Das Schauspielhaus Wien nimmt ab sofort Einreichungen für das Hans-Gratzer-Stipendium 2022 entgegen. Diesmalige Mentorin ist: Ivna Žic (Autorin und Theaterregisseurin).
Eigene Erinnerung. Kollektive Erinnerung. Familiäre Erinnerung. Erinnerungsverlust. Wir sind, woran wir uns erinnern? Wir sind die, die nicht vergessen? Wir sind die, die Sprache(n) suchen. »We carry our history with us. We are our history«, betonte James Baldwin. Wie wird aus Erinnerung Erzählung? Und umgekehrt. Welche Sprache(n) gibt es dafür? Welche Perspektiven prägen uns und aus welchen Perspektiven sprechen wir? Was hat die einschneidende Erfahrung der plötzlichen und dann langanhaltenden Unterbrechung unserer Gegenwart durch die Pandemie aufgewirbelt, verändert?
Erinnerung als Ressource und als Arbeit. Erinnerungsräume. Erinnerung als vielschichtiges und lückenhaftes Sujet – ein Kaleidoskop, das zum Spielen und zum Nachdenken anregt. Anspielungen, Gossip, flüchtige Momente (José Esteban Muñoz): Wie lassen sie sich kommunizieren, verschriftlichen, ohne sie zu fixieren? Suchen nach verschwundenen und vergessenen Vorfahr:innen, nach Genealogien. Nach Gebilden und Linien, nach Spuren, nach etwas, das aus der Vergangenheit destilliert und verwendet werden kann, um sich Zukunft vorzustellen. »Carol Rama and Elanor Antin / Yoko Ono and Carolee Schneeman / You're getting old, that's what they'll say, but / Don't give a damn I'm listening anyway / Stop, don't you stop / I can't live if you stop / Don't you stop« singen Le Tigre in HOT TOPIC. Erinnerung als Traum, Lüge, verbogener Spiegel. Die Kraft der Erinnerung liegt vielleicht darin, dass Zeiten durchbrochen und wieder hervorgeholt werden können. Erinnerung als Landkarte, deren Wege, Schluchten und Berge ein Kompass fürs Schreiben sein könnte. Dabei stellt sich die Frage nach dem Tabu, nach dem Nicht-Erzählten, nach dem Verborgenen.
In ihrer Hamburger Poetikvorlesung forderte Ivna Žic 2020 eine Gleichzeitigkeit und Pluralität der Perspektiven: »Warum eigentlich nicht alles aus mindestens zwei Richtungen lesen? Um vielleicht etwas mehr zu lesen: Mehr Leben. Mehr Beweglichkeit. Weniger Stillstand.« Sie nannte dies »die Perspektive des und und und. Des: dazu. Nicht ein- oder aus. Nicht wir und ihr. Nicht entweder oder. Vielleicht ist das die neue Perspektive, die gelten sollte: Lesen aus mindestens zwei Richtungen.«
Das Schauspielhaus Wien lädt Nachwuchsautor:innen ein, in ihrem eigenen Zugriff auf oder in Abstoßung von diesen Fragestellungen und Gedanken Schreibvorhaben und Stückentwürfe für Aufführungen zu entwickeln und sich für das Hans-Gratzer-Stipendium zu bewerben.
VOM WORKSHOP ZUR ENTWURFSPRÄSENTATION
Das Stipendium umfasst einen mehrphasigen Schreibworkshop, der Gelegenheit gibt, im gemeinsamen Entwicklungsprozess und unter intensiver Begleitung durch die Mentorin Ivna Žic an eigenen Stückentwürfen zu arbeiten. Der Workshop soll außerdem ein Forum bieten, um Konzepte und Bedingungen von Autor:innenschaft und zeitgenössischem Autor:innentheater zu befragen.
Fünf Autor:innen bzw. Autor:innenteams erhalten das Stipendium und nehmen kostenlos an Workshops in Wien teil. Reise- und Unterkunftskosten werden ebenfalls übernommen.
Am Ende der Workshopphase werden in Zusammenarbeit mit Regie-Studierenden des Max Reinhardt Seminars aus den Stückentwürfen der Stipendiat:innen kurze Hörstücke entwickelt und online sowie im Ö1 Kunstradio öffentlich präsentiert. Die Hörer:innen sind aufgerufen, für ihr Lieblingsstück abzustimmen. Das Gewinnerstück des Hans-Gratzer-Publikumspreis 2022 wird in Form einer szenischen Lesung am Schauspielhaus Wien präsentiert.
WERKAUFTRAG
Einer der Entwürfe wird nach der Präsentation von einer Jury prämiert. Die:der Autor:in erhält einen finanzierten Werkauftrag in Höhe von 7.000 Euro. Das Stück wird in der Spielzeit 2022/23 am Schauspielhaus zur Uraufführung gebracht. Die Tantiemen der ersten zehn Vorstellungen sind mit dem Preisgeld abgegolten.
TERMINE
Einsendeschluss 05.09.2021
Workshops in Wien 25.-31.10.2021 und 24.-30.01.2022 (tbc)
Präsentation der Entwürfe März 2022
Autor:innen (mit und ohne Schreiberfahrung für Theater), die in deutscher Sprache schreiben, senden bitte bis zum 05.09.2021 folgende Unterlagen ausschließlich per E-Mail an: hans-gratzer-stipendium@schauspielhaus.at
Bitte fügen Sie sämtliche Dokumente zu einem PDF zusammen.
• Exposé Ihres Schreibvorhabens im Rahmen des Hans-Gratzer-Stipendiums (max. 3
Seiten)
• erste exemplarische Szenen bzw. Textauszüge (max. 10 Seiten)
• Arbeitsnotizen / Recherchetagebuch über 14 Tage, die dokumentieren, wie Sie sich dem
Thema Ihres geplanten Stückes angenähert haben. Welche Fragen haben sich Ihnen
gestellt? Welche Medien, welche Literatur haben Sie benutzt, welche künstlerischen
Referenzen sind für Sie wichtig? (max. 5 Seiten)
• eine repräsentative Arbeitsprobe Ihres bisherigen Schreibens
• einen detaillierten Lebenslauf