Hier finden Sie alles rund
um die Literatur Berlins
und Brandenburgs:
Institutionen, Archive,
Bibliotheken, Gedenkstätten,
aber auch heimische Sagen,
Eindrücke klassischer Autoren,
und einen kleinen literatur-
geschichtlichen Überblick.

Neulateinische Dichtung

Informationen

Literaturangabe:

Walther, Peter
Märkische Dichterlandschaft. Ein historischer Literaturführer durch die Mark Brandenburg, Stuttgart 1998

zurück
weiter

Neulateinische Dichtung

Neulateinische Dichtung

Eine Zäsur in der Geistesgeschichte der Region bildete 1506 die Stiftung der hauptsächlich als landesfürstliche Rechtsschule ins Leben gerufenen Universität Viadrina („Viadrus“ lat. „Oder“) in Frankfurt an der Oder durch Kurfürst Joachim I., der damit ein lange gehegtes Vorhaben seines Vaters, Johann Cicero, in die Wirklichkeit umsetzte. Zuvor bestand das Bildungswesen in der Mark Brandenburg vor allem aus einer Vielzahl von Lateinschulen (Anfang des 16. Jahrhunderts waren es ungefähr 80), die bei den Pfarrkirchen der Städte angesiedelt waren, sowie den Domschulen in Brandenburg, Havelberg und Lebus; später kamen die Fürstenschulen im Grauen Kloster in Berlin und das Gymnasium in der gerade gegründeten Stadt Joachimsthal (1607-1636, ab 1688 in Berlin) hinzu.

Obgleich die Gründung der Viadrina bereits im Zeichen von Humanismus und Renaissance stand, stellte sich die Universität in der Reformationszeit auf die Seite der Amtskirche. Ein Jahr nach Luthers Thesenanschlag in Wittenberg promovierte der Ablaßprediger Johann Tetzel 1518 in Frankfurt zum Dr. theol. – deutlicher läßt sich die Abwehrstellung der Viadrina gegen die kirchliche Erneuerung kaum beschreiben. Der Stifter der Universität, Joachim I., war ein strikter Gegner der Reformation und hat deren Einführung in der Mark seinen Söhnen sogar per Testament untersagt. Das konnte die Ausbreitung der Lutherschen Lehre freilich nicht aufhalten: 1535 wurde die östliche Mark unter Hans von Küstrin und 1539 das Gebiet diesseits der Oder unter Joachim II. evangelisch.

Beinahe alle Dichter, die im 16. und 17. Jahrhundert für die Mark Brandenburg und darüber hinaus von Bedeutung waren, haben eine Zeitlang in Frankfurt studiert oder gelehrt. Das mag nicht weiter verwundern, da die Dichtkunst spätestens seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Domäne der humanistisch gebildeten Gelehrten war. Überdies hatte der Markgraf per Dekret den Besuch der Frankfurter Universität als Voraussetzung für die Übernahme in die höhere Verwaltung bestimmt. Gedichtet wurde – in Anlehnung an die klassischen Vorbilder – fast ausnahmslos in lateinischer Sprache. Der junge Ulrich Hutten (1488-1523) studierte im Gründungsjahr der Universität in Frankfurt, wo er zum Baccaleaurus promovierte. Der spätere Mitstreiter Luthers verfaßte in dieser Zeit sein „Carmen in laudem Marchiae“, sein „Lied zum Preise der Mark“, das als wohlmeinende Stilübung des Studenten zu lesen ist (Übertragung von Ernst Münch):

Markland unter dem träg sich bewegenden Bären gelegen,
läßt an Üppigkeit weit Gargaras Trift hinter sich.
Äpfel schenkt den Bewohnern der Herbst und saftige Birnen,
während der Sommer ihm reich spendet der Ernten Ertrag.
Kaum verspürt es des Boreas Frost bei den pechenden Fackeln,
wimmelt von Blüten, daraus Honig ihm fließet, im Lenz.
Rechne dazu die Zahl der Ochsen, die hier wohl in Unzahl
grasen, wie kaum sie der Strand bietet des Ionischen Meers;
rüstige Pferd´ auch besitzt es und lastengehärtete Esel;
zahllos zur Weide treibt Herden von Schafen der Hirt;
aber stille von dem; den Reichtum mehrend durch Fische
strömet die Oder hier breit durch das fröhliche Land.

(...)
Waren werden durch Tausch von fremden Zonen gewonnen,
welche Arabien uns, welche Indien uns beut.
Herrliche Städte besitzt es und hoch erhabene Burgen,
Tempel auch, welche gebaut du von den Himmlischen glaubst.
Fürst Joachim, des fürstlichen Szepters Erbe, - damit auch
dieser Ruhm dem Lande nicht fehle, worüber er herrscht, -
führt eine Hochschule auf, mit hochanstrebenden Säulen,
da, wo Frankfurt emporragt, die gewaltige Stadt.
(...)

Ein anderer bedeutender neulateinischer Dichter, Haupt des Erfurter Humanistenkreises und gleichfalls Mitstreiter Luthers, war 1513 für kurze Zeit an die Frankfurter Universität gekommen: Eobanus Hessus (1488-1540). Neben zahlreichen Eklogen und Heroiden hat Hessus vor allem Gelegenheitsdichtung geschrieben, darunter auch ein Trauergedicht auf Hutten. In den kommenden Jahrzehnten hat eine Vielzahl von Dichtern der neulateinischen Literatur in der Mark zur Blüte verholfen, so etwa Johann Schoffer (1534-1585), poeta laureatus, der in einem 1558 gedruckten Buch die Anfänge des Hohenzollernschen Fürstenhauses in Distichen besingt. „Historia de origine et incrementis illustrissimae et inclytae familias marchionum Brandenburgensium“ heißt sein ausführliches Werk, dem eine Epistel von Melanchthon vorangestellt ist. Die ersten geographischen Schriften über die Mark Brandenburg verdanken wir dem gebürtigen Altlandsberger Nikolaus Leutinger (1554-1612), der unter anderem an der Viadrina studierte. Sein rastloses Leben führte ihn durch halb Europa, erst kurz vor seinem Tod kehrte er wieder in die Heimat zurück. Neben seinen Büchern zur Geographie und Geschichte der Mark ("Scriptorum De rebus Marchiae Brandenburgensis“) schrieb Leutinger auch Gelegenheitsdichtung. Das dritte Buch seiner Carmina ist den brandenburgischen Markgrafen gewidmet, die in lateinischen Distichen mit den römischen Herrschern verglichen werden.

„Unter den Sängern der Deutschen bist du, Sabinus, der erste;/ Eines schöneren Sterns kann sich die Mark nicht erfreuen!“ schrieb Batholomäus von Bülow über seinen Zeitgenossen Georg Schuler (1508-1560), der sich selbst den Namen Sabinus gab. Der gebürtige Brandenburger hatte während seines Studiums in Wittenberg im Hause Melanchthons verkehrt, wo er seine spätere Frau kennenlernte, die Tochter des Humanisten. 1532 wurde Sabinus Rektor der jungen Frankfurter Universität. Er trat mit philologischen und historischen Arbeiten, einer Fragment gebliebenen Poetik und einer Vielzahl von Gelegenheitsdichtungen hervor. Dazu gehört auch ein Lobgedicht auf die Stadt Frankfurt, das von einer frühen Blüte der Oderstadt zeugt (Übertragung von Amdohr):

(...)
Reich auch ist sie, die Stadt, an dem mancherlei Gut, das man herführt
Flink auf dem Flusse von fern, der hier von Schiffen belebt.
Dazu man füge die Bildung des Volkes, das, wohnt´s auch im Norden,
Rauheit nicht trägt hier zur Schau, sondern italischen Schliff.
Hohe und prächtige Häuser bewohnt der gebildete Städter.
Nirgends ist hier Verfall, wie man ihn anderswo sieht.
Hochauf streben zum Himmel die Zinnen der schönen Gebäude,
Wie einst der Fürsten Palast, die die Geschichte uns rühmt.
Franken trojanischen Stammes begründeten einst diese Mauern:
Davon der Name der Stadt, den sie bis heute noch trägt.

Ein Schüler des Sabinus war der Frankfurter Student Christoph Stummel (auch Stymmel, 1525-1588), der mit 19 Jahren die seinerzeit populäre lateinische Komödie „Studentes“ schrieb, in der es um die Versuchungen des studentischen Lebens geht. Statt mit Fleiß den Vorlesungen zu folgen, ergibt sich ein Student gemeinsam mit zwei Kommilitonen einem Saufgelage, stellt einem Mädchen nach und wird von den Eltern der Betroffenen mit den Folgen seines unsittlichen Tuns konfrontiert. Seinem juvenilen Erfolgsstück stellte der Autor dreißig Jahre später eine „Comoedia sacra“ zur Seite („Der geopferte Isaak“), die er dem Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg im Andenken an dessen Frankfurter Studienzeit widmet.

Nicht selten waren die Grenzen zwischen gelehrter Übung und Poesie fließend, so etwa bei dem Wittstocker Pfarrerssohn Valens Accidalius (1567-1595), der nicht nur Apuleis und Plautus herausgab, sondern auch seine Heimatstadt Wittstock in lateinischen Distichen besang („Ad Wistochium Patriam“). Ein Wunderkind war der aus Küstrin stammende Caspar Barth (1587-1658), der früh mit allen griechischen und lateinischen Versformen vertraut war, mit 7 Jahren die Werke von Terenz auswendig kannte und zwanzigjährig seinen ersten Gedichtband „Juvenilia“ herausgab. Barth gilt als der fruchtbarste neulateinische Dichter seiner Zeit, seine Beziehung zur Mark beschränkt sich allerdings auf den biographischen Zufall seiner Geburt in Küstrin.

Eine Ausnahme in der Reihe lateinschreibender Dichter bildet der Küstriner Joachim Frisichius (1638-1684), gleichfalls ein Gelehrter, der in Königsberg Mathematik und in Riga Jurisprudenz lehrte. Von Frisichius ist unter anderem eine Zusammenstellung eigener Gedichte in deutscher Sprache mit dem klingenden Titel „Poetisches Blumenfeld“ (1672) überliefert. Tatsächlich handelt es sich dabei eher um einen locker gebundenen Strauß beherzigenswerter Sinnsprüche als um eine ernsthafte Kunstbemühung:

Wer kräftig lehren will,
Der tu nach seiner Lehre;
Der Lehre gibt man Lob,
Die Werke geben Ehre!

Zu den wenigen Dichtern, die neben ihren Werken in lateinischer Sprache zugleich in deutscher Sprache schrieben, gehört auch der gekrönte Poet Georg Strube (1640-1702), der über Jahrzehnte Rektor der Domschule zu Havelberg war. Von Strube stammt - neben einem Preisgedicht auf den Großen Kurfürsten und einer Autobiographie - das „Epos memorabile“. Fürwahr ein „denkwürdiges Epos“, das neben einem chronikalischen Teil, in dem die Bischöfe von Havelberg aufgelistet sind, auch ein Bekenntnis des Dichters zu den Triebkräften seiner Poesie enthält, das nicht so recht zum später geprägten Bild des märkischen Sandpoeten passen will:

(...)
Denn es trägt den Poeten der Wein, einem Rosse vergleichbar,
Eh´ er es merket, davon, Wein mindert den Durst, er verscheuchet
Sorgen, es mehret der Wein wie des Körpers Kraft, so die Freundschaft.
Freilich, zu reichlicher Weinesgenuß mag schaden dem Geiste;
Doch, wenn mit mäßigem Trunk er geschöpft, über Lippen und Gaumen
fließt, macht er jeden, der trägeren Sinns, bald hell und gewitzigt.
(...)

Den Schlußpunkt neulateinischer Lyrik in Brandenburg markieren die sogenannten Lehninschen Weissagungen, die erstmals 1708 in der Berliner Monatsschrift „Curieuse Natur-Kunst-Staats- und Sitten-Präsente“ erschienen sind. Dabei handelt es sich um hundert leonische Hexameter, die ein Lehniner Mönch namens Hermann im 13. Jahrhundert verfaßt haben soll. Vorausgesagt wird darin der Sieg des Papismus in Deutschland, der Untergang des Hohenzollern-Hauses und die Unterwerfung des Landes unter einen katholischen Monarchen. Wenige Jahre nach der ersten Veröffentlichung der Lehninschen Weissagungen wurde das Poem als durchsichtige Fälschung entlarvt, die zum Ziel hatte, das nach dem Tod des Großen Kurfürsten politisch geschwächte Brandenburg wieder in die Arme der katholischen Kirche zu treiben. Eine philologische Untersuchung des Textes brachte Erkenntnisse über die Quellen der Weissagungen (Werke von A. Angelus und Johann Wolfgang Rentsch) und den wahrscheinlichen Entstehungszeitpunkt (um 1690) zutage, konnte jedoch keinen sicheren Aufschluß über die Person des Verfassers geben. Als einer von vier mutmaßlichen Verfasser kommt der evangelische Prediger Andreas Fromm (1615/21-1683) in Frage, der aus dem märkischen Plänitz stammt. Trotz der frühen Entlarvung des Werks als Fälschung tauchten die Lehninschen Weissagungen in den folgenden anderthalb Jahrhunderten immer wieder einmal auf, wenn es politischen oder konfessionellen Gegenspielern darum ging, Stimmung gegen den preußischen Staat zu machen.

11

Schriftsteller mit Bezug zum Text

4

Orte mit Bezug zum Text

1

Literarische Einrichtungen mit Bezug zum Text