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Lebenslauf des Lehrers Ernst Neumann

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Lebenslauf des Lehrers Ernst Neumann

Lebenslauf des Lehrers Ernst Neumann, von ihm selbst anlässlich seiner Bewerbung auf eine Lehrerstelle in Wetzlar geschrieben

Am 2. Juli 1853 wurde ich zu Hartmannsdorf im Kreise Lübben Provinz Brandenburg geboren. Mein Vater, Johann Friedrich Neumann, war fast vierzig Jahre dort Lehrer gewesen, mußte sich aber ein Jahr vor meiner Geburt pensionieren lassen, da seine Gesundheit sehr hinfällig gewesen war, daß er sein Amt nicht mehr verwalten konnte. Die Pension war jedoch so niedrig, daß es fast unmöglich war, die Nahrungsmittel für vier Personen (ich hatte noch eine vier Jahre ältere Schwester) zu erschwingen. Woher sollte Wohnung und Kleidung beschafft werden? Die Gemeinde wies ihm endlich eine Stube im Gemeindehause an, die mehr einer Kammer, als einer Wohnung ähnlich war. Ohne Dielen, die Fenster mit Papier verklebt, die Wände durchlöchert, zur Seite den Schweinehirten, den Nachtwächter sowie mehrere Personen zweifelhaften Rufes, war es wahrlich ein wenig beneidenswertes Los für einen ausgearbeiteten, kranken Lehrer. Meine Mutter, die seit meiner Geburt stets kränkelte, war ebenfalls für schwerere Arbeiten nicht zu verwenden, um aber nicht ganz zu verkommen mußte sie auf Tagelohn gehen, während mein Vater kümmerlich Holz aus dem nahen Spreewalde holte. Niedergedrückt durch solches Elend in seinem Alter war mein Vater ganz geistesschwach geworden, bis endlich am 21. Januar 1861 der Tod ihn erlöste.
Für uns war sein Tod erst der Anfang des Elendes. Die Wittwenpension betrug 20 Thaler. Mutter und Schwester, obwohl vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein thätig, konnten kaum den Unterhalt erschwingen, und oft war für Tage kein Brot im Hause, oft mußten wir hungrig ins Bett gehen. Sobald wir aus der Schule kamen, war es meiner Schwester und meine Arbeit, Holz im Walde zu sammeln, das dann von der Mutter nach Hause getragen wurde. Später mußte ich diese Arbeit alleine verrichten. Im Sommer mit einer Karre oder Kahn, im Winter mit einem Schlitten schaffte ich mühsam soviel herbei, daß wir den Winter durchbringen konnten, während Mutter und Schwester durch Nähen zuzuverdienen suchten.
Der Schule endlich entwachsen, wollte mein Vormund, ein Bauer des Ortes, mich zwingen, ihm als Knecht Dienste zu leisten. Aber eingedenk der letzten Ermahnungen meines sterbenden Vaters, gab es meine Mutter nicht zu. Für kleine Dienstleistungen ließ sich der damalige Lehrer des Ortes bereit finden, mir einige Stunden Unterricht zu geben, während der Herr Pfarrer Klingebeil zu Lübben mich im Deutschen und in der Religion unterrichtete. Aber der Unterricht im Deutschen hatte nicht den gewünschten Erfolg, und deshalb veranlaßte der Herr Generalsuperintendent Wahn meine Aufnahme in die Präparandenanstalt zu Straupitz, erwirkte mir auch einen Freitisch beim dortigen Grafen von Houwald. Im September 1871 meldete ich mich zur Aufnahmeprüfung fürs königliche Seminar zu Neuzelle und bestand das Examen.
Meine Mutter konnte aber das geforderte Kopfgeld nicht zahlen. Schon glaubte ich auf den Eintritt in die Anstalt verzichten zu müssen, als es mir gelang, einen Freund zu finden, der sich erbot, mir bis zu meinem Eintritt ins Amt, das zu zahlende Kopfgeld zu leihen. So betrat ich dann am festgelegten Tage das Seminar. Im zweiten Jahre bekam ich aus der Anstalt Unterstützung und im 3. vollständige Freistelle; doch betrug meine mir geliehene Auslage beim Austritt aus der Anstalt am 18.Sept. 1874 immer 150 Thaler. Es wurde mir die Verwaltung der Lehrerstelle zu Krossen im Kreise Luckau übertragen. Das Einkommen derselben war nicht hoch und bei aller Sparsamkeit wollte es mir nicht gelingen, meine Schuld abzutragen, denn auch meine Mutter, die schwer erkrankt war, mußte ich mitversorgen. Am Beginn des folgenden Jahres starb sie in Hartmannsdorf, und nun entschloß ich mich eine Stellung im Rheinlande anzunehmen.
Am 1. Juni 1876 trat ich eine Lehrerstelle zu Remscheid an. Hier in Remscheid nahm ich das Studium der französischen Sprache wieder auf, und nachdem ich ein Jahr gearbeitet hatte, ging auch mein anderer Wunsch, die Sprache in Frankreich selbst sprechen zu hören, in Erfüllung, ich konnte auf 6 Wochen nach Nancy zu einer französischen Lehrerfamilie gehen, in der mir Gelegenheit geboten wurde, der Aussprache noch größere Sorgfalt zu widmen. Nach meiner Rückkehr war es mir neben dem Studium der englischen Sprache , durch Privatunterricht möglich geworden, meine durch Reserveverpflichtungen noch größer gewordene Schuld nach und nach zu decken.
In dieser Zeit legte ich auch die vorgeschriebene 2. Prüfung zu Moers ab. In meiner Arbeit wurde mir jedoch bald Einhalt geboten; ich bekam eine hartnäckige Augenkrankheit. Sie verhinderte die angefangene Arbeit, zwang mich sogar für einige Zeit um Dispensation vom Schuldienst nachzusuchen, und mich zu Verwandten nach Brandenburg in Pflege zu begeben. Es gelang das Übel wieder zu heben; doch wurde mir der Rat gegeben, den in rauher Gegend liegenden Ort zu verlassen und einen milderen zum Aufenthalt zu wählen. Ich nahm deshalb eine Lehrerstelle in Biebrich a/Rh. an. Bevor ich dieselbe jedoch antrat, wurde es mir durch das zufällige Zusammentreffen der Ferien möglich gemacht, nochmals auf 6 Wochen nach Paris zu gehen. Auch in Biebrich nahm ich das Studium der Sprachen wieder auf und arbeitete nach den Werken von Ploetz, Plate und Degenhardt. Noch blieb der Wunsch in mir wach, nach England gehen zu können; da ich aber keine Mittel besaß, glaubte ich schon auf die Erfüllung derselben verzichten zu müssen, als mir ein Freund die Adresse einer Londoner Firma angab, durch die man Stellungen in England erhalten könnte. Ich setzte mich mit derselben in Verbindung und erhielt auch eine Anstellung. Die königliche Regierung entließ mich auf meine Bitte und ich reiste auf einem Rheinschiff über Rotterdam nach London. Doch hatte die Reglung meiner Militär und Amtsangelegenheiten immer noch mehr Zeit beansprucht als ich voraussetzte, und ich konnte deshalb erst drei Tage nach dem festgesetzten Termin in London eintreffen. Hier fand ich mich arg getäuscht. Der gewissenlose Agent hatte nämlich - angeblich, weil ich zur bestimmten Zeit nicht eingetroffen war, die Stelle bereits anderseits vergeben, und so war ich bei meiner Ankunft stellenlos und ohne ausreichende Mittel. Ich konnte zwar einige Privatstunden erteilen, dennoch entschloß ich mich nach kurzem Aufenthalt zur Rückkehr. Ich bat die königliche Regierung in Coblenz um eine Lehrerstelle und ich wurde nach Lauschied im Kreise Meisenheim gesandt. Nach 1 2/3 Jahr nahm ich auf Wunsch des Herrn Kreisschulinspektors Bornemann eine Lehrerstelle in Kreuznach an, und absolvierte von da aus auch das Mittelschul - und Rektorexamen.
Die jahrelange angestrengte Arbeit an meiner Weiterbildung neben dem keineswegs leichten Schuldienst hatte meine Gesundheit etwas erschüttert, ich mußte um einen längeren Urlaub nachsuchen. Auch hatte ich mir durch den gehabten Erfolg den Neid und die Feindschaft meiner Kollegen zugezogen, die mir mein Wirken nach und nach sehr erschwerten. Eine Aussicht auf Beförderung in Kreuznach hatte ich auch nicht, weil eine Reihe älterer Lehrer da war und so wechselte ich mit Einwilligung der königlichen Regierung in Koblenz mit einem Lehrer in Wetzlar meine Stelle.
In meiner freien Zeit bin ich seit Jahren schriftstellerisch tätig und habe außer pädagogischen Aufsätzen und einer Reihe Novellen, Volkserzählungen und auch eine "Vaterländische Geschichte" verfaßt die im Kreise Kreuznach und in einigen anderen Regierungsbezirken eingeführt ist. Ein zweites Werkchen "Deutsches Frauenleben" eignet sich mehr für Mädchenschulen.
Ich erlaube mir königlicher Regierung je ein Exemplar zur Einsicht einzusenden und versichere noch einmal, daß ich mit größter Gewissenhaftigkeit und Treue die Stelle verwalten werde, um die ich mich beworben habe, falls hohe Regierung mich dazu für würdig hält.

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