Hier finden Sie alles rund
um die Literatur Berlins
und Brandenburgs:
Institutionen, Archive,
Bibliotheken, Gedenkstätten,
aber auch heimische Sagen,
Eindrücke klassischer Autoren,
und einen kleinen literatur-
geschichtlichen Überblick.

Gentzrode

Informationen

Literaturangabe:

Fontane, Theodor
Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Die Grafschaft Ruppin - Der Barnim - Der Teltow, Berlin 1862

zurück
weiter

Gentzrode

Gentzrode

Einst war eine Zeit, da war nur eines,
Da war nicht Steig, den Fuß zu stellen,
Da war nicht Haus, das Haupt zu ruhen;...
"Ist mein dies alles? Bin ich hier der Meister?"
So rief er, erwartend, ob´s einer ihm wehrte.


1. Von der Gründung Gentzrodes 1855 bis zum Tode von Johann Christian Gentz 1867

Im Winter 1888 auf 1889 war es, daß unsre Zeitungen, bei Gelegenheit einer in Berlin stattfindenden "Großen Weinausstellung", eine kurze Notiz über ein den "Delegierten zur Ausstellung" gegebenes Fest brachten, welches Fest mit einem Jagdausfluge nach dem Rittergute Gentzrode, halben Wegs zwischen Ruppin und Rheinsberg, abgeschlossen habe. Und in der Tat, seitens des Herrn F. W. Nordenholz, ehemaligen bremensischen Konsuls in Argentinien, waren die Weindelegierten, darunter eine große Zahl portugiesischer Gäste, nach dem oben genannten Rittergute hin eingeladen worden, in der ausgesprochenen Absicht, die "Herren aus dem Süden" mit einer nordischen Jagdszenerie, den verbleibenden deutsch-preußischen Rest der Gesellschaft aber mit einer nach der landwirtschaftlichen Seite hin ganz eigentümlichen Neuschöpfung (in manchem noch eigentümlicher als der Fürst Pücklerschen in Muskau) bekanntzumachen.

Von dieser Neuschöpfung hab ich in nachstehendem zu berichten.

Gentzrode liegt auf dem Plateau beziehungsweise am Abhang einer Sanddüne, die seit unvordenklichen Zeiten den Namen der "Kahlenberge", ja, an einer Stelle sogar des "Kranken Heinrich" führt, ein Terrain ganz nach Art der 1848 historisch gewordenen Berliner "Rehberge": Sand und wieder Sand, von nichts unterbrochen als von einem gelegentlichen Büschel Strandhafer und jenen nesterartigen Löchern, die die vordem hier zahlreichen Krähen aufzukratzen pflegten. So waren die Rehberge, und so waren auch die Ruppiner Kahlenberge, welche letzteren, außerdem noch, in mittelalterlicher Zeit einen aus Feldstein aufgemauerten Luginsland trugen, die "Kuhburg", von der aus ein Wächter nach allen Seiten hin Umschau hielt und Meldung machte, wenn die "Quitzowschen" oder ihresgleichen, wie dies mehrfach geschah, im Anzuge waren. Anfang dieses Jahrhunderts existierten noch die Fundamente dieser "Kuhburg", und als neuerdings an der alten Turmstelle nachgegraben wurde, fand sich der Burgschlüssel einige Fuß tief im Sande. Das war 1855, in welchem Jahre Johann Christian Gentz, über den ich Seite 134 berichtet, diese Sanddüne (die "Kahlenberge") gekauft hatte, von vornherein mit der Absicht, eine Oase daraus zu machen. Als er beim Graben den eben erwähnten Burgschlüssel fand, lächelte er und sah darin eine Gewähr, daß diese Stelle nun seine sein solle.


Die Kahlenberge, wie hervorgehoben, waren nur ein Sandplateau; nichtsdestoweniger machte der Ankauf dieses halb wertlosen Terrains (der Morgen wurde anfangs nur mit sechs Taler bezahlt) große Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten entstanden daraus, daß es Stadtland war, an dem viele Ruppiner Bürger strichweis ihren Anteil hatten, so daß beispielsweise mit 118 Partnern verhandelt und ebensoviel Tauschverträge zustande gebracht werden mußten. Schließlich waren einige tausend Morgen erworben, aber ehe das Gesamtareal beisammen war, gingen die zuerst erstandenen und bereits urbar gemachten Teile schon wieder durch allerlei Prüfungen und Gefahren.

Diese Gefahren waren Wassers- und Feuersnot.

Was zunächst die Wassersnot angeht, so muß vorauf bemerkt werden, daß es keine Not durch, sondern eine Not um Wasser war.

Gleich in den ersten Jahren wurd es eine Lebensfrage für Gentzrode, ob es möglich sein werde, das erforderliche Wasser zu beschaffen. Man hatte bis dahin nur einen Regentümpel, nur eine primitive Zisterne. Damit war nichts zu leisten, und immer unerläßlicher erwies sich die Herstellung eines Brunnens. Ein Ratszimmermeister wurde konsultiert und unterfing sich endlich, die Sache wagen zu wollen. Ein halbes Hundert Arbeiter ward angestellt, um ein trichterförmiges Loch zu wühlen, das eine Tiefe von vierzig und oben eine Weite von fünfzig Fuß hatte. Jedoch umsonst: kein Wasser kam, und der Ratszimmermeister erklärte schließlich, "daß sein Rat und seine Weisheit zu Ende seien". Stafetten gingen nun nach Berlin, um von dort her "höhere Meister" herbeizuholen. Aber wie zu Zeiten einer Epidemie keine Ärzte zu haben sind, so waren in jenem beispiellos trocknen Sommer (1857) keine Brunnenmacher zu haben. Von allen Seiten her waren dieselben Notschreie gekommen, und in der Hauptstadt selbst stand es kaum besser. So blieb denn Gentzrode auf seine eignen oder doch auf benachbarte Kräfte angewiesen. Und sie fanden sich auch.

Ungerufen stellte sich ein kleiner, unansehnlicher Mann ein, namens Franke, der aus Groß-Menz gebürtig und seines Zeichens ein Maurergeselle war. Er erbot sich, den Brunnen fertigzubauen. Wie begreiflich, fand er zunächst wenig Glauben und Vertrauen. "Er sieht aus wie ein Maulwurf", sagte der alte Gentz; "aber was soll uns das; Erde genug ist aufgeworfen." Franke ließ sich jedoch weder durch scherzhafte noch durch ernstgemeinte Bemerkungen aus der Fassung bringen und zeigte jedem Bedenken gegenüber eine solche Sicherheit und Ruhe, daß endlich beschlossen ward, ihn gewähren zu lassen. Er wurde nun in eine Baracke einlogiert, erwies sich hier mit allem zufrieden und imponierte zunächst wenigstens durch Anspruchslosigkeit. Aber schon nach einigen Tagen überraschte die Kunstfertigkeit, mit der er zu Werke ging. Er hatte die Methode des "Senkens", die die Ruppiner noch nicht kannten und die, wenn ich richtig verstanden habe, dem "Mit dem Kasten vorgehn" der Mineure oder der Anwendung des "Wolfs" oder Eisenwagens entsprach, mit dessen Hilfe beispielsweise der Tunnel in London gebaut wurde. Vortreiben, ausgraben und wieder vortreiben. Die vorgetriebene Eisenwandung (so wenigstens beim Tunnelbau) bildet den jedesmaligen Schutz für den Grabenden, während das hinter ihm liegende Stück ausgemauert wurde.

Gentzrode war in jenen Tagen, fast mehr noch als später, eine Sehenswürdigkeit, und es machte wirklich einen spukhaften Eindruck, den kleinen Mann, bei Grubenlicht, wie einen Erdgeist in der Tiefe hantieren zu sehen. Einer rief hinunter: "Wenn dich der Teufel geholt hat, so decke den Brunnen zu." Dieses letztere wurde aber nicht nötig, weil das erstere nicht geschah; Franke erreichte vielmehr in vier Wochen angestrengter Arbeit den Wasserspiegel. Er lag sechsundfünfzig Fuß tief. Und mit neuem Mute setzte der "Maulwurf" nunmehr seine Arbeit fort.


Lassen wir ihn zunächst in seiner Tiefe, daraus wir ihn erst in einem neuen kritischen Momente wieder werden emporsteigen sehen. Denn seltsam, ebendiesem kleinen Manne war es auch vorbehalten, die zweite, größere Not, die Gentzrode zu bestehen hatte, zu beseitigen oder wenigstens, allen andern vorauf, an ihrer Beseitigung mitzuwirken. Er hatte das Wasser gefunden. Das zweite, was er tat, war: er hielt den Lauf des Feuers auf.

Die Geschichte davon zwingt uns, auf eine Zeit vor dem erst in Sicht stehenden Abschluß der Brunnenarbeiten zurückzugehn.

Ein großer Teil des Gentzroder Gutsareals, namentlich aber die der königlichen Forst zu gelegenen Reviere, waren mit Heidekraut überdeckt. Erlaubnis war nachgesucht worden, dies Heidekraut abbrennen zu dürfen, die Regierung hatte die nötige Zustimmung gegeben, und das in Frage kommende Terrain war in zwei Hälften, in eine Hälfte links und in eine andre rechts der Wittstocker Straße, geteilt worden. Mit der einen Hälfte hatte man begonnen, und bereits Ende August war unter Innehaltung aller üblichen Vorsichtsmaßregeln der Heidekrautbrand gefahrlos und ohne jeden Zwischenfall ausgeführt worden. Dies war zur Linken. Vier Wochen später sollte mit der Rechtshälfte vorgegangen werden.

Diese vier Wochen waren jetzt um, und wie herkömmlich in Blättern angezeigt wird: "Am heutigen Tage finden Schießübungen statt" oder "Auf dem Glacis werden Sprengungen vorgenommen", so stand auch im "Ruppiner Anzeiger": "Am 27. September wird auf der Strecke rechts vom Wittstocker Wege das Gentzroder Heidekraut niedergebrannt." Eine Warnung und eine Festankündigung zu gleicher Zeit, denn eine große Zahl von Personen fand sich ein, um dem Schauspiele beizuwohnen.

Bei Beschreibung der nun folgenden Szene laß ich den Hauptbeteiligten (Alexander Gentz, auf den ich weiterhin zurückkomme) selber sprechen:

"Es war neun Uhr früh am genannten Tage (27.), als ich, in Begleitung einiger Freunde, von Ruppin her in Gentzrode eintraf. Ein leiser Wind blies bei unbewölktem Himmel über die Kahlenberge hin. Alles gewährte einen heitern Anblick; jeder war an seinem Platze, die Zuschauer erwartungsvoll. Wir nahmen also die bereitgehaltenen Fackeln zur Hand, und ohne uns lange bei der Frage aufzuhalten, wo´s wohl am geratensten sei, anzufangen, gingen wir umgekehrt davon aus: ?Die nächste Stelle, die beste.? So denn die Fackeln hinein, und im Nu stand eine Heidestrecke von 300 Schritt in Brand. Noch fünf Minuten, und das Feuer fing bereits an, uns Bedenken zu machen, denn der Wind war heftiger geworden. Jetzt erst kam mir der Gedanke, mich auch zu vergewissern, ob seitens meines Inspektors der vorschriftsmäßige Sicherheitsstreifen gezogen sei. Wir waren alle wie vom Teufel des Leichtsinns besessen gewesen. Die gesetzliche Vorschrift, die vier Wochen vorher aufs genaueste befolgt worden war, forderte mit Recht einen zwanzig Ruten breiten, tief umgepflügten Streifen zwischen dem abzubrennenden Heideland und dem weiten Forstbestande dahinter. Und was fanden wir statt dessen! Eine Rute breit lief der Streifen, und nur mit dem Haken, statt mit dem tiefer gehenden Pfluge, war das Erdreich umgebrochen worden. Ein Angstschrei kam über meine Lippen. Dann wurden Versuche gemacht, den schmalen Sicherheitsstreifen durch Ausschlagen des Feuers mit Sträuchen und Büschen zu behaupten, aber vergebens. Die Flamme lief wie eine Schlange über das Gras hin, der Wind wurde Sturm und trieb die Lohe der königlichen Forst zu. Das Heidekraut, die zehn Fuß hohen Tannen, das Kieferngestrüpp, alles war trocken wie Stroh; das Feuer brauste bereits durch die niedrigen Kronen, und ungeheure Rauchwolken stiegen auf, die fast die Sonne verdunkelten. Im Zurückeilen nach dem angesteckten Hofe benahm uns die Hitze schon den Atem, und wir liefen Gefahr, erstickt zu werden. Ich wollte die Mannschaften zu gemeinschaftlicher Hilfe zusammenrufen, aber zerstreut irrten sie hierhin und dorthin, und mein Ruf ging unter in dem unheimlichen Toben der Feuermasse.

Da stieg aus dem Brunnen unser alter ?Maulwurf?, Maurer Franke, hervor, der einzige, der auch jetzt wieder Geistesgegenwart genug besaß, um auf ein rettendes Mittel zu verfallen. Er wies, ohne ein Wort zu sprechen, auf die vier Gespanne Pferde hin, die weit weg auf dem Felde pflügten. In der Tat, wenn überhaupt noch eine Möglichkeit da war, die königliche Forst zu retten, so konnten es nur diese tun. In wenigen Minuten waren sie herbeigeholt und jetzt mit ihnen in Carrière nach der Feuergrenze, wo sie´s möglich machten, auf dem verhängnisvollen Streifen einige tiefere Furchen zu ziehen. Welche Spannung! Ich allein war der Betroffene. Niemand ahnte die volle Verantwortlichkeit, in der ich schwebte. Vor mir 20 000 Morgen Forst ausgedörrt vom heißen Sommer, und hinter mir das heranwälzende Feuermeer, das schon einen Umfang von 300 Morgen einnahm. Ich stürzte zurück nach der Baracke, um auf einem dort untergebrachten Reitpferde nach der Stadt zu jagen, um Hilfe zu holen. Aber ? neue Entmutigung! Einige jener Neugierigen, die des Schauspiels halber herbeigekommen waren, hatten sich ohne weiteres mit dem Reitpferde aus dem Staube gemacht.

Wirr und verworren lief alles aneinander vorüber. Außer meinen Leuten, die von Hunger, Durst und Hitze erschöpft waren, war niemand mit Rettungsinstrumenten da. Der gefürchtete Moment kam in der Tat immer näher, schon war der Waldsaum erreicht, und der Sturm begann bereits die Flammen in die königliche Forst hineinzuschleudern. Die helle Verzweiflung faßte mich, meine Kräfte waren hin, und die Phantasie stellte mir das entsetzliche Bild vor Augen: das Resultat einer vierzigjährigen rastlosen Tätigkeit meines Vaters mit einem Schlage vernichtet zu sehen! Vernichtet war ich selber.

Aber dieser schlimmste Moment war auch die Rettung. Die Nachricht von dem Geschehenen war inzwischen nach Ruppin gelangt, alle Sturmglocken gingen, und durch öffentlichen Ausruf ward angekündigt, ?daß jedes Haus zwei arbeitsfähige Männer zu stellen habe?. Die ganze Stadt war auf den Beinen, die Dörfer nicht minder, und alles, was Wagen und Pferde hatte, machte sich auf, um der bedrohten Stätte zuzueilen. Schon sah ich die Menschen mit überladenen Wagen, Spritzen und Wassertonnen vom Kuhburgsberge herunterfliegen, als mir, auch von der anderen Seite her, die Nachricht kam, ?das Feuer ist bewältigt?. Es war so. Mit einiger Ruhe konnten wir jetzt dem letzten Akte des Schauspiels zusehen und wahrnehmen, wie die mehr und mehr in sich selbst erstickenden Flammen ihren dunklen Rauch über die Tannen lagerten. War es die Windstille, die plötzlich eingetreten, oder waren es die Weisungen des alten Brunnenmachers, gleichviel, die Forst war gerettet und mit ihr mein Vermögen."


Alle diese Vorgänge fielen in den Spätsommer 1857. Katastrophen ähnlicher Art brachen von jenem Zeitpunkt ab nicht mehr herein; Wasser war gewonnen, der Boden urbar gemacht, und das Unternehmen begann innerhalb der gehegten Erwartungen, ja über diese hinaus zu prosperieren, nicht zu kleinstem Teile deshalb, weil man den Mut hatte, nicht nach berühmten Mustern und überkommener Weisheit, sondern in einer Art Opposition vorzugehn. In allem gab der "common sense" den Ausschlag. Man wollte nicht Pendant zu Vorhandenem, sondern das Gegenstück dazu sein. Parole wurde: Nur kein System!... "Geld und Nüchternheit übernahmen hier von Anfang an die Gestaltung und Regelung des Ganzen, aber doch derartig eigentümlich, daß sich, innerhalb der nüchternsten Erwägungen, ein beständiger, ans Sublime streifender Hang zu Kalkül und Spekulation zu erkennen gab. Wie Rechner und Schachspieler phantastisch werden können, wie´s eine Trunkenheit des Verstandes gibt, ähnlich operierte man auch hier." Jeder herkömmliche Satz wurde angezweifelt, eben weil er herkömmlich war, die Kritik wurde zum schöpferischen Element.

Und die Devise jedes neuen Tags,
Sie lautete: ich will es und ich wag´s.

Im Einklange damit war es, daß, allem Spott der Besserwisser zum Trotz, von Anfang an der eine Gedanke verfolgt wurde: den Ackerbetrieb, mit Rücksicht auf den sterilen Boden, nach Möglichkeit zu beschränken und statt seiner, neben Maulbeerbaumpflanzungen und Seidenzucht, den Brennereibetrieb und, als auch dieser, wie schon vorher die Seidenzucht, versagte oder wenigstens nicht voll genügte, große Waldkulturen in Angriff zu nehmen. Dies ergab relativ glänzende Resultate, da man, von Anfang an, auf nur sehr mäßige Zinserträge gerechnet hatte. Verhältnismäßig rasch war aus der Anlage so viel geworden, daß die ehemaligen "Kahlenberge" als eine märkische Musterwirtschaft angesehen wurden. Ackerfelder zogen sich in breiten Flächen über das Plateau hin, desgleichen frische Wiesen am Fuße desselben, überall aber, den Abhang hinab und dann eingemustert in die Schläge, wuchsen Schonungen auf und bedeckten eine ziemlich bedeutende Fläche mit jungen Eichen, Birken und Buchen. Aus dem Mittelpunkt dieser Neuschöpfung aber erhob sich, quadratisch, ein Komplex von Wirtschaftsgebäuden, hoch von Schornsteinen überragt, deren Rauchfahnen weit ins Land hinein die Wandlung verkündeten, die sich an dieser Stelle vollzogen hatte. Dem entsprachen auch die mittlerweile herangezogenen Arbeitskräfte. Drei Inspektoren waren da, samt vielen Knechten und Mägden, alles in allem 116 Menschen, an einer Stelle, wo, seit dem Hinsterben des letzten Turmwächters auf der "Kuhburg", kein menschlich Wesen mehr gelebt hatte. Der schönste Moment aber war der, als das erste Kind, ein Junge, auf dieser Stelle geboren wurde, was den alten Gentz das stolze Wort sprechen ließ: "Er ist der erste hier, er soll Adam heißen."


Alles war in gutem Stand und Gedeihen, als Johann Christian Gentz, zwölf Jahre nach der Begründung, starb.

2. Vom Tode des alten Johann Christian Gentz (1867) bis zum Bau des Gentzroder Herrenhauses 1877

Am 4. Oktober 1867 war der alte Gentz gestorben und vorläufig, bis zur endlichen Ausführung eines für Gentzrode geplanten Mausoleums, auf dem alten Ruppiner Kirchhof am Wall beigesetzt worden. Sein jüngster Sohn Alexander trat nach erfolgter Vermögensauseinandersetzung mit seinem älteren Bruder Wilhelm, dem Maler, das Gesamterbe an, das aus folgenden Hauptstücken bestand:

aus dem Stadthaus samt Laden- und Bankgeschäft,

aus dem sogenannten "Tempelgarten" samt Tempel vorm Tempeltor,

aus dem Torfgeschäft im Luch, und viertens und letztens

aus Gentzrode,

welchem letzteren der neue Besitzer von Anfang an seine volle Hingabe widmete. Bevor ich indessen erzähle, wie diese speziell Gentzrode zugute kommende Hingabe sich äußerte, geb ich, als Einleitung, eine biographische Skizze des neuen Besitzers bis zu dem Zeitpunkt der Gutsübernahme. Bei der Skizze selbst aber folge ich Alexander Gentz´ eigenen Aufzeichnungen.


Alexander Gentz

"Ich wurde", so schreibt er, "am 14. April 1825 geboren, und zwar als der jüngste von vier Brüdern, die, von frühester Kindheit an, sämtlich lebhaften Geistes und von gleicher Neigung beseelt waren, sich in freier Natur herumzutummeln, um Pflanzen, Käfer, Vogeleier und Schmetterlinge zu sammeln. Ein Elementarlehrer, der Weißbauer hieß und trotz eines mehr als bescheidenen Gehalts von nur 120 Talern sich eine wundervolle Pflanzen- und Insektensammlung angelegt hatte, wußte durch Exkursionen, auf denen wir ihn begleiten durften, unsren Eifer für naturwissenschaftliche Dinge zu steigern. Es ging meistens auf Alt Ruppin zu bis an den Molchow-See. Die weite Sandfläche ? von kleinen Hügeln unterbrochen, mit denen der Wind spielte ? war so tot und öde, daß nicht einmal Fichtengestrüpp oder Heidekraut drauf wuchsen, und an dieser Wüste vorbei (wenn nicht querdurch, was auch vorkam) wanderten wir bis an die ?Räuberkute?, die wir schon um ihres Namens willen liebten und der nur leider die Räuber fehlten. Mitten im Sande begegneten wir dann plötzlich einem Sumpfloch mit wilden Enten drauf, nach denen wir vom Ufer her mit Steinen warfen, bis sie weiterflogen oder niedertauchten. Hinter der ?Räuberkute? lief dann, die sogenannte Schwedenschanze durchschneidend, ein alter Weg auf die Neue Mühle zu. Dies war der Ausflug, den wir am häufigsten machten, am liebsten aber war uns der Weg am Klappgraben hin und dann über diesen fort bis zu den mit Eichen und Buchen bestandenen ?drei Wällen?, die wohl auf 1000 Schritt die Grenze zwischen der Storbecker und Kränzliner Feldmark ziehen und den Eingang zu einem prachtvollen Eichenkamp, der der ?Blecherne Hahn? hieß, bildeten, eine landschaftlich reizende Partie mit Baumgruppen, wie sie sich, was unsere Grafschaft angeht, kaum noch auf dem schönen Ruppiner Wall und im Forstrevier ?Pfefferteich? vorfinden. Ja, nach dem ?Blechernen Hahn? hin, wo sich eine Meierei mit Milchwirtschaft befand, das war ein beliebter Ausflug, und nur eines gab es, was noch darüber hinausging, das war ein in der Nähe der Kahlenberge gelegenes Elsbruch, mit einem dunklen Wassertümpel in der Mitte, der den Namen der ?Gänsepfuhl? führte. Das war harmlos genug, es war aber die unheimlichste Stelle in der ganzen Gegend, an die sich allerlei Spukgeschichten knüpften, Geschichten, deren Grusel noch wuchs, als es eines Morgens hieß, Uhrmacher Hettig und Ratsdiener Kalle, die hier zu fischdieben und sich zu diesem Zwecke eines am Ufer liegenden alten Fischerkahnes zu bedienen pflegten, seien in der Nacht vorher auf dem Gänsepfuhl ertrunken. Ja, der Grusel wuchs, das muß ich wiederholen, aber ich kann nicht sagen, daß sich im übrigen ein mir zur Ehre gereichendes menschliches Mitgefühl mit eingeschlichen hätte, namentlich was den Ratsdiener Kalle betraf. Dieser nämlich war unser aller Feind, weil er uns, wenn wir uns auf eine städtische Wiese verirrten, um Schmetterlinge zu fangen, immer abzufassen suchte, bei welcher Arbeit ich auch wirklich mal ergriffen und von ihm gepfändet worden war. Ich war jetzt naiv oder selbstsüchtig genug, in dem Tod, den er erlitten, eine gerechte Strafe für die mir widerfahrene Strenge zu sehn, und sympathisierte durchaus mit dem hämischen Fischer, der den am Ufer liegenden Kahn vorher durchlöchert und dadurch den Tod beider Inkulpaten herbeigeführt hatte. Daß Kalle neun Kinder hinterließ, änderte wenig in meinen Augen. Nichts Egoistischeres als ein halberwachsener Junge. Sonderbarerweise kam der Elsbruch und mit ihm der gefürchtete Gänsepfuhl dreißig Jahre später in meinen Besitz, und als ich an die Urbarmachung des Bruches ging und den mit Kraut ganz durchwachsenen Gänsepfuhl ausbaggern ließ, kam auch das Boot wieder ans Licht, darin Hettig und Kalle ihren Tod gefunden hatten, und ich sah nun deutlich die Löcher, die der Kahnbesitzer, um seine fischdiebenden Feinde zu vernichten, hineingebohrt hatte.

Zehn Jahr alt, kam ich auf das Ruppiner Gymnasium und verließ es von Sekunda aus, um noch die Magdeburger Handelsschule zu besuchen, denn es stand fest, daß ich für den Kaufmannsstand erzogen werden sollte. Jahr und Tag war ich in Magdeburg und kam dann in ein Stettiner Modewarengeschäft, um daselbst die Handlung zu erlernen. Es erging aber meinen Eltern mit mir nicht besser als mit meinem älteren Bruder Wilhelm: auch mir wollte das Kaufmännische, wenigstens in der Gestalt, in der es mir damals entgegentrat, nicht behagen, und alle meine Neigung richtete sich, wie bei meinem Bruder, auf die Kunst. Ich überwand mich aber und hielt aus. Als ich zwanzig Jahr war, wollt ich aus den engen Verhältnissen heraus und in die Welt hinein. Meine Sehnsucht war Paris, was meine Eltern veranlaßte, meinen Oheim, den in Neustrelitz wohnenden Rentier Voigt (einen Bruder meiner Mutter), nach Ruppin kommen zu lassen, um mich von meiner Reisesehnsucht abzubringen. ?Der Junge geht ins Verderben?, sagte Onkel Voigt, ?bringt ihn nach Wittstock. Was soll er in Paris? In Wittstock kann er was lernen.? Es half aber alles nichts, ich blieb bei meinem Willen, und meine Mutter war schließlich einsichtig genug, in dieser Frage nachzugeben. Ich packte also meinen Koffer und ging auf zwei Jahre nach Paris. Während der ersten Monate flanierte ich, um die Weltstadt kennenzulernen, in den Straßen umher, dann nahm ich eine Stellung in einem kaufmännischen Geschäft an und wurde meines Fleißes halber belobt, während man mir das ausbedungene Gehalt schuldig blieb. Meine Kollegen lachten darüber und sagten: ?Monsieur, vous avez travaillé pour le roi de Prusse.? Bald danach trat ich, um´s besser zu haben, in ein spanisches Kommissionshaus ein. Als aber infolge der ausbrechenden Februarrevolution (1848) alle Geschäfte zu stocken begannen, gab ich auch diese Stellung wieder auf und zog es vor, eine Reise nach dem südlichen Frankreich, nach Spanien und Algier zu machen. Bei dem Wiedereintreffen in Paris fand ich Briefe vor, die mich in die Heimat zurückberiefen, und vom Sommer 1848 an war ich wieder in Ruppin.

Es folgten diesem ersten großen Ausfluge noch verschiedene Reisen, aber alle waren von kürzerer Dauer. So war ich beispielsweise Anfang der fünfziger Jahre verschiedentlich in Wien und Venedig und 1855 ein halbes Jahr lang in England, bis ich mich das Jahr drauf mit Helene Campe, Tochter des Buchhändlers Julius Campe zu Hamburg (Verleger Heines), verlobte. Mein Papa, als er mich zur Verlobungsfeier nach Hamburg begleitete, schmeichelte sich damit, in meinem Schwiegervater einen wohlhabenden Mann gewonnen zu haben, von dessen Vermögen mir sofort ein erheblicher Bruchteil zufallen würde. Beide alte Herrn unterhielten sich dann auch über diesen Punkt und suchten sich auszuhorchen.

?Was geben Sie Ihrem Sohne mit?? fragte Campe.

?50 000 Taler?, antwortete mein Papa und erwartete eine Gegenerklärung von ungefähr derselben Höhe. Campe aber antwortete nur: ?Wohl Ihnen.?

Und dabei blieb es. 4000 Taler abgerechnet, die mir mein Schwiegervater zur Bestreitung der Aussteuer, unmittelbar nach der Trauung, in die Hand drückte.

Glücklicherweise zog ich mit meiner Heirat, auch ohne besondere Legitimierung von seiten meines Schwiegervaters, ein glückliches Los. Meine Frau hatte, unter häuslichen Tugenden, auch den Vorzug einsichtsvoller Klugheit und die Fähigkeit, sich in die Verhältnisse der neuen Familie zu schicken. Aus unserer Ehe wurden uns vier Kinder geboren.

1857 übernahm ich das alte Geschäft in der Stadt, das ich von diesem Zeitpunkt an selbständig leitete. Vier Monate des Jahres befand ich mich in der Regel auf Reisen, um die nötigen Einkäufe zu machen, war ich aber wieder daheim, so langweilte mich der ?Verkauf im einzelnen?, und das sogenannte ?Ladengeschäft? sagte mir gradesowenig zu wie vordem. Auch das kleine Ruppiner Leben war durchaus nicht nach meinem Sinn, lauter Dinge, die sich erst zum Bessern kehrten, als mich der Wandel der Zeiten in größere kaufmännische Verhältnisse führte: Kapitals-Assoziationen fanden statt, und eine der großen Gründerepoche der siebziger Jahre voraufgehende Aktienschwindelzeit brach gerade damals an. In sich verwerflich genug. Aber so verwerflich diese Zeit und ihre Manipulationen sein mochten, ja, mit so großen Verlusten sie für mich verknüpft waren ? das ganze kaufmännische Leben erschien mir doch plötzlich in einem neuen Licht, und wenn mich früher das Kleinliche gelangweilt und auch angewidert hatte, so war jetzt etwas da, was mich interessierte, was Gedanken und Spekulationen in mir anregte. Mit den größeren Summen, die mir trotz und inmitten meiner Verluste doch immer reichlich wieder zu Händen kamen, ermöglichten sich Unternehmungen der mannigfachsten Art, Ankäufe kamen zustande, und große und kleine Liegenschaften, teils in Nähe, teils in mehrmeiliger Entfernung von Ruppin, wurden erworben, was schließlich dahin führte, daß wir, mein Vater und ich, eine halbe Quadratmeile Torf- und Wiesenterrain im Wustrauschen und im Rhin-Luch besaßen, ja, uns bald danach sogar in der Lage sahn, ein mit einigen fruchtbaren Ackerstreifen durchsetztes Stück Sandland von nicht unbeträchtlichem Umfang anzukaufen. Dies waren die nach Rheinsberg hin gelegenen ?Kahlenberge?, die, nach ihrer Umgestaltung in Acker-, Forst- und Weideland, den Namen Gentzrode und ein oder zwei Jahrzehnte später sogar die Rittergutsqualifikation empfingen."

Soweit die biographische Skizze, die wir hier abbrechen, um nunmehr von Alexander Gentz in Person nach Gentzrode, dessen Besitz er eben angetreten, zurückzukehren.

Beim Tode des Alten (1867) befand sich das neu geschaffene Gut, um es noch einmal zu sagen, in einem durchaus blühenden Zustande:

Waldkulturen, einschließlich einer großen Baumschule, waren geschaffen;

ein zweiter artesischer Brunnen, um den Mehransprüchen einer (trotz eingetretener Ungunst der Zeiten) immer noch wachsenden Brennerei zu genügen, ward gegraben;

eine sogenannte "Ablage" am Molchow-See, die, weil der Rhin den Molchow-See durchfließt, einen bequemen Wasserverkehr ermöglichte, war unter großen Schwierigkeiten erkämpft;

und endlich umschloß ein Komplex von Scheunen und Ställen (der dominierenden Brennerei zu geschweigen) einen mächtigen und beinah schönheitlich wirkenden Wirtschaftshof.

So war denn das, was der neue Besitzer übernahm, ein blühendes Gewese, das er belassen konnte, wie´s war, und zwar um so mehr, als auch schon bei Lebzeiten des Vaters alles nach seinen (des Sohnes) Anschauungen geleitet worden war. In der Tat, er hatte nicht nötig, im Prinzip irgendwas zu ändern, und tat es auch nicht, aber er hatte von jetzt an freiere Bewegung und benutzte diese, um alles reicher auszugestalten. Nicht in Richtung und Anschauung, aber im Maß und Tempo wurde geändert.

Das zeigte sich zunächst bei den Waldkulturen, an die der neue Besitzer sofort mit gesteigerter Energie herantrat, weil er von dem lebhaften Wunsche geleitet war, in erster Reihe ein Waldgut aus Gentzrode zu machen. Er begann damit, 110 000 junge Eichen aus Holland zu beziehen und in den rajolten Boden einzusetzen. Oberförster Berger aus Alt Ruppin, Fachmann und Autorität, ritt vorüber und rief ihm zu: "In solchen Boden wollen Sie Eichen pflanzen? Werfen Sie Ihr Geld nicht weg!" Aber der, an den sich dieser Zuruf richtete, ließ sich durch solche Fachmannsurteile nicht abschrecken. Er war kurze Zeit vorher in Potsdam und Babelsberg gewesen und hatte sich an beiden Orten überzeugt, daß die neuen Parkanlagen auf einem Boden erfolgten, der zum Teil nicht besser war als der seine. Das gab ihm, wenn er desselben noch bedurft hätte, neuen Mut, und gestützt auf solche Wahrnehmungen, fuhr er in seinen Anpflanzungen fort. Auch aus dem Samen wurde gezogen, selbstverständlich unter Vermeidung alles Willkürlichen und Zufälligen. Professor Koch in Berlin hatte vielmehr, auf Ersuchen, ein Verzeichnis aufgestellt, in dem angegeben war, welche außereuropäischen Bäume am besten geeignet wären, sich im märkischen Sande zu akklimatisieren, und gestützt auf diese Liste, wurden nunmehr aus New York, Kanada, Columbia, Tiflis und Sibirien Samenarten im Betrage von 2000 Talern bezogen und ? ausgesät. Das, was am besten aufging, gab ebendadurch den Beweis, auf unserm Boden vorzugsweise verwendbar zu sein; aber auch das derartig Erprobte und Bewährte sah sich noch wieder vor eine engere Wahl gestellt, in der abwechselnd der Baum von größerem Holzwert und der von prächtigerer Laubfärbung seinen Vorzug geltend machte. So wurden Kulturen hergestellt, die, schönheitlich den Schöpfungen des Fürsten Pückler an die Seite zu stellen, zugleich auch als rentabel anzusehen waren und diese Annahme rechtfertigten. Für 10 000 Taler Pflanzbäume konnten in wenigen Jahren aus diesen Anlagen verkauft werden, und Kontrakte wurden abgeschlossen, nach denen, von Gentzrode her, die Bäume zur Bepflanzung der auf Berlin einmündenden Chausseen geliefert werden sollten. Es hatte sich nämlich herausgestellt daß die auf dem leichten Boden der "Kahlenberge" gewonnenen Pflanzbäume zu derartigen Anlagen vorzugsweise verwendbar waren.

Soviel über die Waldkulturen, denen unausgesetzt ein großes Interesse gewidmet blieb. Indessen, so groß dasselbe war, so stellte sich doch in einer Art Gegensatz zu dem ursprünglichen Plan mehr und mehr heraus, daß, um das Ganze prosperieren zu lassen, auch das Landwirtschaftliche betont und mit Hülfe eines durch die Brennereiabgänge großzuziehenden Viehstandes der Acker verbessert werden müsse. Dies durchzuführen, war es nötig, immer neue Menschen heranzuziehen, die, nachdem sie mal da waren, auch untergebracht werden mußten. Und so entstand in kürzester Frist eine ganze Straße von Arbeiterwohnungen: einundzwanzig Familienhäuser, jedes einzelne zu vier Familien.

Es konnte nicht ausbleiben, daß bei diesem beständigen Wachsen von Gentzrode das Interesse der Familie ganz in dieser Lieblingsschöpfung aufging und schließlich dahin führte, wenigstens den Aufenthalt in Sommertagen "draußen" zur Hauptsache, den drinnen in der Stadt zur Nebensache zu machen. Es war dies eine sehr glückliche Zeit, die zuletzt allseitig den Wunsch entstehen ließ, Gentzrode nicht bloß als Villeggiatur der Familie, sondern als Wohnsitz überhaupt anzusehen. Dazu war aber ein Hausbau ganz unerläßlich.

Alexander Gentz selbst hat sehr anschaulich über diesen Zeitabschnitt, und wie sich schließlich die Notwendigkeit eines Wohnhauses herausstellte, berichtet:

"Durch eine Reihe von Jahren hin", so schreibt er, "hatten wir uns mit der Stube des Inspektors begnügt und darin ein gelegentlich mehr als gemütliches Dasein geführt. Versuchte beispielsweise der Inspektor mit seiner schreienden Stimme Wirtschaftsangelegenheiten zu behandeln, so war gewiß auch ein Torfmeister da, der mit seinen Berichten aus dem Luch dazwischenfuhr. Und damit nicht genug. Das Mädchen kam klappernd mit den Tassen in die Stube, während meine Frau den Kaffeetisch arrangierte. Mäntel und Fußsäcke hingen zwischen Jagdgewehren und Tabakspfeifen, und die Wirtschaftsmamsell kam mit einem Häckselkasten, darin eben gelegte Eier lagen, oder mit ein paar Stücken Butter, die mit nach Ruppin wandern sollten. Und nun setzten wir uns an den Kaffeetisch, an dem alles herrschte, nur nicht Ruhe, denn entweder kamen Tagelöhner und Arbeiter, um die Schlüssel vom Schlüsselbrett zu holen, oder ein Polier oder Zimmergeselle trat ein, um Nägel zu fordern oder irgendwas andres. Alles so primitiv wie möglich. Soviel Tassen, soviel Größen und Muster, und kamen dann mehrere von unsren Beamten und Angestellten und setzten sich mit an denselben Tisch, so wurde der Aufgußkaffee immer dünner, und der Kümmel, den wir in der Brennerei leidlich zu mischen verstanden, mußte aushelfen. Aber demungeachtet waren dies glückliche Stunden, und wenn Fremde mit uns herausgekommen waren, so wählten wir draußen einen Platz im Freien und nahmen abends unsre saure Milch unter einem Holunderbaum an windgeschützter Stelle. Die Kinder waren glücklich, und der Hang, dies Idyll zu ändern und mit einem prächtigen Bau zu vertauschen, war, vielleicht grade weil wir Gentzrode so liebten, anfänglich höchst gering. Nach und nach stellte sich aber doch, und zwar nach aller Meinung, die Notwendigkeit heraus, diesen primitiven Zuständen ein Ende zu machen, und als ich in die Lage kam, einen großen, an der Landstraße sich hinziehenden Speicher bauen zu müssen, entschloß ich mich, diesem Speicher einen turmartigen Anbau zu geben, teils um das Straßenbild zu verbessern, teils um endlich einige präsentable Wohnräume zu gewinnen. Und nach diesem Entschlusse wurde denn auch verfahren. Der turmartige Anbau, mit einem mächtigen Turmknopf oben, empfing ein großes Zimmer im Erdgeschoß und ein ebenso großes im ersten Stock, woran sich dann, im zweiten Stock, einige kleinere Räume: Schlaf- und Logierzimmer, anschlossen."

So berichtet A. Gentz über die Verhältnisse, die diesen turmartigen Speicheranbau mit einem Goldknopf darauf entstehen ließen. Uns erübrigt nur noch, die Räume selbst zu schildern, von denen das Turmzimmer im Erdgeschoß, soviel ich weiß, bis diesen Tag unverändert geblieben ist.

Dies untere Turmzimmer kann als ein in seiner Art interessanter Raum gelten. Man hat hier alles in Bild und Schrift beisammen, die Personen und die Gedanken, die Gentzrode seinerzeit entstehen ließen. Es ist eine dunkelgrüne runde Halle, oben mit goldnen Sternen bemalt. Als Wandbilder (von Wilhelm Gentz herrührend) erst der alte Johann Christian, dann Alexander Gentz, dann der erste Torfmeister, der erste Förster, der erste Brenner, der erste Inspektor. Dazu Versinschriften. Zwischen den beiden Gentz, Vater und Sohn, stehn folgende Reime:

Wer Großes schafft, muß viele Plagen
Mit zähem Mute fest ertragen.
Auch dem, der hier den wüsten Sand
Der Kahlenberg´ in urbar Land
Verwandelt hat mit Müh und Fleiß,
Ihm machte man sein Streben heiß.
Philisterrede, Spott und Hohn
War anfangs seiner Mühe Lohn,
Alsdann des Waldbrands grimme Not
Hat Untergang ihm fast gedroht.
Doch hat er all die Müh´ und Plagen
Mit zähem Mute fest ertragen.
Er dacht: wem Großes soll gedeihn,
Darf keine Müh und Arbeit scheun,
Muß rüstig brauchen Kopf und Hände,
Dann führt er´s doch zum guten Ende.

Dieser längeren Reiminschrift gegenüber stehen folgende kurze Sprüche:

Was verkürzt die Zeit? Tätigkeit.
Was bringt in Schulden? Harren und Dulden.
Was macht gewinnen? Nicht lange besinnen.
Was bringt zu Ehren? Sich wehren.

So das runde Zimmer im Erdgeschoß. Auch das im ersten Stock war seinerzeit reich geschmückt mit Teppichen, Geweihen und Tigerfellen, mit Raubvögeln und Wildschweinsköpfen, meist selbstgemachte Jagdbeute. Dazwischen waren andre Räume mit Waffen gefüllt, so daß sie einer Rüstkammer glichen; oben aber lief ein Außengang um den Turm herum, von dem aus man einen trefflichen Überblick über Näh und Ferne hatte.

Das obere Zimmer war Arbeitszimmer für Alexander Gentz, wenn er, auf länger oder kürzer, in Gentzrode verweilte, während das Rundzimmer im Erdgeschoß als Empfangsraum für die Besucher diente, deren sich, in den Sommermonaten, beinah täglich etliche hier zusammenfanden. Auch solche, die für längere Zeit in Gentzrode verweilten, hatten in diesem Parterreraum ihr regelmäßiges Frühstücksrendezvous mit der Familie. Diese Besucher waren meist Freunde aus Berlin, unter ihnen Adolf Stahr und Fanny Lewald, die hier vorübergehend ihren Sommeraufenthalt nahmen.


All dies war in den ersten siebziger Jahren. Aber wie seinerzeit das "Inspektorhaus" nicht mehr genügt hatte, so wollte jetzt auch der "Turmanbau" nicht mehr genügen, und A. Gentz, dessen Torfgeschäft "im Wustrauer Luch" nach wie vor große Gewinnsummen abwarf, hielt jetzt den Zeitpunkt für gekommen, um seine speziell hier in Gentzrode von Anfang an auf das künstlerisch Prächtige gerichteten Ideen verwirklichen zu können. Mit andern Worten, es handelte sich darum, zum Abschluß des Ganzen, ein Schloß, einen Park, ein Mausoleum entstehn zu lassen. Und mit dem ihm eignen Feuereifer ging er an die Durchführung dieser neuen Idee. Sein Bruder Wilhelm, der schon damals, einigermaßen kopfschüttelnd, dem allen zusehen mochte, schreibt mir über das Vorgehen aus jenen Tagen: "Alexander wandte sich zunächst an die Herren Kyllmann und Heyden und bat dieselben um einen Entwurf. Aber was die Herren ihm einsandten, eine reizende Zeichnung im Villenstil, mißfiel ihm, weil es ihm nicht groß genug war. Er ging nun die Herren Gropius und Schmieden um einen andern Plan an. Dieser kam und gefiel ihm. Er war", so schrieb Wilhelm Gentz (der Maler) an mich, "orientalischem Geschmacke angepaßt, und diesem neuen Plane gemäß ward denn auch beschlossen, mit dem Bau zu beginnen. Zuvor aber erschien meinem Bruder Alexander, und von seinem Standpunkt aus mit Recht, eine Erhöhung des Terrains notwendig, und zwar ?imposanteren Aussehns halber?. Viele Tausende wurden dafür ausgegeben. Schmieden erzählte mir später, es sei ihm angst und bange geworden bei den Ausgaben, die das alles verursacht habe. Nun, gleichviel, es kam zustande, desgleichen eine dem Schloß gegenübergelegene, durch eine künstliche Felsengrotte verschönte Parkanlage, die Richard Lucae, bei seinem Besuch in Gentzrode, ein Meisterstück gärtnerischer Kunst nannte."

So war das, was hier entstand. Die ganze Prachtschöpfung ging ihrem Abschluß entgegen, und nur das "Mausoleum" fehlte noch. Die Pläne zu demselben lagen schon vor, und A. Gentz war von einer fieberhaften Hast erfüllt, daß mit der Ausführung begonnen werde. Die Mittel waren da, denn es war die Zeit unmittelbar nach den Gründerjahren, und Ansehn und Vermögen standen auf der Höhe. "Gestehe, daß ich glücklich bin", konnte der Herr auf Gentzrode, wenn er Umschau hielt, wie König Polykrates ausrufen, und im Gefühle dieses seines Glücks kam er auf den Einfall, neben andrem auch sein und seines Werkes eigner Geschichtsschreiber sein zu wollen. Diesem Einfall verdanken wir ein, meines Wissens, in seiner Art einzig dastehendes Schriftstück. Energisch und rasch wie in allem, so ging er auch in dieser Sache vor und schrieb eine Geschichte der Entstehung von Gentzrode nieder, die, nach seinem Wunsch und Willen, in den großen vergoldeten Turmknopf des in vorstehendem ausführlich geschilderten Speicheranbaus deponiert werden sollte. Der Ernst, fast könnte man sagen, die Feierlichkeit, mit der er dabei verfuhr, erhellt am besten aus den Einleitungsworten zu dieser "Urkunde". Dieselben lauten:

"Im Namen Gottes!"

"Im Namen Gottes! Johann Christian Gentz und ich, Alexander Gentz (Sohn Johann Christians), haben das auf den Kahlenbergen bei Neuruppin belegene Gut Gentzrode durch Ankauf von Ländereien im Jahre 1856 begründet und das Jahr drauf mit Herstellung der nötigen Wirtschaftsgebäude begonnen. In den vergoldeten Knopf, den ich dem Turm am Kornspeicher vor Jahren gegeben habe, soll diese Schrift niedergelegt werden und unseren Nachkommen über unsre bisherige Wirksamkeit auf Gentzrode Kunde geben."

So der Beginn, an den sich, am Schluß des Ganzen, folgende Worte reihn:

"Die vorstehenden, für den Turmknopf am Kornspeicher bestimmten Aufzeichnungen habe ich in den Nächtestunden geschrieben, die mir der letzte Winter gewährte. Der erste Gedanke war, nur einfach in richtiger Reihenfolge niederzuschreiben, wie das alles nach und nach entstand. Im Schreiben selbst aber kam mir dann die Lust zu allerhand Exkursionen, die nun Schlaglichter warfen auf die Personen, mit deren Beschränktheit und Schlauheit ich all die Zeit über zu kämpfen hatte. Was ich im Luch an Torfwiesen erstand, das hatte nur den Zweck des Gelderwerbes, meine Tätigkeit in Gentzrode dagegen war meine Lust und Freude. Zugleich hab ich es ins Leben gerufen, um es zur Grundlage für den Wohlstand und Zusammenhalt einer Familie zu machen, denn der Grundbesitz bleibt das sicherste und stabilste Besitztum."

So schrieb er damals, ahnungslos, wie bald diese Herrlichkeit und mit ihm der stolze Plan eines andauernden Familienbesitzes zusammenbrechen würde. Die Katastrophe war nah.

Aber ehe wir diese schildern, wenden wir uns dem Manuskript zu, das in den vergoldeten Turmknopf gelegt werden sollte.

3. Die Turmknopf-Urkunde

Das Niederschreiben einer für den Turmknopf bestimmten Urkunde, deren Vor- und Nachwort ich am Schluß des vorigen Kapitels bereits mitteilte, war es, was A. Gentz, nach vorläufigem Abschluß seiner Gentzroder Bautätigkeit, einen Winter lang beschäftigte. Wie mir nicht zweifelhaft ist, zu seiner besonderen Befriedigung. Und eine solche Befriedigung zu fühlen, dazu war er, nicht nur aus menschlicher Schwachheit (er wollte den Ruppinern etwas anhängen), sondern auch ästhetisch und künstlerisch angesehen, vollkommen berechtigt. Ja, was er da niedergeschrieben hat, zum Teil in einem brillanten Stil, ist durchaus eine literarische Tat, und das bekannte, für die fachmäßige Schriftstellerwelt freilich nicht allzu schmeichelhafte Wort: "Ein Schriftsteller kann jeder sein, der was zu sagen hat", empfängt aus diesen Alexander Gentzschen Aufzeichnungen eine neue Bestätigung. Eine literarische Tat, so sagte ich. Aber damit ist die Sache noch keineswegs erschöpft; der eigentliche Wert dieser Urkunde liegt in ihrer lokalhistorischen Bedeutung. Es wird darin ein kleines märkisches Städtebild aus der Mitte des Jahrhunderts gegeben, ein Bild, wie´s bis dahin nicht da war und auch auf lange hin mutmaßlich nicht wiederkommen wird. Eingelebtsein in alle Verhältnisse, scharfe Beobachtung und große Klugheit vereinigten sich hier mit angeborner schriftstellerischer Begabung und ließen ein Werk entstehen, das nun für alle die, die dermaleinst märkische Kulturhistorie schreiben wollen, und ebenso für die märkische Novellistik der Zukunft unschätzbar erscheint. Ein Mikrokosmus, wie er nicht schöner gedacht werden kann.

Der ursprüngliche Zweck der Urkunde, "wie Gentzrode ward und wuchs", wird nie ganz aus dem Auge verloren, aber, wie sein eignes, vorzitiertes Schlußwort es auch ausspricht, überall finden wir Exkurse, denen sich Portraitierungen gesellen, eine ganze Galerie von kleinstädtischen Charakterköpfen.

Und nun geb ich dem Verfasser selber das Wort, nur hier und da, beßren Verständnisses halber, eine kurze Bemerkung einfügend.

"... Ich war nun also Mitglied des Magistratskollegiums, und damit scheint mir der Zeitpunkt da, mich über diese Körperschaft oder doch wenigstens die Hervorragendsten darin auszusprechen. Eh ich aber den einzelnen mich zuwende, muß ich noch meiner Einführung als solcher gedenken. Ich meinerseits war im Frack erschienen und unterwarf mich eben der herkömmlichen Begrüßungsanrede von seiten des Bürgermeisters, als ein älteres Mitglied den Sprechenden ohne weiteres unterbrach, um ihn darauf aufmerksam zu machen, ?daß zwei Kollegen ohne Frack erschienen seien, was gegen die Étiquette verstoße und zuvörderst gerügt werden müsse?. Nun erst, nach erteilter Reprimande, konnte der Sprecher in seiner Anrede fortfahren.

Wie sich denken läßt, war das Kollegium, dem ich von da ab angehörte, von sehr verschiedener Zusammensetzung. Da waren zunächst der Ratszimmermeister Söhnel, Kürschnermeister Emden und Buchbindermeister Siecke ? gute, treffliche, wohlwollende Herren, der letztere, vielleicht weil er die Kirchenverwaltung hatte, etwas zu zaghaft. Dann war da der Particulier Loof, eng überhaupt, am engsten aber in Geldsachen, zumal wenn es seinen eignen Beutel anging, in welchem Fall er sich, wo nützlich, noch konservativer erwies als in der Politik. Ein fünfter war Möbelfabrikant König. Er genoß des Vorzugs, die beste Ratsherrnfigur zu haben. Auch Kaufmann und Gutsbesitzer Windaus hätte gelten können, wenn er etwas besser auf dem Posten gewesen wäre. Windaus hatte das Einquartierungswesen, kam aber Mobilmachung oder dergleichen, so zog er sich auf sein Gut Herzberg zurück und überließ das Nötige seinen Deputierten. Particulier Menzel (ehemaliger Apotheker), der mit der Abschätzung zu tun hatte, war erheblich anfechtbarer. Man wußte nie, was eigentlich seine Meinung war, und wäre die Grafschaft Ruppin noch katholisch gewesen, so hätte man glauben müssen, er sei in einem Jesuitenkloster erzogen. Posthalter Hoepfner ersetzte, was er an Tüchtigkeit nicht besaß oder wenigstens nicht zeigen wollte, durch ausdrucksvolle Rede, die, je länger sie dauerte, desto schöner wurde. Vor allem bemerkenswert indes war der stellvertretende Bürgermeister und Auskultator a. D. Mollius, Sohn des im vorigen Jahrhundert in der Ruppiner Geschichte vielgenannten Ratsherrn Mollius. Vor diesem Auskultator a. D., wenn man ihm in der Dämmerung begegnete, konnte man sich fürchten, denn zu eingezognem Kreuz und durchbohrendem Blick trug er das Gesicht bis an die Nasenspitze derartig in ein dickes Halstuch gewickelt, daß man ihn für Robespierre halten konnte. Bei näherer Bekanntschaft wurde man freilich gewahr, daß dies anscheinende Revolutions- und Schreckgespenst, trotz seiner sechzig Jahre, von sehr kümmerlicher Konstitution war und zu nicht viel mehr als einem zarten Knaben zusammenschrumpfte. So war Mollius. Das Lumen des ganzen Kollegiums aber und zugleich die Geißel desselben war Mühlenbesitzer und Particulier Gustav Schultz, den mein Vater immer nur ?Gustav von Gottes Gnaden? nannte. Sein Verstand und seine praktische Befähigung waren gut, aber er hütete sich auch, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, und wer dies Licht dennoch nicht sehen wollte, der war sein Feind. Das Oberhaupt dieser ratsherrlichen Körperschaft war Bürgermeister von Schultz, früher Offizier in dem in Ruppin garnisonierenden Infanterieregiment.

So war der Magistrat. Neben diesem aber gab es auch freiere, natürlich in beständiger Fehde mit- und untereinander lebende Gemeinschaften, die Capulets und Montecchis von Ruppin, von denen jene die Gruppe der Haus-, diese die Gruppe der Ackerbesitzer bildeten. Unter den Capulets der Hausbesitzer (nur dieser einen Gruppe sei hier in Kürze gedacht) ragten zwei hervor: zunächst der Sattlermeister Rosenhagen, ein Greis von über achtzig, der aus verschiedenen Gründen als ein Orakel galt. 1789 war er in Paris gewesen und hatte den Bastillensturm miterlebt, weshalb er ? wohl mit sehr fraglichem Recht ? der ?Bastillenstürmer? hieß. Es paßte dazu, daß seine beiden Söhne sich in Frankreich niedergelassen hatten; er selber trug sich französisch, in der Tracht des vorigen Jahrhunderts. ? Neben ihm, auch aus der Gruppe der Hausbesitzer und von ähnlicher Bedeutung wie Rosenhagen, wenn auch nicht voll so wichtig, stand Schmiedemeister Krausnick, der sich auf den Philosophen hin ausspielte. Von ihm hieß es, daß er die sämtlichen Bände des ?Allgemeinen Landrechts? besessen habe, was auf seine Mitbürger derartig wirkte, daß seine juristische Befähigung außer Zweifel war.

Hausbesitzer und Ackerbesitzer waren zwei große Körperschaften außerhalb des Rahmens der eigentlichen Stadtregierung, während eine mit der Stadtforstverwaltung betraute Bürgergruppe, deren nebenherlaufende Zugehörigkeit zu der einen oder andern der großen Körperschaften unerörtert bleiben mag, schon mehr innerhalb des Regierungsrahmens stand. Es waren ihrer zwölf. Vorsitzender war der schon als Magistratsmitglied genannte Kürschnermeister Emden, ein ordentlicher, einsichtsvoller Mann, dem Drechslermeister Krengemann als ?Sachverständiger? beigegeben war. Der wußte von Wald und Forst zu reden, daß es eine Freude war, und wenn Gott für den ausgestreuten Kiefernsamen rechtzeitig Regen und Sonnenschein schickte, so bewies sich unser ?Sachverständiger? auch als Sachverständiger comme il faut. Blieb aber der liebe Gott aus, ja, wo blieben da Krengemann und seine Fichten! Neben Krengemann lagen dem Schuhmacher Lehmann die vorzunehmenden ?Kulturarbeiten? ob, und er unterzog sich dieser Aufgabe mit einer fast ans Krengemannsche grenzenden Wald- und Forstweisheit. Von ähnlicher Bedeutung oder auch von größerer ? weil er das Amt eines Kassenrendanten verwaltete ? war Schlosser Grunow, ein wohlhabender, kinderloser Mann, bei dem die 800 Taler, die, nach stattgehabter Holzauktion, den jedesmaligen Höhepunkt der Kasse bildeten, wenigstens schloßsicher lagen. Im übrigen war sein Kopf so zäh wie das Eisen, das er schmiedete. Vieler Ehren war er teilhaftig, und als er auch noch Schützenmajor wurde, trug er einen Schnurrbart. Fünfter im Kreise war Kürschnermeister Michaelis, ein Mann von frommem Gemüt, dem, weil er richtig schreiben konnte, die Protokollführung und die höheren Arbeiten zufielen. Nicht auf gleicher Höhe stand Schneidermeister Werner. Er war, wie Sattlermeister Rosenhagen, ?der Bastillenstürmer?, bis Paris gekommen und von dorther als ?Tailleur für die höheren Stände? zurückgekehrt. Er hielt zu dem Satze, ?daß der Rat immer mehr sei als die Tat?, weshalb er denn auch einem Maurer, der einen hohen Dampfschornstein von innen her aufmauerte, den Rat gab, ?lieber ein Gerüst anzulegen, der Schornstein würde sonst krumm?. Da Werner einen Puckel hatte, so fiel die Antwort drastisch genug aus. Lohgerber Gienboldt (der siebente) wählte von 48 an immer demokratisch, ohne sich um ?untergeordnete Fragen? zu kümmern, und Schuhmacher Eberhardt tat dasselbe, vorausgesetzt, daß er gerade nüchtern genug war, um beim Wahlakt erscheinen zu können. Seiler Heyer und Sattler Schommer waren freundliche Leute, was man vom Böttcher Kisten auch sagen konnte, wenn er nicht gerade seinen groben Tag hatte. Über den zwölften und letzten schweigt des Sängers Höflichkeit. Zu vielen dieser Männer, namentlich aus der Gruppe der in Einzelgestalten von mir nicht skizzierten Ackerbesitzer, trat ich, beim Ankauf der Kahlenberge, in geschäftliche Beziehungen und kann nicht sagen, daß dieselben erfreulicher Art gewesen wären. Ich will einen gewissen Kern von kleiner bürgerlicher Tüchtigkeit, der in der Mehrzahl dieser Männer steckte, gern anerkennen, auch zugeben, daß etliche, wie Söhnel und Emden, die Ebells, Hancks und Hagens, von mehr oder weniger vorzüglichem Charakter waren, die meisten aber waren nicht bloß kleine, sondern meist auch kleinliche Leute, denen der Sinn der Anerkennung für ihnen geleistete Dienste jederzeit fehlte; prosaisch, eng, argwöhnisch, ohne Pietät und Dankbarkeit. Den Obersten von Wulffen, dem sie die herrlichen, immer schöner werdenden Anlagen vor dem Rheinsberger Tore verdanken, ärgerten sie zur Stadt hinaus, und so machten sie´s mit jedem, der ihnen Gutes tat und die Stadt und die Grafschaft unter Dransetzung von Kraft und Vermögen zu fördern suchte." ? "Was wird mein Los sein?" setzt A. Gentz ahnungsvoll hinzu.


So das für den Turmknopf bestimmte Manuskript, in dem Alexander Gentz beflissen war, ein Zeit- und Sittenbild seiner Stadt, aber zugleich auch der ganzen Grafschaft zu geben. Von den angesehensten Familien adligen und bürgerlichen Standes, von den Kohlbachs, Scherz, Jacob, von Quast und von Knesebeck wird, meist kurz, in mehr anerkennenden als tadelnden Bemerkungen gesprochen, ausführlich aber wendet er sich einem zu: dem alten Grafen Zieten auf Wustrau. Was ihn zu dieser auf Vorliebe deutenden ausführlichen Behandlung bestimmte, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen und hatte wohl in Verschiedenem seine Veranlassung, unter andern auch darin, daß er in seinem künstlerischen Sinn erkannte: Dieser alte Graf ist ein besonders glücklicher Stoff für die literarische Behandlung. Und darin hat er sich nicht geirrt. Das Bild, das er vom alten Grafen Zieten gibt, von seinem Leben und Sterben, ist das Glanzstück in seinem Manuskript, aus dem ich nun wieder zitiere.

1

Schriftsteller mit Bezug zum Text

1

Orte mit Bezug zum Text