschadet.

[...]

Ein Ereignis war für uns stets der Jahrmarkt in Sternberg. Solch Jahrmarkt in der Kleinstadt hatte aber auch seine besonderen Reize. Die ganze Vetternschaft fand sich zusammen mit Kind und Kegel. Im ?Wasserhof? bei Tante Vally Fischer, und im ?Baronshof? bei Tante Rathenow war, wie man heute sagen würde, großer Kaffeebetrieb mit Kuchenbergen. Auf dem Marktplatz gab es Buden mit wundervollen Herrlichkeiten, besonders die süße Bude von Frau Hufnagel, der Konditorfrau aus Zielenzig, erfreute sich höchsten Ansehens. In der Hinterstube der Apotheke aber saßen, wenn sie ihre Pferdegeschäfte erledigt hatten, die Herren, tranken Ungarwein, rauchten wie die Schornsteine und kannegießerten. Bis der Apotheker, Herr Herr, zum Pfeifen aufgefordert wurde; er war nämlich im Nebenberuf ein Kunstpfeifer ersten Ranges. Wir Kinder aber wurden, wenn die Väter des süßten Weines und des Pfeifens satt waren, in eine der kleinen wandernden Menagerien geführt. Ich habe damals zuerst einen wirklichen Löwen gesehen und eine ?Riesenschlange?. Am meisten Eindruck aber machte mir ein kleiner Pony, der rechnen und lesen konnte. In der Tat produzierte das Tierchen so ziemlich alles, was heute dem klugen Hans und den Elberfelder Pferden nachgerühmt wird. Großvater, der mit der Tierwelt vertraut war wie wenige, erklärte mir damals all die kleinen Kunststücke und wie sie zustande kämen. Er ließ sich von ihnen nicht imponieren, wie heute so manche gelehrte Häuser. ?Das heißt,? meinte er, ?wenn ich wollte - meine Diana könnte auch viel mehr lernen.? Ein Glück für die arme Diana, daß er nicht wollte.

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