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Heinrich von Kleist

Informationen

Literaturangabe:

Walther, Peter
Märkische Dichterlandschaft. Ein historischer Literaturführer durch die Mark Brandenburg, Stuttgart 1998

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Heinrich von Kleist

Heinrich von Kleist

Heinrich von Kleist, der bedeutendste Dichter, den die Mark Brandenburg hervorgebracht hat, wurde 1777 als Sohn einer preußischen Offiziersfamilie in Frankfurt (Oder) geboren, wo er auch seine Kindheit verbrachte. Unterrichtet wurde der junge Kleist von den Hauslehrern Christian Ernst Martini und Johann Friedrich Christian Löffler. Letzterer beherbergte übrigens die Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt während ihres Studiums an der Viadrina 1784/ 85. Mit dem Tod des Vaters war die Kindheit Kleists 1788 früh beendet. Der Elfjährige wurde zu seiner weiteren Erziehung nach Berlin gebracht und trat vier Jahre später als Gefreiter-Korporal in das Potsdamer Garderegiment ein, wo er bald schon zum Fähnrich und später zum Secondelautnant befördert wurde. 1799 bat Kleist um seine Entlassung und begann in seiner Heimatstadt Frankfurt ein Studium mit den Schwerpunkten Mathematik und Physik, das die Familie als Vorbereitung für die Aufnahme in den Staatsdient sah. Dies sind die Ausgangspunkte einer in der Tradition des preußischen Adels wurzelnden Biographie und einer Vorbestimmung, mit der Kleist zeit seines kurzen Lebens im Widerstreit lag.

Die Briefe, die Kleist an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge, die Tochter eines Generalmajors, nach Frankfurt schrieb, geben Einblick in den Seelenzustand des angehenden Dichters: „Wie viele Menschen genießen mit wenigem, vielleicht ein paar Hundert Talern das Glück der Liebe – und wir sollen es entbehren, weil wir von Adel sind? Da dachte ich weg mit allen Vorurteilen, weg mit dem Adel, weg mit dem Stande – gute Menschen wollen wir sein und uns mit der Freude begnügen, die die Natur uns schenkt.“ Es versteht sich, daß der junge Rousseau-Anhänger auf wenig Gegenliebe bei seiner Verlobten rechnen konnte. Das unstete Leben und die tiefen Krisen in den folgenden Jahren („Kant-Krise“ 1801, Krise um das Mißlingen des „Guiskart“-Entwurfs) liegen vor allem in der Unbedingtheit und der letztlich selbstzerstörerischen Konsequenz begründet, mit der er seiner Berufung gefolgt ist. Kleist, der vielfach um seine Anerkennung als Dichter bemüht war (an Wilhelmine: „Shakespeare war ein Pferdejunge und jetzt ist er die Bewunderung der Nachwelt... warte zehn Jahre und du wirst mich nicht ohne Stolz umarmen“), hat zu seiner Zeit weitgehend auf diese Bestätigung verzichten müssen. Zwar glaubte Goethe, den jungen Dichter mit einer Aufführung des „Zerbrochenen Krugs“ protegieren zu können, doch verunglückte das Unternehmen und zeitigte den gegenteiligen Effekt.

Thematisch am stärksten von der brandenburgischen Herkunft des Dichters geprägt ist - neben dem „Prinzen von Homburg“ - Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“. Der historisch verbürgte Streitfall um die Beschlagnahme zweier Pferde und die daraus folgenden Schadenersatzforderungen gegen den sächsischen Adligen Günter von Zaschwitz ist in den Aufzeichnungen des Chronisten Peter Hafftiz aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und in Nicolaus Leutingers „Commentarii de Marchia et rebus Brandenburgicis“ (um 1600) überliefert. Nachdem Kohlhase vor Gericht leer ausgegangen war und auch die Vermittlung Martin Luthers keinen Erfolg gebracht hatte, erklärte der Geprellte dem Land Sachsen die Fehde. Nach dem Überfall auf einen Silbertransport des brandenburgischen Kurfürsten endete Kohlhase auf dem Rad. Kleist soll die Geschichte 1804/05 durch einen Freund kennengelernt haben. Mit der dramaturgisch und sprachlich eindrucksvollen Gestaltung dieses Stoffs bezieht der Dichter in seiner Novelle zugleich Stellung in einer aktuellen philosophischen Auseinandersetzung: Das Selbsthelfertum von Kohlhaas trifft auf den Macchiavellismus des sächsischen Herrschers und des Kaisers, die protestantisch-lutherische Staatsauffassung auf das Rousseausche Naturrecht.

Daneben besaß die Schilderung der brandenburgischen gegenüber der sächsischen Position im Rechtsfall Kohlhaas eine seinerzeit aktuelle politische Dimension. Die Parteinahme des brandenburgischen Kurfürsten für Kohlhaas ist angesichts der Katastrophe von 1806, des französischen Siegs über Preußen bei Jena und Auerstedt, und angesichts des zum Rheinbund gehörenden sächsischen Staates ein deutliches Signal, die kaum versteckte Aufforderung zum Handeln. Auch die Problemkonstellation in Kleists „Der Prinz von Homburg“ war, im historischen Gewand der Ereignisse um die Schlacht bei Fehrbellin, durchaus auf die aktuelle Situation gemünzt. Die Frage nach dem Wert selbständigen Handelns in einem militärisch organisierten Gemeinwesen zählte zu den zentralen Diskussionspunkten in der preußischen Reformzeit („Als Poesie gut“ notierte Friedrich Wilhelm III., als Gneisenau bemerkte, ein Aufstand gegen die Franzosen würde Volk und Staat zu einer unlöslichen Einheit verrschmelzen lassen). Kleist ging es, wie vielen seiner dichtenden Zeitgenossen, letztlich darum, die Kräfte gegen die französische Besetzung Preußens zu mobilisieren - die geistige Erhebung sollte den militärischen Freiheitskampf einleiten. Im Freitod des Dichters 1811 fällt die in seinem Werk vorgezeichnete äußerste Konsequenz des poetischen Genies mit der Enttäuschung über die Unentschlossenheit des preußischen Königshauses zusammen. „O tempora! o mores!!“ notierte der Pfarrer, der die Nachricht vom Mord und Selbstmord am nahegelegenen Wannsee im Stahnsdorfer Kirchenbuch festhielt.

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