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Mein Aufenthalt in Preußen

Informationen

Literaturangabe:

Casanova, Ciacomo
Geschichte meines Lebens, hrsg. v. Günther und Barbara Albrecht, Leipzig und Weimar 1987

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Mein Aufenthalt in Preußen

Mein Aufenthalt in Preußen

Am fünften Tage nach meiner Ankunft in Berlin stellte ich mich dem Lordmarschall vor, der seit dem Tode seines Bruders Keith genannt wurde. Ich hatte ihn zum letzten Male in London gesehen, als er von Schottland zurückreiste; man hatte ihm die Familiengüter zurückgegeben, die von der Regierung konfisziert worden waren, als er dem König Jakob folgte. Er verdankte seine Begnadigung dem König von Preußen. Er lebte nun in Berlin, wo er sich auf seinen Lorbeeren ausruhte und des Friedens erfreute. Er war noch immer ein Liebling des Königs, mischte sich aber mit seinen achtzig Jahren in keine Hofangelegenheiten mehr ein. Er sagte mir in der ihm eigenen einfachen Art, er sehe mich mit Vergnügen wieder; hierauf fragte er mich, ob ich auf der Durchreise sei oder die Absicht habe, eine Zeitlang in Berlin zu bleiben. Da er zum Teil die Wechselfälle meines Lebens kannte, so antworte ich ihm, ich würde mich gern dauernd niederlassen, wenn der König mir eine angemessene Anstellung gäbe, die meinen geringen Fähigkeiten entspräche. Als ich ihn aber um seine Protektion zur Erlangung einer solchen Stellung bat, antwortete er mir: ?Ich würde Ihnen mehr schaden als nützen, wenn ich versuchen wollte, den König vorher zu Ihren Gunsten zu beeinflussen. Seine Majestät tut sich nämlich etwas darauf zugute, ein ganz besonderer Menschenkenner zu sein und urteilt daher gerne nach eigener Überzeugung. So kommt es denn ziemlich oft vor, daß er Vorzüge entdeckt, wo kein Mensch solche auch nur vermutet hätte, und umgekehrt. Ich rate Ihnen, dem König zu schreiben, daß Sie nach der Ehre einer Unterredung streben. Wenn Sie mit ihm sprechen, können Sie ihm beiläufig sagen, daß Sie mich kennen, und ich zweifle nicht, daß er mir dann Gelegenheit geben wird, von Ihnen zu sprechen; Sie können sich denken, daß meine Ankunft Ihnen nicht schaden wird.?
?Ich, ein Unbekannter, soll an einen König schreiben, zu dem ich nicht die geringsten Beziehungen habe? Ich weiß gar nicht, wie ein solcher Antrag aussehen soll.?
?Das glaube ich wohl, aber wünschen Sie nicht mit ihm zu sprechen??
?Gewiß.?
?Nun, da haben Sie ja die Beziehungen. Ihr Brief braucht weiter nichts zu enthalten, als daß Sie ihn zu sprechen wünschen.?
?Wird der König mir antworten??
?Ohne allen Zweifel; denn er antwortet einem jeden. Er wird Ihnen mitteilen, wo und zu welcher Stunde er Sie empfangen will. Folgen Sie meinem Rat! Seine Majestät ist jetzt in Sanssouci. Ich bin neugierig auf das Gespräch, das Sie mit dem Monarchen haben werden, der, wie Sie sehen, keine Furcht hat, daß jemand seine Achtung ihm gegenüber vermissen läßt.?
Ich ging nach Hause, setzte mich an meinen Schreibtisch und schrieb dem König einen ganz einfachen und sehr ehrfurchtsvollen Brief, in dem ich fragte, wo und wann ich mich Seiner Majestät vorstellen dürfte. Ich unterschrieb und fügte noch Venezianer hinzu, dann gab ich in dem Brief noch den Gasthof an, wo ich wohnte.
Am zweiten Tage darauf erhielt ich einen Brief mit der Unterschrift ,Fédéric?, der jedoch von einem Sekretär geschrieben war. Man bestätigte mir den Empfang meines Briefes und teilte mir mit, daß der König sich um vier Uhr im Park von Sanssouci befinden würde.
In einen schwarzen Anzug gekleidet, begab ich mich um drei Uhr nach Sanssouci. Durch ein kleines Tor betrat ich den Schloßhof, sah keinen Menschen, nicht einmal eine Schildwache, auch keinen Pförtner, keinen Lakaien. Alles war ruhig: ich ging eine kleine Treppe hinauf, öffnete eine Tür und befand mich in einer Bildergalerie. Der Aufseher kam auf mich zu und erbot sich, mich zu führen. Ich antwortete ihm: ?Ich komme nicht, um diese Meisterwerke der Malerei zu bewundern, sondern um den König zu sprechen, der mir geschrieben hat, daß er im Park sein werde.?
?Er ist in diesem Augenblick bei seinem kleinen Konzert, wo er die Flöte spielt. Das tut er jeden Tag nach Tisch. Hat er Ihnen die Stunde bezeichnet??
?Ja, um vier Uhr ; aber er wird es vergessen haben.?
?Der König vergißt niemals etwas; er wird pünktlich sein, und Sie tun gut daran, wenn Sie ihn im Park erwarten.?
Ich befand mich seit einigen Augenblicken im Park, als ich ihn mit seinem Vorleser Catt und einem hübschen Spaniel erscheinen sah. Sobald er mich bemerkte, ging er auf mich zu, nahm mit kecker Miene seinen alten Hut ab, nannte meinen Namen und fragte mich in barschem Ton, was ich von ihm wolle. Überrascht von diesem Empfang, konnte ich kein Wort hervorbringen; ich sah ihn nur an, ohne ihm zu antworten.
?Nun, so sprechen Sie doch! Haben Sie mir denn nicht geschrieben??
?Ja, Majestät; aber ich erinnere mich an nichts mehr. Ich konnte wohl glauben, daß die Erhabenheit eines Königs mich nicht blenden würde! Doch in Zukunft sollt mir dies nicht wieder begegnen. Der Lordmarschall hätte mich warnen sollen.?
?Er kennt Sie also? Wir wollen ein wenig spazierengehen. Worüber wollten Sie mit mir sprechen? Was sagen Sie zu meinem Park??
Während er mich fragt, worüber ich mit ihm sprechen wollte, befiehlt er mir zugleich, mein Urteil über seinen Park zu sagen. Jedem anderen hätte ich geantwortet, daß ich nichts davon verstände; aber da der König geruhte, mich für einen Kenner zu halten, so hätte es ausgesehen, als wenn ich ihm unrecht geben wollte, und das verzeiht ein König niemals, selbst wenn er ein Philosoph ist. Auf die Gefahr hin, einen schlechten Geschmack zu zeigen, antwortet ich daher, ich fände den Garten prachtvoll.
?Aber der Park von Versailles ist doch viel schöner.?
?Allerdings, Majestät, aber hauptsächlich wegen der Wasserspiele.?
?Ganz recht; aber das ist nicht meine Schuld: hier gibt es kein Wasser. Ich habe mehr als dreihundertausend Taler ausgegeben, um Wasser zu bekommen; aber ohne Erfolg.?
?Dreihundertausend Taler, Majestät! Wenn Eure Majestät die ganze Summe auf einmal ausgegeben hätte, müßte Wasser da sein.?
?Ah, ich sehe, Sie haben sich mit dem Wasserbau befaßt.?
Hätte ich ihm sagen sollen, daß er sich täuscht? Ich fürchtete, ihm zu mißfallen und senkte nur den Kopf: das hieß weder ja noch nein. Glücklicherweise dachte der König nicht daran, mit mir über diesen Gegenstand zu sprechen; so blieb mir eine große Verlegenheit erspart, denn ich kannte nicht einmal die ersten Anfangsgründe dieser Wissenschaft. Im selben Atemzug fragte er mich, wie groß die Streitkräfte der Republik in Venedig im Kriegsfalle seien.
?Zwanzig Schlachtschiffe, Majestät, und eine große Menge Galeeren.?
?Und wieviel Landtruppen??
?Siebzigtausend Mann, Majestät; lauter Untertanen der Republik, auf jedes Dorf nur einen einzigen Mann gerechnet.?
?Das ist nicht wahr. Sie wollen mich wohl zum Lachen bringen, indem Sie mir derartige Fabeln erzählen? Aber Sie sind sicherlich Finanzmann. Sagen Sie mir, was Sie von der Steuer halten??
Es war die erste Unterredung, die ich mit einem König hatte. Es kam mir vor, als wenn ich eine Szene in einer italienischen Komödie zu spielen hätte, wo der Schauspieler zu improvisieren hat und, wenn er steckenbleibt, sofort ausgepfiffen wird. Ich legte also mein Gesicht in würdige Falten und antwortete dem stolzen König, ich könnte über die Theorie der Steuer sprechen.
?Das will ich ja gerade; denn die Praxis geht Sie nichts an.?
?Im Hinblick auf die Wirkungen sind drei Arten von Steuern zu unterscheiden: die eine ist verderblich: die zweite leider notwendig, die dritte stets ausgezeichnet.?
?Gut so. Nur weiter!?
?Die verderbliche Steuer ist die königliche: die notwendige ist die militärische; die ausgezeichnete ist die Steuer, die dem Volks zugute kommt.?
?Wie soll ich das verstehen?.?
Ich mußte ausführlich werden und warf einige Gedanken hin, wie sie mir in den Sinn kamen.
?Die königliche Steuer, Majestät, ist diejenige, die die Börsen der Untertanen erschöpft, um die Schatzkammern des Monarchen zu füllen.?
?Und diese Steuer ist stets verderblich, sagen Sie??
?Stets, Majestät; denn sie schadet dem Geldumlauf, der die Seele des Handels und die Stütze des Staates ist.?
?Aber Sie finden die Steuer notwendig, die zur Unterhaltung der Heere dient??
?Sie ist leider notwendig. Leider - denn der Krieg ist zweifellos ein Unglück.?
?Das kann wohl sein; und die Steuer, die dem Volk dient??
?Diese ist stets ausgezeichnet, denn der König nimmt seinen Untertanen mit der einen Hand und gibt sie ihnen mit der anderen durch gemeinnützige Bauwerke und Regelungen, die das allgemeine Wohlbefinden erhöhen, wieder zurück.?
?Sie kennen ohne Zweifel Calzabigi??
?Ich muß ihn wohl kennen, Majestät; denn vor sieben Jahren haben wir beide zusammen die Genueser Lotterie in Paris eingeführt?"
?Und zu welcher der drei Arten rechnen Sie diese Steuer? Denn Sie werden mir zugeben, daß die Lotterie eine Steuer ist.?
?Gewiß, und zwar keine von den unbedeutendsten. Es ist eine Steuer von der guten Art, wenn der König die Erträgnisse zu nützlichen Ausgaben verwendet.?
?Aber der König kann daran verlieren.?
?Einmal unter zehn.?
?Ist dies das Ergebnis einer sicheren Berechnung??
?Einer so sicheren, Majestät, wie alle wirtschaftspolitischen Berechnungen sind.?
?Diese sind oft fehlerhaft.?
?Niemals, Majestät, wenn Gott neutral bleibt.?
?Das lasse ich gelten. Übrigens denke ich vielleicht wie Sie über moralische Rechtfertigung; aber Ihre Genueser Lotterie liebe ich nicht. Sie scheint mir eine richtige Gaunerei zu sein, und ich möchte nichts von ihr wissen, selbst wenn ich die tatsächliche Sicherheit hätte, daß ich niemals verlieren könnte.?
?Eure Majestät denken wie ein Weiser; denn das unwissende Volk kann nur in der Lotterie spielen, wenn es sich von einem trügerischen Vertrauen hinreißen läßt.?
Nach diesem etwas zusammenhanglosen Dialog, der dem hohen Geiste des erlauchten Herrschers alle Ehre machte, schien er ein wenig zornig, fand mich aber um Antworten nicht verlegen. Als wir bei einem Peristyl mit doppelter Säulenreihe angekommen waren, blieb er vor mir stehen, sah mich vom Kopf bis zu den Füßen an und sagte nach einigen Sekunden: ?Wissen Sie, Sie sind ein sehr schöner Mann.?
?Ist es möglich, daß Eure Majestät nach einer langen wissenschaftlichen Unterhaltung an mir den geringsten der Vorzüge bemerken können, durch die Ihre Grenadiere sich auszeichnen??
Der König lächelte fein und sagte dann zu mir: ?Da Lordmarschall Keith Sie kennt, werde ich mit ihm über Sie sprechen.?
Hierauf nahm er seinen Hut ab - mit dieser Höflichkeit geizte er überhaupt gegen keinen Menschen - und grüßte mich.
Drei oder vier Tage darauf machte der Lordmarschall mir die angenehme Mitteilung, daß ich dem König gefallen hätte und daß Seine Majestät daran dächte, mir irgendeine Anstellung zu geben.

[Der italienischer Abenteurer und Schriftsteller Giacomo Girolamo Casanova (1725 - 1798) hielt sich im Sommer 1764 besuchsweise am Hof Friedrichs des Großen in Potsdam auf.]

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