Luis Stabauer

Lesung 2020 aus "Brüchige Zeiten"
© Clemens Franke

Steckbrief

Pseudonym: Luis
geboren am: 28.7.1950
geboren in: Seewalchen/Oberösterreich
lebt in: Wien, Penzing

Kontakt: Gusenleithnergasse 9/24, 1140 Wien

Vita

Luis Stabauer, geboren 1950 in Seewalchen am Attersee, lebt als freier Schriftsteller in Wien und Seewalchen. Er hat zwei Töchter und zwei Enkelkinder.
Als Zeit- und Welt-Reisender beschäftigt er sich hauptsächlich mit Menschen und deren gesellschaftspolitischen Bezugsrahmen in Europa und Lateinamerika.

Er schreibt Prosa und Lyrik und ist Mitglied der IG AutorInnen, der Grazer Autoren/Autorinnen Versammlung, von Buch13, bei Podium Literatur und Literatur Famulus.
1950 – 1964: Kindheit am Attersee, OÖ, Vater Briefträger, Mutter Gastwirtin
1964 – 1968: Lehre zum Fernmeldetechniker in Graz
1968 – 1973: Realgymnasium für Berufstätige in Linz
1973 – 1976: Studium „Sozialwirtschaft“ (nicht abgeschlossen)
1976 – 1993: Personalvertreter und später leitende Tätigkeiten in der Telekom Austria
1980 – 1993: Unter anderem: Mitglied der Sprechergruppe der Friedensbewegung in OÖ und Ö, Aufbau einer Erzeuger- Verbrauchergenossenschaft, Leiter der Renner Institutes OÖ, Vortragender in der Gewerkschaftsschule zur Geschichte der Arbeitnehmer Oberösterreichs
1993 – 1995 (und vier Monate Zweiteinsatz 1997/1998): Entwicklungsprojekt mit Telekomgewerkschafter*innen in El Salvador (Aufbau einer Gewerkschaftsschule)
1998 – 2003: Abteilungsleitung, sowie Projekt- und Programmleitungen im Konzern der Telekom Austria
2004 – 2017: Systemische Ausbildungen, Selbständiger Berater, Trainer, Konfliktbegleiter, Coach und Aufstellungsleiter
2001 – derzeit: Beschäftigung mit Literatur, Realisierung von zwei Fachbüchern mit Romanteilen, einer Biografie, vier Romanen und eines Lyrik Bandes
2018/2019: Arbeitsstipendium von der Kulturabteilung des Landes Oberösterreich für den Roman „Brüchige Zeiten“.

Literarische Aktivitäten:
Seit 2009 Lesungen aus eigenen Werken in Deutschland und Österreich.
Seit 2014 Begleitung von Autor*innen, einzeln und in Gruppenfeedbacks.
Seit 2019 Organisator und Moderator von Caféhaus-Lesungen.
2011/2012 absolvierte er die Akademie für Literatur in Leonding (Oberösterreich).
2019 die inhaltlich anschließende master class.
Zusätzliche Prosa-, Drama und Lyrik Schreibwerkstätten in Österreich.
Mitbegründer der Literaturgruppe Textmotor in Wien (aktiv von 2014 bis 2020).
Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Vereins „Literatur Famulus“.

Würdigung

BINDEWORTE
kleine poetische revolten: zur lyrik von luis stabauer
silvia waltl


Der Theatermacher, Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan lässt am Ende seines Stückes über Friedrich Zawrel die den Protagonisten verkörpernde Puppe in einem Gespräch mit Schülerinnen und Schülern das Gedicht Was geschieht von Erich Fried zitieren:

Darum geschieht nichts dagegen
und darum ist nichts geschehen
und geschieht nach wie vor
und wird weiter geschehen.

Das Gedicht ist, wie viele Werke Frieds, vor allem in Zusammenhang mit der von Habjan erzählten Geschichte, trotz seines resignativen und pessimistischen Ausklangs ein eindringlicher Appell an zukünftige Generationen, eine Wiederholung vergangener Geschehnisse nicht zuzulassen. Vorweggenommene zukünftige Ereignisse, die auf dem Boden vergangenen Geschehens keinem und wachsen und diesen Keim potenziell in die Zukunft weitertragen, sind Utopien. Eine Utopie ist kein Fantasiegespinst; sie entsteht nicht aus einem mit futuristischen Visionen befassten Kopf, sondern ist gewissermaßen bereits ein Faktum der Gegenwart. Vor dem Hintergrund aktueller Geschehnisse, die uns unaufhörlich Tag für Tag in die Timelines unserer sozialen Medien gespült werden,
wirken diese Warnungen fast schon wie zu Tode wiederholte, verblassende Plattitüden, denen durch Abstumpfung die Spitzen genommen wurden.

Wir befinden uns im Jänner 2020, fast auf den Tag genau im Jahr 75 nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, ein Umstand, an den uns zahlreiche Medienberichte und die Übertragungen von Festakten, Gedenkveranstaltungen und Politikerreden dieser Tage unausweichlich erinnern. Dieses Erinnern hat einen scharfen Haken - es findet vor dem Hintergrund einer globalen Entwicklung statt, von der politisch alerte Zeitgenossen meinen, sie würde eben genau in diese Richtung wieder gehen. Somit wächst die Gefahr, dass dieses Erinnern zu einer regelmäßig politisch eingemahnten, rituell vollzogenen leeren Geste wird und stattdessen das Vergessen an seine Stelle tritt.

„Ein Denkmal gegen das Vergessen dieser Zeit“ nennt Habjan den 2018 bei Hollitzer erschienenen, mehr als 450 Seiten starken Roman Die Weißen von Luis Stabauer. Der Autor hat sich in seinem großen erzählenden Werk mit den Ereignissen rund um die NS-Machtergreifung anhand des Schicksals einer Wiener Familie auseinandersetzt. Nur so ist dieses Geschehen überhaupt literarisch begreifbar zu machen, indem es heruntergebrochen wird von der großen, alles erdrückenden motivischen Ebene auf jene des persönlichen Narrativs, des einzelnen Figurenschicksals.
In Luis Stabauers Werk findet sich eine große Hinwendung zum Widerspruch. im Sinne von: Widersprechen - und zum Widerstand – im Sinne von: Wider-Stehen, die Position bewahren - , zum Schicksal derjenigen, die sich in den (inneren, äußeren, organisierten) Widerstand begeben haben – gegen politische Systeme, Bedrohungen, Zwänge, gegen das Wegschauen und Schweigen, gegen das Wiederholen und Weitermachen, gegen das Vergessen.
Die Motivik des Widerstands findet sich in Luis Stabauers erzählendem, wie auch in seinem poetischen Werk. Sein Erzählwerk ist zum einen geprägt von der Auseinandersetzung des Autors mit seiner Familiengeschichte - wie dies beispielsweise eindrucksvoll in dem Episodenroman Atterwellen (Resistenz 2015, Hollitzer 2017) belegt ist, welcher nicht nur seine Herkunft vom Attersee, wo sich noch immer das Schreib-Refugium des Autors befindet, thematisiert, sondern auch Tagebuchaufzeichnungen aus seinem nächsten familiären Umfeld erzählerisch transformiert.

Zum anderen ist Luis Stabauers literarisches Werk auch immer eine Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte des Landes, aus dem er stammt und in dem er lebt – schlussendlich aber auch mit den historischen, politischen, kulturellen und sozialen Entwicklungen jener Länder, zu denen er schon früh eine Affinität ausgeprägt hat, vor allem jenen der spanischsprachigen Welt, im Speziellen Lateinamerikas und vor allem in Zusammenhang mit den Friedensbewegungen.
Luis Stabauers Literatur zieht Kreise, die sich in der Ferne verlaufen, um schließlich wieder zurück- und enggeführt zu werden. Seine Literatur trägt sich zu vor dem Hintergrund globaler politischer und sozialer Entwicklungen und Ereignisse an einem Ende, und läuft zurück in die Intimität von Beziehungen, zum menschlichen Miteinander auf der gesellschaftlichen Mikroebene am anderen Ende. Sie ist gleichermaßen ein lautes Rufen, ein - wenn man so will und von derlei Reizworten noch nicht genug hat, Aufschrei, - wie ein zärtliches Flüstern, gleichermaßen ein raumgreifendes Ausholen mit Gesten der Empörung und Ermahnung, wie eine stille Umarmung zwischen zwei Menschen in der Abgeschlossenheit eines Raumes.
In Luis Stabauers Werk trifft das Persönliche auf das Politische. Dabei wird nichts gegeneinander ausgespielt, nichts von alldem scheint einander zu widerlegen; vielmehr ist es ein schlüssiges Ineinander und Miteinander, das Aufzeigen des Mikrokosmos im Makrokosmos und umgekehrt.

Sein neuestes literarisches Projekt ist ein Lyrikband, der als Titel das erstaunlich simpel wirkende, letzten Endes aber doch so komplexe und vieles aussagende Bindewort UND trägt.
Das Wort UND ist als Bindewort oder Konjunktion eines der am häufigsten verwendeten Funktionsworte in der deutschen Sprache. Es ist der Kitt zwischen den Begriffen. Die Präsenz oder Absenz des UND hat das Potenzial, alles an einem Satz und seiner Aussage zu ändern. Sein Vorhandensein entscheidet über Haltbarkeit oder Auseinanderfallen sprachlicher und semantischer Systeme.

Die Funktion des UND ist eine additive: Es fügt hinzu, reichert an, zählt auf, sammelt, hortet, vermehrt. Ein Ich wird mit einem Du zu einer Beziehung erweitert, mit mehreren Dus zu einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft. Ein Wir kann überhaupt nur unter Mitwirkung eines UND zustande kommen.
Martin Buber spricht in seinem Hauptwerk Das Dialogische Prinzip in vom Grundwort Ich-Du:

Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden.
Die Einsammlung und Verschmelzung zum ganzen Wesen kann nie durch mich,
kann nie ohne mich geschehen.
Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.
                              
            (Martin Buber: Das dialogische Prinzip. Gütersloher
                                                 Verlagshaus 1999. S. 79)

Das Ich, welches über das UND in Verbindung mit dem Du tritt, ist aber mehr als das Einzelelement einer Gleichung oder Formel. Es ist immer auch die Manifestation einer kleinen Revolte. Es ließe sich argumentieren, dass in Zeiten großer politischer Unrast und Aufwühlung der Rückzug in die Privatheit und Intimität persönlicher Beziehungen eine Art von Eskapismus im Sinne eines biedermeierlichen Cocoonings darstellt. In Wahrheit ist jedoch jede Beziehungsentscheidung zugleich auch ein kleiner, nach außen wirkender revolutionärer Akt, gewissermaßen eine Blaupause für andere revolutionäre Akte. Zwei Menschen, die eine Beziehung eingehen, stellen eine Revolte im Kleinen dar. Daran ist nichts zeitgemäß oder cool in Zeiten marktwirtschaftlich orientierter Selbst- und Leistungsoptimierung, die auch vor medial geformten und geforderten Beziehungsidealen nicht Halt macht.
Beziehung ist ein radikaler Akt, das UND somit das radikalste aller Bindeworte, denn es vermag, gleichzeitig Kraft, Antrieb, Dynamik und Energie, aber auch Intimität, Zuwendung und Zärtlichkeit zu verkörpern. Es verbindet das Innen mit dem Außen, das Ich oder auch Wir mit der Welt.

von außen nach innen
verzweiflung und wut
vertreiben mit mut
revolte beginnen              
nur du und ich

(„nur du und ich“)

Im erzählenden Text hat das UND die Aufgabe, den Plot voranzutreiben, Dynamik herzustellen, Motive miteinander zu verbinden, einen dramaturgischen Baustein auf den anderen zu setzen, Figurenschicksale zu bewegen, sei es linear oder, im Sinne von Peripetien, in unterschiedliche, häufig nicht erwartbare Richtungen. Ohne dieses UND gibt es in der Erzählung kein Weiterkommen. Das UND stellt den bereits exponierten Figuren einer Handlung neue Figuren zur Seite, welche, je nach Haltung, als Helfer oder Antagonisten in Erscheinung treten können. Das UND öffnet die Türen und Fenster zu neuen narrativen Räumen, schickt die handelnden Figuren in dunkle Gänge, über enge Treppen, auf verstaubte Dachböden oder in spinnwebenverhangene Keller, wo sie sich selbst begegnen oder Teilen ihrer abgestellten, weggeräumten, zurückgelassenen, ihrer vergangenen Persönlichkeiten gegenübertreten. Das UND führt die Figur durch die Raumfluchten der eigenen Biografie, sammelt auf, was ihr unterwegs begegnet, sagt ihr: Das bist du. Und das. Und das. Und das auch.

Es ist eine interessante Erkenntnis, dass das kleine Wort UND, das so eine wichtige Rolle in der Dramaturgie erzählender Textsorten spielt, in der Lyrik häufig, wenn explizit genannt, als störend, redundant oder Zeichen sprachlicher Überbestimmung wahrgenommen wird – kurz: als redundantes Füllwort. In Luis
Stabauers Gedichten kommt diesem UND eine bestenfalls implizit motivische Funktion zu. Selten direkt ausgesprochen in den Texten, ist doch jedes einzelne Gedicht von diesem kleinen Bindewort zutiefst geprägt, trägt den eindeutigen Stempel des UND, ohne dass das Wort selbst irgendwo störend im Weg herumstehen und den Fluss der Worte oder Bilder in den Gedichten aufhalten würde.

Die Themen von Luis Stabauers Gedichten tragen den Kern des UND, seine verbindenden Funktion in sich – sei es in jenen Texten, die sich gegen das Vergessen vergangener Schrecklichkeiten wenden, jenen, die sich mit den Missständen und dem Unbehagen gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwicklungen auseinandersetzen, oder eben jenen, welche die kleinen revolutionären Akte zwischenmenschlicher Beziehungen zum Thema haben. Es ist dieses UND, welches sehr treffend als Titel für die Gedichtsammlung gewählt wurde, welches das laute Rufen mit dem leisen Flüstern, die große Geste des „Empört euch!“ mit der kleinstmöglichen Handbewegung zwischen zwei Liebenden und die zur Faust geballte Hand mit dem zum Handschlag ausgestreckten oder zur Umarmung einladenden Arm verbindet.

Während ich dieses Vorwort für Luis Stabauer schreibe, dringt die Welt über die Radionachrichten in diese Worte, zwängt sich zwischen die Buchstaben und versucht, sie auseinander zu drängen, um Platz zu schaffen für das Tosen des Außen im Innen. Es sind Meldungen über Spaltung, Trennung, Zerschlagung, Polarisierung und Auflösung. Es sind Meldungen über die Widerlegung, die Antithese des UND. Meldungen, die von jenen berichten, die das UND für eine gefährliche Macht halten, seine Halterungen durchtrennen wollen, die danach trachten, durch das UND miteinander verknüpften Segmente voneinander loszulösen und zu isolieren.
Meldungen, unter denen die drei ausgesetzten, schützenswerten Buchstaben dieses kleinen Bindewortes nicht nur erzittern, sondern zu zerbrechen, zu zerfallen, sich in Staub und Asche aufzulösen drohen.

Mit gefällt die Vorstellung eines Wortes als geformter, gebildeter Text und der Schreibenden als plastische Künstler, die ihr Material aus einem unförmigen Klumpen Lehm oder Ton formen, indem sie entweder etwas hinzugeben oder etwas wegnehmen. Am Ende stehen die Buchstaben als ursprünglich voneinander unabhängige und abgetrennte Objekte in der Zeile eines Textes und fügen sich durch die Gemeinschaft mit anderen, sie umgebenden Worten zu einem stimmigen Ganzen. Die einzelnen Elemente wirken, weil sie zusammenwirken.

Das UND ist mehr als eine Verbindung von U und N und D; es besteht aus zwei zur Schale geformten Händen, in denen sich das Regenwasser sammelt, der Tau oder auch die Tränen. Eine Schale, die einen Durstigen tränken und einen Hungrigen mit Nahrung versorgen kann. Es besteht aus einem aufgerichteten Zaun, der seiner eigentlichen Funktion, nämlich der Abgrenzung und Trennung, enthoben wurde, und nun sein ausrangiertes Dasein auf einem Spielplatz zubringen darf, wo Kinder sich an ihm hochziehen und gleichzeitig sein abfallendes Mittelstück als Rutsche benutzen können. Es besteht aus einem festen, aber dennoch weichen Kissen, das uns auch im Ruhen und Schlafen daran erinnert, dass wir einen Körper haben, auf den es aufzupassen gilt, dass wir atmen und leben; ein Kissen, das uns Geborgenheit, Wärme, Schutz aber auch Stabilität und Festigkeit schenkt. Das sind die drei Buchstaben des UND: Eine Schale, ein Spielzeug, ein Polster.

Lyrik ist die elementare Erfahrung im und am Medium Sprache. Erzählungen entstehen aus den Geschichten, die ihnen zugrunde liegen und welche durch die der Erzählung innewohnenden dramaturgischen Mittel dargestellt und narrativ vermittelt werden sollen. Das Gedicht hingegen besteht vordergründig aus dem Wort. Im Gedicht spricht, wie Heidegger sagt, die Sprache selbst. Das Gedicht hinterfragt sich selbst in Form seiner einzelnen Bausteine und Elemente, es ist kritisch sich selbst gegenüber, es stellt seine Worte nacheinander ins Licht, um sie auf ihre Tauglichkeit und Zulässigkeit – oder auch: Zuverlässigkeit - zu durchleuchten. Im Gedicht wird das Wort unhintergehbar. Der Blick verschiebt sich von der vermeintlichen Neutralität und Harmlosigkeit des Wortes hin zum Schwergewicht und zum mitunter doppelbödigen, hintergründigen Konstrukt:

macht
ohnmacht
ohne macht
ohnmacht macht
ohnmacht ohne uns
macht ohnmacht uns
macht ohnmacht macht
ohne uns macht macht
macht uns ohnmacht
macht uns macht
macht macht
uns ohne
macht

(„ohnmacht“)

Brechts Auffassung zufolge muss Lyrik anwendbar sein, eine zum Gebrauch
geeignete Kunstform. Mit diesem Paradigma der Zweckdichtung lässt sich auch Luis Stabauers Zugang zur Lyrik, der sich der Autor erst in späteren Jahren zu widmen begonnen hat, definieren. Dort, wo Metaphern nicht hinreichen oder den Blick verstellen würden, greift Luis Stabauer gerne auf minimalistische Formen wie das Haiku zurück, die neben ihrer Kürze auch eine besondere formale Strenge aufweisen, sodass der lyrische Gedanke durch die Form bei aller Direktheit der Aussage gewahrt bleibt:

südwind mit hoffnung
meere als tiefe zäune
tote durch luxus

Hier wirkt jeder Vers wie ein Schlag. Das Haiku stellt die Reduktion eines Themas auf sein Wesentliches dar und dem Autor nur so viele Worte zur Verfügung, wie unbedingt notwendig sind, um das auszudrücken, was gesagt werden soll. Damit geht auch der eigentlich grundlegend lyrische Gedanke einher, dass jedes über das Gesagte hinaus gehende Wort eines zu viel, also überflüssig wäre.
In Luis Stabauers neuen Gedichten findet keine plakative Sachverhaltsdarstellung statt, die der poetischen Idee widerspricht. Stattdessen ergeben sich Synergien: Die Texte überbrücken die Divergenz zwischen dem offen und direkt ausgesprochenen Politischem und Sozialkritischem und dem Anspruch, trotz allem noch eine poetische Stimme hörbar zu machen, die sich mit einem Minimalvorrat an Metaphorik zu behelfen weiß und dennoch die Form der Lyrik wahren kann. In seinen Beziehungsgedichten scheint mir dieses anfänglich als schwierig wahrgenommene Unterfangen, das Politische mit dem Poetischen zu verbinden, mehr als gelungen, wobei der Beziehungsbegriff – ausgehend vom Konzept des so wirkmächtigen kleinen UND – hier auf allen Ebenen zum Tragen kommt. In den Gedichten meldet eine mitunter sehr laute neben einer sehr leisen Stimme zu Wort; beiden wohnt dieselbe Kraft inne.

Luis Stabauer ist jemand, dessen Zeitgenossenschaft ich sehr schätze und dessen weitreichende Augen- und Ohrenzeugenschaft in vielen Belangen eine große Bereicherung für alle darstellen, die ihn kennen. Er ist, nicht nur von Berufswegen, ein Kommunikator, ein vehement WIR-affiner Dialogbegeisterter. Einer, für den das Gespräch nie aufhört.

In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch.

Zuletzt durch Luis Stabauer aktualisiert: 08.01.2021

Literaturport ID: 3206