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Das Galgenhaus

Informationen

Literaturangabe:

Ziehnert, Widar
Preußens Volkssagen, Mährchen und Legenden, 2 Bde., Leipzig 1839/ 40

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Das Galgenhaus

Das Galgenhaus

So wird das Haus Nr. 10 in der Brüderstraße genannt. Es ist an ihm ein Loch, mit einem eisernen Gitter versehen, das als Kellerloch benutzt wird, ein Wahrzeichen eines traurigen Ereignisses.

Unter der Regierung König Friedrich Wilhelms I. nahmen die Hausdiebstähle in Berlin so überhand, daß alle polizeilichen Maßregeln zu ihrer Verhütung nichts helfen wollten. Darüber wurde der König so zornig, daß er den Befehl gab, jeden, der als Hausdieb entdeckt würde, sofort und ohne lange weitere Untersuchungen vor dem Haus, in dem er gestohlen, an einem dazu aufgerichteten Galgen, der aus einem hölzernen Schandpfahl mit einem Arm bestand, aufzuhängen. Der Befehl war leider kaum bekanntgemacht, als in dem Haus eines Ministers ein silberner Löffel, auf den der Minister selbst großen Wert legte, vermißt wurde. Darüber erhob sich unter der zahlreichen Dienerschaft ein großer Aufruhr, indem jeder den Verdacht, der zum Galgen führen konnte, von sich abzulenken suchte. Endlich fiel er auf ein Hausmädchen, erst vor kurzer Zeit hier in Dienst getreten. Sie war die Geliebte eines Soldaten, um den sie von den übrigen weiblichen Dienstboten beneidet wurde! Der Verdacht wurde zur Anklage, von der sie sich in ihrer Einfalt und Befangenheit selbst nicht reinigen konnte und arm und unbekannt auch keinen ändern Verteidiger fand. Dem Minister war es höchst unangenehm, vor seinem Haus einen Galgen errichtet und das Mädchen hängen zu sehen, aber dennoch wagte er es nicht, dem strengen Befehl seines Königs entgegen zu handeln. Das unglückliche Mädchen wurde gehängt, und die Brüderstraße vermochte nicht die Menschen zu fassen, welche die Neugierde, dieses neue Trauerspiel zu sehen, herzugeführt hatte. Ein Jahr war bereits seit der Hinrichtung vergangen und noch immer standen die Menschen gruppenweise dem Haus gegenüber und erzählten sich von der rührenden Hinrichtung des schönen Dienstmädchens. Das machte dem Minister seine Wohnung höchst unangenehm, aber sie wurde ihm ganz zuwider, als ein Zufall die Unschuld des Mädchens und den wahren Dieb an den Tag brachte, und dieser war - eine zahme Ziege, welche jetzt den weggetragenen Löffel wieder zum Vorschein brachte. Jetzt wurde das Haus von Neugierigen belagert und fast erstürmt, die nun die Ziege, den Löffel und den Ort sehen wollten, wo ihn jene versteckt gehalten habe. Der Minister bot das Haus zum Verkauf aus, aber niemand wollte das Galgenhaus, wie man es jetzt nannte, in Besitz nehmen. Als die Geschichte mit der Ziege nun der König erfuhr, hob er gleich das strenge Gesetz wegen der Hausdiebe auf und ließ durch den Magistrat das Haus ankaufen, das auch bis heute den widerlichen Namen behalten hat. In dem obenerwähnten Loch soll der Galgen gestanden haben.

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