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Hussitenfest in Bernau [Nachruf auf E. Jacobsen]

Informationen

Literaturangabe:

Pietsch, Ludwig
Vossische Zeitung vom 26. Februar 1911

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Hussitenfest in Bernau [Nachruf auf E. Jacobsen]

Aber die glanzvollste Episode in seinem Leben wurde doch erst durch seine Übersiedlung nach dem stillen, alten, malerisch ummauerten märkischen Städtchen Bernau herbeigeführt. Die Berichte märkischer Chronisten aus dem fünfzehnten Jahrhundert haben von einer Belagerung und Bestürmung durch ein von Pokop Holy geführtes Hussitenheer und die Befreiung der so gefährdeten Stadt durch ihre bewaffnete Bürgerschaft im Verein mit kurfürstlichen Truppen erzählt, ein Ereignis, das um das Jahr 1482 (!) stattgefunden haben soll. Als Emil Jacobsen sich in Bernau angesiedelt hatte, kam ihm der Gedanke, die vierhundertste (!) Wiederkehr dieser Bedrängungs- und Befreiungszeit müsse durch ein großes und eigenartiges Gedenkfest gefeiert werden, wie es noch keine märkische Stadt gesehen hätte. Mit zäher Energie ging er an die Verwirklichung des glücklichen Gedankens. Längst schon hatte er sich mehr und mehr in diese Hussitenzeit betreffenden lokalgeschichtlichen und antiquarischen Studien der Vergangenheit Bernaus vertieft, hatte Ausgrabungen und Forschungen veranstaltet, wirklich eine ganze Sammlung von allerlei Reliquien, alten Waffen und Rüststücken, Dokumenten aus jenen fernen Tagen herbeigeschafft, und das Stadtregiment dafür gewonnen, die Räume im Innern eines noch erhalten gebliebenen mittelalterischen Torturms der Stadtmauer zur Aufstellung eines Bernauer Stadtmuseums zu überlassen. Dann wurde von ihm für das Hussiten-Gedenkfest so klug und geschickt in Bernau und Berlin agitiert, daß die Ausführung des Plans und das Gelingen nicht mehr in Zweifel stehen konnten. Jacobsen, das allbeliebte Mitglied des Vereins Berliner Künstler, machte diesen und die Studierenden der Kunsthochschule und des Gewerbemuseums mobil. Sie gelobten, in Scharen teils als hussitische wilde Krieger, teils als Landsknechte und churbrandenburgische bezw. Bernauer Bürgerkrieger zum bestimmten Tage vor und an der Stadt zu erscheinen. Der Magistrat und die ganze Bürgerschaft wurden mit von dem Festrausch ergriffen. In der alten Kirche der Stadt sollte der Tag durch einen Dank- und Festgottesdienst gefeiert werden. Lustige kriegerische Spiele sollten auf den Lagerplätzen bewaffneter Männer zwischen den beiden Heeren stattfinden; ein großartiger historischer Zug sich über den Marktplatz und die Hauptstraßen bewegen, und zur Krönung des ganzen Festes sollten der Kronprinz und seine Gemahlin eingeladen werden, an diesem 15. Mai mit Gefolge nach Bernau zu kommen, der kirchlichen Feier beizuwohnen, im Rathause ein von dem Stadtregiment gebotenes Lunch entgegen zu nehmen, vom hohem Beischlag des Gebäudes aus die historischen und die phantastisch-romantischen Gruppen über den Platz an ihm und der auf dazu dem Rathaus gegenüber erbauten festlich geschmückten, beflaggten und bekränzten Tribüne vorbei ziehen zu sehen. Und dies ganze kühn entworfene Festprogramm ist nicht nur Punkt für Punkt in einer jede Erwartung und Vorstellung weit überbietenden und überglänzenden Weise ausgeführt worden. Nein, über volle drei sonnige, wonnige Maitage ist dieser tolle phantastische Fastnachtstrubel größten Stils in dem stillen Städtchen wie vor dessen Toren und in der herrlichen wald- und parkreichen Umgegend bis Uetzdorf und Lanken hin ausgedehnt worden. Wer dort diese drei Tage nicht miterlebt hat, dem wird jede noch so getreue Schilderung ihres wirklichen Verlaufs wie ein frei erfundenes Märchen erscheinen, an dessen Realität zu glauben unmöglich dünkt. Schon wie diese jungen übermütigen, bunten und stahlglänzenden wilden, zigeunerhaften Hussiten und diese geordneteren mittelalterlichen Kriegerscharen zu Fuß, zu Roß, in bekränzten Leiterwagen abends, nachts und morgens auf den Landstraßen und durch die stillen Dörfer, durch Wälder und Felder von Berlin nach Bernau mit Trommeln und Pfeifen kriegerischem Klang und wehenden Fahnen und gefolgt von dem wilden Troß fahrenden Volks, Weibern und Mannsen, gezogen kamen - zum Staunen, zum Schrecken, zum Jubel der Bauern und Knechte, der Weiber und Kinder, zum Entsetzen der Gendarmen - wobei sich viele jener Krieger den Spaß machten, in die Dorfhäuser gut soldatisch einzubrechen und zu requirieren; wie sie ihre Zelte vor den Mauern Bernaus aufschlugen, ihre Lager etablierten, in allen Kneipen und öffentlichen Gärten, auf Plätzen und Straßen des bierberühmten Städtchens ihr übermütiges Treiben fortsetzten, - waren es nicht unerhörte Vorgänge in märkischen Landen?! - Und ebenso nicht auch der Empfang des kronprinzlichen Protektorpaares und seines Gefolges im Bahnhof durch die Herren vom Stadtregiment, durch Vertreter des Vereins für die Geschichte Berlins und durch "Prokop Holy" (Jacobsen), den einäugigen Hussitenführer mit dem schwarzen Pflaster über dem toten rechten vom Rand der Sturmhaube beschatteten Auge im bärtigen Antlitz, gekleidet in die Wildschur aus Bärenpelz über dem Brustpanzer und die Kettenrüstung, den "Possekel" (Streithammer) in der Faust; die geistliche Gedenkfeier mit Choralgesang und Predigt des Pastors v. Bergmann, der mit dem erlauchten Festprotektor zugleich die Stadtkirche füllenden Schar von wilden deutschen und tschechischen Kriegergestalten, ihren Weibern, ehrsamen städtischen Einwohnerfamilien und einem Schwarm von männlichen und weiblichen Schaulustigen, teils in Trachten der Frührenaissance, teils in moderne und in elegante Frühlingstoiletten gekleideten aus Berlin und Potsdam hier zusammengeströmten Festgästen. Dann der Besuch und die eingehende Besichtigung des Stadt- oder Hussitenmuseums im alten Mauerturm durch das kronprinzliche Paar unter Führung des Stadthauptes, der Spitzen der Behörden, der Herren vom Berliner Geschichtverein, des Dr. Jacobsen (immer in der Tracht und Maske des Prokop Holy) und seiner nächsten Freunde, nachdem des Hussitenführers eine Tochter als Patrizierjungfräulein aus dem 15. Jahrhundert mit hoher, weiß umschleierter Zuckerhutmütze die fürstlichen Gäste am Eingang mit Anspache und Frühlingsblumenstrauß begrüßt hatte. Es folgte der prachtvolle Zug der Hussiten, der churfürstlichen und städtischen Krieger, unter Führung des vom riesigen Maler Heinrich Lessing dargestellten Ziska mit den Adlerflügeln auf der Sturmhaube, über den Markt vorbei am Kronprinzenpaare, das ihm von der Rampe des Rathausportals mit lebhaftem Interesse zusah, an den jenseitigen dicht besetzten Tribünen. Die hohen Gäste verabschiedeten sich von Bernau und den Hussiten und kehrten nach Potsdam zurück. Aber in der Stadt und der Umgegend wurde seitens der ausgelassenen Scharen das verwegene übermütige Treiben noch während des Nachmittags und Abends und während nicht nur des nächstfolgenden Tages fortgesetzt, so daß es den geduldigen städtischen und Polizeibehörden endlich doch zu bunt wurde und die Bürgerschaft froh war, die sie rief, die Geister endlich los zu werden, die zuletzt, - wenn auch zwar lachend und ohne irgend ernsten Schaden getan zu haben, wahrhaft hussitisch und wie in einer eroberten Stadt gehaust haben sollen.

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