von Julia Schoch
Julia Schoch, 1974 in Bad-Saarow geboren, wuchs in der mecklenburgischen Kleinstadt Eggesin am Oderhaff auf. Seit 1986 lebt sie in Potsdam, wo sie Abitur machte und Germanistik/ Romanistik studierte. Längere Zeit wohnte sie in Montpellier und Paris (Frankreich) und Bukarest (Rumänien). Sie arbeitete mehrere Jahre als Filmvorführerin in einem Potsdamer Kino. Später wurde sie dann wissenschaftliche Mitarbeiterin für französische Literatur an der Universität Potsdam. Seit 2003 ist sie freiberuflich als Schriftstellerin und Übersetzerin tätig.
Zuletzt veröffentlichte sie die Romane Das Vorkommnis, Das Liebespaar des Jahrhunderts und Wild nach einem wilden Traum als drei Bücher einer Trilogie, der die Autorin den Titel »Biographie einer Frau« (dtv Verlag, 2022-2025) gegeben hat. 2022 wurde ihr die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung verliehen, 2023 der Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen, 2024 der Mainzer Stadtschreiber-Literaturpreis.
Peter Kurzeck
Vorabend
Roman, Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. Main/ Basel 2011 (Neuauflage 2019: Schöffling Verlag)
Das alte Jahrhundert – so heißt das autobiografische Mammutprojekt von Peter Kurzeck, das sich sogar nach seinem Tod 2013 fortschreibt.
Vorabend ist der 5. Band. Und der dickste.
Frankfurt am Main zu Beginn der achtziger Jahre. Ein Vater, Peter, bringt Carina, seine vierjährige Tochter, zum Kinderladen, und nachmittags holt er sie wieder ab. Am Wochenende kommen Jürgen und Pascale, die Freunde, die in Südfrankreich ein Café eröffnen wollen. Es wird geredet, man erinnert sich, man erinnert sich an das Reden. Hier ergibt die enorme Länge eines Buches – immerhin 1000 Seiten – endlich mal Sinn. Kein Plot, keine Spannung, bloß Tag für Tag das Leben. Ich richte mich sofort ein, bin bei Peter Kurzeck zu Hause. Die Dachkammer. Diese Enge bei gleichzeitiger Gemütlichkeit. Platten hören, Wein trinken (oder mal wieder abstinent sein), am Samstag und Sonntag mit dem Kind in die Natur fahren, die Frau abends in Strumpfhosen, das Kind malt. Alltagsrituale. Was für ein großer Stoff. Straßenbahn statt Auto, Essen mit Freunden statt Restaurant. Kein Platz, kaum Geld, vor allem nie genug Zeit, und trotzdem diese Lebensfreude. (Wie sehr die beschriebene Welt der meiner Kindheit gleicht.) Über die Jugendlichen, die in der hessischen Provinz am Wochenende ihre Autos spazieren fahren, heißt es: „Lange nach dem Krieg geboren und kein Krieg in Sicht.“ Das ist es! Eine liebenswürdig-manische Art zu schauen. Voller Herzensgüte gegenüber allen Kreaturen (das Weltbild der Igel, wie großartig das Igelkapitel!). Eine Kritik an der Zerstörung einer alten, unserer Welt, die nicht argumentierend ist. Kurzeck erzählt in gewisser Weise unermüdlich vom Verschwinden, heiter und wehmütig zugleich. Man verlässt sein Universum als neuer Mensch – freundlicher, aufmerksamer, getrösteter.
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