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In Erkner

Informationen

Literaturangabe:

Hauptmann, Gerhart
Das Abenteuer meiner Jugend. Zweites Vierteljahrhundert. Leipzig 1980

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In Erkner

In Erkner

Diesem Wechsel des Wohnorts verdanke ich es nicht nur, daß ich mein Wesen bis zu seinen reifen Geistesleistungen entwickeln konnte, sondern daß ich überhaupt noch am Leben bin. Nicht nur meine ersten Geisteskinder, sondern auch drei von meinen vier Söhnen sind in Erkner geboren. Es lohnt vielleicht, die Hieroglyphe des neuen Lebensabschnitts zu prägen, der dort begann und, von einer glänzenden Episode durchbrochen, vollendet wurde: unter Hoffen und Ängsten, Gefahren, Kämpfen, Niederlagen und Siegen. Alles natürlich nur im eigensten Kreis.
Unser Leben war schön. Natur und Boden wirkten fruchtbar belebend auf uns. Wir waren entlegene Kolonisten.
Die märkische Erde nahm uns an, der märkische Kiefernforst nahm uns auf. Kanäle, schwarz und ohne Bewegung, laufen durch ihn hin, morastige Seen und große verlassene Tümpel unterbrechen ihn, mit Schlangenhäuten und Schlangen an ihren Ufern.
Es war im Herbst, als wir unsere abgelegene Villa bezogen und einrichteten.
Die Monotonie des Winters stand vor der Tür. Zu unserer Sicherheit hatte ich in einer Hamburger Menagerie zwei echte lappische Schlittenhunde gekauft, für unsere Begriffe wilde Geschöpfe, die einigermaßen im Zaum zu halten mir viel Mühe gekostet hat. Schlaf- und Wohnräume lagen im Parterre; der Schutz dieser beiden Wölfe wurde notwendig.
So war ich instinktgemäß zur Natur zurückgekehrt. Mary liebte wie ich das Landleben. Einsamkeiten und Verlassenheiten schreckten uns nicht. Das neue Dasein stand zu dem, das ich in Dresden, Rom und Hamburg geführt hatte, im geraden Gegensatz. Ich lebte ohne Aktivität. Der dreifache Kampf in Rom: mit dem nassen Ton, mit den Menschen und mit den Typhusbazillen, war nicht mehr.
Dafür rang ich mit dem Gespenst des Bluthustens. Es verfolgte mich überall. Stundenlage einsame Wege führten mich in Begleitung meiner Hunde durch den Kiefernhorst: mein Leben, meine Lage, meine fernere Möglichkeit zu überdenken die beste Gelegenheit! Oft mitten im Forst richtete sich das grauenvolle Gespenst vor mir auf. Zitternd nahm ich da etwa auf einem Baumstumpf Platz, einen Blutsturz und mein vermeintliches Ende erwartend.
Es war ein ungeheurer Ernst, dem man sich bei dieser Lebensform, in dieser Landschaft gegenübersah. Das Ehemysterium, in dem sich das der Geburt ankündigte, verstärkte ihn. So bewegten sich meine durch kein äußeres Leben gestörten Meditationen von der Gegenwart in die Vergangenheit, von der Gegenwart in die Zukunft hinaus, gleichsam in einer Ellipse um die zwei Punkte: Geburt und Tod.

[Gerhart Hauptmann (1862 - 1946) kam im September 1885, im Jahr seiner Hochzeit mit Marie Thienemann, nach Erkner. Während dieser Jahre fand Hauptmann Anschluß an den literarischen Kreis ?Durch? in Berlin und machte Bekanntschaft mit Schriftstellern wie Karl Bleibtreu, Wilhelm Bölsche und Arno Holz. In der ersten Jahreshälfte 1889 entstand in Erkner das Stück ?Vor Sonnenaufgang?, das Hauptmann (neben Sudermann) zum bekanntesten Dramatiker des Naturalismus machte. Die Novellen ?Fasching? und ?Bahnwärter Thiel? sind nicht nur in Erkner entstanden, sie haben überdies ihre Schauplätze im Ort oder der Umgebung. Vielfach hat Hauptmann Vorbilder für seine Figuren in Erkner und den umliegenden Ortschaften gefunden. Bekannt geworden ist die Mutter Wolffen aus dem ?Biberpelz? (1893), deren historisches Vorbild, Marie Heinze, noch bis 1935 in Erkner lebte. Auch in ?Das Friedensfest? (1890), ?Einsame Menschen? (1891) und ?Der Rote Hahn? (1901) spielen Schauplätze in und um Erkner, in den Orten Kienbaum und Kagel, eine Rolle. Noch beinahe vierzig Jahre nach seinem Wegzug kehrte Hauptmann mit dem Roman ?Wanda? (1928) und seiner Eulenspiegel-Erzählung zumindest auf dem Papier nach Erkner zurück. 1941, fünf Jahre vor seinem Tod im schlesischen Agnetendorf, besuchte er den Ort ein letztes Mal.]

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