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Das älteste Haus in Potsdam

Informationen

Literaturangabe:

Grässe, Johann Georg Theodor
Sagenbuch des preußischen Staates, Glogau 1868

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Das älteste Haus in Potsdam

Das älteste Haus in Potsdam

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bestand Potsdam fast nur aus vier Straßen, in deren Mitte auf einer kleinen Erhöhung des Bodens die mit einem Begräbnisplatz umgebene Kirche und unweit davon ein kleines Rathaus stand; so hatte es auch nur zwei Tore, das eine, das Brandenburger, führte durch den Wall in der Gegend des neuen Marktes, das andere, in der Gegend der grünen Brücke, hieß das Berliner und war nur zum Teil durch eine Mauer, größtenteils aber durch einen Graben und ein festes Pfahlwerk mit dem ersteren verbunden. Von dem Berliner Tor längs der Havel hin bis über die jetzige Burg und Heiligegeiststraße lag eine doppelte Reihe von Fischerhäusern. Der Platz an der Havel aber, auf dem jetzt die Heiligegeist-Kirche steht, war durch einen breiten Graben zur Insel gemacht; auf der Landseite geschützt durch Mauer und Wall, auf der ändern durch den breiten Fluß. Hier stand die Burg, das sogenannte alte Haus Potsdams, ein viereckiges steinernes Gebäude mit spitzen Giebeln und einem runden Turm an jeder Ecke. Da wo sich jetzt das Schloß erhebt, war durch Joachim ein kleines Lustschloß errichtet, unweit der hölzernen Brücke, welche Friedrich I. statt der Fähre 1406 über die Havel hatte erbauen lassen. Unterhalb der Stadt, dem Tornow gegenüber und von ihm durch einen dichten Eichenwald getrennt, der sich weit hin nach Fahrland und Redlitz erstreckte, lag der Kiez, ein Fischerdorf, dessen wendische Bewohner unter einem Schulzen lebten.

Dieser Schulze hatte nun ein ganz junges niedliches, schwarzäugiges Mädchen von kaum sechzehn Jahren zum Mündel, die allen jungen Burschen des Dorfes den Kopf verdrehte und so auch ihrem Vormund. Ob dieser nun gleich zum dritten Male Witwer war, so ließ er es sich doch beikommen, einem vierten Frauenzimmer seine welk gewordene Hand anzubieten, und siehe, er wurde erhört, am Osterfest 1536 wurde sein rotbäckiges Mündel seine vierte Frau. Sie lebte als solche gerade so fort wie vorher als Mädchen, trug ihre Fische zum Markt und ging an Sonntagen in die Schenke zum Tanz, wo es ihr keine an Frohsinn und Scherzen zuvortat. Da ist sie einstmals im nächsten Sommer, als sie wieder Fische in die Schloßküche tragen wollte, wie der Kurfürst Joachim II. sich gerade der Jagd wegen mit zahlreichem Gefolge im Schloß zu Potsdam aufhielt, im Wald unweit des Kiezes mit einem großen stattlichen Herrn unter einer großen Eiche zusammengetroffen, der hat sie freundlich angeredet und sich über das und jenes mit ihr unterhalten, hat sie auch bis ans Tor begleitet. Später hat sie den Mann noch oft auf ihrem Weg zur Stadt getroffen und stets mit ihm eine längere oder kürzere Zeit gesprochen, ja sie hat sich ordentlich geärgert, wenn sie einmal zur Stadt ging und ihren Gesellschafter nicht traf. Es ist ein großer schöner Mann in der Mitte der Dreißiger gewesen, hat sich ihr gegenüber für einen Beutner ausgegeben, der viele Bienenstöcke in den hohlen Eichen besäße, die er aber an andere verpachtet hätte, und hat gesagt, er halte sich hier in der Nähe auf, um achtzuhaben, daß ihm nicht die jungen Schwärme entführt würden. Er hat aber über alle möglichen Gegenstände mit ihr Rede gepflogen; und da sie ihn um vieles, was sie nicht wußte, gefragt, sie gewissermaßen unterrichtet, so daß sie bald viel mehr wußte als alle ihre Gespielinnen, und das ganze Dorf erstaunt war, wie des Schulzen Frau plötzlich eine so kluge Frau geworden sei. Gegen das Ende des Herbstes blieb aber der Herr plötzlich aus, und die Frau Schulzin sah nun erst, was er ihr geworden war, ohne ihn wurde ihr das Leben fast unerträglich, und dies um so mehr, weil sie niemanden hatte, dem sie ihre Not klagen oder ihr Herz ausschütten konnte.

Eines Tages, als sie wieder einmal zur Stadt ging, da sah sie eine große Menge Arbeiter bei der Eiche, die gruben die Erde aus und schienen eine Grundmauer errichten zu wollen. Auf ihr Befragen erfuhr sie, Kurfürst Joachim, wegen seiner Klugheit Nestor genannt, lasse hier ein Jagdschloß bauen, auf dem Hof solle aber die Eiche in der Mitte der Gebäude stehenbleiben.

Im nächsten Jahr ließ sich der Bienenvater wieder sehen, und als er mit ihr zusammenkam, tat er gar nicht, als wäre längere Zeit zwischen ihrer letzten Zusammenkunft verflossen, sondern war gerade so vertraulich, als hätten sie sich erst gestern gesehen. So ging es einige Zeit fort, und die arme Schulzin war immer mehr verliebt in ihn, so daß sie gar nicht mehr an ihren Mann dachte. Da trug es sich zu, daß in dem Herbst desselben Jahres ein Wolkenbruch in der Gegend von Potsdam fiel, die Havel stieg über ihre Ufer, viele Schiffe der Bewohner vom Kiez wurden zerstört oder vom Strom mit fortgeführt, und als in der darauffolgenden Nacht im Dorf auch noch eine Feuersbrunst ausbrach, welche unter anderen auch das Haus des Schulzen verzehrte, da war große Not in dem armen Fischerdorf, denn der größte Teil der Bewohner war in den Fluten umgekommen, und die übrigen hatten alle ihre Habe in der Feuersbrunstverloren. An den Folgen dieses Schrecks starb der alte Schulze in wenigen Tagen, seine Frau aber blieb seit dem Tag verschwunden.

Einige Monate nachher bezog nun aber der Kurfürst sein neues Lustschloß und bewohnte es seit jener Zeit nur mit wenigen Unterbrechungen. In der Umgegend aber wurde die Rede laut, man sehe ihn in dem das Schloß umgebenden Garten oft mit einer jungen schönen Frau lustwandeln, die große Ähnlichkeit mit der verschollenen Frau Schulzin habe. Auch nach seinem Übertritt zur evangelischen Kirche im Jahr 1536 ist er häufig auf jenem Jagdschloß gewesen, allein keiner der Hofleute, die er dorthin mitnahm, hat, darum befragt, über jene schöne Dame Rede gestanden, so daß man zuletzt gar nicht mehr davon gesprochen und die ganze Sache für einen Spuk gehalten hat. Zwanzig Jahre nachher brannte das ganze damalige Potsdam ab, und nur das Jagdschloß im Eichenwald beim Kiez blieb von allen Gebäuden aus früherer Zeit übrig, wurde aber später vom Kurfürsten Friedrich Wilhelm auf den Wunsch seiner frommen Gemahlin zu einem Witwenhaus eingerichtet. Es ist bis in die dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts stehen geblieben, da wurde es zwar niedergerissen, allein das neu aufgebaute Predigerwitwen-Haus steht genau auf den Grundmauern des alten Jagdschlosses, ist also strenggenommen das älteste Haus der Stadt Potsdam.

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