Wir haben Kurator*innen gebeten, wichtige Orte der jeweiligen Szenen zusammenzustellen und so kann man sich auf verschiedenen Sprachlinien durch die Stadt bewegen. 

Polnische Szene

Zusammengestellt von Dorota Stroińska
  • 1. buch|bund
  • 2. Literarisches Colloquium Berlin
  • 3. Akademie der Künste, Hansaviertel
  • 4. DAAD - Berliner Künstlerprogramm des DAAD
  • 5. Das Lokal „Das schwarze Ferkel“ um 1900
  • 6. Club der polnischen Versager
  • 7. Café Katulki
  • 8. Teatr Kreatur im Theater am Ufer
  • 9. Zeitschrift OSTEUROPA
  • 10. Deutsch-Polnisches Magazin DIALOG
  • 11. Suhrkamp Verlag
  • 12. Verlag edition.fotoTAPETA
  • 13. Berliner Ensemble - Theater am Schiffbauerdamm
  • 14. Polnisches Institut Berlin
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Dorota Stroińska

Dorota Stroińska wurde 1965 in Poznań geboren und lebt seit 1986 in Berlin. Sie studierte Germanistik und Slawistik in Poznań, Berlin und New York. Seit 1994 arbeitet sie als Literaturübersetzerin aus dem Deutschen ins Polnische (u.a. Lutz Seiler, Karl Jaspers, Rüdiger Safranski, Christian Kracht, Sibylle Lewitscharoff, Ilse Aichinger). Manchmal übersetzt sie auch aus dem Polnischen ins Deutsche (u.a. Wojciech Kuczok, Kinderbücher). Sie ist Leiterin der Deutsch-Polnischen Übersetzerwerkstatt ViceVersa (seit 2008), Gründerin und Koordinatorin des deutsch-polnischen Übersetzerstammtisches „sztamtysz“ (seit 2006). Sie forschte zur Theorie und Praxis literarischer Übersetzung im Karl Dedecius Archiv am Collegium Polonicum, Europa-Universität Viadrina (2010-2012) und war Projektleiterin in der Samuel Fischer Stiftung (2013-2016). Als Vermittlerin polnischer Literatur in Deutschland und deutschsprachiger Literatur in Polen konzipiert, organisiert und moderiert sie in Zusammenarbeit u.a. mit dem Literarischen Colloquium Berlin, dem Goethe-Institut, der Weltlesebühne Veranstaltungen für erwachsene und junge Leser.

Vorwort

Im Jahr 1828, als noch kein Berlin-Warszawa-Express die deutsche und die polnische Metropole miteinander verband, reiste der junge Frédéric Chopin mit einer Postkutsche aus Warschau in die preußische Hauptstadt. Er flanierte durch die Straßen, besuchte Opernaufführungen und gab eigene Konzerte. Über seine Eindrücke schreibt er in einem Brief an die Familie: "Meine Meinung über Berlin: Es ist zu groß für die Deutschen. Es könnte ohne weiteres noch mal so viele Einwohner fassen."

Nach knapp zwei Jahrhunderten ist Berlin das Zuhause für 3,6 Millionen Menschen aus aller Welt. Die Polen bilden dabei die zweitgrößte Minderheit: ca. 100.000 polnische Migranten leben heute in der Stadt an der Spree. Die Polen sind auch die mit am längsten in Berlin lebende Minderheit. Dies liegt sicherlich nicht nur an der geographischen Lage, sondern ist vielmehr in der polnischen Geschichte begründet. Nur wenige Jahre  nach Chopins Besuch in Berlin wird der Novemberaufstand 1830/1831 in Kongresspolen gegen den russischen Zaren und für die Befreiung Polens niedergeschlagen; zehntausende polnische Freiheitskämpfer fliehen während dieser Grande Emigration und durchqueren Deutschland, wo sie mit solidarischen Hilfsaktionen und begeisterten „Polenliedern“ empfangen werden, in Richtung Belgien, Schweiz, Großbritannien, Italien und vor allem Frankreich, wo sich übrigens außer dem polnischen Nationaldichter Adam Mickiewicz auch Frédéric Chopin niederlässt. Auch in Berlin werden Polenlieder gesungen, eine besondere Bedeutung gewinnen dabei Liedzeilen etwa von Karl von Holtei, in denen das Bild vom Kampf Davids gegen Goliath heraufbeschworen wird.

Seitdem erlebte Berlin mehrere polnische Auswanderungswellen und wurde Zufluchtsort für außergewöhnliche Menschen. Zum Beispiel für Françoise Frenkel, eine polnische Jüdin, die 1921, in einer Atmosphäre der neu aufgelebten deutsch-französischen Erbfeindschaft, nach Berlin kommt, die erste französische Buchhandlung eröffnet und diese bis zu ihrer Flucht 1939 führt. Ab den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird West-Berlin, die Insel im sowjetischen Meer, neben Paris und London zu einem europäischen Zentrum des polnischen Exils. Vor allem in den späten 80er Jahren kommen aus Polen auch Menschen, die sich in Berlin ein Leben frei von wirtschaftlichen Zwängen versprechen.

So leben heute an der Spree polnische Migranten, die  aus  ganz unterschiedlichen Gründen nach Berlin gekommen sind. Während viele aus der älteren Generation sich weiterhin dem Ethos einer Exilgemeinschaft („Polonia“) verpflichtet fühlen und die polnischen „Strebermigranten“ (Emilia Smechowski in der taz) in der deutschen Gesellschaft unsichtbar bleiben, ist es für die jüngeren Eingewanderten heute selbstverständlich, als Polin oder Pole den deutschen Alltag zu leben. So zahlreich, vielschichtig und mannigfaltig die polnische Community in Berlin ist, sie bildet kein „Little Poland“. Polnische Kultur wird nicht in abgetrennten Bezirken gepflegt, sondern durchdringt vielmehr und bereichert das kulturelle Leben Berlins. Wie faszinierend und inspirierend diese osmotische Beziehung ist, lässt sich an den ausgewählten literarischen Orten Berlins, dieser heimlich polnischen Stadt, spüren.

Literaturlinks:
Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, herausgegeben von Małgorzata Omilanowska unter Mitarbeit von Tomasz Torbus. Kuratorin der Ausstellung Anda Rottenberg, 2011

Dorota Danielewicz, Berlin. Przewodnik po duszy miasta, Warszawa 2013; Auf der Suche nach der Seele Berlins, übers. von Arkadiusz Szczepański, Europa Verlag Berlin 2014

Robert Traba, Malgorzata A. Quinkenstein (Hg.), Polnisches Berlin. Stadtführer, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2016

Jahrbuch Polen 2011: Kultur (Band Nr. 22), herausgegeben vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt:
http://www.deutsches-polen-institut.de/publikationen/jahrbuch-polen/jahrbuch-polen-2011/

Françoise Frenkel, Nichts, um sein Haupt zu betten. Mit einem Vorwort von Patrick Modiano. Dossier von Frédéric Maria. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl, Carl Hanser Verlag, Hanser Berlin, Berlin 2016

Emilia Smechowski, "Ich bin wer, den du nicht siehst": www.taz.de/!868119/

buch|bund
Sanderstr. 8, 12047 Berlin
U8–Schönleinstraße
Öffnungszeiten: Mo–Fr 10–19 Uhr, Sa 11–18 Uhr

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Deutsch-polnische Übersetzerszene schafft Literatur

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Sztamtysz

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1. buch|bund

Der Buchbund ist die erste und die einzige deutsch-polnische Buchhandlung in Berlin.
Gegründet wird sie 2011 von Marcin Piekoszewski und seiner Frau Nina Müller als Schaufenster des vielfältigen polnischen Buchmarktes und der polnischen Kultur für poleninteressierte Menschen. Der Buchbund führt ein reiches Sortiment an sorgfältig ausgewählten Werken aus den Bereichen Belletristik, Sachbuch, Kinder- und Jugendliteratur, sowohl im polnischen Original, als auch in deutschen bzw. in englischen Übersetzungen.  Die Buchhandlung lädt mit einem angeschlossenen Café (mit selbstgebackenen Kuchen von -> „Katulki“) und Wohnzimmeratmosphäre dazu ein, hier länger zu verweilen, in Büchern zu schmökern, Espresso zu trinken, ins Gespräch zu kommen. Kein Wunder, dass nach langjährigem Vagabundieren durch Berliner Kneipen und Wirtshäuser hier auch der Sztamtysz für deutsche und polnische Literaturübersetzer sein Zuhause findet. Am großen ausziehbaren Tisch trifft man sich zudem, um in einem der Abendkurse Polnisch oder Jiddisch zu lernen. Regelmäßig finden in dem Buchladen  Abendveranstaltungen statt: Lesungen, Ausstellungen sowie Gesprächsreihen zur Kultur, Gesellschaft und Politik.
Der Buchbund arbeitet dabei mit anderen lokalen Initiativen, Vereinen und Institutionen, mit der israelischen Community etwa oder mit jungen amerikanischen Künstlern zusammen.
Die offene und gastfreundliche Buchhandlung hat sich in kürzester Zeit zu einem Ort der Begegnung entwickelt, zum intellektuellen Treffpunkt und zum literarischen Salon. Es ist ein Biotop, das weit über das bilaterale Modell hinausgewachsen ist und das kulturelle Leben in Berlin bereichert.

 

 

Literarisches Colloquium Berlin
Am Sandwerder 5
14109 Berlin


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2. Literarisches Colloquium Berlin

Das Literarische Colloquium Berlin ist seit je ein Ort, an dem sich die Crème de la Crème der polnischen Literaturszene trifft. Walter Höllerer lädt gleich 1963 Witold Gombrowicz als Gastprofessor zu der ersten Schreibwerkstatt „Prosaschreiben“ ein, mit der die inhaltliche Arbeit des LCB beginnt. „Ich bin das Aspirin, das Krämpfe löst“ schreibt Gombrowicz in seinem  „Tagebuch 1953-1969“, und wie dies gelingt, ist im literarischen Porträt „Die zweite Schuld“ eines prominenten Werkstattteilnehmers, Hubert Fichte, zu lesen. Früh würdigt man im LCB Zbigniew Herbert und Tadeusz Różewicz als die großen Dichter der europäischen Moderne. In der Veranstaltung „Ein Gedicht und sein Autor“ (1966/67) lesen sie zusammen mit ihrem Übersetzer Karl Dedecius, der 1959 mit einer Anthologie polnischer Gedichte „Lektion der Stille“ die „Polnische Welle“ auf dem westdeutschen Buchmarkt auslöste. „Unser Lehrer Różewicz“ (Michael Krüger) und Herberts empathische und gedankenklare Poesie wirkten auf die deutsche Lyrik der Nachkriegszeit revolutionierend. West-Berlin, jene Insel im kommunistischen Ozean, wird Herberts Lieblingsstadt.
Im Jahr 2000, als Polen Gastland auf der Frankfurter Buchmesse wird, veranstaltet das LCB ein Programm mit polnischen Exilautoren, den „Kosmopolen“. Der unvergessliche Höhepunkt: die Lesung von Nobelpreisträger Czesław Miłosz am 1. Juni 2000. Im Rahmen des deutsch-polnischen Kulturjahres besuchen 2005 elf junge polnische Schriftsteller Berlin und werden im LCB als „das Wunder der jungen polnischen Literatur“ gefeiert. In die LCB-Annalen geht „Polococtail“ mit selbstkreierten Drinks etwa von Dorota Masłowska, Wojciech Kuczok oder Michał Witkowski und den 3 ways to get drunk on literature ein. Der Rausch dauert an, Gastautorinnen und -autoren wie Żanna Słoniowska, Liliana Hermetz, Tomasz Różycki, Jacek Dehnel, Tadeusz Dąbrowski, Marek Zagańczyk, Jakub Ekier, Krystyna Dąbrowska, Kira Pietrek sorgen für steten vitalen Input.

Hubert Fichte, Die zweite Schuld. Glossen. Die Geschichte der Empfindlichkeit, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006
culture.pl/en/artist/czeslaw-milosz
https://www.theguardian.com/books/2004/sep/11/featuresreviews.guardianreview25
culture.pl/en/search-results
http://www.zeit.de/2017/16/zbigniew-herbert-gesammelte-gedichte-lyrik
culture.pl/en/artist/tadeusz-rozewicz
www.deutsches-polen-institut.de/publikationen/reihe-veroeffentlichungen-des-dpi/tadeusz-ro-ewicz-und-die-deutschen/

Akademie der Künste, Hansaviertel
Hanseatenweg 10, 10557 Berlin
Bartningallee 11/13, 10557 Berlin

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Adam Zagajewski

3. Akademie der Künste, Hansaviertel

(I)
1963 verlässt Witold Gombrowicz (1904-1967) nach über 23 Jahren sein argentinisches Exil und kommt als einer der ersten Stipendiaten der Ford Foundation für ein Jahr in "dieses Glitzerding West-Berlin, letzte Koketterie des luxuriösen Europa". Die ersten Monate wohnt er im Gästestudio der Akademie der Künste im Hansaviertel, wo er auch eine andere Stipendiatin, Ingeborg Bachmann, kennenlernt. Beide beziehen sich später in ihren Texten auf ihre Zeit in Berlin, Bachmann in einem fragmentarischen Essay („Witold Gombrowicz“, 1964) und Gombrowicz in seinem „Tagebuch“ (1964). Die geteilte Stadt, zwei Jahre nach dem Mauerbau, wirkt auf ihn „gutmütig“, erotisch inspirierend (wie man inzwischen seinem intimen „Kronos“ entnehmen kann) und zugleich „dämonisch“, wie Lady Macbeth, die sich „in einem fort die Hände“ wäscht. Ein Spaziergang im Tiergarten wird für ihn zur existenziellen Erfahrung: Intensiv nimmt er Gerüche wahr, die ihn nach Polen seiner Kindheit und Jugend zurückversetzen und den nahenden Tod ahnen lassen. „Der Kreis hat sich geschlossen… im Tiergarten (…) erfuhr ich den Tod direkt – und seither weicht er mir nicht von der Seite.“ In Berlin wird er krank, liegt zwei Monate im Krankenhaus, drei Jahre später stirbt Gombrowicz in Vence (Frankreich).

Witold Gombrowicz, Tagebuch 1953-1969, übers. von Olaf Kühl, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004
Witold Gombrowicz, Berliner Notizen, übers. von Olaf Kühl, Verlag edition.fotoTAPETA, Berlin 2013
Witold Gombrowicz: Kronos. Intimes Tagebuch, übers. von Olaf Kühl, Carl Hanser Verlag, München 2015


(II)
Die Akademie der Künste beherbergt das Witold-Wirpsza-Archiv. Witold Wirpsza (1918-1985), der polnische Dichter, Kritiker und Übersetzer ist 1967/1968 Gast des Berliner Künstlerprogramms. Nach dem Erscheinen seines Essays „Pole, wer bist du?“ (1971) in der Schweiz erhält er in Polen Publikationsverbot und emigriert 1972 nach West-Berlin, wo er zu einem bedeutenden Vermittler zwischen der polnischen und der deutschen Kultur wird („Die Vermittlerrolle gefällt mir, in welcher Richtung auch immer, und es macht mir Spaß, wenn ich zugleich mit zwei Sprachen spiele“). Wirpsza pflegt freundschaftliche Beziehungen zu Walter Höllerer und Günter Grass, genießt aber auch den Ruf einer grauen Eminenz des polnischen Exils und gilt als eine wichtige Persönlichkeit in der oppositionellen Literaturszene Polens. Zusammen mit seiner Frau Maria Kurecka (1920-1989) führt er über viele Jahre einen Salon in seiner Moabiter Wohnung (Alt-Moabit 21), im Duett übersetzen sie zahlreiche Werke deutschsprachiger Literatur, u.a. Hermann Broch, Thomas Mann, Hermann Hesse, Friedrich Schiller, wofür ihnen 1967 der Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verliehen wird.

http://www.zeit.de/1985/40/pole-wer-bist-du/komplettansicht
https://archiv.adk.de/bigobjekt/13178

(III)
Seit 1999 ist der polnische Dichter und Essayist Adam Zagajewski (geb. 1945) Mitglied der Akademie der Künste, die ihm 2015 auch den Heinrich-Mann-Preis verleiht. Ins Deutsche übersetzte Gedichte und Essays Zagajewskis erscheinen regelmäßig in der von der Akademie der Künste herausgegebenen Zeitschrift „Sinn und Form“. Zagajewski verbrachte die Jahre 1979 bis 1981 in West-Berlin, bevor er dann über die USA 1982 ins Exil nach Paris ging und 2002 nach Krakau zurückkehrte. Die Mauerstadt erlebt er als eine Mischung aus Metropole und grüner Provinz, „eine Torte mit wenig Schichten“. Mitten in dieser „Torte“ gibt es in den 1970er und 1980er Jahren eine Art polnisches Berlin der Schriftsteller und Künstler, eine polnische Intellektuellenkolonie im Grunewald, die im Grunewalder „gastlichen Haus“ von Helena und Wiktor Szacki, polnischen Emigranten, regelmäßig zusammenkommt. Dort verkehren in der Zeit u. A. auch Zbigniew Herbert, Witold Wirpsza mit seiner Frau Maria Kurecka, Kazimierz Brandys, Wiktor Woroszylski, Jacek Bocheński...

https://www.hanser-literaturverlage.de/autor/adam-zagajewski/
www.adk.de/de/akademie/preise-stiftungen/H_Mann_Preis.htm

DAAD
Berliner Künstlerprogramm des DAAD
Markgrafenstraße 37, 10117 Berlin

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4. DAAD - Berliner Künstlerprogramm des DAAD

Im Jahr 1963 wurde das Berliner Künstlerprogramm von der Ford Foundation als Artists-in-Residence-Program begründet und 1965 vom Deutschen Akademischen Austauschdienst übernommen. Seitdem wohnen und arbeiten in den über der Berliner Innenstadt verstreuten Gästeateliers jeweils für ein Jahr auch zahlreiche polnische Schriftsteller, u.a. Stanisław Lem, Witold Wirpsza, Tadeusz Różewicz, Sławomir Mrożek, Zbigniew Herbert, Adam Zagajewski, Ryszard Krynicki, Ryszard Kapuściński, Ewa Lipska, Olga Tokarczuk, Joanna Bator, Dorota Masłowska, Wojciech Kuczok, Piotr Sommer…

Neue Wilhelmstraße (nördlicher Abschnitt der Wilhelmstr.)/
Unter den Linden, 10117 Berlin

5. Das Lokal „Das schwarze Ferkel“ um 1900

An der Ecke von Unter den Linden und der Wilhelmstraße, die früher Husarenstraße heißt und im 18. und 19. Jahrhundert Sitz wichtiger Regierungsbehörden Preußens und des Deutschen Reiches ist, befindet sich Gustav Türks „Weinhandel und Probierstube“ – das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört – ein Lokal, das im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert unter dem Namen „Zum schwarzen Ferkel“ in die Berliner Chroniken eingeht. Hier treffen europäische „Rauschkünstler“ zunächst um August Strindberg zusammen, doch bald wählen sie Stanisław Przybyszewski zu ihrem Meister und Anführer. „Der geniale Pole“ kommt 1889 nach Berlin, wie ein „Meteor“, „der für einen Augenblick aufleuchtet“ und prägt nicht nur das Leben der Berliner Boheme maßgeblich, sondern beeinflusst vielmehr die deutsche Literatur der 1890er Jahre wie kaum ein anderer. „Stachu machte uns eine Tür auf. (…) eine verborgene Tapetentür, von der man nicht wusste, ob sie ins Chaos oder in eine bewohnbare Landschaft oder nur in einen mit Mixturen gefüllten Wandschrank führte“, schreibt Julius Meier-Graefe. Obwohl Przybyszewski selbst in seinen eigenen literarischen Widersprüchen gefangen bleibt, zeigt er für andere neue Wege auf: Anscheinend unbewusst entwickelt er Stilelemente, die für spätere Generationen prägend werden (expressive Metaphorik, eine Erzähltechnik, die den inneren Monolog vorwegnimmt). Um „Stachu“ gruppieren sich Künstler und Literaten wie Ola Hansson, Paul Scheerbart, Carl Ludwig Schleich, Jean Sibelius, Christian Krohg, Gustav Vigeland, Otto Erich Hartleben, Franz Ewers, Julius Bierbaum, Franz Servaes, Julius Hart, Peter Hille... Besondere Freundschaften persönlicher und künstlerischer Art verbinden Przybyszewski mit Strindberg (gruselig nachzulesen in seinem Pariser Roman „Inferno“, 1897), mit Richard Dehmel, der Przybyszewskis erstes, öffentlich vieldiskutiertes lyrisches Prosastück „Totenmesse“ (1893) lektoriert; mit Edvard Munch, in dem Przybyszewski einen herausragenden Künstler erkennt und ihm einen enthusiastischen kunstkritischen Essay „Psychischer Naturalismus“ (1894 in der Neuen deutschen Rundschau erschienen) widmet, der zur Initialzündung für Munchs beginnende Karriere wird. Munch fertigt wiederum nicht nur mehrere Porträts des Dichters an, sondern erhält auch Impulse von seiner Kunstauffassung. Mit dem 1892 veröffentlichten Essay „Zur Psychologie des Individuums. I. Chopin und Nietzsche“  hielt Przybyszewski Einzug in die deutsche Literatur. Theodor Fontane beschreibt ihn als einen sprachgewaltigen Erneuerer der deutschen Sprache, wie es ihn nach Nietzsche nicht gegeben habe. Przybyszewskis legendäre Chopin-Interpretationen prägen das Wort „Chopinisieren“, das eruptive Emotionen, kühne Sprachdiktion und extravagantes Handeln in einem bezeichnet. In Berlin verfasst er seine ersten Werke auf Deutsch ( u.a. „Totenmesse“, „Vigilien“ und “De profundis”), begründet mit Otto Julius Bierbaum und Julius Meier-Graefe die Kunst- und Literaturzeitschrift „PAN“, veröffentlicht in Karl Kraus‘ “Die Fackel” und in der “Freien Bühne”. Przybyszewski, die „wohl faszinierendste Figur des deutschen Fin de siècle“ (Jens Malte Fischer), wird auch prägend für die polnische Literatur und Kunst der Jahrhundertwende. 1898 zieht er nach Krakau, wo er die Redaktion der Zeitschrift “Życie” (Leben) übernimmt, die bald als das bedeutendste polnische Journal für Kunst und Literatur gilt. Sein 1899 dort veröffentlichter Essay Confiteor wird zum Manifest der polnischen Moderne („Junges Polen“). Nach 1918 hilft er, den jungen polnischen Staat aufzubauen. 1927 stirbt er und bekommt Staatsbegräbnis.

Stanislaw Przybyszewski: Werkausgabe in 9 Bänden (1988-1999) beim Igel Verlag, Hamburg
http://www.igelverlag.com/Przybyszewski_de_profundis.htm
www.igelverlag.com/Przybyszewski_Zur_Psychologie.htm

 

Club der polnischen Versager
Ackerstr. 168, 10115 Berlin

Geöffnet wenn nicht geschlossen
Amtssprache: Deutsch und alle anderen Fremdsprachen
Verantwortlichen: Piotr Mordel und Adam Gusowski

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6. Club der polnischen Versager

Das kleine Manifest der polnischen Versager: „Unseresgleichen gibt es nicht viele in der Stadt. Ein paar nur, vielleicht einige zehn. Der Rest, das sind Menschen des Erfolgs, kühle und kaltblütige Spezialisten – was immer sie auch tun, das tun sie bestens. (…) Wir sind geneigt ihren Vorrang anzuerkennen, dennoch wollen wir Schöpfer bleiben und zwar nach unseren Möglichkeiten, auf einem niedrigeren Niveau.“

1994 verfasst Leszek Oświęcimski dieses "Kleine Manifest der polnischen Versager", das 2001 dem Club seinen Namen gibt: Der Club der polnischen Versager (polnisch Klub Polskich Nieudaczników) ist eine gemeinsame Kulturinitiative der seit den 1980er in Berlin lebenden polnischen Schriftsteller und Künstler, die gegen Klischees und Vorurteile von polnischer Unbeholfenheit ein Zeichen setzen wollen. Die „polnischen Versager“, die im Scheitern ihren Erfolg sehen, verbinden auf humorvolle und erfrischend geistreiche Weise den künstlerischen Anspruch mit Improvisation, Nonsens, Provokation, Trash und werden sehr schnell als Stars gefeiert. Hunderte Berliner beantragen einen “vorläufigen Mitgliedsausweis des Bundes der Polnischen Versager”. Die Resonanz in der deutschsprachigen und internationalen Presse ist enorm, den „Versagern“ werden Preise verliehen, zuletzt (im Mai 2017) der jährliche Europapreis „Blauer Bär“ von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa und der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland. 

Der Club ist nicht nur ein Zuhause für den deutsch-polnischen Kulturaustausch, sondern auch für die Berliner multinationale Kultur. Intensive Zusammenarbeit verbindet die „Versager“ mit dem “Club Real” (Exil-Österreicher) mit “Eesty Film” (estnische Community in Berlin) und mit “Ankoi” (japanische Gemeinde). Auf dem Programm des wohnzimmergroßen Clubs stehen Literatur, Theater, Performance, Ausstellungen, Filmvorführungen, Konzerte, aber auch Vorträge, Diskussionen und Talkshows zu aktueller Politik und Kultur. Das Angebot an kreativen Aktivitäten ist vielfältig: Die Zeitschrift “Kolano” (das Knie), das Theater Ensemble “Babcia Zosia” (Oma Sophia), die Satiresendung “Gaulojzes Golana” (seit 1998 im Radio multikulti / RBB und aktuell im Funkhaus Europa / wdr/rbb). Der Club trat jahrelang in der Fernsehsendung “Kowalski trifft Schmidt” (RBB), und “Leutnant-Show” und “Die Schizonationale” werden auf der Bühne während der “Festivals der Polnischen Versager” an vielen Orten in Deutschland, Österreich oder auch in Japan der Öffentlichkeit regelmäßig präsentiert. 2002 erscheint im clubeigenen Verlag Leszek Herman Oświęcimskis Satire „Der Klub der polnischen Wurstmenschen“, und 2012 bringt der Rowohlt-Verlag das Buch “Club der Polnischen Versager” von Piotr Mordel und Adam Gusowski heraus.

Café Katulki
Friedelstr. 40, 12047 Berlin

Geöffnet: Mo.-Fr.  von 9-20 Uhr,
Sbd.-So. von 10-20 Uhr
www.facebook.com/katulki

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7. Café Katulki

Allen Menschen, die polnische Kultur sinnlich erfahren möchten, ist ein Genuss von pierogi in einem der zahlreichen Berliner Restaurants mit polnischen Spezialitäten dringend zu empfehlen. Denn Essen und Erkennen, das Sinnliche und das Geistige, bilden eine fast archaische Symbiose, und das wechselseitige Verständnis der Kulturen hat viel mit der Esskultur zu tun. Dabei sollte man beim Genuss von Piroggen lieber kein Maß halten, denn allein der Gierige, das wusste schon Walter Benjamin, kommt zur wahren Welterfahrung. Im ‚Kreuzköllner‘ Kiez gibt es einen besonders zu empfehlenden Ort für die derart Gierigen: Ein Wohnzimmercafé mit köstlichen selbst gekochten Gerichten und selbst gebackenen Kuchen. Das Café, in dem auch viele Bücher über Ess-und Trinkkultur zum Stöbern einladen, wird von einer Polin und einer Italienerin betrieben, es ist also eine Melange von italienischer la dolce vita und polnischem esprit. Der Name des Cafés „Katulki“ ist literarisch-kulinarisch inspiriert: „Wer nie eine Kuller aß, der hat vom Leben nicht gekostet“ (kto nie jadł katulki, nic nie wie o życiu). Der Vers stammt aus "Zwölf Stationen“ (Dwanaście stacji), einem Poem des bedeutenden polnischen Dichters und Übersetzers französischer Lyrik, Tomasz Różycki (geb. 1970). Wer wissen möchte, was genau katulka ist, möge in Różyckis köstlichen Langgedicht nachlesen, das von manchen Kritikern mit dem polnischen Nationalepos „Pan Tadeusz“ von Adam Mickiewicz verglichen wird. Das folgende Lob auf die Piroggen möge dabei appetitanregend wirken:

„O Phantasma, o Imagination!
O Grausen, Gnosis und Hypebolik! (..)
die Piroggen. Sie bildeten, seit er denken konnte,
die Grundfesten der Familie, über ihnen fanden verfeindete
Lager zusammen, und um ihretwillen wurde freitags
der himmlische Frieden geschlossen.“

https://ostpostberlin.files.wordpress.com/2016/10/ostpost-polnische-spezialitaeten-1.pdf
Tomasz Różycki, Zwölf Stationen, übers. von Olaf Kühl, Sammlung Luchterhand, München 2009)

 

Teatr Kreatur im Theater am Ufer
Tempelhofer Ufer 10, 10963 Berlin

8. Teatr Kreatur im Theater am Ufer

Der polnische Maler und Bühnenbildner Andrej Woron (eigentlich Andrzej Woroniec), der seit 1982 in Berlin lebt, gründet 1988 (bis 2003) das Teatr Kreatur, das bald zur meistbeachteten freien Theaterbühne deutschlandweit wird. Woron greift die Tradition der polnischen Theateravantgarde (insbesondere die Bild- und Bühnenwelt Tadeusz Kantors) auf und beschwört in eindringlichen Bildern auf der Bühne eine ostjüdische Welt herauf. Bereits seine zweite Inszenierung, „Die Zimtläden“ (1990) nach Bruno Schulz, wird ein herausragendes Ereignis der Theatersaison 1990/91. Die dritte Inszenierung, „Das Ende des Armenhauses“ nach Isaak Babel, wird 1992 als erste freie Produktion zum Berliner Theatertreffen eingeladen und Woron von der Zeitschrift Theater heute zum Regisseur des Jahres gewählt. Auch mit weiteren Inszenierungen, wie „Zug des Lazarus“ oder „Merlin“ wird Andrej Woron und sein Theater über die Grenzen Berlins bekannt. Für die Inszenierung von "Ein Stück vom Paradies" nach Itzig Manger erhält das Ensemble 1994 den Friedrich-Luft Preis, 1996 wird es mit dem Kritikerpreis der Berliner Zeitung ausgezeichnet. Seit 1998 arbeitet Andrej Woron als freier Regisseur für Oper und Theater mit Engagements u. a. am Berliner Ensemble, am Stadttheater Bielefeld, Theater Konstanz und am Nationaltheater Mannheim.

https://www.youtube.com/watch?v=qmxVPpDd5EY
http://culture.pl/en/artist/bruno-schulz

www.hanser-literaturverlage.de/autor/bruno-schulz/

Zeitschrift OSTEUROPA
Schaperstraße 30, 10719 Berlin

Chefredakteur: Dr. Manfred Sapper

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9. Zeitschrift OSTEUROPA

OSTEUROPA ist eine interdisziplinäre wissenschaftliche Monatszeitschrift zur Analyse von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Zeitgeschichte in Osteuropa, Ostmitteleuropa, Südosteuropa, Südkaukasus, Zentralasien: vergleichend und analytisch, intellektuell und anschaulich, geistig frisch und stilistisch fein. Es ist nicht nur die traditionsreichste und schlicht die beste deutschsprachige Zeitschrift für Fragen des Zeitgeschehens im gesamten Osten Europas, sondern sie gilt vielmehr als eine der führenden Zeitschriften der internationalen Osteuropaforschung und als „der beste Beitrag zur Europäisierung Europas“ (Gunter Hofman). Als europäische Plattform für den intellektuellen Austausch berücksichtigt OSTEUROPA literarische Themen im bedeutenden Maß und lässt Autoren und Autorinnen zu Wort kommen. Essays zur polnischen Literatur finden sich u. A. in einigen Polen gewidmeten Doppelheften (1-2/2016 „Gegen die Wand. Konservative Revolution in Polen“: www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2016/1-2/; 6-7/2016 „Sinnbild. Die Zerstörung von Mensch und Gesellschaft“: www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2016/6-7/; 5-6/2011 „Denkfabrik Polen. Europäisch aus Erfahrung“: www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2011/5-6/) oder im Heft 7/2011 unter dem aphoristischen Titel: „Ressourcenfluch, Ressource Buch. Erkundungen in raffiniertem Terrain“ (https://www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2011/7/)
OSTEUROPA wird herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e. V. (DGO).

Deutsch-Polnisches Magazin DIALOG
Schillerstr. 59, 10627 Berlin
 

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10. Deutsch-Polnisches Magazin DIALOG

Das Deutsch-Polnische Magazin DIALOG ist eine zweisprachige Zeitschrift, die sich seit 1987 mit den deutsch-polnischen Beziehungen im europäischen Kontext befasst. Es versteht sich als eine "deutsch-polnische Agora in der Mitte Europas" und veranstaltet auch Konferenzen und Debatten zu unterschiedlichen gesellschaftspolitischen und kulturellen Themen, die sich mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft deutsch-polnischer Beziehungen oder mit aktuellen Phänomenen in einem der beiden Länder auseinandersetzen (z.B. im -> Buchbund). Gemeinsam mit dem Vorstand und Kuratorium der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband verleiht die Redaktion seit 2006 den DIALOG-PREIS (so z.B. 2015 an die Redaktion der Zeitschrift -> OSTEUROPA).
Herausgeber des Magazins DIALOG ist die Deutsch-Polnische Gesellschaft Bundesverband e.V., ein Dachverband von über 50 deutsch-polnischen Vereinen. Der Chefredakteur des Magazins ist seit 1998 der Politikwissenschaftler Basil Kerski, der seit 2011 auch das Europäische Solidarność-Zentrum in Danzig leitet.

Suhrkamp Verlag
Pappelallee 78-79, 10437 Berlin

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11. Suhrkamp Verlag

Der Suhrkamp Verlag verlegt keine Bücher, sondern Autoren – dieses verlegerische Prinzip gilt auch für polnische Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Hier erscheinen bis 2000 die 50 Bände der Polnischen Bibliothek mit Klassikern der polnischen Literatur, herausgegeben von Karl Dedecius und gefördert von der Robert Bosch Stiftung, aber auch einzelne Ausgaben solcher Autoren wie Stanisław Lem, Zbigniew Herbert, Wisława Szymborska, Zygmunt Haupt u.a. Die Suhrkamp-Lektorin Katharina Raabe hat die mittel- und osteuropäischen Literaturräume  wie keine zweite Lektorin vermessen und dem deutschsprachigen Lesepublikum erschlossen. Zu ihrem polnischen Portfolio gehören Autoren wie Andrzej Stasiuk, Joanna Bator, Wojciech Kuczok und Michał Witkowski. Über ihre Leseerfahrungen schreibt sie in ihrem mit dem Deutschen Sprachpreis ausgezeichneten Essay „Der erlesene Raum – Literatur im östlichen Mitteleuropa seit 1989“, der in der Zeitschrift -> OSTEUROPA (12/2005) erschienen ist: https://www.zeitschrift-osteuropa.de/site/assets/files/2668/oe090216.pdf

Eine fruchtbare Zusammenarbeit verbindet Katharina Raabe mit der polnischen Autorin und Verlegerin Monika Sznajderman (Czarne Verlag), die gemeinsam zwei Sammelbände mit Texten und Bildern herausgeben: Katharina Raabe (Hg.), Monika Sznajderman (Hg.): Last & Lost. Ein Atlas des verschwindenden Europas, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006 Katharina Raabe (Hg.), Monika Sznajderman (Hg.): Odessa Transfer. Nachrichten vom Schwarzen Meer, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009

v.l.: Tadeuz Rolke, Andreas Rostek & Marek Grygiel (Berlin 2007)


Verlag edition.fotoTAPETA

Andreas Rostek
Alt-Moabit 37, 10555 Berlin

www.facebook.com/edition.fototapeta

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Tadeuz Rolke & Andreas Rostek (Warschau)

12. Verlag edition.fotoTAPETA

Der kleine, aber feine Berliner Verlag edition.fotoTAPETA, der von dem Autor und Übersetzer Andreas Rostek geführt wird, feierte neulich seinen 10. Geburtstag. Das Außergewöhnliche an diesem unabhängigen Verlag sind nicht nur die azurblauen Cover, sondern auch das Programm: Seit der Gründung des Verlags im Jahr 2007 richtet sich das Hauptaugenmerk auf die östlichen Nachbarn.
Der Verlag entstand seinerzeit als Kooperation zwischen Partnern in Berlin und in Warschau. Die Ambitionen von edition.fotoTAPETA zielten zunächst auf Bild und Wort gleichermaßen, gestartet war der Verlag mit Foto-Text-Büchern, in gleicher Aufmachung in beiden Ländern, in beiden Sprachen. Als erstes Projekt erscheint eine Publikation mit Arbeiten von Tadeusz Rolke, einem berühmten polnischen Fotografen, über seine Suche nach den Spuren der chassidischen Juden. Tadeusz Rolke verdankt auch der Verleger den Zugang zu Polen, durch ihn lernt er auch, Deutschland mit anderen Augen zu sehen. „Der Verlag ist auch der Versuch, ein wenig von dem, das Rolke mir beigebracht hat, weiterzugeben an die Leser der von uns verlegten Bücher“, sagt Andreas Rostek in einem Interview mit Arno Widmann. Das Ziel des Verlages bleibt es weiterhin, Geschichte zu erzählen, „ohne Zeigefinger, aber hart, klar und deutlich“, den Austausch zwischen West und Ost zu pflegen, im besten gesamteuropäischen Sinn, mit Geschichten aus Warschau und Zamość, aus Palermo und Rom, aus Charkiw und Odessa. „Blau lesen“ kann man solche polnischen Autoren wie: Miron Białoszewski, Stefan Chwin, Konrad Fiałkowski, Witold Gombrowicz, Rafał Kosik, Piotr Paziński und Piotr Szewc.

http://culture.pl/en/artist/tadeusz-rolke

Tadeusz Rolke, Simon Schama, WIR WAREN HIER. Verschwindende Spuren einer verschwundenen Kultur. Fotos von Tadeusz Rolke, Essays von Simon Schama. Mit einer Einleitung von Feliks Tych und Texten von Abraham Joshua Heschel, edition.fototapeta 2008

Berliner Ensemble
Theater am Schiffbauerdamm
Bertolt-Brecht-Platz 1, 10117 Berlin

Webseite

Andrzej Wirth

13. Berliner Ensemble - Theater am Schiffbauerdamm

Auf Einladung des Berliner Ensembles kommt von 1956 bis 1958 Andrzej Wirth nach Berlin. Es ist der Beginn einer einzigartigen Weltkarriere des bedeutenden Theaterwissenschaftlers, Theaterkritikers und Theatererneuerers. Andrzej Wirth, Jahrgang 1927, der polnische Migrant mit amerikanischem Pass und Wohnsitz in Berlin, promoviert in den 50er Jahren über Bertolt Brecht, übersetzt seine Theaterstücke ins Polnische und bemüht sich, Brechts episches Theater auf polnischen Bühnen zu etablieren. Als Student der Philosophie und Literatur übersetzt er, zum Teil zusammen mit seinem Freund Marcel Reich-Ranicki, im Nachkriegspolen Franz Kafka, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, den frühen Günter Grass ins Polnische. Ab 1958 wird Andrzej Wirth zu Tagungen der Gruppe 47 eingeladen. Er vermisst dort allerdings den polnischen Humor, das Interesse am literarischen Leben im Osten, und fühlt sich ein wenig "als Fremdkörper".
Wirth verfasst eine Anthologie des polnischen modernen Dramas, gilt neben Jan Kott er als einer der bedeutendsten europäischen Theaterkritiker. In den 60er Jahren bringt er die polnische Theateravantgarde von Stanisław Ignacy Witkiewicz, Witold Gombrowicz, Tadeusz Różewicz, Sławomir Mrożek bis Tadeusz Kantor und Jerzy Grotowski auf die deutschen Theaterbühnen.
Er übersetzt Peter Weiss ins Polnische und empfiehlt wiederum für die Uraufführung von „Marat/Sade“ im Berliner Schillertheater im April 1964 den polnischen Regisseur Konrad Swinarski. Die Inszenierung des „Entfesselungskünstlers“ wird als die "Aufführung des Jahres" und ein "Wunderwerk" bejubelt, damit wird Peter Weiss’ Drama zum Welterfolg.

1965 wird Andrzej Wirth von Walter Höllerer als Gastdozent an der Technischen Universität in Berlin eingeladen, Vorlesungen über "Wechselwirkungen zwischen deutscher und osteuropäischer Literatur" zu halten. Er reist dann in die USA aus, lehrt an amerikanischen und britischen Universitäten, kehrt mit amerikanischem Pass nach Deutschland zurück, gründet 1982 das Institut für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und leitet es bis zur seinen Emeritierung 1992. Er prägt den Begriff des Postdramatischen Theaters. René Pollesch, Moritz Rinke und Tim Staffel zählen zu den prominenten Absolventen des ATW. 2008 erhält er für sein Lebenswerk den ITI-Theaterpreis.

Andrzej Wirth, „Berlins letzter Dandy, Gentleman und Genius“ (Peter von Becker im Tagesspiegel), wohnt heute in Charlottenburg. Im April 2017 wurde er 90 Jahre alt.

Wirth publizierte auf Polnisch, Deutsch und Englisch zur polnischen und internationalen Theater- und Literaturgeschichte, sowie über die NS-Zeit und die Judenverfolgung in Polen:
Andrzej Wirth (Hrsg.): Modernes polnisches Theater. Neuwied u.a. 1967.
Andrzej Wirth, Flucht nach vorn. Gesprochene Autobiografie und Materialien, herausgegeben von Thomas Irmer, Spector Books, Leipzig 2013
http://www.tagesspiegel.de/kultur/andrzej-wirth-zum-90-berlins-letzter-dandy/19633116.html

https://www.welt.de/kultur/theater/article3275457/Wie-Andrzej-Wirth-Reich-Ranicki-bespitzeln-sollte.html
https://www.inst.uni-giessen.de/theater/de/institut/profil

https://www.youtube.com/watch?v=WFInoUHPfPU

Polnisches Institut Berlin
an der Museumsinsel
Burgstrasse 27
10178 Berlin


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14. Polnisches Institut Berlin

Das Polnische Institut Berlin ist eine Einrichtung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Polen und vermittelt seit seiner Gründung 1956 polnische Kunst und Kultur, Geschichte und Landeskunde in Form von Ausstellungen, Konzerten, Filmen, Literaturveranstaltungen, Theaterinszenierungen, Vorträgen, Diskussionen etc.