Arnold Maxwill

Vita

Die Biografie meiner Bücher ist rasch erzählt. Schaffe ich locker auf der Busrückfahrt über Werkstättentor. Alle drei Bände – Raumsch, KW und Noir – erschienen kurz hintereinander; drei Jahre zuvor erhielt ich für meine Gedichte drei Preise. Das steht, natürlich, in einem Zusammenhang.


Noir – eine große Sammlung vierzeiliger Texte, die sich mit dem Werk Pierre Soulages’ auseinandersetzt – wurde in der Edition Art Science veröffentlicht. Eine schwierige, eine langwierige Angelegenheit. Die Publikation im oberösterreichischen Kleinverlag war Bestandteil des mir verliehenen Feldkircher Lyrikpreises. Der wurde mir zugesprochen für den ebenso schlanken wie kryptischen Zyklus Date Paintings. Das Angebot zur Veröffentlichung in der Edition wollte ich zunächst ausschlagen, doch dann lockte mich diese Carte blanche. Das Soulages-Projekt war abgeschlossen, eigentlich hatte ich es nicht zur Publikation vorgesehen. Es war meine Spielwiese, eine Textwerkstatt. Doch wer, so meine Überlegung, bietet mir solch eine Gelegenheit in absehbarer Zeit noch einmal? Zudem war ich sehr eingenommen vom Engagement Erika Kronabitters; sie hält – mit langjährigen Wegbegleiter:innen – den Lyrikpreis am Laufen, kümmert sich, organisiert und hat ganz nebenbei ihre eigene schriftstellerische Arbeit im Blick. Der Band also wurde vereinbart, meine Datei rübergeschickt. Doch dann geschah lange nichts. Dann hakte ich beim Verleger nach. Und dann noch einmal. Dann endlich fing die Arbeit an. Und meine gestalterischen Vorstellungen wurden plötzlich erkannt. Und die Arbeit am Satz brach ab. Und die Kommunikation auch. Eine kluge Vermittlung Erikas brachte die Dinge nach Wochen wieder in Gang. Ich verabschiedete mich vom Irrwitz auktorialer Autonomie und ermahnte mich zu Pragmatismus. So zogen der notorisch unter Zeitmangel leidende Verleger und ich das Ding knirschend innerhalb eines Quartals durch. Zwei Jahre später erfuhr ich durch einen Freund, dass der Band nicht mehr erhältlich sei und Anfragen beim Verlag unbeantwortet blieben. Ich führe Noir bibliographisch weiterhin brav auf, doch im Grunde ist es ein erster missratener Pfannkuchen.


Wenige Monate darauf erschien KW, ebenfalls ein Langzyklus, diesmal eine Auseinandersetzung mit Ortschaft, Historie, mit inneren und äußeren Räumen, dem Nachspüren vom Körper in spezifischer Landschaft. Teils recht abstrakt – so lesen manche zumindest die 28 Gedichte –, doch sie sind mir bis heute lieb und nah. Und das liegt nicht nur an ihrer Produktion – es gab damals sehr viel Ruhe, Zeit, Gelassenheit –, sondern wohl auch an der Tatsache, dass ich mit ihnen zum Open Mike eingeladen wurde, ausgewählt von Daniela Seel. (Reto, Anja, Ulf und all die anderen waren mir zu anderen Zeitpunkten ein wichtiges Gespräch.) Zur Veröffentlichung in der kleinen edition roter faden kam es, nachdem ich den Förderpreis der Stadt Dortmund zugesprochen bekam, gemeinsam mit Ivette Vivien Kunkel (ich warte seit Jahren auf einen neuen Band). Auch hier: die Freiheiten recht groß. Ein Lektorat, wenngleich angekündigt, fand nicht statt. Denn das Herausgebergremium, mir seit einiger Zeit bekannt und durchaus verbunden, winkte die Texte durch, es ging gleich in die Buchproduktion. Dass ich keinen spendablen Rundumblick auf mein Schreiben erlaubte, sondern einen einzelnen Zyklus präsentierte, entsprach nicht ganz dem Konzept der Reihe, man nahm es gleichwohl hin, vielleicht ahnte der eine oder die andere bereits, wie dickköpfig A. Maxwill teils war. Und dann kam es zu Problemen im Satz. Ich hatte sehr konkrete Ideen, die ich dem Verleger und Setzer wie Anweisungen, ja Direktiven freundlich unter die Fingernägel trieb. Der arme Mann, der gute Kape. Irgendwann schrieb er mir eine ausführliche Mail, ebenso entnervt wie nachsichtig, ebenso bestimmt wie kompromissbereit. Und ich sah sogleich ein, was der Verlag in seiner Reihe für mich und meine Gedichte leisten konnte und was nicht. Erfreulicherweise musste ich allerdings bei meinen Wünschen kaum Abstriche machen, der alte Fuchs und clevere Setzer Klauspeter Sachau kriegte es genauso hin wie gedacht. Auch die Fotos kamen halbwegs gut im Druck. Dass ich auf dem Umschlag meine Fresse erblicken muss, war da ein akzeptabler Preis (der eigentliche Star im Bild ist jedoch der Hintergrund). Die Hefte der edition roter faden erscheinen in einer Auflage von zweihundert Stück, hundert gehen ans Dortmunder Literaturhaus, hundert an den Dichter. Und von diesem Stapel liegt knapp die Hälfte immer noch rum, inzwischen neben den Backformen – ein provisorischer Platz. Und vielleicht werden die Hefte da noch lange schlafen, vielleicht verschenke ich bei Gelegenheit mal wieder ein paar, ich denke kaum an sie. Aber den Sound dieser knapp dreißig Karten respektive Gedichte habe ich weiterhin gut im Ohr. Und immer, wenn ich das Literaturhaus betrete, sehe ich die andere Hälfte der Exemplare dort zu Ansicht und Kauf. Neben den übrigen Heften der Reihe sticht meins stark hervor, weil noch so viele vorhanden sind. Immer mal wieder denke ich darüber nach, den Stapel heimlich zu minimieren. Damit das offenkundige Desinteresse an KW nicht sogleich ins Auge springt. Ich Pelzflöte hätte natürlich auch einen klangvolleren Titel wählen dürfen. Aber Sturschädel Maxwill, so ist er nun mal. Und wer Interesse am Band hat, der oder die hat es tatsächlich schwer: Den Verlag gibt es inzwischen nicht mehr, das Literaturhaus und den Küchenschrank schon, aber dass dort Poesie rumliegt, wer ahnt das schon.


Einige Wochen nach KW erschien bereits Band Nummer drei, diesmal in der parasitenpresse: Raumsch. Das Beste an diesen Büchern, denke ich gelegentlich, sind vielleicht ihre Titel. Zumindest der jüngste ist mir weiterhin sehr lieb und nah. Raumsch also, ein Band mit zehn oder zwölf Zyklen – so genau erinnere ich das nicht –, der ein kleines Panorama zum Phänomen Abwesenheit aufmacht. Wie kam es zum Buch? Adrian Kasnitz, den ewig umtriebigen Kölner aus Sauer- und Ermland, kannte ich bereits länger, schaute aus der Distanz mit Wohlwollen auf alles, was so im Kleinverlag passiert, hätte mich selbst aber nicht als möglichen Teil des Programms gesehen. Er sprach mich an, machte eine Offerte. Denn: Ich hatte einen Preis erhalten, den Literaturpreis der GWK, der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit. Eingereicht hatte ich meinen Dortmund-Zyklus, korrekter Titel: verschränktes Gelände. Und Adrian saß damals in der Jury. Die Kreise im Lyrikbetrieb sind wirklich eng und klein, Befangenheit winkt von jeder zweiten Schnur. Die Texte also gefielen ihm, da witterte er mehr. Hinzu kam – es sei nicht verschwiegen –, dass mit dem Preis, verliehen mit Susannes blitzgescheiter Laudatio (die ich in der Aufregung allenfalls halb kapierte), die Aufnahme in ein Förderprogramm verbunden war: Druckkostenzuschuss, na klar. Und den gab es dann auch. Für Raumsch. Wofür ich wie auch Verlag sehr dankbar waren. Doch die fünfzehn Gedichte aus verschränktes Gelände tauchten im Band später nicht auf. Ich habe bis heute keinen meiner Zyklen, für die ich einen Preis erhielt – München, Feldkirch, Dortmund, Münster – in einem meiner Bücher untergebracht. So seltsam bin ich. So konsequent. Denn die prämierten Gedichte sind für mich – krude Denke – damit bereits (ver)öffentlich(t). Für mich ist die Sache dann erledigt. Ich habe den Kram geschrieben, hab ihn eingereicht, ich habe bei der feierlichen Verleihung daraus vorgetragen und Merkenswertes seitens der Jury vernommen, dem nachgelauscht. Doch dann ging es, geht es weiter. Und jetzt auch hier im Text. Mit der Zusammenstellung für Raumsch tat ich mich schwer. Das führte zum dämlichsten Kompromiss überhaupt: Ich nahm mehr Texte auf als gut. Der Band wuchs und wuchs. Und der Verleger intervenierte nicht. Seltsam. Jahre später erwähnte er in einem Nebensatz, dass zumindest dieser eine Mini-Zyklus im Band nichts verloren habe. Nein, er formulierte es freundlicher: vielleicht nicht ganz so gut aufgehoben sei. Weshalb aber nicht die Konfrontation im Vorfeld? Scheute er sie? Ist so monströs mein Kopf, so streng die Stirn? Es mangelte an einer offeneren Kommunikation. Und sicherlich, da besteht kein Zweifel, habe ich nicht unbedingt große Zugänglichkeit signalisiert. Doch das kam, neben meiner wilden Bestimmtheit, auch aus einer gewissen Unsicherheit. Denn was mich bei Raumsch nun erstmals bedrängte: Es gab plötzlich eine Erwartungshaltung, auch einen offiziellen Vertrag, und damit ging es auch um Geld, um die Auflagenhöhe, die Fördersumme, mögliche Rezensenten. Alles Fragen, die für mich vorher nie eine Rolle spielten, für dich auch nicht verantwortlich sein mag. Ich schreibe Gedichte, die Vermarktung überlasse ich dir. Oder dir. Egal wem. Jedem und jeder, die halbwegs sympathisch und integer wirkt. Aber mein Job ist es nicht, ich habe wirklich anderes zu tun. Dinge, die ich mag, vermag, denen ich verpflichtet bin. Irgendwann ging es um die Frage, ob nicht wer etwas für den Klappentext beisteuern könnte; ich geriet in ein Gestrüpp, die Zwänge einer Ökonomie der Aufmerksamkeit hatten mich gepackt. Über all das wollte ich jedoch nicht denken, weder vor noch nach. Was Teh Lehmkuhl oder Beh Tröger mit Raumsch anstellen: egal, will ich im Vorfeld nicht wissen, geschweige denn planen, belastet mich nur. Wer’s mag, mag’s. Und wer’s mir schreibt, erfreut mein Herz. Aber ansonsten will ich vom betrieblichen Gesumm nicht belästigt werden. Ich brauche ein unbeschwertes Gehen nach vorn. Mit Strunkeln und Straucheln. Ohne hektischen Seitenblick. Der Band erschien, Foto und Klappentext sagten mir zu: kamen ja – genau – schließlich aus meinem Bau. Wie oft wurde er verkauft? Der Verleger klingt auf Nachfrage optimistisch, die Erstauflage gehe in den nächsten paar Jahren schon irgendwie raus. Möge dem so sein. Ich wünsch dem Bändchen alles Gute. Raumsch geht vor Ramsch, da waren Adrian und Arnold sich stets einig. Nur tut der liebe Autor für den Abverkauf nicht viel. Behandelt den Band bei Lesungen nahezu nebensächlich. Präsentiert lieber neues Material. Selbst bei der Premierenfeier in Köln konnte ich’s nicht lassen. Denn ich bin ja stets schon weiter, die Texte im Band für mich furchtbar (k)alt. Die Leute haben ein Anrecht auf Karma Police, stimmt, aber Raumsch verzichtet aus statischen Gründen auf einen stabilen Hit, somit sind alle poetischen Rubbelbilder gleichermaßen alufolienfrisch. Für die Buchpremiere mag ich Adrian K. dennoch die Augen küssen, der Typ ist einfach urklug und lieb. Weil mich in Köln kaum keiner kennt, war der große Zauber als Doppellesung mit dem stets so nahbar-unkomplizierten Christoph Danne angelegt. Und der hatte mit seinem Kreis aus Freundinnen und Gefährten den kompletten Saal gefüllt. Ein warmer Abend, ein wohlwollendes Publikum. Christoph musste im Anschluss viel signieren, während ich mit Adrian bereits beim Bier war. An eben dem musste der Verleger sich auch ein wenig festhalten, denn von Raumsch verkaufte sich an dem Abend exakt ein Exemplar. Aber sein westfälisches Gemüt ließ keine große Unruhe oder Sorge zu. Dass ich Wochen später tatsächlich die Hälfte der Eintrittsgelder erhielt, empfand ich als Schwindel, aber nahm das Geld sehr gern, das päppelte die Steuererklärung des freiberuflichen Lektors auf. Michael Braun blieb von unseren Klappentextavancen verschont, doch kam er ein halbes Jahr nach Erscheinen doch noch ins Spiel. Eine Besprechung hatte er in Aussicht gestellt, wohl auch aus Sympathie (und die beruhte auf Gegenseitigkeit; mir hätte eine private Rückmeldung in der Sache völlig ausgereicht). Bei den großen Zeitschriften und Zeitungen bekam Michael sie nicht unter. Dafür ist Maxwill nicht bekannt genug, dafür ist Dortmund zu wenig Berlin. Sie erschien dann irgendwann im Internet, bei den geschätzten Kollegen der Signaturen, im Forum für autonome Poesie (das früher für mich so wichtig war und das ich inzwischen leider kaum noch lese). Sein Ärger über die nicht gelungene Platzierung führte bei mir zur näheren Beschäftigung mit seiner Berufsbiografie, ebenso mit der spürbaren Spanne zwischen Zugewandtheit, Textbegeisterung und seiner galligen, teils missmutigen Abgeklärtheit gegenüber dem Betrieb. (Ach Michael, du fehlst.)

Würdigung

Arnold Maxwill schreibt irritierende und spröde, in freirhythmischen Versgruppen zu je drei Zeilen äußerlich fest gefügte Gedichte. Sie prägt eine Haltung der Distanz und Rationalität sowie ein spezifischer, analytisch-objektivierender Blick und ein eigenständiger, bei starkem Einsatz der lautlich-musikalischen Mittel der Sprache doch immer sachlich-nüchterner Ton. Unter dem Obertitel verschränktes Gelände nimmt der Lyriker in der Gedichtserie, mit der er sich um den GWK-Förderpreis beworben hat, das aktuelle Dortmunder Stadtgebiet ins Visier: einzelne Straßenzüge, Wohnsiedlungen, Brachflächen, ein Areal ehemaliger Schwerindustrie, Parks, den renaturierten Flusslauf der Emscher, den Dortmund-Ems-Kanal oder eine innerstädtische Naturschutzzone –, kartierte Orte großstädtisch transformierter Natur oder von Flora und Fauna durchzogener Zivilisation. Die Gedichtüberschriften nennen das jeweils anvisierte Gelände bei seinem Namen. Prominent in der Gedichtüberschrift »Hoeschlektüre«, aber auch in den Texten selbst, nennt der Autor das, was er mit seinen Versen tut, »Lektüre«: Er liest das »verschränkte Gelände« dort draußen, sein Gedicht ist eine Lektüre der Außenwelt, nicht deren bloß dokumentarisches Abbild in gewöhnlicher Sprache, sondern deren deutende Transformation. Entsprechend sind die benannten Dortmunder Orte im Text auch nicht wiedererkennbar. In poetologischer Lesart wird durch die Überschrift »Hoeschlektüre« jedes Gedicht selbst zu einem »verschränkten Gelände«, das »Lektüren« im Sinne des Autors fordert. Arnold Maxwill rekurriert mit dem Wort »Lektüre« und in mit diesem verwandten Signifikanten auf geschichtlich wirkmächtige Ideen. Er ruft mit ihm den christlich-romantischen Topos von der Lesbarkeit der Welt auf bzw. das Konzept einer Sprache oder Schrift der Natur. Danach wohnt den Naturdingen eine aus dem göttlichen Logos fließende Sprache inne, die sich in ihrem Äußeren als oder wie eine Schrift artikuliert und dadurch das innerste Wesen der Dinge objektiv offenbart. Sie ist Voraussetzung und Grundlage der menschlichen Sprache und muss von den Menschen, die qua Lektüre ins Innerste der Welt einzudringen hoffen, gehört und gelesen und in Menschensprache übersetzt werden. Diese Hoffnung allerdings erfüllt sich, selbst für die Inspirierten, nie. Andernorts bringt Maxwill Verwandtes, Säkulares, ins Spiel: die alchemistische Signaturenlehre, die besagt, dass sich in seinen äußeren Merkmalen, »Signaturen«, das substantielle, innere Wesen eines Dings offenbart und sich in ihnen sein innerer Zusammenhang mit anderen Naturdingen sowie seine Wirkung auf diese ausdrückt. Auch die Signaturen müssen von Kundigen gelesen werden. Doch der Lyriker bezieht sich auf diese logozentrischen Konzepte, die auf dem Dualismus von Innen und Außen, Kern und Gehäuse, eigentlichem Wesen und kontingenter Erscheinung, beruhen und bis in die Moderne die Naturlyrik durchdrangen, um ihnen abzusagen – und dennoch die Tradition zugleich fortzuschreiben aus der aufgeklärten Perspektive des Städters des 21. Jahrhunderts. Denn eine subjektivistische Ausdrucks- oder Erlebnislyrik, die die Außenwelt vollkommen in das ›lyrische Ich‹ hineinzieht, lehnt er durch den evidenten Rekurs auf die »Lektüre«-Tradition implizit gleichfalls ab. In und aus seinen Gedichten ist, versteht man sie poetologisch, zu lesen, dass für den Dichter Arnold Maxwill seine Lektüre des Dortmunder Geländes »eine Art / von Abbruchmanagement« ist, »abgezuppt & anarchistisch« (Gebietsentwicklung), Dekonstruktion der Tradition und als solche »Gebietsentwicklung« im Gelände der Lyrik. Seine »Lektüren« lesen, beziehen sich auf sinnlich erfassbare Oberflächen, Sichtbares und Hörbares. Analytisch, an den heutigen Methoden und der Sprache der Naturwissenschaft geschult, durch die Reflexionen der Linguistik und Philosophie, durch die Literatur und die Literaturgeschichte hindurchgegangen und gewiss im Wissen um das schwermütige Scheitern der Kollegen, die vordem im vormodern-hermeneutischen Sinn die Welt lasen, entwickelt der Dortmunder Dichter seinen ganz eigenen Ansatz, den selbst »Konzept« zu nennen er jedoch zurückweist. Er legt »Sichtfelder« im Gelände fest und übersetzt diese ins Gedicht in einer ihm eigentümlichen, abstrakten, Strukturen, Elemente, Zusammenhänge und Bewegungen, bisweilen objektale Konstruktionen nüchtern, hart bis schroff und nominal benennenden Sprache. Im Gedicht reflektiert er zudem den Wahrnehmungsvorgang als solchen, als ein unauflösliches Ineinander, ein »verschränktes Gelände«, von komplexen, bei allen Menschen gleichen, physiologischen Prozessen und kulturell-einzelsprachlich vermittelten Operationen, die von den konkreten Gegebenheiten von Subjekt und Objekt abstrahieren (»Roggen für jede Retina«). Doch wird durch dieses Vorgehen nicht ein Inneres geleugnet, die Welt und das Ich überhaupt auf Oberflächen und bloße Physis reduziert, die äußere Natur und der Mensch selbst auf ein manipuliertes »Gelände«. Arnold Maxwill scheint vielmehr ein unsagbares freies Inneres und eine freie Natur negativ abzustecken und in seinem Gegenteil Zeichen dieses Anderen auszumachen, eines äußeren »offenen Geländes« (Auf dem Brink) und eines natürlichen Innenraums: »so / bleibt der Innenraum schön unmarkiert« (Bereitschaftsfläche). Hier und da scheinen in seinen Texten, auch im Wortfeld des Fließens, mit der Möglichkeit, dass sich alle Sichtfelder durch das deregulierende und anarchische Wirken der Natur, die auch der Mensch ist, ändern und mit der subjektiven Möglichkeit auch des Dichters, all seine Sichtfelder zu re-vidieren –, hier und da scheinen in seinen Gedichten die ‚Verschränkungen‘ sich zu lösen und sie selbst sich und die Lesenden zu öffnen auf das, was damit als das Schönste erkennbar wird. So schließt Hoeschlektüre offen und ohne Punkt: »was sich meldet trotz Schorf & / Schrunden: Sanftheit; feuchte Re- / visionen. – Unterkunft, innerhalb« (Susanne Schulte, Laudatio, 2016)


»Arnold Maxwill ist ein eigenwilliger Sprachspieler, dessen Texte gern auch einmal sperrig daher kommen, sodass man sie überlisten muss, wenn man mit ihnen Freundschaft schließen will.« (Das kleinste Poesiefestival der Welt)


»Es hat mir gefallen, aber ich habe nichts verstanden.« (Anonym)


»Das ist lustig.« (Häuptling Hunger)

Aktuelles

Arnold Maxwill, geb. 1984 am Niederrhein, lebt und arbeitet in Dortmund. Mehrere Einladungen zum Open Mike. Für seine Gedichte erhielt er u.a. den GWK-Förderpreis, Feldkircher Lyrikpreis und Lyrikpreis München. Bislang erschienen die Gedichtbände Raumsch, KW und Noir, zuletzt die Notate Kaschk.

Werk

Einträge im Register der Literaturzeitschriften

sonstige Werke

Geräteschuppen, unaufgeräumt


ganz umstandslos verirren.


Schreiben, das meint Schnüffeln, Wühlen, Horten. Und Bewegung.


erst einmal ist alles verfügbar. (nur ein Ideal, natürlich)


sich merken, wo das Zögern beginnt.


vor Jahren mal die Frage nach meinem Geschreibsel. (und, ja, das gefiel mir ausgesprochen gut)


auch als Lesender ist man ja im Gespräch.


Schreiben ist unbedingt auch Nichtschreiben, aufgeschobenes, angehaltenes, unterbrochenes Schreiben.


Intensität, die immer auch ins Abseitige geht, der Mühe bedarf.


Was ich will, ist mit zwei Sätzen zu sagen: Ich möchte meinen Texten gegenüber ein Töpfegucker bleiben. Wie der zweite Satz lauten soll, überlege ich mir noch.


leuchtende Pullover.


Das Gedicht darf bitte erst einmal rein, meinetwegen die Schuhe aus, dann gern aufs Sofa. Es muss sich nicht eigens vorstellen. Das Gedicht bekommt eine Schorle, einen Kakao. Und jeder voreiligen Erklärung, ausufernden Anekdote ist eh zu misstrauen.


erst in der Wiederholung öffnest du; du wirst Zeit brauchen.


Nachdem die Änderung der Änderung rückgängig gemacht wurde: den Bleistift aus der Hand.


ab und zu die Zügel schießen lassen.


In dieser Folge steht die langsame Wanderung der Socken vom Schlafzimmer ins Badezimmer im Mittelpunkt.


Das seien Brühwürfel, was ich da mache, sagt D. nach Lektüre, lachend.


wie gefährdet das Schreiben durch Abbruch, Stottern, Aufschub, Schlingern ist. (und wie sehr dieses vermeintliche Misslingen heilsam ist)


und immer wieder folgender Satz: es hat mir gut gefallen, aber ich habe (leider) nichts verstanden.


durch das Schreiben verwildert.


Das Gedicht will zeugen, nicht Transportmittel sein, nicht Zwischengeschoss.


und schon bin ich in einem anderen Zusammenhang.


der Text ist ein Tiger. (sofern er keine Zahnschmerzen hat)


nicht jeder Überschuss muss kleingekaut werden.


Verlangen nach Fächerung, Mutation.


wohl kaum etwas unzuverlässiger als das Reden über eigene Gedichte.


dass ich immer langsamer werde.


Einer kommt ins Buch und möchte gekrault werden. Das Buch, je nach Perspektive Kontrahent oder Kombattant in dieser Phase, hat aber nur ein Gedicht, zumal ein vermeintlich schwieriges, an der Hand. In der Annäherung und Absicht des einen stecken mehr halbpräzise Bedürfnisse: Es geht nicht darum, unterhalten zu werden; es sind Wünsche, die auch etwas enthalten, was sich auf Unmögliches richtet. Zugleich aber ist die wohl ebenso starke Lust, ein Gedicht zu schreiben, hier nach mehrwöchiger Praxis materialisiert; es steckt durchaus Mühe darin. Was tun?


Das Schreiben macht dich offener. Gieriger, neugieriger. Es macht zornig oder vorsichtiger, skeptisch. Es fördert Unruhe. Und Nachsicht, Zärtlichkeit.


Möglichkeitsraum, aufgeribbelte Fasern.


und immer wieder: nein, das ist kein Fehler, keine Nachlässigkeit.


Überblendungen, Ersetzungen; Permutation, Kombination.


diese Gegenden ohne Geländer.


Kunst, d.i. entscheiden (aber natürlich auch Taumel, Verstrickung etc.)


muss das Gedicht immer perfekt sein?


verzweigtes Feld, kommunizierende Röhren.


mein froher Grund: den 27. September gibt’s mehrmals im Jahr.


Was ist das Gedicht? ein Tiger? ein Turnschuh, ein Mobile? ein Feuchtbiotop mit integrierter Grillstation? Lasst uns, so dröhnen Nebenzimmer, konkreter senken: Strömungen, Konflikte. Überzeugt diese Lautfolge? ist dies die angemessene Struktur? gibt’s Nebelkerzen? welche Knieschoner verstecken sich denn hier?


Sieben, Prüfen, Warten.


Könntest du den Dachs übernehmen?


Sondierungen; sehr offene Hefte.


Du denkst Dir so Wörter aus, grinst die Musikerin mich während der Probe an.


beschädigt sein.


das Recht auf einen Baum vorm Fenster.


ich wiederhole mich: Distanz und Exploration.


finden weitere Schwebstoffe sich.


Konstellationen | Gravitationen


Adi Preißler sagt: Entscheidend is aufm Platz.


Bin ich nun Mitglied einer Turnfraktion?


das alles später nochmals genauer betrachten.


oder ist der Hase etwa im Ganzen falsch?


Den Marathon schaut sich das Gedicht vom Fenster aus an.


ach Verstehen. (als ob es abseits dieser Schneise nicht ebenfalls Pfade gäbe)


In der Küche hängt eine kleine Fotografie von Heinrich Böll, Merten im März 1985, aufgenommen wenige Monate vor seinem Tod. Erschöpfter Autor am Arbeitstisch. Was mich schon vor zwölf Jahren in diesem Bild am meisten erschrak: die zentrale Position des Telefonapparats.


jaja, natürlich Abgrenzung (das alte System mit Schal).


es wohnen Wulkower Füchse in mir.

Zuletzt durch Arnold Maxwill aktualisiert: 25.01.2025

Literaturport ID: 3097