Der neue Bereich unseres Portals macht es sich zum Anliegen, die internationalen Literaturszenen Berlins zu kartographieren, die handelnden Personen und ihre Schauplätze sichtbar und zugänglich zu machen. 
Die Entstehung der Rubrik wurde durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds ermöglicht. 

Shahabaddin Sheikhi

Autor/In

Dichter
© ja

Steckbrief

Geboren am: 2.2.1976
Geburtsort: Saghez
Geburtsland: Kurdestan – Iran
Lebt in: Berlin, Neukölln


Sprache: Kurdisch, Farsi
Arbeitssprache: Kurdisch (Sorani) und Farsi

Vita

Shahabaddin Sheikhi wurde am 2. Februar 1976 in einer kleinen Stadt (Saghez) in Kurdestan, Iran, geboren. Sein Vater gab ihm den Namen Shahab, da es in seiner Großfamilie einen Mann gab, der ”Shahabaddin” hieß und Autor und Dichter war. Sein Vater hatte sich gewünscht, dass sein kleiner Sohn sich irgendwann nur mit Büchern und dem Schreiben usw. beschäftigen würde. Das war der einzige Wunsch seines Vaters, den Shahab erfüllt hat.Shahab hat die Grundschule, Mittelschule, das Gymnasium und die Schule für Pädagogik in Saghez absolviert und wurde danach als offizieller Lehrer angestellt. Er arbeitete ein Jahr lang als Lehrer in einem weit entfernten Dorf bei Mariwan (eine weitere Stadt in Kurdestan, Iran).1997 zog er für das Studium nach Teheran um. Er studierte dort Soziologie im Bachelorstudiengang an der Allameh Tabataba'i Universität und absolvierte seinen Master in Women Studies an der Isfahan Universität.Als Shahab das erste Mal zur Schule ging und danach nach Hause gekommen war, fragte er seinen Vater: „Warum lerne ich in der Schule eine andere Sprache? Die, die ich in der Schule lerne, ist ganz anders als die, die wir zu Hause sprechen.” Sein Vater hatte ganz vernünftig geantwortet: „Ja, es ist lächerlich, dass wir nicht unsere Muttersprache lernen dürfen. Leider ist in diesem Land unsere Muttersprache verboten, aber wenn du möchtest, bringe ich sie dir sehr gerne bei.“Als Shahab ungefähr 16 Jahre alt war, begann er Gedichte zu schreiben. Damals gab es einen kleinen Literaturverein in Saghez. Shahab ging ab und zu dorthin, und wenn es öffentliche Lesungen für alle gab, las auch er seine Gedichte vor. Es war wie ein Wunder, dass ein Junge von 16 Jahren in einem Land, in dem seine Muttersprache verboten ist, auf Kurdisch Gedichte schreiben konnte. Das war einer der Gründer, dass Shahab, mit seinen schwarzen Klamotten, lockigen Haaren und kurdischen Gedichten so schnell bekannt und berühmt wurde. Shahab wollte nie berühmt werden. Sein erstes Buch, das er mit 25 Jahren veröffentlichte, widmete er seinem Vater: „Ich widme dieses Buch meinem Vater, der mir Kurdisch und das Leben beibrachte.”Mit 18 Jahren fing Shahabaddin Sheikhi an, Artikel zu verfassen. Zunächst für kleine lokale Zeitschriften, von denen die meisten seine Freunde und er selbst gegründet hatten. Artikel über Literatur, kurdische Volkslieder, Literaturkritiken usw.Nachdem er nach Teheran gezogen war, schrieb er als freiberuflicher Journalist für persische Zeitungen. Da er Soziologie studiert hatte, schrieb er anfangs über Soziologie und gesellschaftliche Themen. Damals waren die Reformisten an der Regierung und die Stimmung und Laune war ein bisschen lockerer, wodurch es mehr Möglichkeiten für freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit gab. Daher begann Shahab über Frauenrechte und Menschenrechte zu schreiben, insbesondere über die ethnischen Rechte anderer Völkergruppen im Iran, den Kurden, Arabern, Türken usw., die nicht die gleichen Rechte wie Perser haben. Als offizieller Journalist fing er 2000 bei der Zeitung Etemad (Vertrauen) in der Literatur- und Kulturabteilung an. Nebenher veröffentlichte er aber immer wieder verschiedene Artikel in anderen kurdischen und persischen Zeitungen.Ab 2002 arbeitete er als Chefredakteur für die erste “ kurdisch-persische Zeitung” Ashti (Friede) im Iran. Nach nur wenigen Monaten wurde die Zeitung zur bekanntesten und meistverkauften kurdischen Zeitung. Nach zwei Jahren wurde diese Zeitung von der Regierung verboten.2003 arbeitete er bei der monatlichen Zeitschrift Goftemane neu (Neue Diskurse) als stellvertretender Chefredakteur, doch auch dieses Magazin wurde nach nur zwei Monaten verboten. 2005 arbeitete er dann für ein Jahr wieder bei Etemad, dieses Mal in der Internationalen Abteilung. Im nächsten Jahr wollte er bei Hammihan (Gleichbürger) arbeiten, aber auch diese Zeitung wurde verboten. Stattdessen arbeitete er für die Zeitung Shargh (Ost), die jedoch auch verboten wurde. Danach schrieb er für einige online Zeitungen im Ausland (Europa) wie Roozonline, Radiozamane usw.2005 begann die Kampagne “Eine Million Unterschriften für die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern im Iran”. Shahab war einer der ersten Männer, der Mitglied dieser Kampagne wurde. Da er seinen ersten Artikel als 19-Jähriger unter dem Titel “Frauen, Literatur und Theater” veröffentlicht hatte, war er schon lange als ein Mann der sich mit dem Feminismus beschäftigt bekannt.Gleichzeitig wurde 2005 im Iran Ahmadinejad zum Präsidenten gewählt. Ahmadinejad war wie ein kleiner Hitler oder eine islamische Kopie von “Trump“.Die meisten Zeitungen, NGOs, unabhängigen Kulturvereine usw. wurde verboten, viele Journalisten kamen ins Gefängnis usw.Als 2009 Ahmadinejad durch einen Putsch erneut wiedergewählt wurde, gingen fast alle Aktivisten auf die Straße und organisierten große Demonstrationen gegen das Regime. Die Demonstrationen dauerten viele, viele Monate an und wurden im Iran als politische Bewegung unter dem Namen “Grüne Bewegung” bekannt. Nach neun Monaten schaffte das Regime es endlich, die Demonstrierenden zu besiegen und, wie dieser Tage in der Türkei, sind tausende Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Frauenrechtsaktivisten, Umweltaktivisten und alle Menschen, die eine andere Meinung als das Regime haben, entweder im Gefängnis gelandet oder geflüchtet…Am 4. Februar 2010 veröffentlichte Shahab einen Text unter dem Namen “Schreib mal auf alle meine Briefe Tod, ich werde leben”. Dort schrieb er, er wolle nie sein Land verlassen, er wolle nie flüchten, aber das Schicksal wollte es so, dass er am 20. Februar 2010 in Kurdistan im Irak war. Er war bereits geflüchtet, ohne es zu wollen. Das Ganze verlief alles ganz schnell; Shahab hat seine Fluchtgeschichte im kleinem Buch Schneiden mit einer Guillotine aufgeschrieben.Ende 2010 und Anfang 2011 wurde er von Deutschland als politischer Gast eingeladen. Ihm wurden ein deutscher Reiseausweis, ein Visum und ein Flugticket zugeschickt. Shahab wohnte die ersten anderthalb Jahre in Rheinland-Pfalz, seit Oktober 2012 wohnt er in Berlin.In Deutschland hat sein zweites Leben begonnen. Wie eine neugeborenes Kind muss er Wörter, die Sprache, die Wege, das Leben und fast alles andere wieder von neuem erlernen und erleben.Im Februar 2017 veröffentlichte ein Verlag in Teheran eine Auswahl seiner Gedichte unter dem Namen Die Stadt der hauptstadtlosen Lieder

6 Fragen

Was hat Sie nach Berlin verschlagen? Die Liebe? Der Zufall? Die Weltpolitik?

Die Weltpolitik


An Berlin liebe ich:

Vor allem diese nationallose Stimmung und Laune. Wenn ich in Berlin bin, fühle ich mich nicht wie in ‘Berlin, der Hauptstadt von Deutschland’, einem europäischen Land.


In Berlin vermisse ich:

Vor allem die Menschen aus meinen früheren Leben. Ich habe keine Heimat, deswegen habe ich kein Heimweh. Heimat bedeutet für mich die Orte, wo meine Lieblingsmenschen sind, obwohl ich mittlerweile auch hier einige Lieblingsmenschen gefunden habe.


Ein Lieblingsort in Berlin:

Für mich gibt es nicht den Lieblingsort in Berlin, sondern mehrere Orte, z. B. Prenzlauer Berg und Schöneberg wegen der Architektur, Kreuzberg und Neukölln, Mitte wegen der europäischen Stimmung usw.


Sind Sie in Berlin ein anderer Mensch, eine andere Autorin, ein anderer Autor als im Land Ihrer Herkunft? Inwiefern?

Ja. Ich bin ein Mensch, der auf seine Umgebung reagiert und diese reflektiert. Vor allem, die Menschen, Sprache und Gesellschaft. Ich meine, die Straßen, die Bäume, die Steine, die Architektur können alle auf den Mensch eine Wirkung haben.


Ein literarisches Werk, das ich gern geschrieben hätten:

Allzu laute Einsamkeit“ von Bohumil Hrabal.

Werk

Originalwerke

Die Stadt der hauptstadtlosen Lieder

Nashre Dastan, 2017 Gedicht

Der Traum eines Sterns

Nashre Bagh, Teheran, 1998 Gedichte-Übersetzung