von Kathrin Schrocke
Kathrin Schrocke, 1975 in Augsburg geboren, lebt heute in Essen. Sie studierte Germanistik- und Psychologie und arbeitete im Anschluss einige Jahre als Pressereferentin im Verlagswesen und als Dozentin in der Erwachsenenbildung. Seit 2008 schreibt sie hauptberuflich, vor allem realistische Jugendromane. Sie entwicklet außerdem in Kooperation mit interdisziplinären Teams therapeutische Bilderbücher zu Themen wie PTBS, moral injury oder Entwicklungstraumata für verschiedene Auftraggeber. Zuletzt sind von ihr im Mixtvision Verlag die Jugendromane Freak City (2025) und Weiße Tränen (2024) erschienen. 2025 war Kathrin Schrocke für den Preis der Jungen Literaturhäuser nominiert.
Behzad Karim Khani
Als wir Schwäne waren
(Roman), Hanser Berlin, 2024.
Dieses Buch ist wie eine Umarmung, die unversehens zum Klammergriff wird. Selten zuvor wurden poetische Sprache und Gewaltdarstellungen derart gekonnt miteinander verwoben, selten zuvor hat mich ein Text derart berührt. Behzad Karim Khani, geboren im Iran, floh als Zehnjähriger mit seinen Eltern nach Deutschland, um in eine abgehängte Siedlung nach Bochum zu ziehen. Genau so wie der Ich-Erzähler seines autobiografisch gefärbten Romans Als wir Schwäne waren. Eine Insel ist die Siedlung, von der es kein Entkommen gibt. Ein Ort, der auf einen fällt wie ein Parasitenbaum. Dieser Baum aber wurzelt in der Luft, seine Äste graben sich in den Menschen wie in Erde. Aber das begreifen Autor wie Erzähler erst im Laufe dieser bedrückend-schönen Geschichte. Die Sätze sind atmosphärisch, ins Mark gehend brutal und so metaphernreich, dass einem die Lektüre zuweilen den Atem nimmt. Deutschland, das ist die neu erhoffte Heimat, die sich der liebevoll gezeichneten iranischen Familie bis zuletzt verschließt. Der Junge aber erschließt sie sich seinerseits durch ihre entlarvenden Redewendungen und Eigenheiten. Ein Land ist das, in dem man erst den Hund grüßt, dann den Besitzer. Ein Land, in dem der Ausspruch „Du bist Gast hier!“ eine Drohung ist. Mit derart scharfen Beobachtungen hangelt er sich an Eckpfeilern seiner Kindheit und Jugend entlang. Betrachtet zärtlich seine Eltern: Den Vater, dessen selbstgeschriebene Gedichtbände im Keller verrotten und der ohne zu lamentieren Taxi fährt. Er hat sich in würdevolles Schweigen geflüchtet. Den Widerstand gegen die neue Heimat, die ihm keinen passenden Platz zuweist, erkennt man indirekt in seiner Weigerung, deutsche Schuhe zu tragen. Diese Schuhe sitzen nicht! Er lässt sich welche aus dem Iran zuschicken. Die Mutter in ihren jugendlichen Karottenjeans, die vor Begeisterung glüht, als sie mit dem Sohn wohlvertraute Kornelkirschen erntet. Die Schilderungen an seine alte Kinderclique, die im Keller einen Ninja-Club gründet, sich im Sinneschärfen übt, Vogellaute imitiert und das Laufen in der Luft perfektioniert (bis sich einer das Fußgelenk bricht), sind bei all der Tristesse des prekären Wohnblocksettings, unfassbar leicht und unfassbar lustig. Später ist der Erzähler einer von nur zwei migrantischen Schülern am Gymnasium. Von der türkischen Mitschülerin distanziert er sich rasch: „Es ist einfacher der eine Ausländer zu sein, als einer der Ausländer, glaube ich. Zusammen könnten wir etwas ergeben, das ich vielleicht nicht kontrollieren kann“, so seine treffende Analyse. Und das ist dann auch der rote Faden durchs Buch: Dieses nicht wirklich angenommen werden in diesem Land, in dem „Geiz ist geil!“ das Leitmotto ist und Ausländer für allezeit Ausländer bleiben. Die vielleicht berührendste unter zahlreichen bemerkenswerten Szenen ist die, als der kindliche Erzähler eine unangenehme Situation in der Bäckerei erlebt. Ein neuer Nachbar, Mitglied einer Roma-Familie, bedient sich im Service-Bereich hemmungslos an der Kondensmilch, bis sich die Verkäuferin darüber beschwert. Daraufhin bespuckt der Mann laut schimpfend die Scheibe. „So was hätte es früher auch nicht gegeben“, sagt die Bäckerin streng – und der Junge, der die gleiche Verwirrung spürt wie sie, fühlt sich sofort in Kollektivhaft genommen. Kauft in seiner Verlegenheit bei ihr das deutscheste Brot überhaupt, um später rätselnd mit seinen Eltern um den steinharten Roggenklotz herumzustehen.
Das Buch ist unversöhnlich, am Ende verlassen die Eltern das Land. Auch der inzwischen erwachsene Ich-Erzähler ist auf der Suche nach einem Ort anderswo. Deutschland, das bleibt für ihn eine Land gewordene Narbe. Das Monster, das alles um sich herum zu töten versucht hat und jetzt in der Ecke sitzt und sich ritzt. Solche Bilder sind verstörend und originell. Mich haben sie mitgerissen, zum nachdenken gebracht, berührt und bewegt. Von der Literaturkritik wurde das Buch enorm gefeiert, aber auch abgelehnt. Manche fanden es zu kitschig, was vermutlich am westlich geprägten Blick der Beurteilenden liegt. Die persische Sprache, geistiger Nährboden des Autors, schätzt und kultiviert blumige Bilder. Andere bemängeln den durchgängigen Hass des Erzählers. Aber wie Behzad Karim Khani selbst lakonisch im Text vermerkt: „Ich habe so viel Hass gesehen. Für so viel weniger. Ich habe Hass gesehen ohne Not. Ohne Ekel. Hass, der eine Entscheidung war.“ Behzad Karim Khanis Hass ist das Ergebnis endloser Ausgrenzungen, Abwertungen und Geringschätzungen. Sein Roman ein zu Poesie gewordener Protest. Für mich eines der besten Bücher des vergangenen Jahres.
Mehr Informationen