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Refugien

Informationen

Literaturangabe:

Walther, Peter
Märkische Dichterlandschaft. Ein historischer Literaturführer durch die Mark Brandenburg, Stuttgart 1998

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Am Berliner Stadtrand, in Grünheide, wohnte der Naturwissenschaftler, Philosoph und Publizist Richard Havemann (1910-1982). Er war 1932 der KPD beigetreten, hatte im Widerstand gearbeitet und war 1943 zum Tode verurteilt worden. Das Urteil wurde nur deshalb ausgesetzt, weil man den Häftling für kriegswichtige Forschungen brauchte. Nach Kriegsende wurde Havemann Ordinarius an der Humboldt-Universität in Berlin und 1949 Abgeordneter der DDR-Volkskammer. Mitte der fünfziger Jahre begann für den Naturwissenschaftler der Ablösungsprozeß von der stalinistischen Doktrin seiner Partei („Ja, ich hatte Unrecht. Warum ich Stalinist war und Antistalinist wurde“, 1965), der ihn zum prominentesten Kritiker der DDR-Verhältnisse aus sozialistischer Perspektive werden ließ. In seinem Buch „Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg“ (1980) hatte Havemann, der nach der Biermann-Ausbürgerung unter Hausarrest stand, die Alternative einer sozialistischen Demokratie als einzige Möglichkeit verfochten, die sozialen und ökologischen Probleme der modernen Gesellschaften zu lösen. Havemann starb sieben Jahre vor dem Zusammenbruch des ostdeutschen Staates und wurde auf dem Waldfriedhof in Grünheide beigesetzt.

In Kleinmachnow nahe der Berliner Stadtgrenze lebte der Verleger und Spielfilm-Dramaturg Walter Janka (1914-1994), der erst nach dem Zusammenbruch der DDR auch als Schriftsteller hervortreten konnte. Janka war 1933 wegen kommunistischer Betätigung verhaftet worden, kämpfte 1936 auf Seiten der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg und leitete im mexikanischen Exil den Verlag „El Libro Libre“. In Ost-Berlin übernahm er 1952 die Leitung des Aufbau-Verlags. Hier wurde er 1956 verhaftet und wegen „konterrevolutionärer Verschwörung“ im Jahr darauf in einem Schauprozeß zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. 1960 ist der einstige Verlagsleiter aufgrund anhaltender internationaler Prozesse (u.a. von der Familie Mann, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank und Halldór Laxness) aus dem Zuchthaus entlassen worden. In seinem Erinnerungsbuch „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ (1989) schildert Janka die Vorgeschichte und die Umstände des Prozesses von 1957 – der Bericht wurde zu einem der meistgelesenen Bücher in der Zeit des politischen Umbruchs in der DDR. Gleichfalls in Kleinmachnow lebten Fred und Maxi Wander, die 1958 aus Österreich in die DDR übergesiedelt waren. Maxi Wander (1933-1977) arbeitete als Fotografin, Drehbuchautorin und Journalistin. Sie wurde im Jahr ihres Todes mit dem aufsehenerregenden Protokollband „Guten Morgen, Du Schöne. Frauen in der DDR“ bekannt, in dem siebzehn Frauen aus allen Alters- und Gesellschaftsgruppen über ihren Alltag in der DDR und ihre Lebensansprüche Auskunft geben.

Als Vaganten hat er sich selbst bezeichnet, einen "lockeren Zeisig" nannte ihn Peter Huchel. Die Rede ist vom Lyriker Erich Arendt (1903-1984), der nach dem Fortgehen Huchels 1971 abwechselnd in dessen Haus Wilhelmshorst und in seiner Berliner Wohnung lebte. Arendt stammt aus Neuruppin, wo ihn nach dem Besuch eines Lehrerseminars und gescheiterten Versuchen, sich eine bürgerlicherliche Existenz aufzubauen, nichts mehr hielt. Er ging nach Berlin, veröffentlichte erste am Expressionismus geschulte Gedichte in Herwarth Waldens „Sturm“ und trat 1926 der KPD bei. Der Machtantritt der Nazis zwang Arendt zur Emigration in die Schweiz. Er nahm am spanischen Bürgerkrieg teil und floh nach der Niederlage der Republikaner nach Kolumbien. Von hier kehrte er erst 1950 nach Ost-Berlin zurück. Die kommende Zeit, die Arendt in relativer materieller Sicherheit verbringen konnte, war auch seine produktivste Schaffensphase. In kurzen Abständen veröffentlichte er eine Reihe eigener Bücher und Übersetzungen von Autoren wie Pablo Neruda und Raffael Alberti. Die Anregung von der Sprachkreativität des Expressionismus hat für Arendts Werk zeitlebens Bestand. Den Raum seiner Poesie bilden die südlichen Gegenden seines Exils. Soziale Konflikte werden im Gedicht an die Natur delegiert. So kommt es, daß sich die Metaphorik in Arendts Lyrik im Laufe der Jahre verdunkelt. Ein frühes Zeugnis davon findet sich in dem Band "Flug Oden" (1959):

Erdenkahl,
wie es dich anweht! stumm
aus dem tiefen Alter der Welt: gesichts¬los,
ein Denken, öd,
von Fels und mondleerer Flut!
Und vor dem hartbeflügelten Licht,
undurchdringbare Himmel mauernd,
die Weltengewoge von Stein: Du
Zeitloses: starres
Grauen! wo nie ein Mensch
seine Stunde litt
noch aufsah einer, hoffend.

Bereits Mitte der fünfziger Jahre hatte sich der Schriftsteller Franz Fühmann (1922-1984) in Märkisch Buchholz südöstlich von Berlin eine am Ortsrand gelegene Garage zur Sommerunterkunft ausgebaut. Fühmanns Biographie ist von tiefen Brüchen geprägt. Mit sechzehn Jahren trat der Gymnasiast aus dem böhmischen Rochlitz in die Reiter-SA ein, meldete sich freiwillig zur Wehrmacht und geriet gegen Ende des Kriegs in sowjetische Gefangenschaft. Hier wandelte sich der gläubige Nationalsozialist zum überzeugten Antifaschisten, der nach seiner Entlassung in die DDR als Funktionär der Blockpartei NDPD arbeitete. Erste literarische Versuche Fühmanns reichen zurück in die Kriegszeit, als er 1942 einige Gedichte veröffentlichte, die in der Wochenzeitung „Das Reich“ nachgedruckt wurden. Schulbuchautor wurde Fühmann mit seiner Novelle „Kameraden“ (1957), in der er die Verstrickung der jungen Generation in die deutschen Kriegsverbrechen thematisiert. Die sechziger Jahre brachten für die Literatur des Autors, der sich 1958 als freier Schriftsteller etabliert hatte, eine verstärkte Hinwendung zur Mythologie, zur literarischen Gestaltung von Träumen und zum Sprachspiel. Zugleich war in Fühmann die Distanz zum herrschenden politischen System gewachsen. Seit der Biermann-Ausbürgerung verstärkter Überwachung ausgesetzt, setzte sich Fühmann vehement für jüngere Kollegen ein und wurde zu Beginn der achtziger Jahre zu einem Fürsprecher der Friedensbewegung in der DDR. In Fühmanns eindrucksvollstem Werk, dem Essay über Georg Trakl „Vor Feuerschlünden“ (1982, im Westen u. d. T. „Der Sturz des Engels“), geben ihm die Gedichte Trakls Anlaß für eine schonungslosen Bilanz seines Lebens im Bann der Ideologien.

Beim Rückblick auf sieben Jahrhunderte Literaturgeschichte ist deutlich geworden, daß die literarische Überlieferung in der Mark Brandenburg alles andere als dürftig ist. Provinzielle Heimatseligkeit, nationale Überheblichkeit und ihr Gegenteil, die Verleugnung jeder Tradition, haben die kulturellen Identität des Landes in den letzten Jahrzehnten arg beschädigt. Doch letztlich wird es der Literatur in Brandenburg so gehen wie den zwei Eseln bei Christian Morgenstern, der sich auf dem Galgenberg bei Werder zu seinen „Galgenliedern“ inspirieren ließ: „Ein finstrer Esel sprach einmal/ zu seinem ehlichen Gemahl:/ Ich bin so dumm, du bist so dumm,/ wir wollen sterben gehen, kumm!/ Doch wie es kommt so öfter eben:/ Die beiden blieben fröhlich leben.“

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Orte mit Bezug zum Text

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