Hier finden Sie alles rund
um die Literatur Berlins
und Brandenburgs:
Institutionen, Archive,
Bibliotheken, Gedenkstätten,
aber auch heimische Sagen,
Eindrücke klassischer Autoren,
und einen kleinen literatur-
geschichtlichen Überblick.

Liebenberg 1809

Informationen

Literaturangabe:

Fontane, Theodor
Fünf Schlösser. Altes und Neues aus Mark Brandenburg, Berlin 1889

zurück

Liebenberg 1809

Liebenberg 1809

Der Silberstempel. ? Schill und der Herzog von Braunschweig. ?
Der Krieg gegen Österreich. ?
Mißstimmung über den Gang der inneren Politik. ?
Königs Geburtstag (3. August); Theatersachen. ?
Der Brand der Petrikirche. ? Rückkehr der königlichen Familie


Der Silberstempel

Liebenberg, 15. April 1809

In Berlin war man über das Arrangement des Silberstempels, wenn ich sagen soll mit Recht, verdrießlich. In der großen Stadt, wo von sechs Meilen in der Runde alles Silberzeug hinfloß, war nur eine Stempel- und Empfangsstube; den Ersten sollte das Stempeln anfangen, und den Vierten waren erst die Stempel fertig. Die dahin strömenden Leute standen zu Hunderten vor der Tür bis auf die Straße, und die meisten sind zwei- bis dreimal unverrichtetersache dort gewesen. Das laute Murren mochte wohl Besorgnisse erwecken, denn nach sechs Tagen wurde eine zweite Stube und nun endlich eine dritte dazu eingerichtet welches noch alles nicht zureicht, weshalb der Termin bis zum 20. April hat hinausgerückt werden müssen. Mit den Bescheinigungen, die dabei ausgestellt werden, geht es ebenso absurd; über das Abgelieferte bekommt man einen Gewichtsschein, wobei ein viertel oder ein halb Lot oft übersehen wird. Dieser wird nach drei Tagen gegen einen Interimsschein eingelöst und dieser wieder nach drei Tagen gegen einen Münzschein. Wenn der Häsensche Herr solche Anordnungen gemacht hätte, so würde ich mich nicht wundern, aber von so weisen Herren kann man nur urteilen, daß sie zwar Neuerungen erdenken können, in der Ausübung jedoch Lehrlinge sind. Ein alter Bürger, der sein Silber wieder zurücktragen mußte, sagte ganz laut auf der Straße, "die Minister wären schlechte Praktiker; haben wollten sie, aber mit Ordnung zu nehmen, das wüßten sie nicht". Diese Herren setzen sich in einen schlechten Kredit beim Publikum, und wenn sie nach Berlin kommen werden, wird man ihnen kein Vivat bringen. Auch in Breslau bringt die Silberstempelung viel ein. Die Münze ist schon in vollem Schlagen von Einsechstel- und Dritteltalerstücken begriffen; im ganzen kann dadurch leicht eine Million in Cours kommen.

Schill und der Herzog von Braunschweig

Liebenberg, den 6. April 1809

Unsere Zeiten sind nicht für den ruhigen Bürger geeignet, nur Tollköpfe, Schwindler und Schelme spielen darin eine Rolle. Unter die ersteren gehört auch gewiß der so belobte Held Schill, dessen Desertion mit einem ganzen Husarenbataillon aus Berlin eine unerhörte Sache ist. Der ehrliche alte Gouverneur Lestocq ist darüber außer sich, indessen konnte er das nicht vorhersehen, denn Schill hat sein Unternehmen so geheimgehalten, daß nicht einmal seine Offiziere davon etwas vermuten konnten. Wohin er ist, was er vor hat, mit wem er im Auslande in Verbindung steht, kann niemand erraten. Bei Tangermünde ging er über die Elbe, und da ist vorläufig ein Punctum in seiner Geschichte. Gewiß wird er als Deserteur zitiert werden. ? Die Kriegsbegebenheiten beunruhigen mich sehr; in dem wehrlosen Zustand, worin wir uns befinden, kann ein jeder bei uns eindringen und uns ganz verderben.


den 23. Mai 1809

Schill ist ein exaltierter Mann, der vermutlich ausländische Korrespondenzen gehabt hat, die ihn durch allerlei Vorstellungen irregeleitet haben. Er war vor acht Tagen noch in Dömitz, einer kleinen Elbveste, dem Herzoge von Mecklenburg gehörig, deren er sich ohne Widerstand bemeisterte, denn es lagen darin nur ein paar alte Soldaten. Was er weiter vorhat, läßt sich nicht einsehn; indessen hat er Geld aus manchen Kassen zusammengebracht und sein Häuflein durch Zulauf vermehrt. In dem Gefecht unweit Magdeburg hat er fünf tüchtige Offiziere und einige dreißig Mann verloren; daß er aber die ihn angreifenden Westfälinger und Franzosen tüchtig zusammengesäbelt hat, davon sagen die Zeitungen nichts. Es ist aber doch wahr. Mir tut es leid, daß so ein brauchbarer Mann solche Tollheiten begeht; indessen der so gepriesene Geist der Zeit bringt fast nichts wie Tollheiten hervor.

Die Schillsche Geschichte, die die Arrestation von Chazot (der nach Königsberg gereist war) zur Folge hatte, hat nun auch noch viel Unannehmlichkeiten für das Militär erzeugt. Es hieß nach einer mir gestern zugekommenen Nachricht, daß der alte ehrlich Lestocq und Tauentzien den Abschied gefordert, letzterer ihn aber nur bekommen hätte, daß auch sechsundachtzig Stabsoffiziere bei der preußischen Division den Abschied verlangten. Das wäre ein gewaltiges Zeichen von Mißvergnügen, welches nichts Gutes prophezeit. Ich kenne den General Scharnhorst nicht, mir deucht aber, daß seine Einrichtungen, Änderungen etc. uns keine Ordnung der Dinge bringen.

L., 31. Mai 1809

Mehrere Husaren haben Schill verlassen und sind wieder hierhergekommen, während er noch in Stralsund ist und sich auf englischen Schiffen embarquieren will. Sein Zug ist wahrlich ein sonderbarer Parteigängerstreich, denn nachdem er den Fürsten von Köthen heimgesucht und in 30 000 Taler Strafe genommen hatte, zieht er nach Magdeburg und schlägt das ihm entgegengesandte Corps Westfälinger und Franzosen bei Dodendorf, nimmt ihnen drei Kanonen, geht nach Halberstadt und eine seiner Abteilungen nach Blankenburg; dann gegen die Elbe und ins Mecklenburgische, wo er den Herzog von Schwerin ziemlich ängstigt. Auf die Nachricht, daß der Hamburger Kommandant, General Gratien, ihm mit drei Regimentern Holländern entgegengehe, paßt er diesen auf, schickt des Nachts seine ziemlich angewachsene Infanterie über die Elbe, überfällt den Gratien bei Hitzacker, haut das meiste zusammen oder sprengt es, nimmt sechs Kanonen und 700 Mann; die letzteren sendet er ohne Gewehre und Uniformen nach Hause, er aber geht nach Rostock und so weiter nach Stralsund, wo, wie es heißt, er nun Schanzen aufwirft. Er soll mit der in Dömitz gefundenen geringen Artillerie jetzt achtzehn Kanonen und gegen 5000 Mann haben, mit welchen er bis zum Embarquement sich auf Rügen halten will. Den Grafen Schulenburg-Kehnert hat er gewaltig geelendet, weil er Verdacht hatte, daß er Nachrichten über ihn nach Magdeburg gesandt habe. Er hat 5000 Taler ausbeuteln müssen; 20 000 sollte er geben, hatte sie aber nicht bar. An Geld fehlt es Schill nicht, denn er hat überall die westfälischen Kassen geleert und aus Halberstadt allein 50 000 Taler mitgenommen. Wahrlich, das ist ein sonderbarer Mensch, der verschroben zu sein scheint und doch, wenn er die Mittel fände, vielleicht eine große Rolle spielen könnte. Gerät es ihm, nach England zu kommen, so wird man ihn dort mit einem Kußhändchen aufnehmen und gebrauchen. Hier hieß es ferner, der Herzog von Braunschweig-Oels sei auf dem Marsche durch Sachsen und habe bereits Zittau passiert, um etwas zur Wiedererlangung seines Landes zu unternehmen, ja daß der alte kasselsche Herr ein Gleiches tue. Die Konfusion nimmt also überall zu, und wo ist eine Aussicht zum Besseren?

L., den 6. Juni 1809

Schills Geschichte ist, wie vorabzusehen war, zu Ende. Er mochte 1500 Männer unter Gewehr haben, wurde von 7000 Holländern und 2000 Dänen verfolgt und so nach Stralsund gedrängt und in dieser Stadt nach einer lebhaften Gegenwehr forciert; sein Corps ist zerstreut oder gefangen, er aber blessiert in einem Nachen in See gegangen, um, wie es heißt, englische Schiffe zu erreichen. Der General Gratien kommandierte die 9000 Mann gegen ihn, und vermutlich hätte er nichts ausgerichtet, wenn Schill nur 4 bis 5000 Mann gehabt hätte, denn er hatte bis zur Zeit, da das ihm entgegengestellte Corps so stark anwuchs, den General Gratien und alle, die sich ihm entgegensetzten, gerupft oder geschlagen. Sein ganzes Unternehmen war nichtsdestoweniger Tollheit. Mehrere seiner Jäger und Husaren, die von seinem Corps abgeschnitten waren, sind vorher zurückgekommen und werden unter andere Regimenter gesteckt. Ihnen konnte man nichts tun, sie waren einfach ihrem Kommandeur gefolgt. Des Herzogs von Oels´ Unternehmen kommt mir auch als eine Schilliade vor.


L., 12. Juni

Ob Schill geblieben sei oder nicht, darüber streitet man noch. Mecklenburger haben mir versichert daß der Herr General Gratien einem toten Körper den Kopf habe abhauen und diesen dem gefangenen Reitknechte des Schill habe vorzeigen lassen mit dem Befragen, "ob das nicht seines Herrn Kopf sei?" Der Reitknecht habe gesagt "ja" und hätte seine Aussage beschwören müssen. Der durch eine Schußwunde gänzlich entstellte Kopf sei aber der des Rittmeisters von Blankenburg gewesen, der beim Eindringen der Holländer mit einigen Husaren über sie hergefallen und die ersten heruntergesäbelt habe; es hätt ihn aber endlich ein Pistolenschuß hinterm Ohr durch den Kopf getroffen und so vom Pferde geworfen. Schill wäre, durch einen Hieb blessiert, nach dem Strande gejagt und nach Rügen übergekommen. Was hiervon wahr ist, wird sich zeigen; übrigens war es keine große Heldentat, mit 9000 Dänen und Holländern diesen Trupp zu übermannen. Mehrere Offiziere und Mannschaften sind nach erfolgter Kapitulation dem General von Blücher übergeben worden, der alle nach Kolberg gesandt hat; andere sind durch Umwege nach Berlin gekommen und in Spandau arretiert. Nun erfolgt eine Untersuchung. So viel ist gewiß, daß den Siegern dieses Gefecht eine Menge Menschen gekostet hat, denn die Schillianer haben sich wie Rasende gewehrt, und bei ihrer großen Gewandtheit wußten sie den Säbel sehr geschickt zu gebrauchen. Denn das muß ich bezeugen, daß ich nie ein Husaren- und Jägercorps so geschickt gesehen habe wie dieses. ? Lestocqs sind wohl und grüßen; ihr kann man es anmerken, daß das Verfahren in der Schillschen Sache sie verdrießt, und das mit Recht. Überhaupt hat das halbe Dutzend Alentours die Eigenschaft, die besten Männer vor den Kopf zu stoßen.


L., 5. August

Der Herzog von Oels scheint, wie ich Dir schon schrieb, mit seinen paar Männern eine zweite Schilliade spielen zu wollen; den Waffenstillstand respektiert er nicht; über Leipzig ist er hinaus, scharmuziert soll er auch schon haben, aber wo, was er will, was er für Hoffnungen hat, das sieht niemand ein. In unseren sogenannten aufgeklärten Zeiten finde ich mehr Ungereimtheiten als vordem.

Den 19.August

Vor zwölf Tagen noch hatten wir Einquartierung von dem französischen 22. Regiment, das aus Stettin kam, um den Herrn von Oels zu fahnden, der sie alle betrogen hat. ? Einige Tage vorher kam ein Regiment polnischer Dragoner hier in die Gegend und zog nach Magdeburg. Sie benahmen sich überall wie Schurken.

Der Krieg gegen Österreich

Liebenberg, den 15. April

Über die in der Nachbarschaft sich tarnenden Kriegswolken sind wir alle sehr verlegen, denn ein jeder kann uns ins Land laufen. Alles wird übrigens aufgeboten, um gegen Spanien oder Österreich zu ziehen. Letzte Woche lag wieder ein Regiment sächsischer Kürassiere bei Bergsdorf; sie führten sich gut auf und gingen nach Brandenburg, wo sie weitere Ordre erwarteten. Sie hofften auf nichts Erfreuliches und verwünschten den Krieg. Nun soll noch ein sächsisches Infanterieregiment hier durchpassieren. Dieses ist das letzte, welches von Danzig kommt. Ich denke, daß es am Main oder an der Elbe irgendwo schiefgehen muß und deshalb alle Festungstruppen, die meist alte Soldaten sind, herangezogen werden.

L., den 4. Juni 1809

Mehrere von unsern vormaligen Soldaten haben bei den Österreichern Dienste genommen; selbst aus Berlin sind welche desertiert, um zu ihnen zu gehn.

L., den 8. Juni

Hier ist man in der Erwartung, daß der französische Kaiser, der alles an sich zieht, um eine Übermacht zu haben, wegen der letzthin verlorenen Schlacht bei Aspern und Eßling sich an dem Erzherzog Karl zu rächen suchen wird. Noch sind in keiner Schlacht so viele französische Generale von vorzüglichen militärischen Kenntnissen geblieben oder verwundet als in dieser; es muß schrecklich hergegangen sein. Die Donau hat manchen Körper nach dem Schwarzen Meere befördert, der vor vier Monaten noch in Spanien lebte. Wenn es wahr ist, daß Krieg nötig ist, um die Welt von zu großer Volksmenge zu säubern, so muß ich doch bekennen, daß diese Säuberung etwas stark ist. ? Was hier von Truppen steht, wird komplettiert und nach und nach bekleidet; auch die Artillerie instand gesetzt. Dabei wird fleißig exerziert. Aber das alles ist bloß Vorsorge und scheint mir nicht auf Teilnahme an dem Kriege abzuzwecken. Wollte Gott, es wäre einmal Friede; aber bei Versperrung aller Wege dazu, wo soll er herkommen?

30. August 1809

Des französischen Kaisers böses Gewissen sieht und bemerkt Gefahr und Aufstand und will doch nicht Buße tun. Am wenigsten in Tirol, wo man durch Füsiladen und harte Behandlung den Aufstand erneuert hat, und zwar in solcher Wut, daß ein Teil der Rheinbündler-Truppen und der Bayern vernichtet ist. Der Verlust von Vlissingen wird auch sehr ärgern. An Stelle des von Stettin ausmarschierten 22. Regiments kam neuerdings das in Spanien ruinierte 27. wieder durch Zehdenick. Früher gehörte es zum Soultschen Corps, stand in hiesiger Gegend und war damals über 1800 Mann stark. Anjetzo, trotzdem schon eine Konskriptions-Ergänzung dazu gestoßen ist, zählt es nur 450 Mann. Von den alten Offizieren war keiner mehr dabei, so hat Spanien damit aufgeräumt. Möchten sie doch alle so siegen.

L., den 13. September 1809

Ich war vorige Woche in Berlin, aber der Aufenthalt daselbst ist mir ganz zuwider. Ich habe da nichts von frischer Luft, und ein Gang Unter den Linden will auch nicht viel besagen. Wenn ich hier in Liebenberg bin und Unbehaglichkeit fühle, setze ich mich aufs Pferd und befinde mich besser.

Neues weiß man hier gar nicht. Oft hört man ganz widersprechende Nachrichten. Die Friedensbedingungen, hieß es, wären: daß Salzburg, Tirol und Vorarlberg dem Herzoge von Würzburg zufallen sollten, wohingegen Bayern Würzburg bekäme. Galizien käme zu Warschau, der König von Sachsen würde König von Polen und der Herzog von Weimar König von Sachsen. Ich verbürge die Wahrheit der Nachricht nicht, so viel aber scheint mir gewiß, daß man vor Tirol Respekt bekommen hat, wo der Herr Duc de Danzig (General Lefebvre) Gott hat danken müssen, daß er mit heiler Haut aus den Bergschlupfen entkommen ist.

Mißstimmung über den Gang der inneren Politik

Liebenberg, den 25. April

Die französische Niedertracht wächst mit jedem Tag und ruiniert uns noch das bißchen von Anstand, Gesinnung und guter Sitte, was wir uns aus besseren Tagen gerettet. Über die Spioniererei in Magdeburg hat uns Frau von A. denn doch eine Beschreibung gemacht, die alles übertrifft; Freunde müssen bei verschlossenen Türen und alsdann auch nur sachte sprechen. Und in den Zeitungen wird der Welt tagtäglich von unserem Glück und Wohlbefinden erzählt.

L., 6. Juni

Bei der hiesigen Regierung ist man mit Verabschiedungen neuerdings sehr liberal gewesen. Der Direktor Groote trat freiwillig zurück, aber die Räte von Winterfeldt, Bonsery, Nagel sind entlassen worden. Alle drei waren während des Aufenthalts der Franzosen viel in Verpflegungsmagazin- und Lieferungssachen gebraucht worden. Andere Räte und kleinere Beamte der Regierung sind auf kleine Pension gesetzt worden. Ich werde aus dem ganzen Verfahren nicht klug; hat man Ursach zu Mißvergnügen gegen Beamte, so lasse man sie richten und strafen, aber das démettre et chasser, ohne einen Grund anzuführen, setzt Beamte in die Kategorie eines Knechts, dem ich ohne weiteren Grund sagen kann: Du ziehst ab.

L., 10.Juli 1809

Ich kann mich mit der Umänderung unserer Staatsverfassung nicht befreunden und pflichte denen bei, die da sagen: früher hätten wir mittelmäßige Doctores gehabt, nun aber wären wir unter die Hände der Quacksalber geraten. Ich kann noch nicht einsehen, daß bei den Neuerungen mehr Ordnung und Tätigkeit eintrete; ich gehöre aber auch freilich zu den alten dummen Alltagsmenschen. ? Daß Danckelmann nicht nach Berlin berufen und daselbst angestellt worden ist, ist verdrießlich. Aber nach meiner Ansicht von unserer Gesamtlage war es eigentlich nicht möglich. Denn verhehlen wir uns nicht, es ist eine Clique da, die über alles disponiert, und die wird sich hüten, andre als ihrem Kreis Angehörige in die Nähe des Thrones zu ziehen. Klage darüber zu führen ist unstatthaft und gilt für illoyal, unter Umständen auch für revolutionär. So steht es um unsere bürgerliche Freiheit! Etwas Freies soll weder gedruckt noch geschrieben werden. Friedrich ließ drucken und schreiben und bekümmerte sich um nichts.

L., 13. September

Der Großkanzler ist nun wieder in Berlin; von den übrigen Ministern hört man nichts. Dagegen höre ich, daß der Accoucheur Dr. Ripke nach Königsberg abgegangen ist. Ich bedaure die Königin über ihre Fruchtbarkeit, denn sie kann das viele Kindern nicht aushalten, zumal ihre Lage, wie die des ganzen Staates, sehr unangenehm auf ihr Gemüt wirken muß. ? Es wird nun also wirklich an Rückkehr des Hofes von Königsberg nach Berlin gedacht. Am äußeren Jubel wird es bei der Gelegenheit nicht fehlen, ob er aber innerlich und dauernd sein wird, steht leider sehr dahin. Es kann sein, daß das Alter mich mürrisch und von schweren Begriffen macht, muß aber gestehen, daß ich alle Veränderungen als verderblich ansehe. Ich kann in den Neuerungen nichts Besseres finden, als das Alte war, im Gegenteil, alles arbeitet einem reinen Despotismus in die Hand. Anstatt den König dem Volke zu nähern, entfernt man ihn von ihm; einige Faiseurs wollen alles machen und machen auch alles. Was nebenher der Menschenschinder im großen Babel mit all seinen königlichen Sklaven aushecken wird, wird bald zutage kommen. Uns und allen Völkern kann es nur nachteilig sein. Alles läuft darauf hinaus, auch Chef der Kirche sein zu wollen und das abendländische Kaisertum mit voller Despotie wiederherzustellen. Zum Schlusse fehlt nur noch, daß auch Kaiser Alexander das orientalische Reich wieder aufrichtet; dann sitzen wir und Österreich in der Mitte, geprellt von dem einen, gestoßen vom andern.

Königs Geburtstag. Theatersachen

Berlin, 5. August 1809

Vorgestern war hier zu Königs Geburtstag ein prächtiges Konzert im Saale des Komödienhauses, und zwar zugunsten des Friedrichs-Instituts, des Mittags großes Diner bei Prinz Ferdinand, abends Ball von 300 Personen bei Minister von der Goltz. Die Stadt war ziemlich erleuchtet, meistens im Innern der Häuser. Das Konzert habe ich gehört. Unsere besten Stimmen sangen einen Akt aus einer von Righini komponierten Oper. Die Singakademie sang die Chöre sehr schön; eins, welches ein paar Crescendo-Passagen hatte, war ordentlich rührend. Schade war es, daß viel Regen fiel. Den Abend vorher sah ich Iffland den "Amerikaner" spielen; er war glänzend und hat uns alle bei herzlichem Lachen erhalten.

Berlin, 8. August 1809

Der Tod der Madame Schick macht alle Theater- und Musikliebhaber traurig; mir erschien sie als Sängerin nicht so vorzüglich, aber ihr Ruf von guten Sitten machte sie mir schätzbar.

Berlin, 31. Dezember 1809

Interessieren wird Dich vielleicht, daß die Bethmann, die das Publikum durch einen dummen Auftritt wegen ihrer Tochter sehr beleidigt hatte (deshalb übrigens auch in Hausarrest war), nun durch eine öffentliche Abbitte wieder zu Gnaden aufgenommen ist. Von dem elenden Vorfall wurde so viel gesprochen als wie vom letzten Friedensschlusse, denn es gehört zum Geiste der Zeit, daß die Komödianten nicht nur auf dem Theater, sondern auch im Publikum etwas vorstellen.

Der Brand der Petrikirche

Berlin, den 25. September 1809

In der Nacht vom 20. d. hatten wir hier die fürchterliche Szene des Brandes der Petrikirche. Ich glaubte, der nächstgelegene Stadtteil würde abbrennen, denn der Sturmwind trieb das Feuer bis weit über meine Wohnung hinaus. In der Stralauer Straße fingen zwei Häuser und der Waisenhausturm Feuer; jene wurden gerettet, aber der Waisenturm brannte ab, nicht ohne Gefahr für das ganze umliegende Viertel. An der Petrikirche selbst war nichts zu tun, als sie brennen zu lassen; der Turm fiel zum Glück in sich zusammen, vierzehn Häuser aber, die nächsten unter dem Winde nach der Grünstraße zu, sind teils ganz abgebrannt, teils sehr beschädigt. Was das Feuer sehr vermehrte, war das, daß die auf dem Kirchensöller mietsweis aufgestellten Buchniederlagen von Haude und Spener und von Pauli gleich von den Flammen ergriffen und die Blätter brennend umhergetrieben wurden. Ohne die guten Anstalten zum Löschen, die Menge der Spritzen, besonders der Prahmspritzen, und ohne die herbeiströmenden Menschen würde gewiß ein Viertel der Stadt abgebrannt sein. Du kannst Dir eine Vorstellung von den Flammen machen, wenn ich Dir sage, daß es um zwei Uhr in der Nacht so hell vom Feuer wurde, daß ich bequem kleinen Druck lesen konnte. Die Urheber des Feuers sind gestern eingezogen worden. Es ist zunächst eine Schusterfrau, die einen bloßen Tischladen zum Verkaufe hat, den sie dann des Abends, für eine Erkenntlichkeit an den Küster, in die Kirchenhalle setzte. Da es kaltes Wetter war, hatte sie einen Feuertopf, um die Beine zu wärmen, gebraucht und diesen Feuertopf, ohne die Kohlen auszuschütten, am Abend samt ihrem Tisch und Stuhl in die Halle gesetzt. Und daraus ist der Brand entstanden. Vermutlich wird diese Kirche zunächst in Schutt und Trümmer bleiben; denn wo soll das Geld herkommen? Über dreißig kleine Krämer, die ihre Buden an der Kirche hatten, haben alles verloren.


Rückkehr der königlichen Familie

Liebenberg, 14. Dezember 1809

Gestern hörte ich von Berlin her, daß die Schlächter in egalen Uniformen den König einholen wollen und daß ihn die Gärtnertöchter anreden und ihm mit einem Gedichte Langeweile machen werden.

Berlin, den 26. Dezember 1809

Deinem Wunsche gemäß erfolgt hierbei eine kurze Geschichtserzählung vom Einzuge des Königs. Dieser Einzug war wegen des Frohsinns, der herrschte, außerordentlich rührend. Auch das Wetter begünstigte ihn, und der 23. war der einzige Tag, an welchem die Sonne ununterbrochen schien.

Drei Tage vor der königlichen Ankunft bekam der alte brave Lestocq seine Demission. ? Auch diesen Mann mußte man abdanken, weil der allgemeine Wütrich ? noch aus Groll wegen Major Schills irren Ritterzuges ? solches als eine Satisfaktion verlangt hatte. Auf ein Verlangen von derselben Seite her ist Feldmarschall Kalckreuth zum Gouverneur ernannt worden. Lestocq kennt den ganzen Zusammenhang, er weiß, daß er ein Opfer der Politik ist, und wird vermutlich auf die Propstei nach Brandenburg ziehen. Der König hat ihn auf die ehrenvollste Art empfangen und ihn ganz allein zu einem Familiendiner gebeten; er behält sein volles Gehalt und ist zufrieden, so wie auch sie, die, nach so viel Unruhe, nun endlich Ruhe zu finden hofft. Kalckreuth wird hier nicht gern gesehen werden; er soll Ende Januar eintreffen, übrigens ohne seine Frau, die an der Luftröhrenschwindsucht ohne Hoffnung darnieder liegt. Vielleicht stirbt sie, eh er abreist.

Das Urteil gegen den Generallieutenant von Wartensleben hat uns, nebst noch anderen, die "Hamburger Zeitung" mitgeteilt; ich weiß nicht, warum man es nicht bei uns auch durch den Druck bekanntmacht. Unseres Fräuleins du Troussel Vater hat wohlgetan zu sterben, denn vermutlich hätt er ein Todesurteil bekommen. Der alte Romberg und der Kommandant Knobelsdorf zu Stettin würden ein gleiches Schicksal gehabt haben, wenn sie nicht zur Ewigkeit abgereist wären. Dem Wartensleben gönnt ein jeder sein Schicksal. Übrigens sehe ich, daß manche Militärs bloß nach Gunst wieder angestellt werden, dagegen andere, die tüchtige Kerls sind, zurückstehn müssen.

Der französische Gesandte soll sich gegen die Königin über die Freude des Volks beim Einzuge mit den Worten geäußert haben: "On voyait, que les acclamations n´étoient pas commandé."

1

Schriftsteller mit Bezug zum Text

1

Orte mit Bezug zum Text