Hier finden Sie alles rund
um die Literatur Berlins
und Brandenburgs:
Institutionen, Archive,
Bibliotheken, Gedenkstätten,
aber auch heimische Sagen,
Eindrücke klassischer Autoren,
und einen kleinen literatur-
geschichtlichen Überblick.

Brief an Marie von Clausewitz

Informationen

Literaturangabe:

Marwitz, Friedrich August Ludwig von der
Lebensbeschreibung, hrsg. von Friedrich Meusel, Berlin 1908

zurück

Brief an Marie von Clausewitz

Brief an Marie von Clausewitz

Friedersdorf, den 27. Oktober 1804.

Dein Brief vom 12.ten, liebe Marie, hat 14 Tage unbeantwortet in meinem Tische gelegen, weil trockne Geschäfte und sogar eine beinahe 8 tätige Reise in denselben, mich abhielten.-
Ich habe Friedrichs des zweiten herrliche Schöpfung jetzt ganz genau kennen lernen, ein Werk, das seinen Namen allein unsterblich machen würde, wenn er es nicht schon wäre, und das ihn auch in meinen Augen weit höher erhebt, als alle seine Schlachten. Den oft reißenden Gewässern der Oder zwei Meilen weit, zum Teil durch 50 Fuß hohe Berge, einen neuen Lauf gegeben, und dadurch einen ehemaligen Sumpf in eine fruchtbare Ebene umgeschaffen, die über 20 000 Einwohner zählt, und nicht nur diese, sondern zum großen Theil auch die ungeheure Residenz ernährt! - Ein solcher Anblick, - denn man übersieht das Ganze von mehreren Punkten, und der Gedanke des so durch einen einzigen über viele Tausende verbreiteten Seegens, ist fähig, das Herz des Kältesten zu erheben, und gegen den zu wenden, der solchem Riesenkopfe Riesengedanken eingab. - Mir macht es aber grade den entgegengesezten Eindruck, - so wie eine Empfindung durch schöne Natur oder schöne Werke in mir geweckt wird, - so schreckt sie auch sogleich mit unnennbarer Bitterkeit wieder zurück, und ich habe nie herbere Gefühle, als in schönen Gegenden. Beständig welche zu sehen, wäre die größte Plage für mich, und in der wüstesten Steppe wäre mir leichter zu Muthe. Die Erinnerung ihres lebendigen Gefühls und der kindlich frohen Art, mit der sie dergleichen Eindrücke aufnahm, ist der Kelch, der mir solche Augenblicke grade am allermeisten verbittert. Was mich sonst erhob, zieht mich nun zu Boden:

?Denn Sie stand neben mir, wie meine Jugend,
Sie machte mir das Wirkliche zum Traum,
Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge
Den goldnen Duft der Morgenröte webend,
Im Schimmer ihres kindlichen Gefühls
Erhoben sich, mir selber zum Erstaunen,
Des Lebens flach alltägliche Gestalten -?

Was Wunder nun, daß das Flache mir flächer wird, und das Hohe mich abstößt?
Der Glaube an eine Zukunft, die für den, der es verdient, besser sein wird, als die Gegenwart, - nur einem Bösewicht oder einem Idioten wird der fehlen! Mir steht er fest! Was mich quält, hast Du nicht verstanden, - und jetzt würde ich mir Vorwürfe machen, wenn ich es Dir gestehen und die Ruhe, welche Du mir mit hohem Rechte lobst, erschüttern, oder wenigstens ihren reinen Spiegel trüben wollte . (...)
Wenn man die Leute auf die möglich schnellste Art trösten oder erheitern will, so schickt man sie reisen. Ich habe das oft verlacht, denn, dachte ich, den Gram im Busen, den führt er doch mit sich herum! und das bleibt wahr. - Dessen ungeachtet liegt etwas richtiges in der Prozedur. - Es ist der Körper, auf den das Reisen gar mächtig wirkt, und so wie der Kerker etwas besser wird, so wird dem armen Gefangenen darin auch wohler! Er freut sich, etwas mehr Spielraum zu haben. Ich war so matt den ganzen Sommer durch - ich wünschte und hoffte sogar zu sterben; ich glaubte, ich würden den Winter nicht überleben, und hatte mir die schönsten Pläne gemacht, wie oft war ich bis auf´s äußerste erschöpft, daß mir alle Glieder flogen! Ich erinnere mich noch, daß ich ganz weg war, als ich den Abend zu Deiner Mutter nach Ziethen ritt, ehe ich die Reise antrat. Nun ist es nicht mehr so, und ich glaube, alle die schönen Pläne werden zu Wasser werden, - ich werde dem natürlichen Laufe nach noch nicht sterben, - und mich quälen, bis ein glückliches Ereignis... Oh mein Gott! wie sind diese so unbegreiflich ausgetheilt! Es war diesen Sommer Nachmittags ein entsetzliches Gewitter; ich ging durch den Garten, unter dichten Bäumen, und wie es von fern donnerte, bat ich Gott recht inbrünstig in meinem Herzen, daß er, wenn er es für gut fände, einen wohltätigen Blitz senden möchte, und in dem Augenblick fiel Blitz und Schlag mit solchem Krachen, daß ein jeder andere erschrocken seyn würde, hatte ich sogleich das wehmüthige Bewußtseyn, daß meine Bitte nicht erhört worden war. Aber an dem nemlichen Tage, bei dem nemlichen Gewitter, vielleicht durch den nemlichen Schlag, wurde 1 ½ Meile von hier ein Prediger erschlagen, der auch unter einen Baum getreten war. - Er hatte vermuthlich nicht darum gebeten, denn er hatte seine Frau und viele Kinder hinterlassen! -
Wenn Du das unglückliche Wurm siehst, so küsse es von mir, vielleicht wird Gott es, auch ohne Mutter, glücklich machen, oder es bald zu ihr bringen. Lebe recht wohl und glücklich! Ich bitte Dich, Dich nicht zu bemühen, um mir pünktlich zu antworten, - ich weiß recht gut, daß es oft eine wirkliche Mühe für Dich seyn muß, und bleibe Dir auch ohnedem zugethan, wie ich es immer gewesen, denn das ist es, warum ich, wohl mit Recht, sagte: Du habest schlecht von mir gedacht, denn Du hast gestanden, geglaubt zu haben: daß ich blos, weil Du Fannys Schwester, Dich so behandelt, wie ich sonst gethan. Dies konnte nicht in meine Seele kommen, aus solchem Bewegungsgrund wäre ich blos höflich gewesen. (...)
L. M.

[Der Brief ist an die Schwägerin von Ludwig von der Marwitz, Marie von Brühl (1779-1836), gerichtet. Im März 1804 war dessen Frau, Fanny Gräfin Brühl (geb. 1784), gestorben. Die Grabinschrift auf dem Friedhof in Friedersdorf lautet: "Hier liegt mein Glück. Caroline Franziska Gräfin Brühl / ward geboren 1783, den 23. März, / vermählt 1803, den 12. May / an Friedrich August Ludwig von der Marwitz / Erbherrn auf Friedersdorf / Der verließ sie gesund am 14. März 1804, / Vierzehn Tage nach einer glücklichen Entbindung, / kehrte am 16ten zurück und fand sie tot! / Sie war die Freude aller, die sie kannten." Die im Brief zitierten Verse stammen aus dem 5. Aufzug von Schillers Drama "Wallensteinsteins Tod". Der Textpassage Wallensteins folgt die Antwort der Gräfin: "Verzag nicht an der eignen Kraft. Dein Herz / Ist reich genug, sich selber zu beleben. / Du liebst und preisest Tugenden an ihm, / Die du in ihm gepflanzt, in ihm entfaltet."]

1

Schriftsteller mit Bezug zum Text

1

Orte mit Bezug zum Text