Geistesblüten:
Ihre Hauptfigur „Jesko ist ein Freak, ein junger Modedesigner, der gerne Röcke trägt. Gesellschaftlichen Normen und Zwängen beugt er sich nicht.“ Die Welt ist in den letzten 18 Jahren bunter und vielfältiger geworden. Passt Jesko besser nach 2020?
Chris Kraus:
Seine Kleidung sicherlich. Also die Oberfläche. Die gilt inzwischen als hip. Sein Innerstes aber entzieht sich den Regeln der Gesellschaft. Das Paradigma von Rebellion ist heute stärker in den Kampf um Gendergerechtigkeit gewandert, als das um die Jahrtausendwende zu ahnen war. In „Scherbentanz“ geht es um eine völlig dysfunktionale, faschistoide, verlogene baltendeutsche Großbürgerfamilie, aus der Jesko auszubrechen versucht, indem er scheinbar gemütlich aufs Sterben wartet. Er lehnt sich mit Fatalität gegen die autoritären Strukturen auf, und über das Morbide wie auch das Androgyne kann er seine Sippe zur Weißglut bringen. Aber dennoch passt er in seinem schicken Herrenrock mit Blümchenmuster auch heute nicht besser in eine solche Familie als vor zwei Jahrzehnten. Mit seiner Art des Widerstands, nämlich Geschlechterrollen aufzulösen, surft er zwar geradezu perfekt mit im derzeitigen sozialen und politischen Diskurs. Da haben Sie schon recht. Ein großer Unterschied zu der teilweise aktivistisch aufgeladenen Bewegung von Transgender und Diversität ist jedoch, dass Jesko vor allem ein Taugenichts ist, zwar einer der passiv-aggressiven Sorte, aber ein Hänger de luxe, über den auch Eichendorff hätte schreiben können. Er entzieht sich allen Erwartungen, sicher auch allen Erwartungen, die das Jahr 2020 an ihn stellt.
Das ganze Interview finden Sie in unserem aktuellen Magazin Geistesblüten. Erhältlich am Berliner Walter-Benjamin-Platz und auf unserer Website geistesblueten.com
Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit dem Förderverein Buch
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