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Hofdichtung im Zeitalter des Barock, die neue Subjektivität in Kirchenlied und Prosa

Informationen

Literaturangabe:

Walther, Peter
Märkische Dichterlandschaft. Ein historischer Literaturführer durch die Mark Brandenburg, Stuttgart 1998

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Hofdichtung im Zeitalter des Barock, die neue Subjektivität in Kirchenlied und Prosa

Hofdichtung im Zeitalter des Barock, die neue Subjektivität in Kirchenlied und Prosa

Die Universität in Frankfurt (Oder) blieb auch im 17. Jahrhundert ein Zentrum des literarischen Lebens in der Mark. Zunehmend bekam sie jedoch Konkurrenz durch den Hof des brandenburgischen Kurfürsten in Berlin, wo sich zu jener Zeit – abgesehen von Canitz, dessen Wirksamkeit als Dichter zu Lebzeiten begrenzt war - mit den Hofdichtern Peucker und Besser ein neues literarisches Zentrum etablierte. Die literarischen Pole jener Zeit lassen sich jedoch nicht mit den Stichworten „Gelehrtendichtung“ auf der einen und „Hofdichtung“ auf der anderen Seite fassen. Die taktiererische Politik von Kurfürst Georg Wilhelm hatte dazu beigetragen, daß im Verlauf des 30jährigen Kriegs die Söldnerheere fast aller Parteien nacheinander plündernd und mordend durch die Mark gezogen waren. Die alltägliche Erfahrung von Gewalt, Zerstörung und Tod schlug sich in der damals entstandenen Literatur – unabhängig vom sozialen Ort ihrer Entstehung – auf zwei sehr verschiedene Weisen nieder: einerseits in der Flucht ins bukolische Idyll und die lyrische Konvention, andererseits im realistischen, zuweilen veristischen Ton im Roman und einer neuen Subjektivität im Kirchenlied. Zwischen der Schäferdichtung, die sich an den antiken Vorbildern Theokrit und Vergil und geschult hatte, und der Weiterentwicklung des picardischen Romans durch Grimmelshausen oder dem protestantischen Kirchenlied gab es in dieser Hinsicht kaum Berührungspunkte.

Der einflußreichste Dichtungstheoretiker des 17. Jahrhunderts, das Haupt der Ersten Schlesischen Dichterschule, Martin Opitz (1597-1639), studierte 1618 an der Viadrina. Er repräsentiert mit den rigiden Vorgaben seiner Poetik die klassizistische Frühzeit des barocken Zeitalters in der Literatur. Wenige Jahre später, 1625, kommt Friedrich von Logau (1604-1655) nach Frankfurt. Der nachmals bedeutendste deutsche Epigrammdichter seiner Zeit („Deutscher Sinn- Getichte Drey Tausend“) hielt sich in seinem Werk streng an die Regeln, die Opitz in seiner Poetik aufgestellt hatte. Beide, Opitz und von Logau, waren den Zielen der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ verpflichtet, als deren Mitglieder sie sich den von Grobianismus, Fremd- und Dialektwörtern freien Gebrauch der deutschen Sprache zur Aufgabe gemacht hatten. Geichfalls Mitglied des Palmenordens, wie die „Fruchtbringende Gesellschaft“ auch genannt wurde, war der Lyriker und Satiriker Rudolf von Dieskau (1593-1656), der auf dem Schloß seiner Familie in Fürstenwalde aufwuchs und mit bukolischen „Frühlingsgedichten“ (1637) hervorgetreten ist.

„Die Leute, die an Höfen leben,/ Sind nur des Glückes Fangeball,/ Je höher sie am Brette schweben,/ Je näher sind sie ihrem Fall (...)“, hatte einst der Leipziger Gelehrte Johann Burkhard Mencke (1674-1732) gedichtet. Für Friedrich Rudolf Ludwig von Canitz aus Blumberg (nordöstlich von Berlin) gelten diese Verse nur bedingt, denn nicht als beamteter Hofdichter, sondern als Staatsmann und Diplomat trat er in die Dienste des Großen Kurfürsten. Seine posthum veröffentlichten Gedichte - vor allem bukolische Dichtungen, aber auch geistliche Lieder und Satiren – wurden zum Vorbild für die übrigen Hofdichter, und noch Friedrich II. fand die Gedichte von Canitz „supportabel“. Johann von Besser (1654-1729) war Oberzeremonienmeister und gutbesoldeter Hofdichter im Dienste des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., der sich nach seiner Krönung als „König in Preußen“ (1701) Friedrich I. nannte. Von Besser hat vor allem Gelegenheitsdichtung geschrieben, die ihre Anlässe aus dem Leben am Hof bezieht. Sein Vorgänger als Hofdichter im Dienst des Großen Kurfürsten war der Kammergerichtsadvokat Nikolaus Peucker (um 1620-1674), der 1642 in den Matrikeln der Viadrina auftaucht. Auch von Peucker ist allerhand Kasualdichtung überliefert, die 1646 unter dem Titel „Wol klingende lustige Paucke...“ gesammelt erschien. Das Wirken von Benjamin Neukirch (1665-1729) markiert bereits den Übergang vom Barock zur Aufklärung. Neukirch, der ab 1691 in Frankfurt über Poesie und Rhetorik las, wandte sich in der Spätphase seines Schaffens unter dem Einfluß von Canitz rationalistischen französischen Vorbildern wie Nicolas Boileau zu.

Charakteristisch für die Lyrik aller genannten Hofdichter ist, daß es sich hierbei nicht um Erlebnisdichtung handelt, sondern um Texte, die im hohen Maße den stilistischen und semantischen Regeln der Emblematik verpflichtet sind. Ganz anders sieht es zur selben Zeit in der Prosa und bei den Dichtern des protestantischen Kirchenlieds aus. In Sprache, Stil und Motiv an die Tradition der deutschen Volksbücher und des spanischen Schelmenromans anknüpfend, in der literarischen Gestaltung und Ausdruckskraft jedoch ungleich stärker als die Vorbilder ist „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ des Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622 - 1676). In dem berühmten Roman beschreibt Grimmelshausen unter anderem die Szenerie der Schlacht bei Wittstock in der Prignitz (die er 1636 vermutlich selbst miterlebt hat), indem er das Geschehen durch die Verwendung plastische Bilder in bedrohliche Nähe rückt und es durch den Einsatz rhetorischer Kunstgriffe im gleichen Zug ironisch verfremdet:

„Die Erde, deren Gewohnheit es ist, die Toten zu bedecken, war damals an selbigem Ort selbst mit Toten überstreut, welche auf unterschiedliche Manier gezeichnet waren. Köpf lagen dorten, welche ihre natürlichen Herren verloren hatten, und hingegen Leiber, die ihren Köpf mangleten (...) Da sahe man, wie die entseelte Leiber ihres eigenen Geblüts beraubet und hingegen die lebendige mit fremdem Blut beflossen waren. Da lagen abgeschossene Ärm, an welchen sich die Finger noch regten, gleichsam als ob sie wieder mit in das Gedräng wollten; hingegen rissen Kerles aus, die noch keinen Tropfen Bluts vergossen hatten.“

Zum „Bildungsopfer“ seiner literarischen Passion wurde Christian Reuter (1656-1712), der seine Wirtin in Leipzig als „Frau Schlampampe“ und deren Sohn als „Schelmuffsky“ verspottet hatte und deshalb zunächst für zwei Jahre, später auf Lebenszeit vom Studium ausgeschlossen wurde. Immerhin brachte es Reuter noch zum Gelegenheitsdichter für den brandenburg-preußischen Hof, der ihm Gedichte wie „Die frohlockende Spree“, „Das glückselige Brandenburg“ oder „Das frohlockende Berlin“ zu verdanken hat. Die literaturgeschichtliche Leistung Reuters liegt jedoch darin, mit seinem Lügenroman um Schelmuffskys „kuriose und sehr gefährliche Reise zu Wasser und zu Land“ den ersten bedeutenden Schelmenroman in der deutschen Literatur hinterlassen zu haben.

Eine singuläre Erscheinung unter den Lyrikern des 17. Jahrhunderts stellt der Dichter Johann Christian Günther (1695-1728) dar, der 1715 sein Medizinstudium in Frankfurt begann, aber schon wenige Wochen später nach Wittenberg wechselte. Günthers poetischer Genius reicht weit über die zur geistvollen Formelhaftigkeit erstarrten Lyrik seiner Zeit hinaus. Aus der Frankfurter Zeit ist ein Gedicht des Zwanzigjährigen an seine Braut Magdalena Eleonora Jachmann erhalten:

An seine Magdalis

Mein Kind, ich bin der Huld nicht wert,
Die mir von deiner Hand so häufig widerfährt.
Drum zürne nicht, wenn ich
Mich in dies seltne Glücke
Nicht, wie ich sollte, schicke,
Und glaube sicherlich:
Würdiget dein Gnadenstrahl
Meine Lippen noch einmal,
Deinen schönen Mund zu küssen,
So werd ich fürchten müssen,
Daß nicht die Wollust dieser Zeit
Durch ihre Süßigkeit
Mir die Lust zum Himmel raube
Und ich der Gegenwart mehr als der Zukunft glaube.

Auch die protestantischen Kirchenlieder des 17. Jahrhunderts stehen mit ihrer schlichten, liedhaften Sprache und dem subjektive Ton religiöser Innigkeit im schroffen Kontrast zur Konventionalität der Hofdichtung. Der nach Luther bedeutendste evangelischer Kirchenlieddichter, Paul Gerhardt (1607-1676), kam 1651 als Probst nach Mittenwalde in die Mark und wirkte seit 1669 – nach einem von Konfronation mit dem Kurfürsten geprägten Zwischenspiel in Berlin – als Archidiakon in Lübben. Einige der über 130 Lieder, die Gerhardt geschaffen hat, sind zu wirklichen Volksliedern geworden – etwa „Nun ruhen alle Wälder“, „O Haupt voll Blut und Wunden“ oder auch „Befiel du deine Wege“:

Mach End, o Herr, mach Ende
An aller unser Not!
Stärk unser Fuß und Hände
Und laß bis in den Tod
Uns allzeit deiner Pflege
Und Treu empfohlen sein,
So gehen unsre Wege
Gewiß zum Himmel ein.

Zur gleichen Zeit wie Gerhardt haben Johann Franck (1618-1677) und Martin Heinsius (1611-1667) als Kirchenlieddichter gewirkt. Franck, der aus dem damals kursächsischen Guben stammt und in Cottbus (einer brandenburgischen Exklave) das Gymnasium besucht hatte, wurde erst Mitte des 19. Jahrunderts als Kirchenlieddichter wiederentdeckt. Der Historiker Heinsius war seit 1640 – mit einem Intermezzo als Stiftspfarrer in Brandenburg – bis zu seinem Tod Professor für Philosophie in Frankfurt. Von ihm stammen eingängige, von tiefer Frömmigkeit geprägte Strophen, wie etwa die auf den Tod seiner Frau:

Ach nimm mich auf mit allen Gnaden
Wie meiner Liebsten auch geschach.
Getrew ist, der Mich hat geladen,
Der wird woll fodern meine sach,
Vnd mich zu seinem lob und Preiß
Verhelfen in das Paradeiß.

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