Erhard Stocker, 1951 geboren und in Luzern (Schweiz) wohnhaft, hat 1984 die Übersetzer- und Dolmetscherschule an der Universität Genf abgeschlossen. Danach arbeitete er als freiberuflicher Übersetzer für verschiedene internationale Organisationen. Von 1987 bis 2016 arbeitete er als Übersetzer in der schweizerischen Bundesverwaltung und in der Bundesversammlung. Er schreibt erzählende Prosa und ist Mitglied des Verbandes "Autorinnen und Autoren der Schweiz“ (AdS). 2006 ist mit "Marienseide" sein erster, 2023 mit "Nachtfalters Tagtraum" sein zweiter Roman erschienen.
MARIENSEIDE: Der novellistische Roman dreht sich um ein traumatisches Kindheitserlebnis des fünfjährigen Beda. In verschiedenen Erzählperspektiven, die sich zunehmend miteinander verweben und zu einem Ganzen fügen, werden die Zusammenhänge eines Unheils entschlüsselt, das seit Bedas früher Kindheit wie ein dunkler Schatten auf ihm liegt. Mit 19 begegnet er Mariena, der Tochter eines Fahrenden. Sie versucht, Licht in diese Dunkelheit zu bringen, denn sie allein besitzt den Schlüssel zu seinem vergessenen Kindheitserlebnis. Doch Beda, Opfer seiner früheren Verdrängungen, verbarrikadiert sich mehr und mehr, denn seine Erinnerungen sind zugedeckt von Scham und vermeintlicher Schuld. Den geschichtlichen Rahmen von „Marienseide“ bilden die Fahrendenverfolgung in der Schweiz und der Ungarnaufstand 1956.
NACHTFALTERS TAGTRAUM handelt von einem jungen Wehrmachtssoldaten, der im November 1944 wegen angeblicher Fahnenflucht zum Tod durch Erschiessen verurteilt wird. Er entkommt der Exekution und flüchtet mit einem gefälschten Pass von Österreich in die Schweiz. Hier angekommen, nimmt er wieder seine richtige Identität an, doch die fremde bleibt an ihm haften – in der Gestalt von drei anderen Geflüchteten, die in Zürich seinen Weg kreuzen: ein geistig umnachteter älterer Herr und seine beiden Begleiterinnen, die alle aus Rumänien kommen und mit dem ursprünglichen Inhaber des gefälschten Passes in einer unheilvollen Beziehung stehen. Deren Geschichte führt uns von Czernowitz in der einstigen Donaumonarchie über ein abgeschiedenes Karpatendorf bis in ein Lager in der deutschbesetzten Ukraine, einer der finstersten Winkel Europas im Zweiten Weltkrieg.