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Preußen

Informationen

Literaturangabe:

Staël, Mme. de
Mdme. de Staël, Über Deutschland, hrsg. v. Anna Mudry, Berlin 1989

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Preußen

Preußen

Friedrichs Regierung fußte auf der militärischen Kraft und der zivilen Gerechtigkeit: Er versöhnte beide durch seine Weisheit. Es war jedoch schwierig, zwei so entgegengesetzte Lebenskräfte miteinander zu verbinden. Friedrich wollte, daß seine Soldaten blindlings gehorchende Maschinen und seine Untertanen aufgeklärte, der Vaterlandsliebe fähige Bürger wären. Er setzte in den preußischen Städten keine Unterbehörden, keine Gemeinderäte ein, wie sie im übrigen Deutschland existierten, weil er fürchtete, daß die unmittelbare Ausübung des Kriegsdienstes behindert würde; gleichzeitig wünschte er, daß es in seinem Reich Freiheitssinn genug gäbe, damit der Gehorsam freiwillig schien. Er wollte den Soldatenstand zum ersten von allen machen, weil ihm dieser am unentbehrlichsten war; aber er hätte auch gern gesehen, daß der Bürgerstand sich unabhängig von der Gewalt behauptete. Kurzum, Friedrich wollte überall Stützen, nirgends aber Hindernisse haben.

Die wunderbare Verschmelzung aller Gesellschaftsklassen wird nur durch die Herrschaft des für alle gleichen Gesetzes erreicht. Ein Mensch kann wohl entgegengesetzte Elemente zusammenfügen, ?nach seinem Tode aber trennen sich dieselben wieder?. Der Einfluß Friedrichs war dank der Weisheit seiner Nachfolger noch eine Zeitlang spürbar, doch fühlte man in Preußen stets die beiden Nationen, die nur dürftig ein Ganzes bildeten: das Heer und den Bürgerstand. Die adeligen Vorurteile bestanden neben den ausgeprägtesten liberalen Prinzipien. Kurzum, Preußen zeigte ein Doppelgesicht wie der Januskopf: ein militärisches und ein philosophisches.

Eine der größten Ungerechtigkeiten, die Friedrich sich zuschulden kommen ließ, war, daß er zur Teilung Polens die Hand bot. Schlesien war durch Waffengewalt erworben worden, Polen war eine machiavellistische Eroberung, ?und man konnte nie erwarten, daß auf solche Weise geraubte Untertanen dem Diebe treu sein würden, der sich ihr Souverän nannte?. Zudem können Deutsche und Slawen sich nie unzertrennlich miteinander verbinden, und wenn eine Nation feindliche Ausländer als Untertanen in ihren Schoß aufnimmt, tut sie sich beinahe ebensoviel Schaden, als wenn sie dieselben als Gebieter annimmt, denn alsdann bildet der politische Körper nicht mehr jenes Ganze, das den Staat personifiziert und den Patriotismus begründet.

Diese Bemerkungen über Preußen beziehen sich nämlich auf die Mittel, die es zu seiner Verteidigung und Erhaltung nach außen hin besaß, denn im Inneren war nichts der Selbständigkeit oder der Sicherheit nachteilig: Preußen war eines von den Ländern Europas, wo man das Wissen am meisten ehrte und wo die tatsächliche, wenn auch nicht rechtlich festgestellte Freiheit am gewissenhaftesten respektiert wurde. In ganz Preußen habe ich nicht eine einzige Person gefunden, die sich über Willkürakte der Regierung beklagt hätte, und doch hätte das ohne jede Gefahr für den Kläger geschehen können. Wenn aber in einem Staate das Glück sozusagen nur ein glücklicher Zufall und nicht auf dauernden Institutionen begründet ist, die dem Menschen für seine Kraft und seine Würde Gewähr leisten, so fehlt es dem Patriotismus bald an Ausdauer, und man gibt leicht dem Zufall die Vorteile preis, die man ihm allein zu verdanken glaubt. Friedrich II., der selbst eine der wertvollsten Gaben dieses Zufalls war, der über Preußen zu wachen schien, hatte es verstanden, sich wirkliche Liebe bei seinen Untertanen zu erwerben, und man verehrt ihn, seitdem er tot ist, noch ebenso wie zu seinen Lebzeiten. Doch hat das Schicksal Preußens nur zu deutlich gezeigt, was der Einfluß sogar eines großen Mannes ist, wenn derselbe während seiner Regierung nicht voller Selbstverleugnung danach strebt, sich entbehrlich zu machen; die ganze Nation gründete ihre Existenz auf ihren König und schien mit ihm zu enden.

Friedrich II. hätte es gern gesehen, wenn die französische Literatur zur Staatsliteratur geworden wäre. Er legte keinen Wert auf die deutsche. Keineswegs war dieselbe zu seiner Zeit so bedeutend wie jetzt, aber ein deutscher Fürst muß unbedingt alles ermuntern, was deutsch ist. Friedrich schwebte vor, Berlin zu einem Klein-Paris zu machen, und er schmeichelte sich mit der Hoffnung, unter den französischen Flüchtlingen einige so bedeutende Schriftsteller zu finden, um eine französische Literatur ins Leben zu rufen. Eine solche Hoffnung mußte notwendigerweise getäuscht werden, weil eine nachgeahmte Kultur nie gedeiht. Einzelne Menschen können wohl gegen die Schwierigkeiten ankämpfen, die sich ergeben, die große Menge aber folgte stets ihrem natürlichen Hang. Friedrich hat seinem Land wirklichen Schaden zugefügt, indem er dem Genie der Deutschen Verachtung bezeugte. Eine Folge davon war, daß der deutsche Staatskörper häufig ungerechtfertigten Argwohn gegen Preußen faßte.

Mehrere mit Recht berühmte deutsche Schriftsteller machten sich gegen Ende der Regierung Friedrichs öffentlich bemerkbar, aber die ungünstige Meinung, die der große Monarch in seiner Jugend über die Literatur seines Landes gefaßt hatte, blieb bestehen, und noch wenige Jahre vor seinem Tode verfaßte er eine kleine Schrift, in der er unter anderem vorschlug, man solle jedem Zeitwort einen Vokal anhängen, um dadurch den rauhen Klang der deutschen Sprache zu mildern. Dies italienisch ausstaffierte Deutsch hätte die komischste Wirkung hervorgebracht. Aber keines Monarchen Macht, nicht einmal im Orient, dürfte groß genug sein, um auf diese Weise nicht den Sinn, aber den Klang jedes Wortes zu beeinflussen, das in seinem Reich gesprochen wird.

Klopstock hat Friedrich II. in edlen Worten den Vorwurf gemacht, daß er die deutsche Muse vernachlässige, die, von ihm unbemerkt, dahin wirkte, der Welt seinen Ruhm zu verkünden. Friedrich begriff nicht im entferntesten, welche Bedeutung die Deutschen auf dem Gebiete der Literatur und der Philosophie haben. Er traute ihnen keinen Schöpfergeist zu. Er wollte die Schriftsteller unter Manneszucht stellen wie seine Heere. ?In der Medizin?, schrieb er in schlechtem Deutsch in seinen Instruktionen für die Akademie, ?muß die Methode Boerhaaves, in der Metaphysik die Lockes und für die Naturwissenschaften die des Thomasius befolgt werden.? Seine Ratschläge wurden nicht befolgt. Er ahnte nicht, daß von allen Menschen gerade die Deutschen am wenigsten geeignet waren, sich einer literarischen und philosophischen Schablone zu fügen. Noch gab es keine Anzeichen der Kühnheit, die sie danach auf dem Gebiete der Abstraktion entfalteten.

Friedrich betrachtete seine Untertanen wie Fremde und die Franzosen von Geist als seine Landsleute. Es war durchaus verständlich, daß man sich durch alles das verführen ließ, was den französischen Schriftstellern jeder Epoche an Glanz und Kraft eigen war; doch würde Friedrich noch weit nachhaltiger zum Ruhme seines Landes beigetragen haben, wenn er die Fähigkeiten, die der von ihm beherrschten Nation innewohnten, erkannt und ausgebildet hätte. Aber wie kann jemand dem Einfluß seines Zeitalters widerstehen, und wo ist der Mann, dessen Genie nicht in vielen Beziehungen das Werk seines Jahrhunderts wäre?


[Germaine de Staël (1766-1817) floh 1792 vor dem jakobinischen Terror in die Schweiz. Auf dem väterlichen Schloß Coppet am Genfer See bildete sie den Mittelpunkt eines Kreises von bedeutenden europäischen Intellektuellen. Goethe schickte ihr den "Wilhelm Meister", Wilhelm von Humboldt gab ihr Unterricht in der deutschen Sprache. Auf mehreren Reisen durch Deutschland lernte sie u.a. Goethe, Schiller und Wieland persönlich kennen. Goethe und Schiller standen Madame de Staël, von der sie sich Impulse für die Verbreitung der deutschen Literatur in Frankreich versprachen, zunächst mit viel Sympathie gegenüber, die nach der persönlichen Begegnung jedoch in Reserviertheit umschlug. Das Buch De l?Allemagne (Über Deutschland, 1810), von dem hier ein Ausschnitt des Preußen-Kapitels abgedruckt ist, entstand unter dem Eindruck ihrer Reisen durch Deutschland und der Begegnungen mit den Repräsentanten der zeitgenössischen Kultur des Landes.]

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