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Potsdam in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Informationen

Literaturangabe:

Walther, Peter
Märkische Dichterlandschaft. Ein historischer Literaturführer durch die Mark Brandenburg, Stuttgart 1998

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Potsdam in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Potsdam in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

In der einstigen Residenzstadt Potsdam gab es in der ersten Jahrhunderthälfte eine bildungsbürgerlich geprägte Salonkultur. In den verschiedenen Häusern, etwa beim Politiker und Schriftsteller August Winnig, im Hause des Verlegers Gustav Kiepenheuer, beim Verleger Alfred Protte, nicht zuletzt in Albert Einsteins Sommerdomizil in Caputh, bekamen Literaten, Künstler, Philosophen und Wissenschaftler Gelegenheit zum geistigen Austausch. Daneben besaßen Vereine wie die „Künstlergilde Potsdam“ und - seit 1927 - die Ortsgruppe der Kantgesellschaft große Bedeutung für das kulturelle Leben der Stadt. Potsdam war Druckort der linksliberalen „Weltbühne“, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky kamen ins „Druckhaus Stein“, um die Fahnen der aktuellen Ausgabe zu korrigieren. In und um Potsdam lebten bedeutende Autoren wie Hermann Kasack (1896-1966), Edlef Köppen (1893-1939), Reinhold Schneider (1903-1958), Jochen Klepper (1903-1942) oder der Kulturphilosoph Constantin Brunner (1862-1937). Hermann Kasack, der aus einer alten Potsdamer Familie stammt, debütierte 1918 mit einem Band expressionistischer Gedichte. Nach dem Studium trat er als Lektor in den Kiepenheuer Verlag ein und arbeitete hier zuletzt als Direktor. Kasack, der den jungen Brecht entdeckt und gefördert hatte, war zugleich ein Pionier des deutschen Hörspiels: Bereits seit 1925 (der Sendebetrieb war im Oktober 1923 aufgenommen worden) war er an der Gestaltung literarischer Rundfunkprogramme beteiligt. Bis in die Studienzeit reicht Kasacks Freundschaft mit dem Lyriker Oskar Loerke zurück, um dessen Werk er sich zeitlebens bemüht.

Auch Edlef Köppen begann seine literarische Karierre als Lektor bei Gustav Kiepenheuer, seit 1925 arbeitete er für die Berliner Funkstunde. Als Schriftsteller wurde Koeppen mit dem Roman „Heeresbericht“ (1930) bekannt, einem Antikriegsbuch mit autobiographischen Zügen, das wegen seiner erzähltechnisch modernen Montagetechnik von der Kritik mit Begeisterung aufgenommen wurde. 1939 stirbt Köppen an den Folgen einer Verletzung, die er im ersten Weltkrieg erlitten hatte. Von 1932-1937 lebte der Dichter und Geschichtsphilosoph Reinhold Schneider in Potsdam, um hier an seinem Hohenzollern-Buch zu schreiben. Schneider notierte in sein Tagebuch: „Heute zog ich in Potsdam ein. Es ist kalt, und der Wind fährt ungestüm in die frommen beharrlichen Töne des Glockenspiels. Diese Stadt ist die verlassene Schulstube der gebrochenen deutschen Macht.“ Mit dem Glockenspiel war natürlich das „Üb` immer Treu` und Redlichkeit“ der Garnisonkirche gemeint. Hier eröffneten die Nazis am 21. März 1933, am „Tag von Potsdam“, den neugewählten Reichstag. Der Ort des Geschehens und die wohlinszenierte Propagandaveranstaltung mit dem Händedruck zwischen Hindenburg und Hitler sollten den Traditionsrahmen deutlich machen. Reinhold Schneider, der in seinem Buch „Die Hohenzollern. Tragik und Königtum“ 1933 die preußische Tradition durchaus kritisch beurteilt hatte, ist in den folgenden Jahren zu einer der Hauptfiguren des christlichen Widerstands geworden. Nachdem er 1941 ein Schreibverbot erhalten hatte, kursierten seine Schriften in Schwarzdrucken und Abschriften unter Soldaten und in Widerstandskreisen.

Mit dem Beginn des Dritten Reichs gerieten die meisten bedeutenden Autoren – soweit sie nicht ohnehin geflohen waren – ins Abseits, viele von ihnen wurden zu Opfern von Rassenwahn und politischer Verfolgung. Das für den 14. März 1933 vorgesehene und bereits fertiggestellte Heft der „Weltbühne“ konnte nicht mehr erscheinen, der Herausgeber Ossietzky befand sich zu dieser Zeit schon in Haft. Der Anarchist und Schriftsteller Erich Mühsam (1878-1934) war bereits Ende Februar 1933 ins KZ Oranienburg eingeliefert worden, wo er im Juli 1934 ermordet wurde. Die Schriftstellerin Lotte Brunner (1883-1943), die Stieftochter Constantin Brunners, folgte ihrer Mutter ins Vernichtungslager Sobibor, wo beide 1943 ermordet wurden. Die Lyrikerin Gertrud Kolmar, eine Cousine Walter Benjamins, wurde im Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Der Lyriker, Romancier und bedeutende Kirchenlieddichter Jochen Klepper, der 1933 mit dem „Kahn der fröhlichen Leute“ bekannt geworden war, ist 1933 wegen seiner jüdischen Frau beim Rundfunk entlassen worden. Klepper hat sich 1942 gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter, die von der Deportation bedroht waren, das Leben genommen.

Kasack, der seine Arbeit beim Rundfunk 1933 hatte aufgeben müssen, war nach dem Tode Loerkes 1941 dessen Nachfolger als Cheflektor im S. Fischer Verlag geworden. Der Verlag wurde damals schon von Suhrkamp geleitet und firmierte ein Jahr später unter dem Namen „Suhrkamp Verlag, vormals S. Fischer“. Im April 1944 war Peter Suhrkamp verhaftet und im Januar 1945 ins KZ Sachsenhausen bei Oranienburg eingeliefert worden. Von dort wurde er kurz vor Kriegsende todkrank entlassen. Er kam zunächst bei Kasack unter, der während Suhrkamps Haftzeit die Leitung des Verlags übernommen hatte, und wohnte in den folgenden Monaten bei dem Verleger und Drucker Werner E. Stichnote (dem späteren Vorsteher des Frankfurter Börsenvereins) in Potsdam. Auf die Zeit um 1942 gehen erste Entwürfe für einen Roman Hermann Kasacks zurück, der eines der meistdiskutierten Bücher im Nachkriegs-Deutschland werden sollte: „Die Stadt hinter dem Strom“. Kasack beschwört die düstere Vision eines Zwischenreiches zwischen Leben und Tod, in dem der Orientalist Robert Lindhoff als Chronist agiert. Zurückgekehrt ins Leben, verkündet der Chronist die Lehren aus dem Jenseits. Mit gutem Recht ist der philosophiehaltige Roman, in dem fernöstliche Weisheit, christliche Hagiographie und Existentialismus verarbeitet sind, bei seinem Erscheinen im Suhrkamp Verlag 1947 als Plädoyer für eine geistige Erneuerung verstanden worden.

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