An seine Magdalis
An seine Magdalis
Mein Kind, ich bin der Huld nicht wert,
Die mir von deiner Hand so häufig widerfährt.
Drum zürne nicht, wenn ich
Mich in dies seltne Glücke
Nicht, wie ich sollte, schicke,
Und glaube sicherlich:
Würdiget dein Gnadenstrahl
Meine Lippen noch einmal,
Deinen schönen Mund zu küssen,
So werd ich fürchten müssen,
Daß nicht die Wollust dieser Zeit
Durch ihre Süßigkeit
Mir die Lust zum Himmel raube
Und ich der Gegenwart mehr als der Zukunft glaube.
[Johann Christian Günther (1695-1723) stammt aus Striegau (heute Strzegom/Polen). Er studierte in Frankfurt/Oder, Wittenberg und Jena. Das hier abgedruckte Gedicht entstand in Frankfurt/O. Günther trug sich am 11. November 1715 als Medizinstudent in die Matrikel der Universität Frankfurt ein. Hinter dem Namen Magdalis verbirgt sich die 1689 geborene Magdalena Eleonora Jochmann, die Tochter des Schweidnitzer Stadtarztes Georg Jochmann. In vielen Gedichten Günthers wird sie Leonore genannt.
Erste vollständige Ausgabe von Günthers Gedichten: Sammlung von Johann Christian Günthers, aus Schlesien, bis anhero edierten deutschen und lateinischen Gedichten, wie auch in einer bessern Wahl und Ordnung an das Licht gestellet. Breslau, Leipzig 1735. Die Sammlung wurde von Gottfried Fessel herausgegeben, dessen Name nicht genannt wird.]