Wolfgang Berends, geboren am 21.11.1966, wendet sich nach Schule und Zivildienst zunächst technischen Berufen zu und arbeitet als gelernter Fein- und Elektromechaniker. Seit 2004 ist er Bibliothekar der Stiftung Lyrik Kabinett.
Für den Dichter Berends, der zunächst in Zeitschriften (Babel, außer.dem, Signum etc.) und inzwischen mit zwei Gedichtbänden vertreten ist – Erdabstoßung (Stadtlichterpresse 2010) und Nach Durchsicht der Wolken (Stadtlichterpresse 2016), beide mit Graphiken von Heike Küster –, führt die erwähnte berufliche Umorientierung vor allem zu zweierlei: zu einer unerbittlich selbstkritischen Haltung, mit der Berends sich jede Epigonalität gegenüber anderen lyrischen Stimmen verbietet – und dazu, dass sein eigenes Schreiben in der öffentlichen Wahrnehmung leider oft als Folge seines Berufs angesehen und marginalisiert wird. Neben eigenen Gedichten, die zunehmend auch in Anthologien namhafter Verlage gewürdigt werden (Prestel, Hanser), ist Berends mit Übersetzungen aus dem Englischen, als Rezensent und in Ausstellungen mit Lyrik-Installationen hervorgetreten.
Berends lebt als Vater dreier Kinder mit seiner Lebenspartnerin in München.
Dr. Pia-Elisabeth Leuschner
Berends‘ Schreiben lässt sich als ein Projekt geistiger Freiheit verstehen (als motiviere gerade seine eingehende Kenntnis mechanischer Abläufe – und ein akutes Ungenügen an dem, was aus ihnen erklärt werden kann – seine Hinwendung zur Lyrik). Er verwirft und überschreitet eingefahrene Sprachmechanismen – mittels systematisch eingesetzter Vieldeutigkeiten, Paradoxien, Formen der Negation und spannungsreichen Verkantungen von Stilregistern und Sprachbildern – und schafft so für seinen Sprecher eine Position, die es ihm erlaubt, auf Mechanismen menschlichen oder gesellschaftlichen Verhaltens aus dieser Distanz kritisch zu reflektieren (nicht zuletzt den Literaturbetrieb, den er mitunter sarkastisch satirisiert). Als Chiffre für diese zu erreichende Freiheit steht immer wieder der Tanz.
Die bislang aufschlussreichste Charakterisierung seines Schreibens bietet Daniella Jancsó in dem Nachwort zu Erdabstoßung („Wie viel Freiheit lässt der freie Fall?“, S. 124-130). Jancsó zitiert dort als zentrales Anliegen des Dichters, „das Ineinandergreifen von inneren und äußeren Landschaften zu erkunden, um den Triebfedern menschlichen Handelns auf die Spur zu kommen“ (S. 127).
Da sich aber Berends‘ Gedichte nicht entfernt Strömungen von Landschafts- oder Naturlyrik subsumieren lassen, ist es sinnvoll, ‚Landschaft‘ im Hinblick auf sein Werk als jenen Grenzbereich zu begreifen, in dem sich die menschliche Perspektive auf die Natur legt und sich ihrer bemächtigt. In dieser Sichtweise markieren und symbolisieren Worte wie Stein, Vogel, Gras, Berg, Hügel etc., die in seinen Gedichten motivisch wiederkehren, v.a. jenes radikal Unverfügbare der Natur, aus dem auch der Mensch stammt, das ihn prägt und das er – obwohl es seine Lebensgrundlage ist – zerstört, ohne es je begriffen zu haben oder begreifen zu können. Berends‘ Gedichte nehmen diese Unverfügbarkeit und den Geheimnis-Wert der Natur ernst und zugleich wahr, indem sie ihn keiner vorgeformten Sprachlogik unterwerfen, sondern ihn sich in all seiner Fremdheit als Inspiration widerfahren lassen.
Dabei bilden andere lyrische Stimmen (u.a. von Johannes Bobrowski, Inger Christensen, Nils-Aslak Valkeapää) für Berends durchaus Orientierungspunkte, aber er entwickelt aus ihnen eine im deutschsprachigen Gegenwartspanorama singuläre Diktion, die letztlich bei keiner Tradition – von Literatur, Logik, Religion, Weltanschauung oder Philosophie – Rückhalt oder Obdach sucht.
So lassen seine Gedichte eine der zentralen Definitionen von Poesie in der Moderne zur Erfahrung werden: ‚eine Form des Sprachgebrauchs, die deshalb bereichernd und in ihrem Sinnpotential unverzichtbar ist, weil sie auf nichts anderes in der Kultur reduzibel ist‘.
Dr. Pia-Elisabeth Leuschner
„Von Glas und Nichts“ Lesung im Rahmen eines Doppelten Horizonts am Dienstag, dem 18. Oktober 2022, um 19:00 Uhr, zusammen mit Àxel Sanjosé und moderiert von Karin Fellner im Lyrik Kabinett München, Amalienstr. 83a, 80799 München
„lautenlos“ Lesung im Begleitprogramm der artbook.berlin am Samstag, dem 19. November 2022, um 17:00 Uhr, im Kunstquartier Bethanien am Mariannenplatz, Berlin / Kreuzberg.