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Trostgesang für Neu-Ruppin bey den Ruinen

Informationen

Literaturangabe:

Karsch, Anna Louisa
O, mir entwischt nicht, was die Menschen fühlen. Gedichte, Briefe, Stimmen von Zeitgenossen (Märkischer Dichtergarten), hrsg. v. Gerhard Wolf, Berlin 1981

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Trostgesang für Neu-Ruppin bey den Ruinen

Trostgesang für Neu-Ruppin bey den Ruinen
Am 31sten August 1787

Blick auf! Blick auf von deinem Aschenhügel,
Hinauf zum Herrn den keiner fragen darf,
Warum er schnell durch seines Sturmwinds Flügel
In deinen Kranz den Feuerwirbel warf?

Im vollen Schmuck sah dich der Mittag schimmern,
Und traurig sah die Abendsonne sich
Noch einmal um, da lagst bei deinen Trümmern
Verhüllt in Dampf, und weintest bitterlich.

Gott hört die Brut verlaßner Waldesnester,
Er hört nach Brod auch keine Kinder schreyn;
Er haucht in deine königliche Schwester,
In sein Berlin, den Geist des Mittleids ein.

Blick auf! und schon dahin nach jener Seite,
Da kam der Sturm, gewaltig wie das Meer,
Und stürzte dich zum Staub herab, und heute
Kömmt wie vom Himmel Trost für dich daher.

Da kommen Wagen dir so vollgehäufet?
Wie Wagen, die das Erndtevolk regiert,
Wenns Weizen, den die Sonnenglut gereifet,
Mit Lobgesang ins frohe Dörfchen führt.

Die Männer und die Frauen frommer Sitte
Die theilten ihren Kleiderschrank mit dir,
Vom Pallast an bis zu der kleinsten Hütte
Herrscht Thätigkeit für deine Hülfbegier.

Kaum kann der Mai mehr auszuschütteln haben,
Wenn ihn die Zeit sein Füllhorn schwingen läßt;
Kaum giebt der Herbst uns mehr Erquickungsgaben,
Als dir Berlin zum süßen Labefest.

Im Umfang ihrer Mauern wohnet keiner,
Der nicht für dich zum Wohlthun ward gerührt;
Die Nation gedenkt auch thätig deiner,
Die mächtig aus Egypten ward geführt?. -

Nimm was da kömmt, und eile Dank zu sagen
(Im Tempel, den die Flamme nicht berührt)
Der Vaterhand, die dich so hart geschlagen,
Und die zum Heil die Herzen jetzt regiert.

Sie hats der Flamme, hats dem Sturm geboten:
Bis hierher und nicht weiter sollt ihr gehn.
Sie heißt im Glanz, wie auferweckte Todten,
Die Häuser und die Tempel neu entstehn.

Du wirst es sehn, wirst nicht die Hand verkennen,
Wenn höher dich dein König hebt empor;
Dann werden dich die Schwestern schöner nennen,
Und seliger dich preisen wir zuvor.

Sie seufzen alle mit in deine Klagen,
Und stellen einen edlen Wettlauf an.
Dir wie auf Windesflügeln zuzutragen
Trost der dich wieder freudig machen kann.

* Es ist bekannt, wie wetteifernd das Mitleid der Berliner sich gegen die verunglückten Ruppiner verhielt; nicht allein die Großen und Edlen, sondern auch die armen Dienstboten trugen zur Unterstützung bei, und wol niemals sahe man die angeborne Güte des menschlichen Herzens so allgemein, als bei dieser traurigen Gelegenheit.

* Die löbliche Judenschaft

[Am frühen Nachmittag des 26. 8. 1787 brach in einer Scheune in Neuruppin ein Feuer aus, das die Stadt bis zum Abend beinahe völlig zerstörte. Das Unglück löste eine Welle der Solidarität aus. Daniel Chodowiecki fertigte einen allegorischen Stich an, den er den "abgebrannten Ruppinern" widmete. Die Karschin mag in ihrem dichterischen Engagement für Neuruppin zusätzlich durch den Umstand bestärkt worden sein, das ihr Sohn aus erster Ehe, Johann Christian Hiersekorn, in Neuruppin als Lehrer tätig war. Friedrich Wilhelm II. ließ den Wiederaufbau der Stadt aus öffentlichen Mitteln vornehmen.]

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