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Liebenberg unter Friedrich Leopold von Hertefeld. 1790 bis 1816

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Literaturangabe:

Fontane, Theodor
Fünf Schlösser. Altes und Neues aus Mark Brandenburg, Berlin 1889

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Liebenberg unter Friedrich Leopold von Hertefeld. 1790 bis 1816

Liebenberg unter Friedrich Leopold von Hertefeld. 1790 bis 1816

Friedrich Leopold von Hertefeld, geboren 1741, stand bereits in seinem fünfzigsten Lebensjahre, als er den Familienbesitz, mit alleiniger Ausnahme von Häsen und Guten-Germendorf, ererbte.

Er war 1759 bei den Gensdarmes eingetreten, also in dasselbe Regiment, in dem sein Vater während des Ersten Schlesischen Krieges gestanden, und hatte die Schlachten bei Liegnitz und Torgau mitgemacht. Er fand aber, worüber er sich in späteren Jahren oftmals äußerte, wenig Gefallen am Dienst und nahm bereits 1765 den Abschied, um, auf Wunsch des damals noch in Liebenberg weilenden Vaters, die Bewirtschaftung der rheinischen Güter zu übernehmen.

Einige Jahre später vermählte er sich, wie sein Großvater, der Oberjägermeister Samuel von Hertefeld, mit einer Wylich (Hermine Luise), aus welcher Ehe ihm eine Tochter geboren wurde: Alexandrine, spätere Gräfin Danckelmann.

Das war 1774. Bald darauf erfolgte seine Ernennung zum Landrat des Cleveschen Kreises, welche Stellung er, bei Ausbruch der Französischen Revolution, noch innehatte.

Ziemlich um ebendiese Zeit beginnen auch die dieser biographischen Skizze zugrunde liegenden Briefe.

Die große Zahl derselben eröffnet ein schwarzgerändertes Schreiben vom Weihnachtstage 1790, worin seitens des Schreibers Friedrich Leopold von H. der Frau Justizminister von Danckelmann, geborene von Bredow, das Ableben des alten Ludwig Casimir von Hertefeld in einer allerrespektvollsten Anzeige gemeldet wird. Zugleich aber begegnen wir in einer Nachschrift der Versicherung: »Monsieur votre fils trouvera ici une réception comme le peut attendre le fils de parents, que nous aimons et honorons«, und sind, in Erinnerung an diese Nachschrift, nicht weiter überrascht, einige Monate später von der Verlobung des jungen Danckelmann mit der eben erst siebzehnjährigen Alexandrine von Hertefeld zu hören. Abermals ein Jahr später erfolgt dann die Trauung des jungen Paares, und zwar in der Liebenberger Kirche, Mark Brandenburg, wohin sich die Hertefelds vom Rhein, die Danckelmanns von Schlesien aus zu kurzem Aufenthalte begeben hatten.

Es scheint fast, daß schon bei dieser Familienbegegnung ein Übersiedlungsplan ins Märkische gefaßt wurde, aber seine Ausführung unterblieb, und erst als zwei Jahre später das ganze linke Rheinufer unter französische Herrschaft gekommen war, legte der sehr antifranzösische Friedrich Leopold von Hertefeld sein Landratsamt nieder und schrieb unterm 5. November 94: »Wenn die politischen Verhältnisse sich nicht sehr bald ändern, so werd ich, unmittelbar nach der Wiederherstellung meiner Frau, den Rhein aufgeben und mich in Liebenberg wenigstens versuchsweise niederlassen.« Das »unmittelbar nach Wiederherstellung meiner Frau« bezog sich auf ein um ebendiese Zeit eingetretenes, freudiges und kaum noch erhofftes Ereignis: ein Sohn war dem Hause geboren worden (gerade zwanzig Jahre später als die schon verheiratete Tochter), und wirklich, wenige Monate nach der als Bedingung gestellten »Wiederherstellung« erfolgte, Juni 1795, der angekündigte Versuch einer Übersiedlung.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß aus diesem »Versuche« schon damals ein dauernder Aufenthalt geworden wäre, wenn nicht der unerwartete Tod der Frau von Hertefeld alle darauf gerichteten Pläne wieder gekreuzt hätte. Frau von H. starb an einer rasch in Schwindsucht übergehenden Lungenaffektion im Frühjahre 1797 und wurde, wenige Tage später, von ihrer Berliner Stadtwohnung aus, nach Liebenberg übergeführt, um in der dortigen Gruft unter der Kirche beigesetzt zu werden. Ihr Tod erschütterte den Gatten tief, und er schrieb unterm 8. April an seine Tochter Alexandrine: »Deine lieben Zeilen haben mich bereits hier in Liebenberg getroffen, in dessen Abgeschiedenheit ich heimischer bin als in der großen Stadt. Anfangs kehrte mir freilich der Schmerz verdoppelt zurück, als ich die Zimmer wiedersah, die die Teure vor ihrem Heimgange bewohnte, bald aber wurd ich meines Schmerzes Herr, und zwar gerade dadurch, daß ich mich, abweichend von dem, was andere wohl in gleicher Lage zu tun pflegen, mit allem umgab, was der teuren Toten einst lieb und wert gewesen. Ich krame täglich in ihrem Schreib- und Nähtisch, in ihren Wäsch- und Kleiderschränken umher, stell alle Nippsachen an ihren rechten Platz und sehe vergilbte Blätter und Briefe durch, die mir alte glückliche Zeiten ins Gedächtnis rufen. Und warum all dies nicht? Warum es vermeiden? Umgekehrt, es ist mir, als ob mir ein unendlicher Trost daraus erflösse... Meine Ruhe wiederzufinden ist mir freilich noch nicht geglückt, aber es ist der Verlust, der mich daran hindert, nicht das Gewissen. Ich habe mir keine Vorwürfe zu machen, und das hält und trägt mich und wird mir über lang oder kurz auch meine Gesundheit wiedergeben, die, für den Augenblick, beinahe mehr noch durch das lange Kommensehen des Ereignisses als durch das Ereignis selbst erschüttert worden ist.« Und an anderer Stelle: »Wisse, Kind, es sind Pflichten, die mich halten. Am liebsten aber ruht ich mit in der Liebenberger Gruft.«

Alle philosophische Betrachtung, in der er vorher so fest zu stehen vermeint hatte, reichte nicht aus, ihm jene Freudigkeit der Seele wiederzugeben, die bis dahin, wie der hervortretendste Zug seiner Natur, so sein eigenstes Glück gewesen war.

Und doch vielleicht, daß er diese Freudigkeit sich wiedergewonnen hätte, wenn unser gesamtes öffentliches Leben ein anderes gewesen wäre. Aber der ganze Zuschnitt mißfiel ihm. Es war die Zeit der Üppigkeiten und der Geistererscheinungen, der Rietz und des Rosenkreuzertums, und viele seiner Briefe geben uns wenigstens Andeutungen über den Gegensatz, in dem er innerlich zu Hof und Hauptstadt stand.

»Es hat nun wirklich«, so schreibt er am 18. März 1797, »das kirchliche Aufgebot des Grafen Stolberg-Stolberg und der Gräfin von der Mark (Tochter der Rietz-Lichtenau) stattgefunden. An demselben Abende wurd in der Stadtwohnung der Lichtenau Komödie gespielt, und eine Oper kam zur Aufführung. Über das Brautpaar wird inzwischen allerlei gesprochen. Der Graf, dessen Vater vor dem Bankrutte steht, erfreut sich keines guten Rufes. Er glaubt aber wohl in der Braut das Huhn mit den goldenen Eiern zu haben und rechnet natürlich auf die Börse des Königs. Als ein Zeichen für die Stimmung, die gegen die Lichtenau herrscht, mag Dir das dienen, daß in derselben Stunde, wo die Theateraufführung stattfand, in ihrem Charlottenburger Palais ein Einbruch ausgeführt wurde. Diebe, die keine Diebe waren, sperrten den Kastellan ein und begannen nun ein Werk völliger Zerstörung: Spiegel und Porzellane wurden zerschlagen, Tapisserien und Vorhänge zerrissen, Betten und Überzüge beschmutzt ? all das, ohne daß auch nur eine Nadel entwendet worden wäre. Dagegen ließ man Karten zurück, auf denen die heftigsten Beschimpfungen und Schmähworte gegen die Lichtenau standen. Alles offenbar ein Akt der Rache. Die Polizei forscht den Exzedenten nach, ohne sie bis jetzt finden zu können. Aber weh ihnen, wenn sie gefunden werden. Denn der König ist begreiflicherweise voll Entrüstung über einen Hergang, der sich unmittelbar gegen ihn selber richtet.«

Einem ablehnenden Tone der Art begegnen wir überall, und so kann es nicht überraschen, daß der Schreiber dieser und ähnlicher Briefe noch einmal an den Rhein zurückging, um gegen alle »Hofluft« gesichert zu sein. In Liebenberg aber ließ er nicht bloß einen Pächter zurück, »der Artigkeit und Devotion mit Wahrnehmung eigner Vorteile geschickt zu verbinden wußte«, sondern räumte die leerstehenden Zimmer auch dem Obersten von Cocceji (Neffen des Großkanzlers) ein, einem alten Sonderlinge, der überall, wo die Briefe seiner Erwähnung tun, um seiner enormen Grandezza willen als »Sa Majesté, le Colonel de Cocceji« vorgestellt zu werden pflegt.



Friedrich Leopold war nun wieder in seiner cleveschen Heimat, die, wenn nichts Besseres, so nahm er an, ihm wenigstens Zurückgezogenheit und Stille bieten sollte. Doch es gestaltete sich anders, und wenn er sich aus der Hofluft heraus und in die Ruhe hinein gesehnt hatte, so mußte er bald wahrnehmen, daß diese Ruhe jenseits des Rheins noch weniger anzutreffen war als diesseits. In dem französisch gewordenen Lande mehrten sich die Tracasserien, und als er eines Tages ein ihm angetragenes Ehrenamt, aus dem sich später ein »Sénateur de l´Empire« entwickelt haben würde, zurückgewiesen hatte, war ihm klar erkennbar, daß seines Bleibens unter den neu-französischen Gewalthabern nicht länger sein könne.

Dieses Erkennen war es denn auch, was ihn 1802 nach Liebenberg zurückkehren ließ, und zwar nicht mehr »versuchsweise«, sondern umgekehrt mit dem von nun an festen Entschluß, ein für allemal auf märkischer Erde bleiben zu wollen. Er richtete sich demgemäß auch ein und intendierte sofort allerhand Reformen, hielt es aber doch für klug, ehe er zu wirklicher Änderung der vorgefundenen Zustände schritt, diese Zustände vorher sorglich zu beobachten. Ein Jahr erschien ihm dazu Zeit genug, nach dessen Ablauf er denn auch wußte, was zu tun sei. Die Wirtschaft erschien ihm altmodisch und vernachlässigt, weshalb er ihre Führung selber übernahm. »Ich habe Schreyer«, so schrieb er an Alexandrine D., »aus der Pacht entlassen und ihm 9400 Taler für Superinventarium und Vorräte gezahlt. Er konnte keinen besseren Zeitpunkt finden, weil alles jetzt in doppeltem Werte steht.«

Aber dies Entlassen des Pächters aus der Pacht war nur eins. Auch in seiner eignen unmittelbaren Umgebung gefiel ihm nicht alles, und er zeigte sich gewillt, auch hier eine Reform eintreten zu lassen.

Als erstes Opfer fiel »die Hohendorff«, ein adliges Fräulein, das schon zu Lebzeiten der Frau von Hertefeld dem Hause zugehört und sich namentlich unmittelbar nach dem Tode derselben unentbehrlich zu machen gesucht hatte. Nicht ohne zeitweiligen Erfolg. Aus ihrem weitern Leben aber erlaubt sich der Schluß, daß sie dabei von ziemlich selbstsüchtigen Motiven geleitet wurde. Der alte Freiherr durchschaute dies und schüttete darüber sein Herz aus. »Ich fühle mich der Hohendorff, wegen ihrer früheren Dienste, wirklich verpflichtet, es bleibt aber dabei, daß es schwer mit ihr zu leben ist. Immer ist sie krank, will es aber nicht wahrhaben und gefällt sich in diesem Heldensinn.« Und an andrer Stelle: »Ich mag nicht geradezu behaupten, daß es ihr an gutem Herzen fehlt, auch weiß sie sich in Gesellschaft gut genug zu benehmen. Aber an allem andren gebricht es ihr, und Einsicht, richtige Menschenbeurteilung und Unterscheidungskraft wird sie nie bekommen.« In der Tat, ihr nervös aufgeregtes, altjüngferlich verschrobenes Wesen, in das sich vielleicht auch stille Hoffnungen mischten (wenn diese nicht die Wurzel alles Übels waren), machte schließlich ein längeres Zusammenleben mit ihr unmöglich, und sie wurde zu benachbarten Predigersleuten in Pension getan, aus welcher Abgeschiedenheit sie zehn Jahre später noch einmal erscheint, inzwischen in völlig »hysterisch-pietistische Verrücktheit« verfallen.

Es blieb aber nicht bloß bei der Hohendorff, und im Spätsommer 1803 war überhaupt ein aus neuen Elementen bestehender Kreis geschaffen, der nun durch viele Jahre hin ausdauerte.

Genauer angesehen, war dieser Kreis ein doppelter, und zwar ein äußerer und ein innerer. Der äußere bestand aus dem Wirtschaftspersonale, dessen in den Briefen immer nur kurz und wie gelegentlich Erwähnung geschieht, während die Gestalten des inneren Zirkels auf jeder Blattseite wiederkehren und zuletzt in aller Leibhaftigkeit vor uns stehen. Es waren dies: Demoiselle Neumann, der alte Tackmann, der junge Reichmann und Herr Hauslehrer Greif. Alte vier erfreuten sich der Auszeichnung, nicht bloß Haus-, sondern auch Tischgenossen zu sein. Ebenso gestaltete sich ihr Einvernehmen untereinander aufs beste.

Demoiselle Neumann, die jetzt das Haus regierte, war alles, nur keine Dame, wodurch sie gerade des Vorzuges genoß, nach dem sich der alte Freiherr durch Jahre hin am meisten gesehnt hatte. »Ich habe jetzt eine Demoiselle Neumann engagiert«, so schreibt er an Alexandrine D., »keine elegante Gouvernante, denn sie weiß nichts von Französisch, aber aus einem guten Bürgerhause, sorglich, umsichtig, fleißig.« Und bald darauf: »An die Spitze der Ökonomie hab ich jetzt die Neumann gestellt, die das alles versteht, weil sie vor Jahren schon auf dem Amte Blankenfelde die Wirtschaft gelernt hat und mit anzugreifen weiß. Und auch wirklich mit angreift. Da müssen denn die Mägde folgen. Sitzet aber die Haushälterin auf dem Lehnstuhl, so setzen sich die Mägde auf den Strohsack.« Alles, was von Vertrauen aus diesen Zeilen spricht, bestätigte sich, und die Neumann, »treu wie Gold« und von selbstsuchtsloser Ergebenheit, wurd in allen Sachen des Hauses und der Familie Beistand und Beraterin. In Ehren dienend, beglückte sie das Haus, dem sie diente, wobei sich´s freilich auch wieder zeigte, daß ein solches freies und selbstsuchtsloses »Für-andere-da-Sein« im Laufe der Jahre zur Herrschaft über diese anderen führt. Alles hatte Respekt vor ihr. Einmal warf eine der jungen Damen ein Stückchen Band aus dem Fenster, und die Neumann, als sie´s aufgesucht, bracht es mit der Reprimande zurück: »So was wirft man nicht auf die Straße.«

Ihr an Ansehen zunächst stand der alte Tackmann, von Profession ein Zuckerbäcker, der in seiner Jugend weite Reisen in überseeische Länder gemacht hatte. Namentlich war er das Entzücken des nun zehnjährigen Karl von Hertefeld und hatte dabei das Vorrecht, seine wunderbaren Abenteuer bei Tische zum besten geben zu dürfen. Ob er zu dem alten Freiherrn auch in geschäftlichen Beziehungen stand (vielleicht als eine Art Kommissionär), ist aus den Briefen nicht bestimmt erkennbar. Er lebte meist in Liebenberg, in einem in der »Bibliothek« ihm eingerichteten Zimmer, und ging alljährlich auf kurze Zeit nach Berlin, um daselbst ein Zuckerbrot zu backen, auf dessen Herstellung er sich vorzüglich verstand.

An Tackmann schloß sich der junge Reichmann, ein Student, der aus Mangel an Mitteln seine Studien unterbrochen hatte. Derselbe bekleidete das Amt eines Privatsekretärs und war tüchtig und gescheit, aber leider auch melancholischen Temperaments. An allem verzweifelnd, an Vaterland, Leben und sich selbst, erschoß er sich später aus romantisch-mystischen Grübeleien.

Eine völlig entgegengesetzte Natur war endlich Herr Hauslehrer Greif. Er nahm nichts schwer und wußte sich in alles zu schicken, am leichtesten in Prinzipien, die den seinigen widersprachen, vorausgesetzt, daß er überhaupt Prinzipien hatte. Jedenfalls indessen war es ebendiese seine Nachgiebigkeit gewesen, was ihn dem alten Herrn von Anfang an empfohlen hatte. »Zu meiner Freude«, so schreibt der letztere, »glaub ich jetzt den rechten Mann gefunden zu haben. Und zwar ist dies der Herr Candidatus Greif, der, weil er noch jung und in keinem andern Hause gewesen ist, mir passend und geneigt erscheint, sich nach meiner Meinung zu richten. Er ist mir in diesem Stücke lieber als solche, die schon in andern Häusern allerlei Grillen aufgefaßt haben.« Und an anderer Stelle: »Mit Greif geht es, und ich bin nach wie vor mit ihm zufrieden. Er ist nicht so prätentiös wie sein Vorgänger Wisselink und hat mehr Gutmütigkeit. Auch läuft er nicht so dem Witze nach.«

Das war der neu geschaffene Kreis, und mit Behagen und Freude konnt er um Weihnachten 1803 an seinen Schwiegersohn schreiben: »Ich habe nun mein Personal in Ordnung.«

In der Tat es ging alles am Schnürchen, und es hätte sich von ungetrübt glücklichen Tagen sprechen lassen, wenn nicht der »Vetter in Häsen« gewesen wäre.

Wer aber war dieser Vetter?

Häsen selbst ist Nachbargut und gehörte damals einem nahen, aber stark verschuldeten Anverwandten. Es scheint daß dieser einen Teil seines Lebens in der Vorstellung zugebracht hatte, früher oder später der Erbe des gesamten Hertefeldschen Besitzes werden zu müssen, aus welcher Vorstellung er sich plötzlich gerissen sah, als dem schon alternden Friedrich Leopold von H. unerwartet ein Sohn geboren wurde. Den Unmut darüber zu bezwingen war ihm (dem Vetter) nicht gegeben, und als er gleichzeitig seine pekuniären Bedrängnisse wachsen sah, ersann er sich das Märchen, daß der spätgeborne Sohn des alten Liebenberger Freiherrn in Wahrheit ein Enkel desselben, und zwar der älteste Sohn Alexandrinens von Danckelmann, sei. Mit andern Worten also ein untergeschobenes Kind, untergeschoben einzig und allein in der Absicht, ihm, dem Vetter, ein ihm zustehendes Erbe zu entreißen. Ein solches Märchen erzählt und weiterverbreitet zu sehn war an und für sich schon schlimm genug; aber der »Häsener« ging weiter und wußte seinem Übelwollen auch praktische Folgen zu geben, indem er Gelder aufnahm, und zwar unter beständigem Hinweis darauf, »daß ihm, aller Machinationen und Intrigen unerachtet, über kurz oder lang das Liebenberger Erbe doch zufallen müsse«. Dies schuf Ärgernis über Ärgernis, auch wohl Sorgen, und bedrohte den alten Herrn genau in den zwei Stücken, in denen er am empfindlichsten war: in seinem Vermögen und seiner Ehre. »Der tolle Mensch von Häsen«, so schreibt er, »ist wieder in voller Bewegung. Unter der Hand wendet er sich nach Münster und Cleve und versichert, daß er alleiniger Herr meiner Güter sei. Die, an die er schreibt, erkundigen sich bei mir, ob es in des Briefschreibers Kopfe richtig stehe? Sie wollen aber nicht genannt sein. Sonst hätt ich den Narren schon längst beim Kammergericht provoziert.« Und an anderer Stelle: »Der tolle Mensch in Häsen, der seit sieben Monaten in Berlin auf Kredit lebt, fängt wieder an zu rasen. Vor acht Tagen hat er mir einige Bogen voll Unsinn geschrieben, um etwas aus mir herauszulocken, was seine Prozeßlust reizen könnte. Ich hab ihm aber kurz, kalt und überhaupt so geantwortet, daß er den Brief keinem Gerichtshofe vorlegen wird.«

Äußerungen ähnlicher Art kehren an vielen Stellen wieder, und wenn er schließlich auch dieser unbequemen Stechbremse Herr wurde, so geschah es doch erst, nachdem ihn die Stiche derselben aufs empfindlichste verletzt hatten.

Um ebendiese Zeit zog auch noch ein neues Ärgernis herauf, und zwar der Prozeß, der gegen die Giftmischerin Geheimerätin Ursinus geführt wurde. Die Hertefelds waren in zurückliegenden Jahren mit dieser Frau bekannt geworden, nicht eigentlich intim, aber doch so, daß der alte Freiherr über sie schreiben konnte. »Wenn Frau Geheimrätin Ursinus zu mir kommt, so soll es mir angenehm sein. Denn obgleich sie sich mit ihrer Geschwätzigkeit ziemlich lächerlich macht, so kenne ich sie doch als eine Frau, bei der das Gute überwiegt.« Und nun war ebendiese Frau wegen denkbar schwerster Verbrechen angeklagt. Auch nur in einem alleroberflächlichsten Verkehr mit ihr gestanden zu haben mußte peinlich empfunden werden, und durch Jahr und Tag hin ist nun der »Ursinus-Fall« ein immer wiederkehrendes und mit einer gewissen Gêne behandeltes Briefthema. »Die Geschichte mit der Ursinus«, so heißt es im April 1803, »ist leider so garstig wie nur möglich. Ich weiß jetzt, daß sie schon früher (in Stendal) in dem Rufe stand, zu mausen. Der von seiner Vergiftung wiederhergestellte Bediente soll darüber allerlei Kuriosa ausgesagt haben.« Und im Oktober desselben Jahres: »Daß die Ursinus auf Lebenszeit eingesteckt wird, wirst Du wissen... Was dieses garstige Weib, außer dem Erwiesenen, auch noch an andrem abscheulichen Verdachte gegen sich hat, ist kaum zu glauben.« Und dann: »Über der Ursinus´ Dreistigkeit kann ich mich nicht genug wundern. Wie kann sie´s nur wagen, anständige Personen um ihren Besuch zu bitten, alles bloß, um ihnen etwas von ihrer Unschuld vorzuklagen? Um Versuche zu machen, habe sie das Gift gegeben. So sagt sie. Gut; aber warum hat sie nicht allerpersönlichst eine Unze Gift genommen? Das wäre das weitaus Beste gewesen.« Und endlich (am 16. März 1804): »Die Ursinus war überall und auch bei mir vergessen. Vorgestern hab ich mich ihrer wieder erinnern müssen, als ich aus der ?Hamburger Zeitung? ihre Abführung nach Glatz ersah. Sie hatte, wie Du wissen wirst, appelliert. Das Urteil ist aber einfach bestätigt worden, und sie hat nun ausgespielt.«

Das sind die letzten Worte, die sich über diese »cause célèbre« finden.

Die Geheimrätin hatte viel Ärgernis mit sich geführt, fast soviel wie der »Vetter in Häsen«, aber trotz dieser und ähnlicher Zwischenfälle waren es im ganzen doch glückliche Tage, diese Tage nach der Übersiedelung, am glücklichsten, wenn die Danckelmanns auf Besuch eintrafen: Eltern und Kinder, Hauslehrer und Bonne, Gesellschafterin und Dienerschaften. Da verkehrte sich denn freilich die Ruhe des Hauses in ihr Gegenteil, aber ohne daß der alte Freiherr, in seinem stark ausgeprägten Familiensinn, einen Anstoß daran genommen hätte. Zu besonderer Freude wurd ihm dabei das immer wachsend gute Verhältnis zwischen Sohn und Enkel, die (beinah gleichaltrig) am Vormittage dieselben Schulstunden, am Nachmittage dieselben Spielstunden hatten. Und wenn die Tischglocke läutete, so bewahrheitete sich´s an jedem neuen Tage, »je länger die Tafel, desto besser die Laune«.

Das ganze Leben aber, ob es nun stiller oder bewegter verlief, trug den Stempel einer vollkommenen Patriarchalität, an der uns nichts begreiflicher erscheint, als daß sie der alte Freiherr gegen ein öffentliches oder gesellschaftliches Leben nicht austauschen mochte, das ihm widerstand und in seiner Sitten- und Gesinnungslosigkeit auch widerstehen mußte. Denn es war eine wirklich grundschlechte Zeit und Mirabeau hatte richtig prophezeit, als er das damalige Preußen »eine vor der Reife faul gewordene Frucht« genannt hatte, »die beim ersten Sturm abfallen werde«. Wenn es nun freilich auch nicht wahrscheinlich ist, daß unser Liebenberger Einsiedler ähnliche, den Politiker bekundende Schlüsse zog, so war er doch andrerseits ein so scharfer Beobachter unserer Schwächen überhaupt, daß ihm ein intimer Verkehr mit den Menschen eigentlich schon um dieser scharfen Beobachtung willen unmöglich gemacht wurde. Was an eitler und selbstsüchtiger Regung in den Herzen steckte, lag offen vor ihm, und unter den vielen Hunderten seiner Briefe sind wenige, die nicht, an irgendeiner Stelle, von dieser allereindringendsten Erkenntnis ein Beispiel gäben. Er kannte den ganzen Adel, am besten den märkischen, schlesischen und niederrheinisch-westfälischen, und wenige Familien abgerechnet, die, wie die Reckes, die Reuß, die Lestocqs, ihm einen unbedingten und gern dargebrachten Respekt abnötigten, richtete sich der Stachel seiner Satire so ziemlich gegen alles, was damals »die Gesellschaft« ausmachte. Und ich fürchte, mit Fug und Recht. Einige Zitate mögen auch nach dieser Seite hin seine Schreibeweise charakterisieren.

»In Berlin hab ich gestern den General von Köhler gesprochen. Er ist wohl und vergnügt und tut eine Mahlzeit für zwei. Jedenfalls macht er den Eindruck, als ob er seine Pension noch auf lange hin zu genießen wünsche.«

»Gestern war denn auch der Kammergerichtsrat Roitsch hier. Er gefiel mir in seinen Ansichten ganz gut, erschien mir aber in dem beständigen Ajustieren seines Haars und seiner Halskrause von seiner Figur etwas eingenommen.«

»In diesen Tagen hab ich einen Major von Schuckmann, der ein Landwehrbataillon kommandiert, bei mir gehabt. Er ist ein Bruder des Geheimen Staatsrats gleichen Namens und eine wahre Karikatur: kurz, dick, ängstlich, stets in Verfassung einzuschlafen und äußerst dämlich.«

»Etwas Sonderbareres als die Todesanzeige, die mir der Freiherr von Loë nach dem Ableben seiner Frau zugeschickt hat, hab ich lange nicht in Händen gehabt. Der Druck der Annonce (fast in Mönchsschrift) ist absurde, der Inhalt noch absurder. Die Titulaturen passen nur auf die Eitelkeit dieses Herrn und stellen ein Machwerk her, wie man´s in unsern Zeiten nicht mehr erwarten sollte. Vielleicht hat Herr Geheimrat Focke auch so ein Unding bekommen. Befrag ihn doch, mit bestem Gruß von mir, ob man darauf antworten müsse? Sagt er ?ja?, so könnt ich vielleicht anfangen: Le Sieur de Hertefeld, ni Sénateur, ni Comte, ni Chevalier, ni Grand Croix, a vu avec douleur etc.«

»Eine Geschichte, die hier viel Aufsehen macht, ist folgende. Du weißt, daß die Kosaken den westfälischen Gesandten, Herrn von Linden, aufgefangen und unter den Papieren desselben eine bedenkliche politische Korrespondenz der Töchter des Ministers von der Goltz mit ebendiesem von Linden gefunden haben. Die Gräfin von Lüttichau (so heißt, glaub ich, eine der Töchter) soll die schuldigste sein. Der Linden ist hier als ein äußerst schlechter Mensch bekannt, als ein Spieler, der das Falschspielen verstand. Und der böse Geist muß unsereinen plagen, mit solchem Mann in Verbindung zu stehen!«

»Es heißt, Graf H... sei noch auf seinem Gute bei Magdeburg. Böse Zungen ergänzen, er sei dorthin gegangen, um seine Tochter an einen Franzosen zu verheiraten, der längere Zeit auf seinem Gut in Quartier gelegen hat. Ich mocht es anfänglich nicht glauben, obgleich in der Tat nichts verloren wäre, wenn diese Stärke, durch diesen Zwischenfall veranlaßt, ganz nach Paris verzöge.«

»J.......tz gibt sich ein Ridikül durch seine Forstbereisungen. In der Neumark ist er (ebenso wie hier) durch die großen Forsten recte hindurchgefahren und hat eigentlich nichts gesehen. Ein vernünftiger Mann aus der dortigen Gegend schrieb mir: ?Herr von J. geniert sich nicht, 3000 Taler Gehalt zu nehmen, um im Galopp durch die Wälder zu fahren, mit Pferden, die er nicht bezahlt.? Schon in Ostpreußen lachten sie ihn wegen seiner Domainen-Bereisungen aus, die auch im Galopp geschahen.«

»Alles, was von Untersuchungen gegen einzelne Minister gefabelt wird, ist nicht wahr. Der Hofmarschall interessiert in der ganzen Angelegenheit am meisten und hängt in eigentümlicher Weise mit der Erneuerung des Meublements im Charlottenburger Schlosse zusammen. Ist übrigens jetzt applaniert. Hinter die Wahrheit kommt man nie.«

»Die Geschichte mit dem Hofmarschall, von der ich Dir neulich schrieb, ist nun wirklich beigelegt. Wenigstens befindet er sich nach wie vor bei Hofe. Seitens des Königs war ihm aufgegeben worden, einen Teil des Charlottenburger Schlosses neu zu meublieren und die alten Mobilien unter die Dienerschaft zu verteilen. Da hat er sich nun als ?Dienerschaft? mitgerechnet und, wie man sagt, das Beste für sich genommen.«

»Daß Du den Carolather Herrn so langweilig gefunden hast, überrascht mich nicht. Dieses liegt im Geschlecht.«

»Es scheint fast, als ob der Großkanzler auf die Faulenzer und Unrechtlichen Jagd machen werde, denn über die Schlaffheit seines Vorgängers läßt er sich aus. Alles wäre gut wenn er nur nicht die Frau hätte, die die schlechten Manieren einer Dame de la Halle mit der Anmaßung einer Emporgekommenen vereinigt. Sie weiß so wenig, was sie zu tun hat, daß sie beispielsweis auf dem Geburtstagsball bei Minister von der Goltz, zu dem auch sie gebeten war, sich weder der Prinzessin von Oranien noch der Prinzessin von Hessen hat vorstellen lassen. Sie fragt niemanden und bekümmert sich um keinen Anstand. Ist also ein komplettes Original.«

»Ich komme noch einmal auf J.......tz zurück. Sobald ich wieder in Berlin bin, werd ich mich eingehender nach ihm erkundigen. Sein Ehrgeiz hat ihn in das ?neue System? hineingelockt, und er muß mit allerlei Menschen Umgang halten, die mir nicht gefallen. Nur ein Staatskanzlerposten ist zu haben, wenn Hardenberg stirbt oder geschuppt wird. Und wenigstens ein halbes Dutzend der untern Faiseurs macht Anspruch auf diese Stelle.«

So läuft die Kritik, ohne sich übrigens, wie die vorstehende Blumenlese vermuten lassen könnte, lediglich auf die Standesgenossen zu beschränken. Alles wird herangezogen, auch Hof und Geistlichkeit.

»In Geschmackssachen«, so schreibt er an Alexandrine D., »ist nicht zu streiten. Eberhard Danckelmann findet bei den Hoffestlichkeiten, an denen er jetzt teilnimmt, alles, was er verlangt. Ich, meinesteils, bin freilich immer so dumm gewesen, nichts als Unbehagen und Langeweile dabei zu fühlen.«

»Ich bin ganz Deiner Meinung, meine liebe Tochter, in allem, was Du mir über Pastor Heiligendörfer schreibst. Er war immer ein Salbader, den aber Onkel Kalkstein protegierte, weil er wenigstens ein ruhiger Mann war. Allerdings von seiner Kanzelberedsamkeit hatte selbst der selige Onkel keine sehr hohe Vorstellung.«

Auch allerhand Provinzialeigentümlichkeiten entgingen seinem scharfen Auge nicht, und so schrieb er an Alexandrine: »Du wunderst Dich, daß die Schlesier Deinem Manne wegen seiner neuerhaltenen Würde die Cour machen. Ich wundere mich nicht. Das ist so Landesart. Als sie noch unter dem Wiener Hof geängstigt wurden, mußten sie sich vor allen österreichischen Großprahlern neigen. Nachher kamen sie unter die Fuchtel des preußischen Finanzministers. Da verdoppelte sich das Neigen, einmal aus Furcht, das andere Mal aus Interesse. Und so ist es ihre Gewohnheit geworden, sich vor allen, die ihnen direkt oder indirekt nutzen oder schaden können, zu beugen.«

In solchen und ähnlichen Betrachtungen ergehen sich die Briefe, bis sie kurz vor der Jenaer Schlacht, auf fast Dreivierteljahr hin, abbrechen. Aber an ihre Stelle tritt jetzt ein umfangreiches »Memoire«, dem ich nunmehr folgende, für die Geschichte jener Tage nicht unwichtige Schilderung entnehme.


Die Plünderung Liebenbergs am 26., 27. und 28. Oktober 1806

»Am 25. Oktober war es, als die zum Hohenloheschen Corps gehörenden Husaren vom Regiment Prinz Eugen von Württemberg, samt zwei Compagnien Fußjäger, auf ihrem fluchtartigen Rückzug unvermutet in Liebenberg eintrafen. Offiziere und Gemeine waren äußerst ermüdet und mißvergnügt über die elende Führung der Armee, die Pferde gedrückt und schlecht im Stande.

Ein Rind wurde geschlachtet und behufs der Soldatenverpflegung unter die Dorfgemeinde verteilt. Sieben Jägeroffiziere, vierzig Mann und die Wachen blieben bei mir auf dem Hofe.

Den 26. des Morgens um sechs Uhr marschierten Jäger und Husaren nach Liebenwalde; die zur Avantgarde gehörenden übrigen Regimenter aber, die meist in Germendorf, Gransee etc. gestanden hatten, gingen auf Zehdenick.

Ohngefähr um zehn Uhr kam ein Trompeter von der französischen Vorhut auf den Hof gesprengt. Ein Husar aber, der ihn begleitete, schrie meinen vor dem Hause stehenden Leuten zu ?Hierher!? und hieb nach ihnen, als sie sich ins Haus zurückziehen wollten. Ich ging ihm nun entgegen und fragte ihn auf französisch, ?was zu seinen Diensten sei?? Wie ein Rasender sprang er jetzt vom Pferde und schrie: ?Vite, vite, 200 Louis!? Ich erwiderte: ?Silbergeld hätt ich noch, aber von Gold sei keine Rede?, worauf er nur wieder schrie: ?Vite, vite; sonst kommen die Kameraden mir anderwärts zuvor.? (Es war, als hielt er es für seine Bestimmung, überall der erste Dieb zu sein.) Ich öffnete nun mein Schreibspind, und er nahm alles, was darin war, 640 Taler, schüttete die Taler in einen Kornsack und packte sich mit seinem Kameraden davon.

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