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Marquardt von 1795 bis 1803

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Literaturangabe:

Fontane, Theodor
Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Ost-Havelland, Berlin 1873

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Marquardt von 1795 bis 1803

Marquardt von 1795 bis 1803

General von Bischofswerder

Die Zeit der Heerlager war vorüber, der Baseler Friede geschlossen; in demselben Jahre war es, 1795, daß der General von Bischofswerder Marquardt käuflich an sich brachte, nach einigen aus dem Vermögen seiner zweiten Frau, nach andern aus Mitteln, die ihm der König gewährt hatte. Das letztere ist das Wahrscheinlichere. Gleichviel, er erstand es und gab dem Herrenhause, dem Park, dem Dorfe selbst im wesentlichen den Charakter, den sie samt und sonders bis diesen Augenblick zeigen. So wenig Jahre er es besaß, so war dieser Besitz doch epochemachend. Ehe wir darzustellen versuchen, was Marquardt damals sah und erlebte, versuchen wir eine Schilderung des einflußreichen und merkwürdigen Mannes selbst.

Hans Rudolf von Bischofswerder wurde am 11. November 1740 zu Ostramünde im sächsisch-thüringischen Amte Eckartsberga geboren. Die Angabe von Tag und Jahr ist zuverlässig, die Ortsangabe fraglich. Sein Vater war Adjutant bei dem Marschall von Sachsen, warb für Frankreich das Regiment Chaumontet und starb als Oberst im Dienst der Generalstaaten.

Hans Rudolf von Bischofswerder studierte von 1756 an zu Halle, nahm dann Kriegsdienste und trat 1760 in das preußische Regiment Carabiniers, dessen Kommandeur ihn zu seinem Adjutanten machte. In dieser Eigenschaft wohnte er den letzten Kämpfen des Siebenjährigen Krieges bei. Noch während der Campagne stürzte er mit dem Pferde, erlitt einen Rippenbruch, und zunächst wenigstens sich außerstande sehend, die militärische Laufbahn fortzusetzen, begab er sich auf ein Landgut in der sächsischen Lausitz, wo er sich 1764 mit einer Tochter des kursächsischen Kammerherrn von Wilke vermählte. Er lebte hier mehrere Jahre in glücklicher Zurückgezogenheit und "übte", wie es in einer der zeitgenössischen Schriften heißt, "all die gesellschaftlichen und häuslichen Tugenden, die ihm die Hochachtung derer, die ihn kannten, erwarben".

Sein guter Ruf verschaffte ihm die Ehre, als Kavalier an den sächsischen Hof gerufen zu werden. Von hier aus machte er mit dem Prinzen Xaver eine Reise nach Frankreich. Bald nach seiner Rückkehr wurde er Kammerherr des Kurfürsten, hiernächst Stallmeister des Prinzen Karl, Herzogs von Kurland.

Herzog Karl von Kurland, Sohn Friedrich Augusts II., lebte damals zumeist in Dresden und gehörte in erster Reihe zu jener nicht kleinen Zahl von Fürstlichkeiten, die für das epidemisch auftretende Ordenswesen, für Goldmachekunst und Geistererscheinungen ein lebhaftes Interesse zeigten.

So konnte es denn kaum ausbleiben, daß auch Bischofswerder, wie alle übrigen Personen des Hofes, zu jenen Alchimisten und Wunderleuten in nähere Beziehung trat, die damals beim Herzoge aus und ein gingen. Unter diesen war Johann Georg Schrepfer der bemerkenswerteste. Er besaß einen "Apparat", der so ziemlich das Beste leistete, was, nach dieser Seite hin, in damaliger Zeit geleistet werden konnte. Dazu war er kühn und von einem gewissen ehrlichen Glauben an sich selbst. Es scheint, daß er, inmitten aller seiner Betrügereien, doch ganz aufrichtig die Meinung unterhielt: jeder Tag bringt Wunder; warum sollte am Ende nicht auch mir zuliebe ein Wunder geschehn? Als trotz dieses Glaubens die eingesiegelten Papierschnitzel nicht zu Golde werden wollten, erschoß er sich im Leipziger Rosental (1774). Bischofswerder war unter den Freunden, die ihn auf diesem Gange begleiteten und denen er eine "wunderbare Erscheinung" zugesagt hatte.

Die ganze Schrepfer-Episode hatte als Schwindelkomödie geendet. Aber sosehr sie für Unbefangene diesen Stempel trug, sowenig waren die Adepten geneigt, ihren Meister und seine Kunst aufzugeben. Man trat die Schrepfersche Erbschaft an und zitierte weiter. Friedrich Foerster erzählt: "Bischofswerder, in einem Vorgefühl, daß hier ein Schatz, eine Brücke zu Glück und Macht gefunden sei, wußte den Schrepferschen Apparat zu erwerben." Doch ist dies nicht allzu wahrscheinlich. Wenn Bischofswerder später sehr ähnlich operierte, so konnte er es, weil ein längerer intimer Verkehr mit dem "Meister" ihn in alle Geheimnisse eingeführt hatte.

Der prosaische Ausgang Schrepfers ? prosaisch, trotzdem er mit einem Pistolenschuß endete ? hatte unseren Bischofswerder nicht umgestimmt aber verstimmt; er gab Dresden auf oder mußte es aufgeben, da der ganze Hergang doch viel von sich reden machte, und nicht gerade zugunsten der Beteiligten. Er ging nach Schlesien und lebte einige Zeit (1774 bis 1775) in der Nähe von Grüneberg, auf den Gütern des Generals von Frankenberg. Bischofswerders äußere Lage war damals eine sehr bedrückte.

Dieser Aufenthalt vermittelte auch wohl den Wiedereintritt B.´s in den preußischen Dienst, der nach einigen Angaben 1775 oder 1776, nach anderen erst bei Ausbruch des Bayerischen Erbfolgekriegs 1778 erfolgte. Prinz Heinrich verlangte ihn zum Adjutanten; als sich diesem Verlangen indes Hindernisse in den Weg stellten, errichtete von B., inzwischen zum Major avanciert, ein sächsisches Jägercorps, das der Armee des "Rheinsberger Prinzen" zugeteilt wurde.

Beim Frieden hatte diese Jägertruppe das Schicksal, das ähnliche Corps immer zu haben pflegen: es wurde aufgelöst. König Friedrich II. indes, "der die Menschen kannte", nahm den nunmehrigen Major von Bischofswerder in seine Suite auf, worauf sich dieser in Potsdam niederließ. Die schon zitierte Schrift schreibt über die sich unmittelbar anschließende Epoche (von 1780 bis 1786) das Folgende:

"Um diese Zeit war es auch, daß der damalige Prinz von Preußen, der spätere König Friedrich Wilhelm II., ihn kennenlernte und seines besonderen Zutrauens würdig fand. Wobei übrigens eigens bemerkt sein mag, daß von Bischofswerder der einzige aus der Umgebung des Prinzen war, welchen König Friedrich hochzuachten und auszuzeichnen fortfuhr, so groß war die gute Meinung des Königs von Herrn von B., so fest hielt er sich überzeugt, daß er nicht imstande wäre, dem Prinzen böse Ratschläge zu erteilen. Noch mehr. Der Prinz brauchte Bischofswerder, um sich bei den Ministern nach dem Gange der Staatsgeschäfte zu erkundigen, und der König, obwohl er dies wußte, zeigte keinen Argwohn."

Wir lassen dahingestellt sein, inwieweit eine der Familie Bischofswerder wohlwollende Feder, deren es nicht allzu viele gab, hier die Dinge günstiger schilderte, als sie in Wahrheit lagen; gewiß ist nur, daß die Abneigung des großen Königs sich mehr gegen Wöllner und die Encke, die spätere Rietz-Lichtenau, als gegen Bischofswerder richtete und daß, was immer auch es mit dieser Abneigung auf sich haben mochte, sie jedenfalls die Vertrauensstellung zum Prinzen von Preußen, die er einnahm, nicht tangierte. In dieser befestigte er sich vielmehr so, daß, als sich im August 1786 die "großen Alten-Fritzen-Augen" endlich schlossen, der Eintritt Bischofswerders in die Stellung eines allvermögenden Günstlings niemanden mehr überraschte. Dabei suchte er durch Friedensschlüsse mit seinen Gegnern, beispielsweise mit der Rietz, namentlich aber auch durch Besetzung einflußreicher Stellen mit Mitgliedern seiner Familie seine eigene Machtstellung mehr und mehr zu befestigen.

Seine beiden Töchter erster Ehe wurden zu dames d´atour bei der Königin, die in Monbijou ihren Hofstaat hatte, ernannt; seine Gemahlin aber war er, nach dem Tode der Frau von Reith, bemüht in die Stellung einer Oberhofmeisterin einrücken zu lassen. So war er denn allmächtiger Minister, war es und blieb es durch alle Wechselfälle einer elfjährigen Regierung hindurch, und die Frage mag schon hier in Kürze angeregt und beantwortet werden: Wodurch wurde die Machtstellung gewonnen und behauptet? Die gewöhnliche Antwort lautet: durch servile Complaisance, durch Unterstützen oder Gewährenlassen jeder Schwäche, durch Schweigen, wo sich Reden geziemte, durch feige Unterordnung, die kein anderes Ziel kannte als Festhalten des Gewonnenen, durch jedes Mittel, nötigenfalls auch durch "Diavolini" und Geisterseherei. Wir halten diese Auffassung für falsch. Der damalige Hof, König und Umgebung, hatte seine weltkundigen Gebrechen; aber das Schlimmste nach dieser Seite hin lag weit zurück; das "Marmorpalais" repräsentierte nicht jene elende Verschmelzung von Lust und Trägheit, von Geistlosigkeit und Aberglauben, als welche man nicht müde geworden ist es darzustellen; man hatte auch Prinzipien, und ein wie starkes Residuum von Erregtheit und Erschlaffung, von großem Wollen und kleinem Können auch verbleiben mag, niemals ist eine ganze Epoche so weit über Recht und Gebühr hinaus gebrandmarkt worden wie die Tage Friedrich Wilhelms II. und seines Ministers. Wir kommen, wenn wir am Schluß eine Charakterisierung Bischofswerders versuchen, ausführlicher auf diesen Punkt zurück.

Die Campagnen und auswärtigen Verwicklungen, die fast die ganze Regierungszeit des Königs, wenigstens bis 1795, ausfüllten, riefen, wie diesen selbst, so auch seinen Minister vielfach ins Feld. Diplomatische Missionen schoben sich ein. Von B. nahm teil an dem Kongresse zu Svictow, brachte mit Lord Elgin die Pillnitzer Konvention (Ergreifung von Maßregeln gegen die Französische Revolution) zustande, begleitete den König 1792 während des Champagne-Feldzugs und ging bald darauf als Gesandter nach Paris, von wo er 1794 zurückkehrte.

Das nächste Jahr brachte den Frieden. Mit dem Friedensschluß zusammen fiel der Erwerb von Marquardt. Schon einige Jahre früher, 1790 oder vielleicht schon 1789, hatte er sich zum zweiten Male verheiratet.

Die hohe Politik, die Zeit der Strebungen, lag zurück. Das Idyll nahm seinen Anfang.

Wir begleiten nun den Günstling-General durch die letzten acht Jahre seines Lebens. Es sind Jahre in Marquardt.

Das neue Leben wurde durch das denkbar froheste Ereignis inauguriert: durch die Geburt eines Sohnes, eines Erben. Das alte Haus Bischofswerder, das bis dahin nur auf zwei Augen gestanden hatte, stand wieder auf vier. Die Taufe des Sohnes war ein Glanz- und Ehrentag. Der König hatte Patenstelle angenommen und erschien mit seinen beiden Generaladjutanten von Rodich und von Reder. Die feierliche Handlung erfolgte im Schloß. Als Pastor Stiebritz, ein Name, dem wir im Verlauf unsres Aufsatzes noch öfters begegnen werden, die Taufformel sprechen wollte und bis an die Worte gekommen war: "ich taufe dich", stockte er ? die Namen waren ihm abhanden gekommen, der Zettel fehlte. Aber die Verwirrung war nur eine momentane. Von Bischofswerder selbst trat vor, sprach die Namen, und der Pastor, rasch sich wiederfindend, beendete den Akt.

Der Taufe folgte die Tafel und im Laufe des Nachmittags ein ländliches Fest. Der König blieb; die schöne Jahreszeit lud dazu ein. Noch leben Leute im Dorfe, achtzigjährige, die sich dieses Tages entsinnen. Ein Erinnerungsbaum wurde gepflanzt, ein Ringelreihen getanzt; der König, in weißer Uniform, leuchtete aus dem Kreise der Tanzenden hervor. Am Abend brannten Lampions in allen Gängen des Parks, und die Lichter, samt den dunklen Schatten der Eichen- und Ahornbäume, spiegelten sich im Schlänitz-See. Sehr spät erst kehrte der König nach Potsdam zurück. Er hatte dem Täufling eine Domherrnpräbende als Patengeschenk in das Taufkissen gesteckt. Von Jahr zu Jahr wachsend, steigerte sich der Wert derselben bis zu einer Jahreseinnahme von 4 500 Talern.

Zwischen diesem 17. Juli 1795 und dem 16. November 1797 lagen noch zwei Sommer, während welcher der König seine Besuche mehrfach erneuerte. Ob er eintraf, lediglich um sich des schönen Landschaftsbildes und der loyalen Gastlichkeit des Hauses zu freuen, oder ob er erschien, um "Geisterstimmen" zu hören, wird wohl für alle Zeiten unaufgeklärt bleiben. Die Dorftradition sagt, er kam in Begleitung weniger Eingeweihter, meist in der Dämmerstunde (der schon erwähnte Generaladjutant von Reder und der Geheimrat Dr. Eisfeld vom Militärwaisenhause in Potsdam werden eigens genannt), passierte nie die Dorfstraße, sondern fuhr über den "Königsdamm" direkt in den Park, hielt vor dem Schlosse und nahm nun an den Sitzungen teil, die sich vorbereiteten. Man begab sich nach der "Grotte", einem dunklen Steinbau, der im Parke, nach dem rosenkreuzerischen Ritual, in einem mit Akazien bepflanzten Hügel angelegt worden war. Der Eingang, niedrig und kaum mannsbreit, barg sich hinter Gesträuch. Das Innere der Grotte war mit blauem Lasurstein mosaikartig ausgelegt, und von der Decke herab hing ein Kronleuchter. In diese "blaue Grotte", deren Licht- und Farbeneffekt ein wunderbarer gewesen sein soll, trat man ein; der König nahm Platz. Alsbald wurden Stimmen laut; leiser Gesang, wie von Harfentönen begleitet. Dann stellte der König Fragen, und die Geister antworteten. Jedesmal tief ergriffen, kehrte Friedrich Wilhelm ins Schloß und bald darauf nach Potsdam zurück.

So die Tradition. Es wird hinzugesetzt, die Grotte sei doppelwandig gewesen und eine Vertrauensperson des Ordens habe von diesem Versteck aus die "musikalische Aufführung" geleitet und die Antworten erteilt. Daß die Grotte eine doppelte Wandung hatte, ist seitdem, und zwar durch den jetzigen Besitzer, der den Bau öffnete, um sich von seiner Konstruktion zu überzeugen, über jeden Zweifel hinaus erwiesen worden. Die Lasursteine existieren noch, ebenso der Akazienhügel. Dennoch gibt es Personen, die den ganzen Schatz Marquardter Volkssage einfach für Fabel erklären. Ich kann diesen Personen nicht beistimmen. Es ist eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß Bischofswerder ein Rosenkreuzer war, daß er mehr als einmal in Berlin im Palais der Lichtenau, in Sanssouci in einem am Fuß der Terrasse gelegenen Hause, endlich im Belvedère zu Charlottenburg (vergleiche Seite 183) wirklich "Geister" erscheinen ließ und daß er bis zuletzt in seinem Glauben an alchimistische und kabbalistische Vorgänge aushielt. Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Grotte ähnlichen Zwecken diente, und nur darüber kann ein Zweifel sein, ob der König, der im ganzen vielleicht nur vier-, fünfmal in Marquardt war, an diesen rosenkreuzerischen Réunions teilnahm.

Am 16. November 1797 starb der König. Noch einmal, auf wenige Tage, wurde Bischofswerder aus der Stille von Marquardt herausgerissen und mitten in die Tagesereignisse hineingestellt, aber nur um dann ganz und für immer in die ihm liebgewordene Stille zurückzukehren.

Während des Hinscheidens Friedrich Wilhelms II. befand sich Bischofswerder im Vorzimmer. Er traf rasch und mit Umsicht alle Vorkehrungen, die der Moment erheischte, ließ die Eingänge zum Neuen Garten beziehungsweise zum Marmorpalais besetzen, warf sich dann aufs Pferd und eilte nach Berlin, um, als erster, den Kronprinzen als König zu begrüßen. Er empfing den Stern des Schwarzen Adlerordens. Ob diese Auszeichnung ihn einen Augenblick glauben machte, er werde sich auch unter dem neuen Regime behaupten können, lassen wir dahingestellt sein. Es ist nicht wahrscheinlich. Beim Begräbnis des Königs trat er zum letzten Mal in den Vordergrund.

Es war im Dom; das offizielle Preußen war versammelt, Lichter brannten, Uniform an Uniform, nur vor dem Altar ein leerer Platz: auf der Versenkung, die in die Gruft führt, stand der Sarg. Jetzt wurde das Zeichen gegeben. In demselben Augenblicke trat Bischofswerder, eine Fackel in der Hand, neben den Sarg, und der Tote und der Lebende stiegen gleichzeitig in die Tiefe. Es machte auf alle, auch auf die Gegner des Mannes, einen mächtigen Eindruck. Es war das letzte Geleit. Zugleich symbolisch ausdrückend: Ich lasse nun die Welt.

Und er ließ die Welt. Sein Dorf, sein Haus, sein Park füllten von nun an seine Seele. Mit seinen Bauern stand er gut; die Auseinanderlegung der Äcker, die sogenannte "Separation", die gesetzlich erst zehn Jahre später ins Leben trat, führte er durch freie Vereinbarung aus; er erweiterte und schmückte das Schloß, den Park; dem letztern gab er durch Ankauf von Bauerhöfen, deren Brunnenstellen sich noch heut erkennen lassen, wie durch Anpflanzung wertvoller Bäume seine gegenwärtige Gestalt. Alle Wege, die durch die Gutsäcker führten, ließ er mit Obstbäumen, die er für bedeutende Summen aus dem Dessauischen bezog, bepflanzen und schuf dadurch eine Kultur, die noch jetzt eine nicht unerhebliche jährliche Rente abwirft. Er hatte ganz die Ackerbaupassion, den tiefen Zug für Natur, Abgeschiedenheit und Stille, den man bei allen Personen beobachten kann, die sich aus der Hofsphäre oder aus hohen Berufsstellungen in einfache Verhältnisse, aus dem glänzenden Schein in die Wirklichkeit des Lebens zurückziehen.

Der Verkehr im Hause war nichtsdestoweniger ein ziemlich reger. Die katholischen und ökonomischen Grundsätze seiner zweiten Frau griffen zwar gelegentlich störend ein; seine Bonhommie wußte aber alles wieder auszugleichen. Mit dem benachbarten Adel stand er auf gutem Fuß; die Beziehungen zur Potsdamer Gesellschaft waren wenigstens nicht abgebrochen; nur die eigentlichen Hofkreise, die der an oberster Stelle herrschenden Empfindung Folge geben mußten, hielten sich zurück. Friedrich Wilhelm III., sooft er auch auf dem Wege nach Paretz das Marquardter Herrenhaus zu passieren hatte, hielt nie vor demselben an; die Jahre, die nun mal die Signatur: Rietz, Wöllner, Bischofswerder trugen, trotzdem er zu dem letzteren nie in einem direkten Gegensatze stand, lebten zu unliebsam in der Erinnerung fort, um eine Annäherung wünschenswert erscheinen zu lassen.

So kam der Herbst 1803 und mit ihm das Scheiden. Die Arkana und Panazeen konnten´s nicht abwenden; das "Lebenselixier", von dem er täglich einen Tropfen nahm, und das rotseidene Kissen, das er als Amulett auf der Brust trug, sie mußten weichen vor einer stärkeren Macht, die sich mehr und mehr ankündigte. Der Erbring mit dem weißen Milchstein dunkelte rasch auf dem Zeigefinger, an dem er ihn trug, und so wußte er denn, daß seine letzte Stunde nahe sei. Er las im Swedenborg, als der Tod ihn antrat. Nach kurzem Kampfe verschied er in seinem Stadthause zu Potsdam. Es war am 30. Oktober.

Er war in Potsdam gestorben, aber nach letztwilliger Verfügung wollte er in Marquardt begraben sein. Nicht in der Kirche, auch nicht auf dem Kirchhofe, sondern im Park zwischen Schloß und Grotte. In wenig Tagen galt es also ein Erbbegräbnis herzustellen.

Eine runde Gruft wurde gegraben, etwa von Tiefe und Durchmesser eines Wohnzimmers, und die Maurer arbeiteten emsig, um dem großen Raum eine massive Wandung zu geben. Als der vierte Tag zu Ende ging, der Tag vor dem festgesetzten Begräbnis, mußt auch, um´s fertig zu schaffen, die Nacht mit zu Hilfe genommen werden, und bei Fackelschein, während der erste Schnee auf den kahlen Parkbäumen lag, wurde das Werk wirklich beendet.

Am 4. November früh erschien von Potsdam her der mit sechs Pferden bespannte Wagen, der den Sarg trug; die Beisetzung erfolgte, und zum ersten Male schloß sich die runde Gartengruft. Nur noch zweimal wurde sie geöffnet. Ein Aschenkrug ohne Namen und Inschrift wurde auf das Grab gestellt.

Efeu wuchs darüberhin wie über ein Gartenbeet.


Wir versuchen, nachdem wir in vorstehendem alles zusammengetragen, was wir über den Lebensgang von Bischofswerder in Erfahrung bringen konnten, nunmehr eine Schilderung seiner Person und seines Charakters.

Er war ein stattlicher Mann, von regelmäßigen und ansprechenden Gesichtszügen, in allen Leibesübungen und ritterlichen Künsten wohlerfahren, ein Meister im Fahren und Fechten, im Schießen und Schwimmen, von gefälligen Formen und bei den Frauen wohlgelitten. Er blieb bis zuletzt ein "schöner Mann". Seltsamerweise haben ihm Neid und Übelwollen auch diese Vorzüge der äußern Erscheinung absprechen wollen. In den französisch geschriebenen Anmerkungen zu den "Geheimen Briefen" wird er einfach als eine "traurige Figur" (figure triste) bezeichnet. Der Schreiber jener Zeilen kann ihn nie gesehen haben. Der erst 1858 gestorbene Sohn Bischofswerders, eine echte Garde-du-Corps-Erscheinung, war das Abbild des Vaters und übernahm noch nachträglich eine Art Beweisführung für die Stattlichkeit des "Günstling-Generals".

Der oft versuchten Schilderung seines Charakters sind im großen und ganzen die Urteile der "Vertrauten Briefe", der "Geheimen Briefe", der "Anmerkungen" zu den "Geheimen Briefen" und die Briefe Mirabeaus zugrunde gelegt worden. Es steht aber wohl nachgerade fest, daß alle diese Briefe unendlich wenig Wert als historische Dokumente haben und daß sie durch Übelwollen, Parteiverblendung oder bare Unkenntnis diktiert wurden. In letzterem Falle gaben sie lediglich das Tagesgeschwätz, das kritiklose Geplauder einer skandalsüchtigen und medisanten Gesellschaft wieder. So heißt es in den "Vertrauten Briefen" des Herrn von Coelln: "Bischofswerder war ein ganz gewöhnlicher Kopf. Sein Gemüt war den äußeren Eindrücken zu sehr offen, woraus eine große Schwäche des Willens entstand. Ganz gemein aber war er nicht." Diese letzte halbe Zeile, in ihrem Anlauf zu einer Ehrenrettung, ist besonders bösartig, weil sie sich das Ansehen einer gewissen Unparteilichkeit gibt. Weit hinaus aber über das Übelwollen der "Vertrauten Briefe", die an einzelnen Stellen immerhin das Richtige treffen mögen, gehen die "Anmerkungen" zu den "Geheimen Briefen", in denen wir folgendem Passus begegnen:

"La fortune a quelquefois employé des hommes sans grande capacité dans l´administration des États; mais rarement elle a choisi un si triste sujet que ce Bischofswerder: naissance ordinaire, figure triste, physionomie perfide, élocution embarrassée; ne connoissant ni le pays qu´il a quitté, ni celui qui l´a recueilli, ni ceux qui intéressent la Prusse. N´étant ni militaire, ni financier, ni politique, ni économiste. Un de ces hommes enfin que la nature a condamné à l´obscurité et à végéter dans la foule. Voilà l´homme qui règne en Prusse."

Wir verweilen bei diesen Auslassungen nicht, eben weil sie zu sehr den Stempel des Pasquills tragen, und wenden uns lieber der Darstellung zu, die ein anerkannter Historiker von dem Charakter B.´s gegeben hat, um dann an dieses maßvolle Urteil anzuknüpfen.

J. C. F. Manso in seiner "Geschichte des preußischen Staates vom Frieden zu Hubertusburg bis zur zweiten Pariser Abkunft" sagt über Bischofswerder:

"In den Fesseln der Rosenkreuzerei verlor er früh die unbefangene Ansicht des Lebens... Selten übte ein Mensch die Kunst, andere zu erforschen und sich zu verbergen, glücklicher und geschickter als er. Ihm war es nicht gleichgültig, wem er sein Haus am Tage und wem er es in der Dunkelheit öffne. Sein ganzes Wesen trug das Gepräge der Umsichtigkeit, und wenn er reden mußte, wo er lieber geschwiegen hätte, bewahrte er sich sorgfältig genug, um nichts von seinem Innern zu enthüllen. Rat gab er nie ungefragt, und den er gab, hielt er für sicherer oder verdienstlicher, dem Fragenden unterzuschieben; auch des Ruhms, der ihm aus dem gegebenen zuwachsen konnte, entäußerte er sich mit seltener Willfährigkeit... Friedrich Wilhelm ward nie durch ihn in der Überzeugung gestört, er wäge, wähle und beschließe allein... Das Vorurteil uneigennütziger Anhänglichkeit, das er für sich hatte, reichte hin, Verdächtige zu entfernen und Geprüftere zu empfehlen. So gelang ihm, wonach er strebte. Er ward reich durch die Huld des Monarchen, ohne Vorwurf, und der Erste im Staate, ohne Verantwortlichkeit... Anmaßungen, nicht Vergünstigungen gefährden."

Dies Urteil Mansos, wenn wir von dem Irrtum absehen, daß er von B. als "reich" bezeichnet, wird im wesentlichen zutreffen. Aber was enthält es, um den Mann oder seinen Namen mit einem Makel zu behaften? Was andres tritt einem entgegen als ein lebenskluger, mit Gaben zweiten Ranges ausgerüsteter Mann, der scharf beobachtete, wenig sprach, keinerlei Ansprüche erhob, auf die glänzende Außenseite des Ruhmes verzichtete und sich begnügte, in aller Stille einflußreich zu sein? Wir bekennen offen, daß uns derartig angelegte Naturen nicht gerade sonderlich sympathisch berühren und daß uns solche, die, zumal in hohen Stellungen, mehr aus dem Vollen zu arbeiten verstehen, mächtiger und wohltuender zu erfassen wissen; aber, wohltuend oder nicht, was liegt hier vor, das, an und für sich schon, einen besonderen Tadel herausforderte? Zu einem solchen würde erst Grund vorhanden sein, wenn Bischofswerder seinen Einfluß, den er unbestritten hatte, zu bösen Dingen geltend gemacht hätte. Aber wo sind diese bösen Dinge? Wenn die ganze damalige auswärtige Politik Preußens ? was übrigens doch noch fraglich bleibt ? auf ihn zurückgeführt werden muß, wenn also der Zug gegen Holland, der Zug in die Champagne, der Zug gegen Polen und schließlich wiederum der Baseler Frieden sein Werk sind, so nehmen wir nicht Anstand zu erklären, daß er in allem das Richtige getroffen hat. Die drei Kriegszüge erwuchsen aus einem und demselben Prinzip, das man nicht umhin können wird in einem königlichen Staate, in einer absoluten Monarchie als das Richtige anzusehen. Ob die Kriegsleistungen selbst, besonders der Feldzug in der Champagne, auf besonderer Höhe standen, das ist eine zweite Frage, die, wie die Antwort auch ausfallen möge, keinesfalls eine Schuld involviert, für die Bischofswerder verantwortlich gemacht werden kann. Er hatte gewiß den Ehrgeiz, einflußreich und Günstling seines königlichen Herrn zu sein, aber er eroberte sich diese Stellung weder durch schnöde Mittel, noch tat er Schnödes, solang er im Besitz dieser Stellung war. Er diente dem Könige und dem Lande nach seiner besten Überzeugung, die, wie wir ausgeführt, nicht bloß eine individuell berechtigte, sondern eine absolut zulässige war. Er war klug, umsichtig, tätig und steht frei da von dem Vorwurf, sich bereichert oder andere verdrängt und geschädigt zu haben. Was ihn dem Könige wertmachte (darin stimmen wir einer Kritik bei, die sich gegen die oben zitterten französischen "Anmerkungen" richtet), waren: des m?urs pures, beaucoup d´honnêteté dans le sentiment, un désintéressement parfait, un grand amour pour le travail.

In dieser Kritik vermissen wir nur eines noch, was uns den Mann ganz besonders zu charakterisieren scheint, seinen bon sens in allen praktischen Dingen, wohin wir in erster Reihe auch die Politik rechnen, das klare Erkennen von dem, was statthaft und unstatthaft, was möglich und unmöglich ist. Über diese glänzendste Seite Bischofswerders gibt uns Massenbach in seinen "Memoiren zur Geschichte des preußischen Staates" Aufschluß. Dieser (Massenbach) verfolgte damals, 1795 bis 1797, zwei Lieblingsideen: "Bündnis mit Frankreich" und "Neuorganisation des Generalquartiermeisterstabes" ? wohl dasselbe, was wir jetzt Generalstab nennen.

In den "Memoiren" heißt es wörtlich: "Ich suchte den General von Bischofswerder für meine Ansichten zu gewinnen. Es hielt schwer, diesen Mann in seinem Zimmer zu sprechen. Desto öfter traf ich ihn auf Spazierritten. Er liebte den Weg, der sich vor dem Nauenschen Tore, auf der sogenannten Potsdamer Insel, längs der Weinberge hinzieht. Da paßte ich ihm auf, kam wie von ungefähr um die Ecke herum und bat um die Erlaubnis, ihn begleiten zu dürfen. Das Gespräch fing gewöhnlich mit dem Lobe seines Pferdes an; nach und nach kamen wir auf die Materie, die ich zur Sprache bringen wollte. Ich gebe hier eines dieser Gespräche, worin ich ihm, wie schon bei einer früheren Gelegenheit, ein Bündnis mit Frankreich empfahl.

Ich (Massenbach): ?Preußen muß sich fest mit Frankreich verbinden, wenn es sich nicht unter das russische Joch beugen soll.?

Bischofswerder: ?Aber bedenken Sie doch, daß der König mit der Direktorialregierung kein Freundschaftsbündnis errichten kann. Unter den Direktoren befinden sich einige, die für den Tod ihres Königs gestimmt haben. Mit Königsmördern kann kein König traktieren.?

Ich: ?Traktieren? Wir haben ja in Basel traktiert. Und gab der staatskluge Mazarin seinem Zögling nicht den Rat, den Königsmörder Cromwell seinen "lieben Bruder" zu nennen? Das Interesse des Staates entscheidet hier allein.?

Bischofswerder: ?Man hat keine Garantie. Morgen werden die "Fünf Männer" von ihren Thronen gejagt und nach Südamerika geschickt. Es ist eine revolutionäre Regierung.?

Ich: ?Die englische Regierung ist es auch. Georg III. ist nicht nur ein schwacher Mann, er ist weniger als nichts; er ist wahnsinnig... Heute negoziieren wir mit Pitt, morgen ist ein Bute an der Spitze der Angelegenheiten. Die englische Regierung gibt uns auch keine Sicherheit. Wir haben mit der französischen Regierung unterhandelt; wir haben sie anerkannt; wir haben ihr eine diplomatische Existenz gegeben und uns dadurch den Haß aller Mächte zugezogen. Einmal mit diesem Hasse beladen, gehe man noch einen Schritt weiter...?

Bischofswerder: ?Sie gehen zu weit, Massenbach. Eine solche Idee dem Könige vorzutragen, kann ich nicht wagen. Auch kann ich Ihrer Meinung nicht beipflichten. Allianz mit Frankreich! Das ist zu früh. Die Dinge in Frankreich haben noch keine Konsistenz.?"

Dies war im Frühjahr 1796.

"Die zweite, noch weit eingehendere Unterredung", so fährt Massenbach fort, "die ich mit Bischofswerder um diese Zeit hatte, bezog sich auf die Neuorganisation des Generalquartiermeisterstabes. Ich bat um die Erlaubnis, ihm meinen Aufsatz über die Notwendigkeit einer ?Verbindung der Kriegs- und Staatskunde? vorlesen zu dürfen. Dies geschah denn auch an zwei Abenden, die ich bei Bischofswerder unter vier Augen zubrachte. Er machte, als ich geendet hatte, einige treffende Bemerkungen. Unter andern sagte er folgendes: ?Selbst angenommen, daß dies alles nur politisch-militärische Romane wären, so würde doch die Lektüre derselben den Prinzen des königlichen Hauses ungemein nützlich sein, nützlicher als die Lektüre von Grandison und Lovelace. Die jungen Herren würden dadurch die militärische Statistik unseres Staates und der benachbarten Staaten kennenlernen.?

Das Ende meines Aufsatzes", so schließt Massenbach, "ließ er sich zweimal vorlesen. Er lächelte. Als ich in ihn drang, mir dies Lächeln zu erklären, sagte er: ?Der Generalstab wird, wenn Ihre Idee zur Ausführung kommt, eine geschlossene Gesellschaft, die einen entscheidenden Einfluß auf die Regierung des Staates haben wird. Ihr Generalquartiermeister greift in alle Staatsverhältnisse ein. Sein Einfluß wird größer als der des jetzigen Generaladjutanten. Solange Zastrow der vortragende Generaladjutant ist, wird Ihre Idee nicht ausgeführt werden. Jetzt müssen Sie diese Idee gar nicht zur Sprache bringen. Teilen Sie solche niemandem mit. Die Sache spricht sich herum, und Sie haben dann große Schwierigkeiten zu bekämpfen... Ihren Antrag wegen der Reisen der Offiziere des Generalquartiermeisterstabes will ich gern beim Könige unterstützen.?" (Dies geschah.)

Massenbach, der immer Gerechtigkeit gegen Bischofswerder geübt und nur seine Geheimtuerei, sein Sich-verleugnen-Lassen und sein diplomatisch-undeutliches Sprechen, das er "Bauchrednerei" nannte, gelegentlich persifliert hatte, war nach diesen Unterredungen so entzückt, daß er ihre Aufzeichnung mit den Worten begleitet: "Ich gewann den Mann lieb; er erschien mir einsichtsvoll, und ich konnte mich nicht enthalten, ihn zu embrassieren."

Wenn nun auch einzuräumen ist, daß der immer Pläne habende Massenbach durch ein solches Eingehen auf seine Ideen bestochen sein mußte, so muß doch auch die nüchternste Kritik, die an diese Dialoge herantritt, eingestehn, daß sich überall ein Prinzip und doch zugleich nirgends eine prinzipielle Verranntheit, daß sich vielmehr Feinheit, Wohlwollen, Verständigkeit und selbst Offenheit darin aussprechen. Ein Mann, wie Bischofswerder gewöhnlich geschildert zu werden pflegt, hätte eher eine Fluchtreise nach Berlin oder nach Marquardt gemacht, als daß er sich dazu verstanden hätte, sich einen langen Aufsatz über die Neuorganisation des Generalstabes an zwei Abenden vorlesen zu lassen. In dieser einen Tatsache liegt ausgesprochen, daß er ein fleißiger, gewissenhafter, geistigen Dingen sehr wohl zugeneigter Mann war.

Wir haben diese Zitate gegeben, um unsere Ansicht über den gesunden Sinn Bischofswerders, über seine Urteilskraft und seine politische Befähigung zu unterstützen; es bleibt uns noch die wichtige Frage zur Erwägung übrig: War er ein rosenkreuzerischer Charlatan? Was wir zu sagen haben, ist das Folgende: Ein Rosenkreuzer war er gewiß, ein Charlatan war er nicht. Er glaubte eben an diese Dinge. Daß er, wie bei Aufführung einer Shakespeareschen Tragödie, mit allerhand Theaterapparat Geister zitierte, eine Sache, die zugegeben werden muß, scheint dagegenzusprechen. Aber es scheint nur. Diese Gegensätze, so meinen wir, vertragen sich sehr wohl miteinander.

Es ist bei Beurteilung dieser Dinge durchaus nötig, sich in das Wesen des vorigen Jahrhunderts, insonderheit des letzten Viertels, zurückzuversetzen. Die Welt hatte vielfach die Aufklärung satt. Man sehnte sich wieder nach dem Dunkel, dem Rätselhaften, dem Wunder. In diese Zeit fiel von Bischofswerders Jugend. Wenn man die Berichte über Schrepfer liest, so muß jeder Unbefangene den Eindruck haben: Bischofswerder glaubte daran. Selbst als Schrepfer zu einer höchst fragwürdigen Gestalt geworden war, blieb von B. unerschüttert; er unterschied Person und Sache. Es ist, nach allem, was wir von ihm wissen, für uns feststehend, daß er an das Hereinragen einer überirdischen Welt in die irdische so aufrichtig glaubte, wie nur jemals von irgend jemandem daran geglaubt worden ist. Der gelegentliche Zweifel, ja, was mehr sagen will, das gelegentliche Spielen mit der Sache ändert daran nichts. Wenn irgendwer, groß oder klein, gebildet oder ungebildet, mit umgeschlagenem weißen Laken den Geist spielt und auf dem dritten Hausboden unerwartet einem andern "Gespenst" begegnet, so sind wir sicher, daß ihm in seiner "Geistähnlichkeit" sehr bange werden wird. Ein solches Spiel, weitab davon, ein Beweis freigeistigen Drüberstehns zu sein, schiebt sich nur wie ein gewagtes Intermezzo in die allgemeine mystische Lebensanschauung ein.

So war es mit Bischofswerder. Was ihn bewog, den Aberglauben, dem er dienstbar war, sich jezuweilen auch dienstbar zu machen, wird mutmaßlich unaufgeklärt bleiben; ein von Parteistreit unverwirrter Einblick in sein Leben spricht aber entschieden dafür, daß es nicht zu selbstischen Zwecken geschah. Und das ist der Punkt, auf den es ankommt, wo sich Ehre und Unehre scheiden. Der Umstand, daß die ganze Familie, weit über die letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts hinaus, in dieser Empfindungswelt beharrte, ist bei Beurteilung der ganzen Frage nicht zu übersehen und mag allerdings als ein weiterer Beweis dafür dienen, daß hier seit lange ein Etwas im Blute lag, das einer mystisch-spiritualistischen Anschauung günstig war.

Wir kommen in der Folge darauf zurück und wenden uns zunächst einem neuen Abschnitt des Marquardter Lebens zu.

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