von Hannes Köhler
Hannes Köhler, geboren 1982 in Hamburg, lebt in Berlin und Barcelona. Im Frühjahr nächsten Jahres wird sein inzwischen vierter Roman mit dem Titel Zehn Bilder einer Liebe (Frankfurter Verlagsanstalt) herauskomen. Zuletzt erschienen sind 2021 der Roman Götterfunken (Ullstein, 2021) und der Essay SV Werder Bremen. Fußballfibel (Culturcon, 2023). 2023 ist seine Übersetzung aus dem Englischen des Erzählbandes Walking on Cowrie Shells von Nana Nkweti im Peter Hammer Verlag veröffentlicht worden.
Mirrianne Mahn
ISSA
Roman, Rowohlt Verlag, Hamburg 2024
Tatsächlich hatte ich, als die Anfrage kam, ob ich nicht eine Leselampe beisteuern möchte für Literaturport, zunächst ein ganz anderes Buch im Kopf. Aber dann begann ich Issa von Mirriane Mahn zu lesen und änderte sofort meine Meinung, obwohl ich gerade noch mittendrin stecke, nicht einmal weiß, was mich in der zweiten Hälfte des Romans noch erwartet.
Bevor ich zum Roman selbst komme, vielleicht noch zu meiner ganz persönlichen Vorgeschichte in der Lektüre: Vor etwa zehn Jahren begegnete mir in einer Joseph-Roth-Biografie erstmals ein Name: Andrea Manga-Bell. Ihre persönliche Geschichte faszinierte mich enorm, lenkte mich fort von Roth und hinein in die Familie Manga-Bell, nach Douala, Kamerun. Ich las Der gute Deutsche: Die Ermordung Manga Bells in Kamerun von Christian Bommarius und tauchte ein in die grausame deutsche Kolonialgeschichte in Afrika.
Jahre später begegnete mir Douala und Kamerun dann wieder, als ich mich in den Erzählband der kamerunisch-amerikanischen Autorin Nana Nkweti schockverliebte, mich an eine Übersetzung wagte und im Peter Hammer Verlag tatsächlich einen Verlag fand, der bereit war Walking on Cowrie Shells in Deutschland zu veröffentlichen. Bei der Frage nach einem Begleitwort – dem heute obligatorischen Blurb – empfahl mir eine befreundete Autorin, doch Mirriane Mahn zu fragen – in ihrem neuen Roman Issa ginge es schließlich um genau jene Region – Douala – aus der Nana Nkweti stammte. Und tatsächlich las Mirriane Mahn und gab der Übersetzung Über Muscheln laufen wunderbare Worte mit auf den Weg. Und selbstverständlich kaufte ich mir umgehend Issa. Und seitdem lag es auf dem Nachttisch, immer wieder wollte ich danach greifen, hatte aber eine diffuse Angst: Was, wenn mir der Roman nicht gefiel?
Als ich dann vor einer Woche endlich zu lesen begann, nachdem ich mich durch einen anderen Roman eher gekämpft hatte, zeigte sich von der ersten Seite an, dass meine Angst völlig unbegründet war.
Sofort saß ich mit der schwangeren Ich-Erzählerin Issa im Flieger nach Douala, spürte ihre Übelkeit, ihre Angst, ihre Sorgen, sofort hatte ich den klapprigen Toyota ihres Onkels George vor Augen, stolperte staunend hinein in diese Familie voller Cousins und Cousinen ohne jegliches Verwandtschaftsverhältnis, in der Issa nach Antworten sucht auf die Fragen, ob sie ihr Kind behalten möchte oder nicht, ob sie es mit dessen Vater großziehen möchte, vor allem aber auch jenen Fragen nach Herkunft, nach Zugehörigkeit und einem Zuhause.
Mirriane Mahn ist aber nicht nur eine wunderbar leichtfüßig erzählende, sondern auch im besten Sinne politische Autorin, und so wechseln sich die Kapitel aus der Perspektive Issas mit jenen, die, vom Beginn des 20. Jahrhunderts ausgehend, die Geschichte ihrer Familie erzählen, die exemplarisch gelesen werden kann für viele andere in Douala und der gesamten damaligen deutschen Kolonie Kamerun. Es sind Kapitel voller beiläufiger Brutalität und Trauer, in denen sich der Widerstandswille der Frauen aber immer wieder behauptet, gegen alle Gewalt. Und so habe ich vielleicht zu Beginn dieses Textes nicht die Wahrheit geschrieben, als ich sagte, ich wüsste nicht, was mich in der zweiten Hälfte des Romans erwartete. Ich bin sicher: ein wichtiger, mitreißender, auch immer wieder sehr komischer Roman voller Kraft, dessen Protagonistin (und deren Vorfahrinnen) ich so schnell sicher nicht vergessen werde.
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