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Madame Birch-Pfeiffer und die drei Musketiere

Informationen

Literaturangabe:

Gutzkow, Karl
Berlin - Panorama einer Weltstadt, hrsg. von Wolfgang Rasch, Berlin 1995

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Madame Birch-Pfeiffer und die drei Musketiere

Madame Birch-Pfeiffer und die drei Musketiere

Herr von Küstner scheint sich als General-Intendant zu halten. Eine Einnahme von 220 000 Talern soll lebhafter für ihn gesprochen haben, als alle Verteidigungen der Presse, als sämtliche Paragraphen seines mit Unrecht angefeindeten "Theater Reglements". Ob diese Einnahme rein als eine Folge der guten Verwaltung oder nicht vielmehr überwiegend ein notwendiges Ergebnis der gesteigerten Theaterlust und des durch die Eisenbahnen vermittelten Fremdenzuflusses ist, steht dahin. Jedenfalls ist es gefährlich, bei Kunstinstituten, die doch die Berliner Hoftheater sein sollen, einen zu großen Nachdruck auf Zahlen zu legen. Die Leidenschaft für "Überschüsse" ist eine der gefährlichsten Intendanten-Krankheiten. Sie kann sich in ein hitziges Fieber verwandeln, bei welchem sich alle Begriffe von Geschmack und Kunstsinn verwirren.

Ich sagte, die neuen Berliner Theatergesetze wären mit Unrecht angefeindet worden. Sie lesen sich streng, waren aber den eingerissenen alten und den zu verhütenden neuen Mißbräuchen gegenüber eine Notwendigkeit. Bei ihrer Abfassung hätte konstitutionell verfahren werden sollen, d. h. die Mitglieder der Königlichen Bühne hätten in die Gesetzgebungs-Kommission eine Anzahl Repräsentanten müssen wählen dürfen. Aller Zeitungslärm und Kulissenärger wäre durch dies konstitutionelle Verfahren vermieden worden. Die Gesetze jedoch, die nun da sind, flossen aus einem Bewußtsein, das offenbar nur das Gute wollte und denselben Willen bei jedem treufleißigen Künstler voraussetzte. Dagegen sich auflehnen und einen Lärm schlagen, als wenn dem redlichen Künstlerstreben das Palladium der Freiheit entwendet wäre, verrät geringe Überlegung. Die Theatergesetze des Herrn von Küstner sind nicht ohne Fehler, aber in den Hauptgrundsätzen nur zu billigen.

Auch Verbesserungen des Personals scheinen wenigstens im Schauspiel beabsichtigt zu werden. Dem Fräulein von Hagn soll die Last, das ganze Repertoire auf ihrem schönen griechischen Nacken zu tragen, endlich erleichtert werden. Sie fühlt sich gewiß sehr glücklich, einen Teil ihrer Rollen an andere abzugeben und, wenn sie verreist (was sie während drei der besten Theatermonate darf), ihre Partien in andern Händen zurückzulassen als in denen ihrer Schwester Auguste. Fräulein Viereck ist vom Wiener Burgtheater, das einen wahren Blumenflor der besten weiblichen Bühnenkräfte besitzt, nach Berlin übergegangen, eine hohe, plastisch edle Erscheinung, von etwas herbem Ton und noch nicht taktfest in empfindungsvollen Modulationen des Vortrags, jedenfalls mehr die Rollen repräsentierend, als sie schaffend; doch wird das Talent dafür sich schon mit den Rollen entwickeln. Was Fräulein Viereck nicht besitzt, diesen unmittelbaren poetischen Ausbruch einer "freud- und leidvoll" bewegten weiblichen Natur, das wird Fräulein Wilhelmi aus Hamburg bringen, ein Talent, das an der Elbe hochgerühmt wird und, wie man vernimmt, gleichfalls von der großmütigen Entsagung des Fräuleins von Hagn Vorteile ziehen wird. So bildete sich ja in Berlin ein Verein von Liebreiz und Talent, dessen Erwerbung Herrn von Küstner alle Ehre macht. Clara Stich für die Naivität, Charlotte von Hagn für die keck gestaltende, geniale weibliche Charakterrolle, Fräulein Viereck für die Salondamen, Fräulein Wilhelmi für die schwungvollen jugendlichen Heldinnen der Tragödie, Frau von Lavallade für duldende und zurückgesetzte Gemüter, Madame Crelinger für die Medeen und Dr. Klein´schen Zenobien, Madame Birch-Pf........

Halt! Wir kommen aus der Sphäre des Personals in die des Repertoires; denn es scheint, als hätte Herr von Küstner die fruchtbare Bühnendichterin mehr aus Rücksicht auf ihre Feder, als auf ihre Darstellungsgaben engagiert. Sie ist ihm als Schriftstellerin benötigter, denn als Mimin. Er wünschte ihre Stücke gleich aus erster Hand zu haben und benutzte eine durch den Abgang der Madame Wolff entstandene, allerdings gewaltige Lücke, um diese mit Madame Birch-Pfeiffer auszufüllen.

Ich habe die Verfasserin des "Hinko" in meinem Leben zweimal spielen sehen. Vor dreizehn Jahren in München die Maria Stuart und vor zwei Jahren in Frankfurt am Main Maria Theresia. Beide Male hinterließ sie mir einen sozusagen großartigen Eindruck. Es war etwas Volles, Gerundetes in ihrer Leistung. Das klangvolle Organ sprach zwar etwas den bayrischen Dialekt, was für Maria Stuart eine eigentümliche Nuance war; aber auf Maria Theresia paßte ohne Zweifel die oberdeutsche Mundart; denn Maria Theresia hat schwerlich je so gesprochen, wie ein Mitglied der Königlichen Bühne in Berlin sprechen sollte. Madame Birch-Pfeiffer stattete die Kaiserin mit vielem Gemüt und mancher derben Gestikulation aus. Kenner wollten finden, daß sie übertreibe, andere, daß sie monoton wäre. Genug, über ihre Verdienste als Künstlerin gestehe ich, kein Urteil zu haben.

Auch gegen ihre Stücke wage ich, selbst Dramatiker, nichts zu sagen. Sie ist weit mehr als unsere deutsche Madame Ancelot. In Paris würde sie wie der Koloß von Rhodos das ganze Repertoire vom Odéon jenseits der Seine bis zu den Délassements comiques am Boulevard du Temple beherrschen. Sie würde klassisch sein für das Théâtre français, romantisch für die Porte St. Martin. Sie würde sich bald von ihrer eigenen Phantasie, bald von deutschen und englischen Romanen (nicht von französischen, denn dem französischen Romandichter muß der Dramatiker sein Sujet abkaufen!) befruchten lassen. Die Bühnenkenntnis, die Kulissen-Phantasie, die Lampen-Rhetorik dieser Schriftstellerin ist selbst über eine kühle Anerkennung erhaben. Ihr Talent lobt sich selbst.

Dennoch ist es ein Unglück, daß Herr von Küstner in seiner Bewunderung von Madame Birch-Pfeiffer zu enthusiastisch ist. Er sollte sich darin mäßigen. Er sollte einsehen, daß ein Stück mit folgendem Titel:

Anna von Österreich.
Schauspiel in vier Abteilungen und sechs Akten,
nach dem Roman:
Die drei Musketiere von Alex. Dumas,
frei bearbeitet von
Charl. Birch-Pfeiffer.
Erste Abteilung.
Ein Taschentuch.
Zweite Abteilung.
Der Musketier.
Dritte Abteilung.
Der Kardinal
Vierte Abteilung.
Zwölf Tage später.

mit oder ohne diese Titel-Aushängeschilder nicht auf die Königliche Bühne gehört. Herr von Küstner sollte sich hüten, seinen Gegnern mit solchen Fehlgriffen die Waffen in die Hand zu geben.

Aber in der Tat! Diese drei Musketiere haben sich vom Alexanderplatz auf den Gensdarmenmarkt verirrt und werden, statt über die Königsstädter über die Königliche Bühne schreiten. Die Rollen sind ausgeteilt. Hendrichs, Döring, die Hagn, die Crelinger, die besten Truppen rücken für Alexandre Dumas und seine in die Uniform der Madame Birch-Pfeiffer gesteckten drei Musketiere ins Feld. Herr von Küstner glaubt die hohe Aufgabe, jährlich sich mit 220 000 Talern zu "rechtfertigen", nur durch ein solches Repertoire lösen zu können. Wenn auch Graf Brühl sich im Grabe umdrehen sollte, wenn auch Graf Redern, auf dem Trottoir Unter den Linden einen Augenblick still stehend und den neuesten Theaterzettel an einer Straßenecke lesend, lächeln, höchst ironisch lächeln sollte, Herr von Küstner führt doch die drei Musketiere der Madame Birch-Pfeiffer auf!

Früher war das Verhältnis so: Wenn Madame Birch-Pfeiffer ein Stück gezeitigt hatte, so kam es an die General-Intendantur. Graf Redern sah, ob diese Arbeit von der fruchtbaren Schriftstellerin selbst herrührte oder ob sie sich, wie Kühne sagte, wieder einen Roman "eingeschlachtet" hatte. Die Originalversuche, z. B. "Rubens in Madrid", "Die Günstlinge" usw. wurden mit Courtoisie angenommen und gegeben; die "Würste" aber gingen hinüber in die Königsstadt. Dort wohnten die Hinkos, die Pfefferrösels, die Scheibentonis und wie die edlen Gestalten alle heißen, die Madame Birch-Pfeiffer nicht selbst geschaffen hat, sondern aus den Romanen Storchs, Dörings, Spindlers, Bulwers usw. mit der daranhängenden Handlung entlehnte. Auch die drei Musketiere würde Graf Redern (nicht als Kavalier, sondern als Kunstrichter!) in die Königsstadt geschickt haben.

Herr von Küstner, der noch kein einziges Drama von Julius Mosen gegeben hat, befolgt ein anderes System. Er wirbt die drei Musketiere bei sich an, stattet sie mit Glanz aus und würde auch "Den ewigen Juden", wenn ihn Mad. Birch-Pfeiffer "bearbeitet" hätte, ohne Zweifel für sich behalten haben. Ich meine nun, dieses System wäre sehr verwerflich und der allgemeinsten Entrüstung würdig. Ich meine, die Vorgesetzten des Herrn von Küstner müßten ihm entschieden andeuten, daß es dem preußischen Staate mit den 220 000 Talern oder, anders ausgedrückt, mit dem Überschusse von einigen tausend Talern nicht so dringend wäre. Ich meine, daß sogar Mad. Birch-Pfeiffer so bescheiden hätte sein und sagen können: "General-Intendant, Sie revoltieren die Presse! Geben Sie die Stücke, die schon zehn Jahr im Pulte der Regie liegen! Machen Sie mir keine Feinde!" Allein Macht und Übermut gehen Hand in Hand. Die Leute dort denken: Solange wir im Rohre sitzen, schneiden wir uns unsere Pfeifen...

Deshalb weise Herr von Küstner seinen über die Maßen protegierten Günstling in die Schranken, die ihm gebühren! Vielleicht glaubt man mir´s, vielleicht nicht, daß ich mit schwerem Herzen an die Abfassung dieser Zeilen gegangen bin. Ich achte jedes wahre Talent auf der Stufe seines Wertes. Ich habe noch nie gegen Mad. Birch-Pfeiffer geschrieben; ich gönne ihr alle nur erdenklichen Erfolge ihrer resoluten Feder; ich will mich am wenigsten auf eine Analyse ihrer Original-Dramen einlassen, ich will nicht spotten und selbst für die ironischen Stellen dieses Protestes um Nachsicht bitten. Aber die herbste Mißbilligung treffe Herrn von Küstner, der monatelang keine Neuigkeiten aufführt, in den Berliner Zeitungen offiziell das Publikum von dieser oder jener maskierten Vorbereitung unterhält und dann plötzlich in aller Stille, zur günstigsten Theaterzeit, mit einer Birch-Pfeifferiade, die in die Königsstadt gehört, hervortritt! Werden die Berliner Zeitungen das in der Ordnung finden? Werden sie alle vor "den drei Musketieren" ins Gewehr treten? Ich für mein Teil, selbst wenn ich nie eine Zeile für die Bühne geschrieben hätte, würde es unverantwortlich finden, daß die Berliner Hofbühne diesen, aus schnöder Gewinnsucht oft in nicht vierundzwanzig Arbeitsstunden zusammengeschriebenen Fabrikenkram in ihr Repertoire aufnehmen darf.

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