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Heimat- und Mundartliteratur

Informationen

Literaturangabe:

Walther, Peter
Märkische Dichterlandschaft. Ein historischer Literaturführer durch die Mark Brandenburg, Stuttgart 1998

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Heimat- und Mundartliteratur

Heimat- und Mundartliteratur

Das Genre der Heimatdichtung im 19. Jahrhunderts, dessen märkische Variante hier mit wenigen Beispielen vorgestellt werden soll, ist ein Kind der patriotischen Bewegung nach 1806. Vorreiter und einer der Protagonisten dieser Bewegung war Friedrich Ludwig („Turnvater“) Jahn (1778-1852), der in Lanz in der Prignitz geboren wurde. Seine erste Veröffentlichung galt der „Beförderung des Patriotismus im Preußischen Reiche“ (1800). Eher nüchtern-bieder ist dagegen der Ton des „Freienwalder Hans Sachs“, wie Fontane den Heimatdichter Karl Weise (1813-1888) nannte. Weise lebte seit 1848 in Freienwalde am Rande des nördlichen Oderbruchs. Hier hat er die stillen Freuden des Handwerks und die Schönheit der Landschaft in schlichten Versen besungen. In seine Fußstapfen als Heimatdichter trat Gustav Schüler (1868-1938), der wie Weise als Lehrer in Freienwalde gewirkt hat und mit stimmungsvoller Naturlyrik hervorgetreten ist. Auch Anna Karbe (1852-1875), die Heimat- und Kirchenlieddichterin, brachte einige Jahre in Freienwalde zu.

Seit 1881 war Julius Dörr (1850-1930) Leiter der örtlichen Sparkasse, ein Amt, das er über vier Jahrzehnte ausfüllte. Der Sparkassendirektor, der aus Prenzlau stammt, hat in uckermärkischer Mundart (Teile des Romans „De Göderschlächter“, 1888) und in hochdeutscher Sprache geschrieben. Während sein Freienwalder Mitbürger Gustav Schüler 1914 „Deutsche Kriegslieder“ herausgab, notierte Dörr:

Nun schafft der Krieg mehr als genug
Mir hochgebildeten Besuch
Die Fäulnis in der Oberschicht
Kommt allerliebst ans Tageslicht (...)

Die ganze Suite und Elite
Beehren mich mit der Visite
Sie kommen, ganze Trupps und Schwärme
Und bitten um gelinde Wärme.

In der Prignitz sammelten sich einige Mundartautoren um die plattdeutsche Monatsschrift „De Eekbom“, so etwa Karl Post und Paul Wernicke. Gleichfalls in Priegnitzer Mundart schrieben Hermann Graebke (1833-1909) und der in Pritzwalk lebende Eisenbahnarbeiter Johann Jenkel (1851-nach 1915). In Joachimsthal in der Schorfheide wirkte seit den 30er Jahren Friedrich Brunold (1811-1894) als Lehrer. Brunold, dessen Balladen wie „Das Wunder von Zehdenick“ oder „Das Mitteltor zu Prenzlau“ zum Bleibenden in der Heimatliteratur der Mark gehören, hatte während seiner Ausbildung in Berlin Kontakt zu den Romantikern bekommen. Wie schon vor ihm Schmidt von Werneuchen, so verteidigt auch Brudold seine Entscheidung für das Leben in der Provinz in einem Gedicht („Den Freunden“):

Was fraget ihr mich täglich:
Wirst du denn nicht satt,
Zu leben in dem Städtchen,
Das nichts des Schönen hat?

Und hörest nie Konzerte,
Und Schauspiel hast du nicht –
Wie kannst du dort nur leben,
Je schaffen ein Gedicht? (...)

Und ebenso wie Schmidt hält Brunold den Vorzügen urbaner Zivilisation die verborgene Schönheit der Natur entgegen:

Den Höhenrauch, den Nebel
Durchbricht der Sonne Schein!
Der See glänzt morgengolden –
Sollt´ es kein Schauspiel sein?

Und wenn nun abends wieder
Mondlicht durch Wolken bricht,
Die Bäume leise rauschen –
Ist es nicht ein Gedicht?

Max Lindow (1875-1950), der Mundartdichter aus Fahrenwalde, hat seine Ausbildung als Lehrer in Joachimsthal absolviert. Er schrieb neben historischen Dramen, Lustspielen und Kurzprosa auch Gedichte in uckermärkischer Mundart:

Heidsee

Van färn – so sacht – een Klockenschlag!
De Sunn gung still to Roh.
Ganz liesen möckt de leewe Dag
De möden Ogen to.
Nu liggt de See in d´ Heid so still,
Mit Ogen, blog und wiet;
´t is grod, as ow he drömen will
Von oltvergohn´ne Tied!
De Bläder in den Eekenbom
Un in de Strük an´n See,
De tuscheln lies´, du hörst et kum,
De Segg von Zwerg und Fee.
Süss is ´t in d´ Heid so still, so still –
Un twischen Busch un Bom
Is ´t grod, as ow keen stören will
Den See in sinen Drom.

„Dir gilt mein Singen, o Spreewaldland,/ Smaragdene Perle im märkischen Sand“ dichtete Ewald Müller (1826-1932), der Lehrer und Volkskundler aus Cottbus. Neben solch euphorischer Anrufung seiner Heimat („O Spreewalddom“) hat Müller Gedichte geschrieben, in denen das Leben der Spreewaldbewohner, die Landschaft in den verschiedenen Jahreszeiten und die wendische Vorgeschichte der Gegend poetisch Gestalt annehmen. Das Lob des Ländlich-Schlichten im Vergleich zur Naturferne oder gar Verdorbenheit der städtischen Lebensweise ist in zahlreichen Gedichten der Heimatliteratur zu finden. Ebenso häufig wird die Kargheit des Landes, das seine Bewohner nur mühsam ernährt, gegen die Schönheit südlicher Landschaften in Schutz genommen. Gerade in der vermeintlichen Armut lägen die wirklichen Reize der Landschaft verborgen, die jedoch nur dem Eingeweihten aufgingen: „Drum schweig´ ich Mark, von deinen Reizen still/ Nur heimlich lächelnd, anstatt sie zu neiden,/ Die ihren Blick an Fels und Meere weiden,/ Die ich mit dir doch nicht vertauschen will“ dichtete Helene von Hülsen.

Die Palette der Ausdrucksformen in der märkischen Heimatdichtung reicht von unfreiwillig-komischer Reimerei (Anna Platow: „Wieder komm´ ich zu dir,/ Meine märkische Heide;/ Freundlich lächelst du mir,/ wir verstehen uns beide“) und pseudo-poetischer Überhöhung (ein Aar gleitet über rauschende Föhren, ein Nachen schwimmt auf dem stillen See) über die Nacherzählung von Sagenmotiven in Balladen (einige der schönsten stammen von August Kopisch) bis hin zu den poetischen Bekenntnissen eines Fontane, eines Richard Dehmel oder einer Ina Seidel. Dehmel (1863-1920) war in Hermsdorf (bei Märkisch-Buchholz) als Sohn eines Försters aufgewachsen und ist 1891 mit einem ersten Gedichtband an die Öffentlichkeit getreten. Im Gedicht „Lied an meinen Sohn“ klingen Erinnerungen an seine Kindheit im Försterhaus an:

„Der Sturm behorcht mein Vaterhaus
mein Herz klopft in die Nacht hinaus,
laut; so erwacht´ ich vom Gebraus
des Forstes schon als Kind“

Am Ende des Jahrhunderts galt der Mitbegründer der Kunstzeitschrift „Pan“ und Freund Detlev von Liliencrons als einer der bedeutendsten deutschen Lyriker. Freilich war Dehmels Popularität stark zeitgebunden, nach seinem Tod ist sein Werk schnell in Vergessenheit geraten.

In Eberswalde lebten von 1914-1923 Heinrich Wolfgang Seidel (1876-1945), Sohn des Schriftstellers Heinrich Seidel („Leberecht Hühnchen“), und Ina Seidel (1885-1974). Deren gemeinsamer Sohn Georg (Christian Ferber) hat 1979 unter dem Pseudonym Simon Glas die Geschichte dieser Schriftstellerfamilie aufgezeichnet („Die Seidels“). Ina Seidel, nachmals Erfolgsautorin in der jungen Bundesrepublik, hat in ihrer Eberswalder Zeit Lyrik in neoromantischem Stil geschrieben, die nicht frei von Blut-und-Boden-Metaphern war und früh Eingang in die Schulbücher gefunden hat: („Das Land sind wir“)

(...)
Geschlechter starben und sanken in dich hinab,
der Väter heiliger Staub durchschichtet dicht gut:
Und unser Blut quillt golden aus ihrem Grab.
Land, wir sind eins, verschmolzen in Fleisch und Blut.

Für politischen Wirbel hatte ein bereits 1923 von Gustav Büchsenschütz gedichtetes Lied gesorgt. Das über die Wandervogel-Bewegung schnell populär gewordene „Märkische Heide, märkischer Sand“, ein eher schlichtes Zeugnis der Heimatliebe, war von der in der „Systemzeit“ verbotenen SA aufgegriffen worden: Anlaß genug für die Kommunisten, im Brandenburgischen Landtag 1930 die Abschaffung des Landeswappens mit dem roten Adler zu fordern. Das heute wieder populäre Lied markiert für Brandenburg den Endpunkt des Genres „Heimatliteratur“, das in seinen Entstehungs- und Verbreitungsbedingungen weitgehend an die Zeit vor dem letzten Weltkrieg gebunden war.

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