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Von den Anfängen bis zur Reformation

Informationen

Literaturangabe:

Walther, Peter
Märkische Dichterlandschaft. Ein historischer Literaturführer durch die Mark Brandenburg, Stuttgart 1998

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Von den Anfängen bis zur Reformation

Von den Anfängen bis zur Reformation

Die frühesten erhaltenen Zeugnisse der Literatur in Brandenburg reichen zurück auf die Zeit der Askanier, die das Land zwischen dem Mittellauf der Elbe und der Oder seit dem 12. Jahrhundert regierten. In dem Landstrich,der von den Germanen im Verlauf der Völkerwanderung verlassenen worden war, hatten sich slawische Stämme angesiedelt, deren Sprache und Kultur während der verschiedenen Phasen der Ostkolonisation jedoch weitgehend verdrängt wurden. Heute erinnert die sorbische Minderheit in der Lausitz ebenso wie mancher Ortsname an die frühe slawische Besiedlung des heutigen Brandenburg. In einer ersten Welle der Kolonisation und Christianisierung drang Markgraf Gero bis zur Oder und Peene vor. 946 wurde das Bistum Havelberg und 948 das Bistum Brandenburg gegründet. Nach dem großen Wendenaufstand von 983 mußten die deutschen Kolonisatoren sich wieder hinter die Elbe zurückziehen. Erst Albrecht der Bär aus dem Haus der Askanier, der 1134 mit der Mark belehnt worden war, gelang die Zurückeroberung eines Teils der an die Wenden verlorenen Gebiete. Mit der Befestigung seiner Herrschaft und der planvollen Besiedlung der Mark dies- und jenseits der Oder ging der wirtschaftliche Aufschwung des Landes einher, der sich unter seinen Nachfolgern fortsetzte.

Kulturelle Blüten trug diese Entwicklung am Hofe Otto IV. , der einer letzten großen Markgrafen während der Herrschaftszeit der Askanier war. Otto, der die Mark von 1266-1309 regierte, trug den Beinamen „mit dem Pfeile“, da es längere Zeit nicht gelang, einen Pfeil zu entfernen, der ihn am Kopf getroffen hatte. Nicht dieses martialische Detail, sondern die Pflege von Dichtkunst und Musik an seinem Hofe hat das Bild der Nachwelt vom Askanier geprägt. Der Herrscher war zu seiner Zeit als Minnesänger bekannt und hat – als einer von wenigen Dichtern aus dem norddeutschen Raum - Aufnahme in die Manessische Liederhandschrift gefunden. Dort ist er, umgeben von Spielleuten, als jugendlicher Fürst beim Schachspiel mit seiner Frau Hedwig von Holstein abgebildet. Im Codex Manesse sind auch die einzigen erhaltenen Verse des Kurfürsten überliefert. Dabei handelt es sich um sieben mittelhochdeutsche Lieder, die um die Themen „Jahreszeiten“ und „Minne“ kreisen. Obwohl Otto in der poetischen Originalität hinter den Größen seiner Zeit zurücksteht, lassen die überlieferten Strophen erkennen, daß die Dichtung des Markgrafen mehr als die zufällige Frucht einer Herrscherlaune ist. Ein Lied Ottos (übertragen von Franz Xaver Seidl) belegt stilistische Sicherheit und Konventionalität gleichermaßen:


Winterüberdruß

Winter, deiner trüben Stunden
Deine Herrschaft, streng und kalt
Hab´ ich nun genug empfunden.
Hätt´ ich über dich Gewalt

O gewiß, zum Opfer brächte
Ich wohl manche lange Nacht,
Wo ich nicht ans Minnen dächte,
Das mir so viel Freude macht.


Brandenburg war im 13. Jahrhundert nur ein Nebenschauplatz der literarischen Entwicklung, die kulturellen Zentren im deutschsprachigen Raum lagen zu jener Zeit weiter südlich, am Hof in Meißen und am böhmischen Hof. Außer den erwähnten Liedern sind aus jener Epoche – wenn es um den geographischen Bezug zur Mark geht - nur noch einige Preisgedichte auf die Markgrafen von Brandenburg überliefert. Sie stammen vom dem Spruchdichter Hermann von Damen (der vermutlich aus Dahme in der Mark kommt), vom Goldener, von Leupold von Hornburg, von Frauenlob, vom Tannhäuser („Von Brandenburk der hof stet wol/ dem ist also ze muote,/ das siu sint wishit vol,/ diu wisheit stet nach guote“) und vom Meißner (u.a. auf Otto IV.: „Ein eren bilder eren vol, ein minner der zuht,/ der tugent ein ueber vluezzik brunne...“).

Ein Zeitgenosse des dichtenden Markgrafen war der Graf Burchard von Lindow und Ruppin, auf den – sieht man von anonymen Zeugnissen ab - die früheste Überlieferung einer lateinischen Dichtung in der Mark zurückgeht. Dabei handelt es sich lediglich um drei Verse einer Strophe, in der Burchard seine Frau Elisabeth als „die glänzendste unter den Schönheiten“ preist. Überliefert sind außerdem lateinische Inschriften an Gebäuden, auf Geräten, in Gruften oder auf Glocken. Die früheste Inschrift dieser Art, ein leonischer Vers, war im Kloster Himmelpfort (bei Lychen) zu lesen:

O felix Lenin et tua filia Chorin
Ex te est orta Nova Cella et Coeli porta

(O glückliches Lehnin und deine Tochter Chorin
Von dir stammen die Orte Neuzelle und Himmelpfort ab)

Zu den wenigen lateinischen Inschriften, die aus vorhumanistischer Zeit erhalten sind, gehört auch die Strophe auf einer Glocke in Jüterbog („Jesu magne/ Dei agne,/ Tu dignare/ Nos salvare!“). Aus derselben Zeit wie diese Inschrift stammen zwei gereimte Einträge im Berliner Stadtbuch (um 1360). Dabei handelt es sich um Rechtstexte, die aus verschiedenen Quellen (u.a. dem „Sachsenspiegel“ und der „Visio Philiberti“) für die speziellen Berliner Zwecke zusammengestellt wurden. In den folgenden Jahrzehnten begann die Doppelstadt Berlin-Cölln, sich als politisches Zentrum der Region zu etablieren. Seit 1431 war die Stadt Haupt des Mittelmärkischen Städtebündnisses, 1443 begannen die Hohenzollern gegen den Widerstand der Stadt mit dem Bau ihres Schlosses. Zunehmend nahm Berlin die Aufgaben einer Residenzstadt wahr, wodurch es in der Folge die übrigen märkischen Städte als wirtschaftlicher und kultureller Mittelpunkt hinter sich lassen konnte.

Davon war allerdings noch wenig zu spüren, als um 1490 ein beeindruckendes Zeugnis spätmittelalterlicher Stadtkultur entstand: ein 22 Meter langer Wandfries in der Vorhalle der Marienkirche - der Berliner Totentanz. Vierzehn Vertreter eines geistlichen und ebenso viele eines weltlichen Standes der mittelalterlichen Gesellschaft bilden - gemeinsam mit einer Todesgestalt - je ein Paar. Unter den Tanzpaaren stehen Verse in mittelniederdeutscher Sprache, in denen der Tod den zum Sterben Gerufenen einen Spiegel ihrer Sünden vorhält, während die Opfer ein letztes Mal sich auflehnen, um Aufschub bitten oder sich einsich¬tig in ihr Schicksal ergeben. Die Struktur der Dichtung ist ganz der europäischen Tradition des Totentanzes verpflichtet, die nach der verheerenden Pestepidemie von 1348 vermutlich in Spanien oder in Frankreich ihren Ausgang nahm. Bei der Charakterisierung der Figuren hat sich der Dichter in Berlin jedoch einige Freiheiten erlaubt, so etwa, wenn er dem vom Tod zum Mitkommen aufgeforderten Bauern einen Bestechungsversuch in den Mund legt:

spare dannen noch myner junghen ioghet
unde ghef my ghummen dat rete tho
ik gheve dy vorwar eine vette ko

(Schone fortan meiner Jugend
und gib mir, Freund, den Rest dazu:
Ich biete dir, fürwahr, eine fette Kuh)

Heute stellt der Totentanz in der Marienkirche das am voll¬ständigsten erhaltene vorreformatorische Kunstwerk dieser Art in Europa dar und ist zugleich die älteste überlieferte Dichtung für Berlin. Das Wandbild in der Marienkirche markiert den Schlußpunkt spätmittelalterlicher Stadtkultur in Berlin, das fortan wegen seiner exponierten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Stellung in dieser Überblicksdarstellung nicht weiter berücksichtigt werden soll.

Auch wenn die niederdeutschen Volkslieder in der Mark Brandenburg erst reichlich zweihundert Jahre später schriftlich fixiert worden sind, reicht ihre Überlieferung bis ins 14. Jahrhundert zurück. Sie beziehen sich zumeist auf den Verlauf und Ausgang von kriegerischen Ereignissen. Dazu gehören das Lied auf die Schlacht von Kremmen (1331), das Lied auf den Tod Herzogs Kasimir von Pommern (1372), das Lied auf den Fall der Quitzows (1414) wie auch das auf den Sieg Friedrichs I. bei Angermünde (1420). Diese Lieder spiegeln die großen historischen Umwälzungen wider, die das Land nach dem Ende der Askanierherrschaft (1320) erfaßt hatten. Die Mark verkam zum Spielball fremder Mächte, Wittelsbacher und Luxemburger stritten um das Land, Raubritter machten die Gegend unsicher. In diese Zeit fällt auch das Auftreten des „falschen Waldemar“. Vermutlich ein Müller namens Jakob Rehbock gab sich als der letzte große Askanierherrscher Waldemar aus, der in Wirklichkeit schon 30 Jahre zuvor gestorben war. Die meisten Städte fielen auf den Schwindel herein und huldigten dem falschen Askanier, bis er 1350 entlarvt wurde. Allein die Stadt Brietzen hielt zu den Wittelsbachern und durfte sich fotan als Lohn für die Treue „Treuenbrietzen“ nennen. 1373 wurde Brandenburg im Vertrag von Fürstenwalde von Otto dem Faulen aus dem bayerischen Königshaus an den Kaiser verkauft. Mit der Belehnung von Friedrich aus dem Haus der Hohenzollern mit der Mark begann die längste Zeit einer stabilen Herrschaft in der Geschichte des Landes, die länger als fünfhundert Jahre dauern sollte.

Die Lieder auf den Fall der Quitzows und auf den Sieg Friedrichs I. bei Angermünde thematisieren den Gründungsmythos der Hohenzollernherrschaft. Friedrich wurde mit einem Land belehnt, das sich in desolatem Zustand befand. Der über Jahrzehnte an keine Autorität mehr gewöhnte Landadel versagte dem Hohenzollern die Anerkennung. Das Lied vom „Fall der Quitzows“ entstand vor dem Hintergrund der erfolgreichen Bemühungen Friedrichs, sich den Landadel untertan zu machen:

Plawe, Frisick und Rathenow
di hulden den heren, des weren si frow,
darto di van Buten und Goltzow,
recht so dat wesen scholde.

Das Volkslied auf den Sieg in „Ketzer-Angermünde“, das von dem Chronisten Zacharias Garcaeus (1544-1586) überliefert worden ist, bezieht sich auf die Niederschlagung der Pommern, die die Lehnsansprüche Friedrichs bestritten hatten und 1420 in die uckermärkische Stadt eingefallen waren.

Noch weiter zurück als die historischen Volkslieder reichen die Sagen, in denen oftmals noch die wendische Vorzeit der Mark nachklingt. Jede Landschaft und jede Kleinstadt hat in der mündlichen Überlieferung einen reichen Schatz an Sagen hervorgebracht, der vereinzelt schon seit der Reformationszeit, systematisch jedoch erst seit Mitte der 19. Jahrhunderts schriftlich überliefert wurde. Neben den Familiensagen der märkischen Geschlechter und den Herrschersagen um die brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Könige sind dies vor allem Sagen um die Entstehungsgeschichte oder den Namen von Orten, um untergegangene Städte und Dörfer und um historische Ereignisse wie den Einfall der Hussiten, die Schlacht von Fehrbellin oder die Regierungszeit Kaiser Karls in Tangermünde. Viele dieser Sagen gehörten – als historische Legenden - zum Hausschatz brandenburg-preußischen Geschichtsbewußtseins, etwa die Geschichte der Anna Sydow, Witwe eines Gießers und Geliebte von Kurfürst Joachim II., die Sage von der Mitte der Welt, die – dem Ergebnis lokaler Berechnungen zufolge – in Pappau gewesen sein soll, oder die spät entstandene Sage von der Bittschriften-Linde, zu der Bittsteller aus dem ganzen Land kamen, um Friedrich II. ihr Gesuch zu übermitteln.

Ein frühes Musterbeispiel von politischem Pragmatismus beschreibt die Geschichte vom „Straßenpflaster in Potsdam“. Um 1540 war die Stadt mit zwei Plagen gleichzeitig geschlagen: Die Wege waren unbefestigt und daher oft nicht passierbar, und die Bürger schimpften unentwegt über jede Nichtigkeit. Prompt stiftete der Magistrat per Dekret einen sinnvollen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen: Fortan konnte, wer durch Schimpfen auffiel, je nach Schärfe des Vergehens zur Bepflasterung des kommunalen Straßennetzes herangezogen werden. Nach und nach wurden die Wege befestigt, und schon bald entspannte sich der Verkehr zwischen den Menschen ebenso deutlich wie der auf den Straßen. In manchen Sagen haben sich die Hoffnungen und Ängste des Volkes zu eindrucksvollen poetischen Bildern verdichtet, etwa in der Sage vom Krebs im Mohriner See (Neumark), der auf dem Grund des Wasser angekettet ist und jährlich ein Opfer verlangt. Gelingt es ihm aber, sich freizumachen, so ist die Stadt vom Untergang bedroht. Eine andere Version der Geschichte besagt, das die Befreiung des Krebses den zeitlichen Rücklauf aller Dinge auf Erden zur Folge hat, da auch der Krebs sich nur rückwärts bewegt. Bedeutende Autoren haben Sagenmotive als Vorlage für ihre literarischen Werke genutzt: Mit dem „Werwolf“-Roman von Willibald Alexis, mit Kleists „Michael Kohlhaas“ und Fontanes „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ gehören einige der märkischen Sagenmotive heute zum Gemeingut der deutschen Literatur.

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